Am 9. November 1989, um 18:57 Uhr, gab Günter Schabowski, Mitglied des Politbüros der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), an einer im Fernsehen live übertragenen Pressekonferenz über ein neues Reisegesetz der DDR auf Nachfrage bekannt, ab sofort sei den Bürgerinnen und Bürgern der DDR der freie Grenzübertritt in die Bundesrepublik und nach Westberlin gestattet. Wenige Stunden später strömten Tausende aus Ostberlin zu Fuss oder in Trabis in den seit 28 Jahren abgeriegelten Westteil der Stadt. An der Berliner Mauer fanden ausgelassene Feiern statt. Auch in der Schweiz verfolgten viele das epochale Ereignis live am Bildschirm. Zehntausenden von Dienstpflichtigen der Armee und des Zivilschutzes war dies indessen nicht möglich. Sie standen bei der Gesamtverteidigungsübung „Dreizack 89“ im Einsatz. Zwar hiess der imaginierte Feind nicht mehr „Rotland“, wie früher bei Manövern der Schweizer Armee und der NATO üblich, sondern „Gelbland“, ansonsten wurde aber wie im tiefsten Kalten Krieg das Szenario eines Angriffs durch eine konventionelle Invasionsarmee durchgespielt. In den folgenden Wochen gerieten indessen die sicherheitspolitischen und staatsschützerischen Pfeiler der Schweiz des Kalten Krieges schlagartig in den Fokus kritischer Diskussionen.
Der Fall der Berliner Mauer war ein markanter Punkt in einer Kette von Ereignissen, die im Jahr 1989 gleichsam die traditionelle „Domino-Theorie“ auf den Kopf stellte. Seit dem frühen Kalten Krieg hatte sich die amerikanische Aussenpolitik von der Befürchtung leiten lassen, dass Staaten in der Nähe kommunistischer Länder in Gefahr seien, wie Dominosteine umzufallen und in den Kommunismus zu kippen. Diese Metapher führte etwa zum verhängnisvollen Eingreifen der Amerikaner in den Vietnamkonflikt oder zur Beteiligung des CIA an zahlreichen Staatsstreichen und Aktionen gegen Regierungen (etwa 1954 gegen den guatemaltekischen Präsidenten Jacobo Arbenz Guzmán, von dem das Sozialarchiv einen Nachlasssplitter besitzt) und linke Bewegungen in Lateinamerika. 1989 nun fielen die Dominosteine in Osteuropa in die andere Richtung: Eine kommunistische Diktatur nach der anderen brach zusammen. Nachdem sich der 1985 in der Sowjetunion von Michail Gorbatschow unter den Slogans „Glasnost“ (Transparenz, Offenheit) und „Perestroika“ (Umbau) zunächst behutsam eingeleitete Reformprozess zunehmend beschleunigte, trat in Polen die 1981 mittels Kriegsrecht unterdrückte Gewerkschaft Solidarność (die im Februar 1989 dem Sozialarchiv eine Dokumentensammlung über ihre Tätigkeiten der Vorjahre als Depositum überreichte) wieder an die Öffentlichkeit. Im Sommer 1988 erreichte sie die Einleitung eines Dialogs mit der Regierung am „Runden Tisch“. Zur selben Zeit bildeten sich auch in Ungarn und Tschechoslowakei oppositionelle Gruppen. In der DDR gab es dann im Mai 1989 grössere Proteste gegen die Fälschung der Kommunalwahlen. Im Sommer 1989 war die Situation in den unterschiedlichen Ostblockstaaten sehr uneinheitlich. Im Juni erfolgte die symbolische Öffnung des Grenzzauns zwischen Ungarn und Österreich durch die Aussenminister der beiden Länder. Im selben Monat fanden in Polen halbfreie Wahlen statt, aus denen im September dann eine Koalitionsregierung unter nichtkommunistischer Führung hervorging. Ebenfalls im Juni zeigte aber die chinesische Führung mit der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Tian’anmen-Platz den osteuropäischen Machthabern eine mögliche Alternative zu den Entwicklungen in der Sowjetunion, Polen und Ungarn auf. Allerdings wurde zunehmend klar, dass die Rote Armee für solche Aktionen nicht mehr zur Verfügung stehen würde.
