Seit Jahrzehnten schlummerte ein ungehobener Schatz im Magazin des Sozialarchivs: das Lebenswerk des Zürcher Fotografen Hermann Freytag (1908-1972), in Holzkisten und Kartonschachteln verpackt. Nun ist der Hauptteil digitalisiert und online zugänglich – ein Panoptikum von fast 40 Jahren Schweizer Alltag.
Hermann Freytag trat nach einer Gärtnerlehre und der Rekrutenschule der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) bei, der er während Jahrzehnten, zuerst als einfaches Mitglied, später als Leiter, treu blieb. In den späten 1930er Jahren orientierte er sich beruflich neu: Er machte sein Hobby, das Fotografieren, zu seinem Haupterwerb, dem er bis zu seinem überraschenden Tod 1972 nachging. Freytag arbeitete als Auftragsfotograf für viele Organisationen der Arbeiterbewegung, für das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (heute: SolidarSuisse), für verschiedenen Gewerkschaften, für die Roten Falken und für die Sozialdemokratische Partei. Seine Fotos erschienen regelmässig in der Gewerkschafts- und Parteipresse, aber auch in Meyers Modeblatt, für das er lange Jahre Fotoreporter war.
Nach Freytags Tod gelangten grosse Teile seines Werkarchivs ins Sozialarchiv, insbesondere sein umfangreiches Negativarchiv und die Kontaktkopien. Letztere sind nun digitalisiert und erschlossen. Freytag hat sein Werk auf über 2‘000 Kontaktbögen thematisch geordnet; jeder dieser Bögen enthält bis zu 16 kleinformatige Schwarz-Weiss-Aufnahmen, eine Art "Best-of" nach den Kriterien des Fotografen. Thematisch liegen seine Schwerpunkte bei der Dokumentierung der Tätigkeiten von Arbeiterorganisationen und Jugendverbänden sowie bei allgegenwärtigen Alltagsphänomenen (Verkehr, Bauten, Infrastruktur, Menschen bei der Arbeit etc.). Freytag hatte seine Kamera aber offenbar auch in seiner Freizeit oft mit dabei und fotografierte beim Wandern und beim Reisen beiläufig, wie sich die Schweiz in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte.
Einige hundert Papierabzüge, die Freytag für seine Auftraggeber angefertigt hat, sind im Lauf der Zeit im Rahmen diverser Archivablieferungen im Sozialarchiv gelandet. Weitere Abzüge sind zudem beim Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft (ISEK) zu finden, wo sie vom ehemaligen Zürcher Volkskundeprofessor Paul Hugger zusammengetragen wurden.
Die Kontaktkopien konnten dank Freytags exakter Arbeitsweise und den Verweisen auf die Negative ziemlich genau datiert werden. Die Scans eignen sich, um eine Vorauswahl zu treffen. Bei Bedarf kann in fast jedem Fall auf ein qualitativ hochwertiges Mittelformat-Negativ zurückgegriffen werden. Die Benutzung ist online möglich via Datenbank Bild + Ton. (Da die Ansicht der Kontaktbögen mit den aktuellen Darstellungsmöglichkeiten der Datenbank eingeschränkt ist, kann bei Bedarf auch auf die Originalscans zurückgegriffen werden, die am Bildschirm eine bequeme Recherche ermöglichen.)