Zu Beginn der 1980er Jahre formierten sich in einigen Schweizer Städten bedeutende Jugendbewegungen. Im Zentrum der Forderungen standen eine stärkere Berücksichtigung ihrer kulturellen Bedürfnisse durch die öffentliche Hand und möglichst autonome Freiräume. In Zürich wurde der Kampf um ein Autonomes Jugendzentrum (AJZ) besonders intensiv geführt. Die Auseinandersetzungen wurden oft auf der Strasse und gewalttätig ausgetragen. Die tiefe Abneigung vieler Jugendlicher gegen hierarchische Strukturen äusserte sich auch in der Art, wie diese Jugendbewegung ihre Forderungen, Strategien und Aktionen festlegte: Nicht Leaderfiguren oder exklusive Führungszirkel entschieden über den nächsten Demonstrationstermin oder die Verhandlungstaktik mit der Stadt, sondern die für alle Interessierten zugängliche Vollversammlung.
Das Sozialarchiv verfügt über Aufnahmen der ersten zehn Vollversammlungen aus dem Zeitraum zwischen dem Opernhauskrawall, der die Bewegung ausgelöst hatte, und der Eröffnung des AJZ an der Limmatstrasse. Diese Aufnahmen sind seit rund fünf Jahren katalogisiert und ausleihbar; sie wurden nun aber inhaltlich mit Sequenzprotokollen erschlossen, die auf der Datenbank Bild + Ton einsehbar sind. Ein Online-Streaming ist geplant.
Die Aufnahmen entstanden zwischen dem 1. und 28. Juni 1980 in der Roten Fabrik, im Volkshaus, im Platzspitz Park oder im Festzelt vor dem Opernhaus. Die Vollversammlungen waren vor allem in der Anfangszeit Massenanlässe mit bis zu 3’000 Teilnehmenden. Trotz dieses grossen Andrangs und oft stundenlanger Debatten um strategische Finessen dürften die Vollversammlungen – neben dem Druck von der Strasse – wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Stadt nur einen Monat nach den Ereignissen vor dem Opernhaus der Jugend die Liegenschaft an der Limmatstrasse als Treffpunkt überliess.
Vieles an diesen Aufnahmen ist faszinierend. 1980 sind die Feindbilder noch klar definiert: Die politischen Handlungsträger kommen durchwegs schlecht weg, seien sie Vertreter der Stadtexekutive oder linke "Oppositions"-Politiker aus dem Gemeinderat. Das Vertrauen der Jugendlichen in hergebrachte politische Aushandlungsprozesse ist nach jahrelanger Hinhaltetaktik gründlich zerstört. An der Vollversammlung vom 4. Juni 1980, an der auch Stadtpräsident Sigmund Widmer und Sozialvorsteherin Emilie Lieberherr teilnehmen, wird deutlich, wie tief diese Gräben sind. Beide Politiker/innen reagieren verständnislos und irritiert auf die ultimativen Forderungen der Jugendlichen. Die Vollversammlung ihrerseits ist zu keinerlei Kompromissen bereit, wenn es etwa darum geht, der Forderung der Stadt nach einer Verhandlungsdelegation nachzukommen. In anderen Bereichen kann die Vollversammlung aber keine konsequente Marschrichtung ausgeben: Die Frage, wieweit die Militanz gehen dürfe, um das Ziel AJZ zu erreichen, wird mehrmals kontrovers und letztlich ergebnislos diskutiert.
Nach rund 30-stündiger Debatte an zehn Vollversammlungen und mehreren Demonstrationen hat die Jugendbewegung ihr Hauptziel erreicht: Am 28. Juni 1980 wird das AJZ mit einer (leider nicht mehr überlieferten) Vollversammlung und einem Fest eröffnet.