Am 4. September 1989 begannen die Leipziger Montagsdemonstrationen, die rasch zu einer Massenbewegung anwuchsen und in anderen Städten der DDR Nachahmung fanden. Am 17. Oktober setzte das Politbüro der SED Erich Honecker ab, am 9. November wurde die Berliner Mauer geöffnet und kurz darauf ein Runder Tisch mit den mittlerweile entstandenen Bürgerrechtsgruppierungen eingerichtet. Auch in der Tschechoslowakei steigerten sich die Demonstrationen, bis im Dezember der oppositionelle Schriftsteller Václav Havel zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Ungefähr gleichzeitig erfolgte in Bulgarien der erzwungene Rücktritt des langjährigen Parteichefs Todor Schiwkow. Damit war von der alten kommunistischen Garde im Dezember 1989 nur noch der Rumäne Nicolae Ceaușescu an der Macht, der bis in die frühen 80er Jahren wegen einer gewissen Distanz zu Moskau als Liebling des Westens gegolten hatte, in der Zwischenzeit als selbsternanntes „Genie der Karpaten“ aber zunehmend paranoide Züge offenbarte. Nach ersten Protesten im November in Timișoara schlugen sich Mitte Dezember die Armee, das Fernsehen und Teile der Nomenklatura und des berüchtigten Geheimdiensts Securitate auf die Seite der immer zahlreicheren Demonstranten, nach blutigen Kämpfen und einem Fluchtversuch wurde Ceaușescu verhaftet und am 25. Dezember hingerichtet.
Im Verlauf des Jahres 1990 fanden in allen ehemaligen Ostblockstaaten Wahlen statt. In der DDR ging daraus eine CDU-geführte Regierung hervor, die in enger Abstimmung mit der bundesdeutschen Regierung Helmut Kohls den Wiedervereinigungsprozess bis zum Oktober zum Abschluss brachte. Im selben Jahr wurde der „Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa“ (KSE) abgeschlossen. Im Juli 1991 erfolgten dann die Unterzeichnung des START-Vertrags über die Reduktion der land- und seegestützten Langstreckenwaffen mit einer Reichweite von mehr als 5’500 km um die Hälfte sowie die Auflösung des Warschauer Pakts. In der Sowjetunion hatten sich in der Zwischenzeit wirtschaftliche Probleme und Nationalitätenkonflikte verschärft. Im Jahre 1990 waren die die drei baltischen Staaten in die Unabhängigkeit entlassen worden. Im März 1991 stimmten die Bürgerinnen und Bürger der restlichen Sowjetrepubliken zwar in einem Referendum mit 76 Prozent für den Fortbestand der Sowjetunion. Nach einem gescheiterten Putsch orthodoxer Kommunisten gegen Gorbatschow im August 1991 verbot der russischen Präsident Boris Jelzin die Kommunistische Partei auf dem Territorium seiner Sowjetrepublik und im Dezember erklärte er zusammen mit den Präsidenten der Ukraine und Weissrusslands die Sowjetunion für aufgelöst. Damit war der Kalte Krieg definitiv zu Ende. Wie die Welt nach dem Ende der 40-jährigen Bipolarität organisiert sein sollte, war und blieb noch längere Zeit unklar. Die vom amerikanischen Politologen Francis Fukuyama propagierte These, dass die Geschichte mit dem Umbruch von 1989 an ihr Ende gekommen sei, erwies sich indessen rasch als Trugschluss.
