Eine neue historische Plattform – interaktiv und für alle offen
Wir wissen, dass die meisten Alltagserfahrungen nie den Weg in die Archive finden. Sie sind in den Köpfen der Menschen abgespeichert, sie stecken in privaten Fotoarchiven oder schlummern in Kisten auf Dachböden und warten auf eine Neubelebung. Schnappschüsse vom Dorffest oder von regionalen Ereignissen wie etwa der legendären Seegfrörni gehören genauso dazu wie private biografische Erinnerungen, die man bei sich zu Hause aufbewahrt, jedoch als unwichtig für das kollektive Gedächtnis erachtet. Wer erzählt schon von seiner Kindheit in einem Arbeiter:innenhaushalt der 1950er-/60er-Jahre, so dass dies der Nachwelt erhalten bleibt? Und wie lange ging es, bis die schlimmen Erfahrungen von administrativ versorgten Menschen den Weg in die offizielle Geschichtsschreibung gefunden haben!
Die partizipative Plattform unsereGeschichte.ch möchte der Öffentlichkeit einen neuen, virtuell organisierten Raum geben, wo Erinnerungen geteilt und gemeinsam Geschichte gestaltet werden kann. Hier können alle Interessierten ihre Erinnerungsschätze hochladen: das Video von den Jubiläumsfeierlichkeiten der Wohngenossenschaft, das zerknitterte Foto vom ersten eigenen Auto, der Film von der Abschlussfeier nach der Lehre als Krankenschwester oder die Fotogalerie mit Geschichten zur eigenen Familie. Texte, Videos, Fotos, Audioaufnahmen – alles ist willkommen und kann ohne journalistischen oder wissenschaftlichen Anspruch hochgeladen werden. Die Nutzung der Plattform ist einfach, die Beiträge können lose angelegt oder in Themengalerien einsortiert werden, in der Regel sollten sie in eine Geschichte eingebettet sein. Man kann auf Wunsch anonym veröffentlichen, einzig bei der Registrierung müssen Personendaten angegeben werden.
Die Sammelplattform funktioniert interaktiv, indem die einzelnen Posts von allen Nutzer:innen mit weiteren Posts ergänzt, aber auch in Chats kommentiert werden können. Oder es werden in Form von Blogs und gezielt eingerichteten Galerien Dialoge aufgegleist und angeregt. In diesem Zusammenwirken entsteht ein lebendiges Museum der Alltagsgeschichte, bewirtschaftet von all jenen, die ihre wertvollen Erfahrungen vor dem Vergessen retten wollen. Ein kleines redaktionelles Team sichtet alle Beiträge, um Missbrauch zu verhindern.
Zusammenarbeit mit Institutionen
Die Plattform unsereGeschichte.ch arbeitet mit Archiven, Museen und Vereinen zusammen, ein Beirat aus deren Kreis regt thematische Schwerpunkte an. Die mit uns verbundenen Institutionen stellen eigene Exponate ins Netz und nutzen die Plattform zum Sammeln von Materialien für ihre eigenen Projekte. Unter Einbezug der Partnerinstitutionen soll jeweils monatlich ein neues Fokusthema lanciert werden. So sammeln wir aktuell parallel zur Ausstellung des Landesmuseums Geschichten zum Thema «Italianità» und suchen aktiv das Mitwirken von Migrant:innen-Organisationen wie den Colonie Libere Italiane. Auf diesem Weg finden Erinnerungen und Dokumente der ersten und zweiten Generation der italienischen «Fremdarbeiter:innen» Eingang ins nationale Gedächtnis. Oder wir haben ergänzend zur Veranstaltungsreihe des Sozialarchivs «Schöner wohnen? Besser leben!» Dokumente zur Geschichte von Wohngemeinschaften gesammelt und Interviews geführt. So fand die Alters-WG in Tenna einen Platz auf unserer Plattform und war Gast bei einer Veranstaltung des Sozialarchivs.
Das Angebot von unsereGeschichte.ch ist in der Deutschschweiz einzigartig. Es wurden von Privatpersonen und Institutionen bereits über 800 Dokumente publiziert. Getragen wird unsereGeschichte.ch von der Stiftung FONSART, die mit notrehistoire.ch bereits eine entsprechende Plattform in der französischsprachigen Schweiz betreibt. Zudem gibt es eine intensive Zusammenarbeit mit lanostrastoria.ch in der italienischsprachigen Schweiz und nossaistorgia.ch im Bündnerland.
Neue Rolle für Historiker:innen
Historiker:innen können in diesem Projekt eine zentrale Rolle übernehmen, indem sie die Leute in ihrem privaten Umfeld zum Erzählen und zum Festhalten von Geschichten ermuntern oder vielleicht auch einmal Interviews mit Zeitzeug:innen führen. So könnten sie zum Beispiel die Nachbarin, die als Swissair-Angestellte das Grounding erlebt hat, dazu animieren, ihre Geschichte aufzuschreiben und zu publizieren, und sie dabei unterstützen.
Alle, die an Geschichte interessiert sind, können also ganz direkt dazu beitragen, das kollektive Gedächtnis der Deutschschweiz mit neuen Perspektiven zu ergänzen und gelebte Realitäten sicht- und verstehbar zu machen.
Links auf einige Galerien:
- WG-Geschichten: https://unseregeschichte.ch/galleries/wg-geschichten-zusammenleben-in-der-wohngemeinschaft
- Frauenleben am Napf: https://unseregeschichte.ch/galleries/frauenleben-am-napf
- ABZ-Siedlung Entlisberg Wollishofen: https://unseregeschichte.ch/galleries/abz-siedlung-entlisberg-wollishofen
- Erinnerungen an eine Kindheit in Wollishofen: https://unseregeschichte.ch/galleries/erinnerungen-an-eine-kindheit-in-wollishofen
- Von der Doposcuola zur Informatik-Ausbildung: https://unseregeschichte.ch/galleries/von-der-doposcuola-zur-informatik-ausbildung