Noch zu Beginn der 80er Jahre war ein Ende des Kalten Krieges überhaupt nicht absehbar gewesen. Nach der fast nahtlosen Serie internationaler Ost-West-Krisen im frühen Kalten Krieg, etwa der Berlin-Blockade 1948/49, dem Koreakrieg 1950 bis 1953, der Ungarnkrise 1956, dem Bau der Berliner Mauer 1961 und der Kubakrise 1962, die die Welt an den Rand eines Atomkrieges brachte, sowie parallel dazu einem atomaren Rüstungswettlauf der Supermächte war es in den späten 60er und frühen 70er Jahren zu einer gewissen Entspannung zwischen den beiden weltpolitische Blöcken gekommen. Zwar machten Ereignisse wie der Vietnamkrieg bis 1975, die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und die zahlreichen Stellvertreterkriege im Globalen Süden klar, dass von einer wirklichen Überwindung des Ost-West-Gegensatzes keine Rede sein konnte. Immerhin hatte der Schock der Kubakrise aber zu einem stärker dialogischen Verhältnis der beiden Blöcke geführt, das nach einigen Jahren auch handfeste Ergebnisse zeitigte: 1963 wurde das „Rote Telefon“ zwischen dem Kreml und dem Weissen Haus eingerichtet und im selben Jahr ein Vertrag zum Verbot von Atomwaffentests in der Atmosphäre abgeschlossen. 1968 initiierten die Atommächte den Atomwaffensperrvertrag und 1972 wurde der SALT-I-Vertrag unterzeichnet. Ab 1969 verfolgte die sozialliberale Koalitionsregierung der Bundesrepublik unter Willy Brandt eine neue, auf Dialog und Entspannung ausgerichtete Ostpolitik. 1973 kam der Prozess der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) in Gang, der Sicherheits- und Menschenrechtsfragen zum Gegenstand hatte. Und 1979 unterzeichneten die Supermächte den SALT-II-Vertrag, der auf eine Begrenzung nuklear-strategischer Waffensysteme abzielte.
Ende der 70er Jahre verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den beiden Blöcken aber wieder und in der Folgezeit erreichte der Kalte Krieg einen letzten Höhepunkt. Auf die Stationierung sowjetischer SS-20-Mittelstreckenraketen mit Zielen in Westeuropa ab 1976 antwortete die NATO 1979 mit einem Doppelbeschluss, der zugleich bilaterale Verhandlungen der Supermächte über die Begrenzung ihrer atomaren Mittelstreckenraketen verlangte und die Aufstellung neuer mit Atomsprengköpfen bestückter Raketen und Marschflugkörper in Westeuropa ankündigte. Dieser Beschluss stiess auf massive Proteste: In den folgenden Jahren gingen in Westeuropa und Nordamerika Millionen von Menschen gegen den neuen Rüstungswettlauf auf die Strasse. Der Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan im Dezember 1979 hatte das Klima zwischen Ost und West zusätzlich vergiftet und einen Boykott der Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau durch zahlreiche westliche und islamische Staaten nach sich gezogen. Der neue US-Präsident Ronald Reagan steigerte ab 1981 die amerikanischen Rüstungsausgaben massiv und kündigte 1983 die „Strategic Defense Initiative“ (SDI) an, einen teilweise weltraumgestützten Abwehrschirm gegen Interkontinentalraketen. Im selben Jahr ging die Welt, von der Öffentlichkeit nicht beachtet, haarscharf an einem Atomkrieg vorbei, als das sowjetische Frühwarnsystem den Start mehrerer nuklearer Interkontinentalraketen der USA anzeigte, der wachhabende Offizier dies aber korrekt als Fehlermeldung erkannte und die Ingangsetzung eines „Gegenschlags“ unterband. Erst der Amtsantritt des Reformkommunisten Michail Gorbatschow im Jahre 1985 führte zu einer neuen Entspannung und setzte die Dynamik in Gang, die ein halbes Jahrzehnt darauf den Kollaps des Ostblocks, das Ende des Kalten Krieges und die Auflösung der Sowjetunion bewirkte.
Die Schweiz bewahrte während des Kalten Krieges ihre aussenpolitische Neutralität, reihte sich aber politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und ideologisch bald nach dem Zweiten Weltkrieg, an dessen Ende sie wegen ihrer Wirtschaftskooperation mit den Achsenmächten zunächst isoliert dagestanden hatte, ins westliche Lager ein. Ein wichtiges Ereignis auf dem Weg dahin war der kommunistische Umsturz in der Tschechoslowakei 1948, der den Höhenflug der vier Jahre zuvor entstandenen Partei der Arbeit (PdA) jäh beendete. An einer Kundgebung rief der Student Peter Sager, später Leiter des Schweizerischen Ostinstituts und SVP-Nationalrat, aus: „Was heute vor sich geht, ist nicht mehr die Auseinandersetzung zwischen zwei Systemen, sondern es ist der Kampf des Bösen gegen das Gute“. Die Geistige Landesverteidigung der 30er und 40er Jahre ging nahtlos in die „zweite“ Geistige Landesverteidigung des frühen Kalten Krieges über, deren Klammer ein parteiübergreifender Antikommunismus bildete. Diese Atmosphäre begünstigte die Etablierung auf Konsens statt Konflikt abzielender Ordnungsprinzipien, so die Einbindung aller wichtigen Kräfte in die Regierungsverantwortung, die auf Bundesebene ab 1959 mit der „Zauberformel“ verwirklicht wurde. In der Arbeitswelt liess die grossflächige Verbreitung von Gesamtarbeitsverträgen mit Friedenspflicht die zuvor recht hohe Streiktätigkeit ab 1950 gegen Null sinken.
Höhepunkte erlebte der helvetische Antikommunismus nach den sowjetischen Einmärschen in Ungarn 1956 (s. Sozialarchiv Info 5/2016) und der Tschechoslowakei 1968 (s. Sozialarchiv Info 1/2018). Bereits vor der Ungarnkrise war die PdA zum als „Partei des Auslands“ geschmähten Sündenbock geworden. Die Gewerkschaften säuberten in den 50er Jahren ihre Gremien von PdA-Mitgliedern. Diese waren auch von Berufsverboten betroffen, etwa durch bundesrätliche Weisungen gegen „vertrauensunwürdige Beamten“ von 1950 bis 1990. 1951 billigte selbst die Typographen-Gewerkschaft Entlassungen von Kommunisten als Zerstörung von „Infektionsherden“. 1962 wurde Eishockey-Nationaltrainer Reto Delnon wegen seiner PdA-Mitgliedschaft gefeuert.
Die Ausgrenzung der stetig schrumpfenden PdA war nur ein Teilaspekt der sehr viel umfassenderen Abwehrmentalität, die oft mit dem sich bei Gefahr zusammenrollenden Igel symbolisiert wurde. An der Landesausstellung 1964 in Lausanne wies die Fassade des Armeepavillons 141 Stachel auf. Im Innern dieses Betonigels wurde auf Grossleinwand der martialische und laute Film „Wehrhafte Schweiz“ gezeigt, den über vier Millionen Menschen sahen. Wesentliche Elemente der helvetischen Abwehrhaltung gegen Osten waren die Aufrüstung der Armee mit einem im nichtkommunistischen Europa rekordhohen Mannschaftsbestand von über 600’000 Soldaten, der massive Ausbau von Zivilschutz und Schutzraumkapazitäten mit schliesslich 360’000 Personenschutzräumen und 2’300 Kollektivschutzanlagen, grosse Gesamtverteidigungsübungen, geheime Stay-Behind-Organisationen wie P-26, die im Besetzungsfall Sabotage- und Propagandaaktionen durchführen und dem Exilbundesrat Nachrichten liefern sollten und deren Instruktoren teilweise vom britischen Geheimdienst MI6 geschult wurden, sowie intensive Kooperationen mit den Nachrichtendiensten von NATO-Ländern, aber auch dem als antikommunistisches Bollwerk betrachteten Apartheidstaat Südafrika. Bis in die 60er Jahre hielt sich der Bundesrat zudem Atomwaffen als Option offen und beschaffte dazu in den frühen 50ern in einem Geheimdeal mit Belgien und Grossbritannien mehrere Tonnen Uran. Mit dem Atomwaffensperrvertrag wurden solche Pläne zu Makulatur, noch bis 1988 existierte bei der Generalstabsabteilung aber ein „Arbeitsausschuss für Atomfragen“. Im Inneren entfalteten die Staatsschutzorgane eine ausufernde Bespitzelungstätigkeit. Sie überwachten nicht nur Kommunisten, sondern ein breites Spektrum von mehreren Hunderttausend Menschen, die sich politisch, gesellschaftlich oder kulturell exponierten.
Auch Privatpersonen und -organisationen waren in diesem Sinne aktiv. Dazu zählten etwa der Schweizerische Aufklärungsdienst (SAD) sowie das bereits erwähnte Ostinstitut, das bis zu 30 Mitarbeiter beschäftigte. Während der Ungarnkrise verteilte die studentische Aktion „Niemals vergessen“ 15’000 Zünder für Molotowcocktails an die Bevölkerung und organisierte Übungsschiessen. Ein Jahr darauf publizierte Major Hans von Dach die Lehrbroschüre „Der totale Widerstand – Kleinkriegsanleitung für Jedermann“, die immer wieder neu aufgelegt, in mehrere Sprachen übersetzt und zum Vademecum für Guerillakämpfer und Terroristen in aller Welt wurde. 1976 legte dann ein Diebstahl im Archiv des „Subversivenjägers“ und FDP-Politikers Ernst Cincera dessen Spitzeltätigkeit offen: Mit einem Informantennetz, das Parteien und Jugendgruppen infiltrierte, sammelte er Daten über 3’500 Personen und gab sie an Behörden und Privatwirtschaft weiter. Bemerkenswerterweise hatte sich Cincera in jüngeren Jahren im Umfeld der PdA bewegt.
Dasselbe traf auch auf die dominante Figur der Schweizer Geheimdienstszene jener Jahre, Oberst Albert Bachmann, zu, der bis 1948 Mitglied der PdA-nahen „Freien Jugend“ gewesen war. Ab 1976 befasste er sich als Chef des Spezialdienstes der „Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr“ mit Stay-Behind-Strukturen, dem Aufbau eines Geheimdienstes ausserhalb von Armee und Verwaltung für heikle Missionen sowie Evakuationsplänen im angelsächsischen Raum für Bundesrat und Nationalbank-Goldreserven im Besetzungsfall. 1979 musste er aber nach dem Auffliegen eines Schweizer Spions in Österreich den Hut nehmen. Der Kalte Krieg als „Golden Age of Espionage“ manifestierte sich auch darin, dass die Schweizer Behörden sich mit Hunderten von Spionagefällen konfrontiert sahen. Der mit Abstand spektakulärste Fall war 1976 die nach Hinweisen des CIA erfolgte Verhaftung von Brigadier Jean-Louis Jeanmaire, Chef des Bundesamts für Luftschutztruppen, der seit den frühen 60ern sowjetischen Militärattachés klassifizierte Armeedokumente übergeben hatte und den die Medien zum „Verräter des Jahrhunderts“ stempelten. Jeanmaire erhielt 18 Jahre Zuchthaus und als Folge wurde der Personaletat der Bundespolizei um 42 Prozent erhöht. Nach Ende des Kalten Kriegs wurden starke Zweifel an der Bedeutung Jeanmaires laut. Ob es neben ihm noch einen wichtigeren „Maulwurf“ in Bern gab, blieb aber ungeklärt.
Der antikommunistische Grundkonsens in Bevölkerung und Politik brachte Kritik an der „Igelmentalität“ nicht zum Verstummen, in der Logik des Kalten Krieges wurde diese aber als bestenfalls naive, schlimmstenfalls subversive Haltung diffamiert und mit dem Ruf „Moskau einfach!“ bedacht. 1962/63 schickten zwei Drittel der Stimmenden zwei atomwaffenkritische Volksinitiativen bachab, in der lateinischen Schweiz gab es allerdings Ja-Mehrheiten. Ab den späten 60ern wuchs die Kritik am Schwarz-Weiss-Denken. Die Empörung über den Einmarsch in die Tschechoslowakei war zwar gross, aber weniger nachhaltig als bei der Ungarnkrise. Die bipolare Weltsicht hatte sich aufgelockert und es gab zeitgleich auch Protest gegen die amerikanische Intervention in Vietnam. Als der Bund 1969 an alle Haushalte das von Albert Bachmann mitverfasste „Zivilverteidigungsbuch“ verteilte, das anhand einer fiktiven Geschichte den Widerstand gegen eine Grossmacht thematisierte, stiess dies auf ein geteiltes Echo, das auch heftige Kritik einschloss.
Die neuen sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre, die sich mit Themen wie Ökologie, Geschlechtergleichheit, Entwicklungspolitik oder Abrüstung befassten, waren Indikatoren eines gesellschaftlichen Wandels, der die Mentalität des Kalten Krieges zunehmend in Frage stellte. Zur selben Zeit nahm auch die Zahl der Dienstverweigerer, die in der Schweiz bis 1992 kriminalisiert wurden, stark zu. 1982, als in Westeuropa und Nordamerika Millionen gegen den NATO-Nachrüstungsbeschluss auf die Strassen gingen, entstand aus Kreisen der Jusos, der religiös-sozialistischen Bewegung und der Neuen Linken die „Gruppe Schweiz ohne Armee“ (GSoA), die mit ihrer Volksinitiative zunächst belächelt wurde.
Die Reformprozesse im Ostblock ab 1985 wurden auch in der Schweiz intensiv beobachtet. Neben der Hoffnung auf eine friedlichere Welt stand dabei auch Skepsis über den Charakter von Gorbatschows Absichten. Divisionär Gustav Däniker jun., pensionierter Stabschef operative Schulung der Schweizer Armee und weiland Befürworter einer helvetischen Atombewaffnung, räumte im September 1989 zwar ein, der Reformprozess im Osten berechtige zu Hoffnungen auf echte Entspannung. Er bringe aber „vorerst kein wesentliches Plus an Sicherheit“ und die von Gorbatschow vorangetriebene nukleare Abrüstung beider Blöcke verschiebe das militärische Gleichgewicht zugunsten des im konventionellen Bereich überlegenen Ostblocks. Albert A. Stahel, Strategiedozent an den Militärschulen der ETH Zürich, stellte wenige Wochen vor dem Fall der Mauer in einem Buch die Perestroika sogar als grossangelegtes Täuschungsmanöver zur Einlullung und Überrumpelung Westeuropas gemäss der „Indirekten Strategie“ des altchinesischen Generals und Philosophen Sun Tzu dar und vertrat diese Position noch bis Anfang 1990.
Im Wendejahr 1989 folgten sich in der Schweiz Ereignisse und Debatten Schlag auf Schlag, die eng mit der internationalen Entwicklung und der Agonie des Kalten Krieges verzahnt waren. Anfang 1989 wurde dem „Geschichtsladen“ in Zürich ein Konzept für Gedenkfeierlichkeiten zur Mobilmachung 1939 zugespielt. Die Vorstellung der „Übung Diamant“ in der „WochenZeitung“ führte zu Empörung in linken Kreisen, die darin eine millionenteure staatliche Kampagne gegen die Armeeabschaffungsinitiative sahen. In der Frühjahrssession der Eidgenössischen Räte gab es kritische Anfragen, in der Sommersession bewilligte die Parlamentsmehrheit für die Feierlichkeiten aber 6 Millionen Franken. Die Kontroversen um die „Diamant“-Veranstaltungen öffneten die Schleusen für eine Flut wissenschaftlicher und journalistischer Publikationen zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Sie liessen eine Diskussion aufleben, die bereits nach Kriegsende virulent gewesen, dann aber im Zeichen des Kalten Kriegs – trotz zum dominierenden Narrativ im Widerspruch stehender Forschungsergebnisse – in der Öffentlichkeit nicht sonderlich präsent war. 1989 nun gelangten die wissenschaftlichen Kontroversen, ob die Präsenz der Armee oder doch eher wirtschaftliche Kollaboration für die Verschonung der Schweiz vor einer Invasion verantwortlich gewesen sei, schlagartig an die Öffentlichkeit. Die von Protesten begleiteten „Diamant“-Veranstaltungen erreichten ihren Höhepunkt am 1. September, dem 50. Jahrestag des Kriegsausbruchs, mit einem Festakt des höheren Offizierskorps auf dem Rütli. Im Tagesbefehl sinnierte Korpskommandant Rolf Binder, man höre zurzeit öfters, Geschichte wiederhole sich nicht. Jedoch seien die Lehren der Geschichte seit Jahrhunderten die gleichen. Am 27. Oktober beschloss ein Bundesrats-Rapport in Bern die Feiern.
Wenige Tage darauf begann in der Ostschweiz die dreiwöchige Gesamtverteidigungsübung „Dreizack 89“, bei der 24’000 Wehrmänner, 21’000 Zivilschützer, 5’500 Fahrzeuge, 550 Panzer, 24 Helikopter, 180 Fliegerabwehr-Geschütze, 130 Artilleriegeschütze und 1’680 Panzerabwehrwaffen zum Einsatz gelangten. Der Leiter des Manövers, Korpskommandant Josef Feldmann, war wenige Tage zuvor unter Protest aus der Offiziersgesellschaft Bern ausgetreten, nachdem diese gemeinsam mit der GSoA zu einer Diskussionsversammlung über die Armeeabschaffungsinitiative eingeladen hatte. Mitten ins Manöver, dem letzten dieser Art, fiel die Öffnung der Berliner Mauer.
Drei Tage nach Übungsabschluss wurden die Stimmberechtigten zum Entscheid über die Armeeabschaffungsinitiative an die Urnen gerufen. Der unter dem Motto „Armee Ade in Ost & West“ geführte Abstimmungskampf der GSoA geriet zu einer Generalmobilmachung von Linken, Nonkonformisten, Jungen, aber auch schlicht Militärdienstverdrossenen gegen den Geist des Kalten Kriegs. Etwa 70’000 Personen nahmen an rund 700 GSoA-Veranstaltungen teil. Friedrich Dürrenmatt bezeichnete eine potenzielle Armeeabschaffung als „ungeheuren Akt der Vernunft“, und Max Frisch publizierte den sofort zum Bestseller avancierenden Prosatext „Schweiz ohne Armee? Ein Palaver“, der am 19. Oktober 1989 als Bühnenadaption im Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt wurde und Kritik bürgerlicher Politiker sowie anonyme Schmähungen nach sich zog. Am 21. Oktober, vier Tage nach Honeckers Sturz, lockte ein „Stop the Army Festival“ auf dem Bundesplatz mit Rockmusik, Politik und einem Auftritt des 1976 von der DDR ausgebürgerten Liedermachers Wolf Biermann rund 25’000 Menschen an. Ein Leserbriefschreiber sah dahinter einen „mit Schalmeien – oder Rockkonzert – getarnten hinterhältig schleichenden Umsturzversuch nach altem kommunistischem Muster“ (NZZ, 14.11.1989). Verschiedene hochrangige Vertreter von Politik und Armee wie Altbundesrat Rudolf Friedrich oder Gustav Däniker bezeichneten die Vorlage als „Existenzfrage“ der Schweiz. Letzterer warf sogar die Frage auf, ob die helvetische „Kultur der politischen Auseinandersetzung“ mit Beteiligung aller Standpunkte „auch bei Existenzfragen angebracht“ sei.
Im visuellen Abstimmungskampf standen sich zwei Tiere gegenüber: Die GSoA warb für die Schlachtung der „heiligen Kuh“ Schweizer Armee mit dem Motiv stahlbehelmten Hornviehs. Auf Seite der Armeebefürworter kam trotz erneuerter linker Kritik an der „Igelmentalität“ der altbewährte Igel in verschiedenen Versionen zum Einsatz. Ein abstrahiertes, freundlich lächelndes Stacheltier mit Schweizerkreuz versuchte durch einen rätoromanischen Slogan Sympathiepunkte zu ergattern: „Noss’armada per viver libramain.“ Daneben strebte in Inseraten und Klebern eine Igel-Familie mit Nein-Zetteln zur Urne und gab den Ratschlag: „Uns schützt die Natur – Dich die Armee! Deshalb: An die Urne!“
Der von beiden Seiten intensiv betriebene Abstimmungskampf führte, obwohl über den Ausgang nie Zweifel bestanden, zu einer hohen Stimmbeteiligung von über 68 Prozent. Gemäss dem „Tages-Anzeiger“ interessierte „die Frage, ob 10, 20 oder gar 30 Prozent der Stimmenden ja zu einer Schweiz ohne Armee sagen“ (Tages-Anzeiger, 13.10.1989). Am Abend des 26. November 1989 jubelten die Verlierer, während die Gewinnerseite erschüttert war. Die Armeeabschaffungsinitiative war zwar wie erwartet gescheitert, doch hatten 35,6 Prozent der Stimmenden, über eine Million Bürgerinnen und Bürger, das Begehren gutgeheissen. Die Stände Genf und Jura meldeten sogar Ja-Mehrheiten. Die Abstimmungsanalyse zeigte ein deutlich unterschiedliches Stimmverhalten der Generationen: Die über 60-Jährigen mit politischer Sozialisation im frühen Kalten Krieg oder noch in der „ersten“ Geistigen Landesverteidigung hatten wuchtig mit 87 Prozent verworfen. Demgegenüber stimmten die 20- bis 30-Jährigen, die in der Endphase des Kalten Kriegs sozialisiert worden waren, der Armeeabschaffung zu etwa 60 Prozent zu. Bei den 30- bis 40-Jährigen, deren Sozialisation zum grössten Teil in der zweiten Hälfte des Kalten Kriegs und nach 1968 stattgefunden hatte, hielten sich Befürworter und Gegner die Waage. Auf Probleme im Dienstbetrieb deutete der Umstand hin, dass 72 Prozent der stimmenden Soldaten des Auszugs ein Ja in die Urne gelegt hatten. Politologische Studien stuften etwa 20 Prozent der Stimmenden als „harte“ Armeegegner ein, weitere 16 Prozent als „Denkzettel“-Befürworter.
Neben der „äusseren“ geriet im November 1989 auch die „innere“ Sicherheit in den Strudel kontroverser Diskussionen. Auslöser war der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission zum Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement. Die vom nachmaligen SP-Bundesrat Moritz Leuenberger präsidierte Kommission war im Januar 1989 eingesetzt worden, um im Zusammenhang mit dem skandalbehafteten Rücktritt von FDP-Bundesrätin Elisabeth Kopp die Amtsführung des EJPD und der Bundesanwaltschaft zu analysieren, ebenso das Vorgehen der Behörden bei der Bekämpfung von Geldwäscherei und Drogenhandel. Auch sollte sie eventuell festgestellte institutionelle Mängel darlegen. Der Bericht enthielt Angaben zu den Umständen von Kopps Rücktritt sowie ihrer Amtsführung, zur Bekämpfung von Geldwäscherei, Drogen- und Waffenhandel, zu Aufgaben und Funktionsweise der Bundesanwaltschaft sowie zur Politischen Polizei.
Der letzte Abschnitt liess eine Bombe platzen. Er befasste sich unter anderem mit der Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei, kantonalen und militärischen Nachrichtendiensten, mit Methoden der Beschaffung von Informationen sowie deren sachfremder Verwendung. Bezeichnenderweise arbeitete die PUK selber unter konspirationsähnlichen Bedingungen mit personalisierten Sitzungseinladungen, wechselnden Treffpunkten und einem durch Sicherheitscode, Alarmanlage und Panzerglas geschützten Konferenzraum im Bundeshaus, um eine Abhörung durch die zu untersuchenden Sicherheitsorgane zu verhindern. Die Teile des Berichts, die den Umfang der auf 900’000 Fichen und in zahlreichen Dossiers verschriftlichten Bespitzelungspraktiken skizzierten, die rund 700’000 Menschen und Organisationen erfasst hatten, lösten eine intensive Debatte aus, welche rasch das Label „Fichenskandal“ erhielt.
Die bald allgemein als „Dunkelkammer der Nation“ bezeichnete Datensammlung erschien als Relikt der systemübergreifenden „Culture of Secrecy“ des untergegangenen Kalten Kriegs. Der „Tages-Anzeiger“ fühlte sich „fatal an die Praktiken des in der DDR soeben abgehalfterten Staatssicherheitsdienstes“ erinnert (Tages-Anzeiger, 25.9.1989), die WoZ schrieb von „CH-Stasi“ (WoZ, 1.12.1989) und „Der Bund“ forderte „Glasnost statt Schnüffelstaat“ (Der Bund, 29.11.1989). Auch das „Volksrecht“ zog einen Vergleich mit den Vorgängen im Osten: „Das Volk der DDR war fähig, seine Stasi-Polizei zu zerstören. Feiern wir mit den Ostdeutschen, indem wir sie nachahmen“ (Volksrecht, 8.12.1989). Während die Medien und die Linke die Skandalisierung des „Schnüffelstaats“ vorantrieben, versuchten Bundesrat und Teile der bürgerlichen Presse und Parteien zu beschwichtigen. Auch die SVP hielt aber fest, die Bundespolizei gehe von einem „antiquierten Bedrohungsbild“ aus, und der christdemokratische Nationalrat Edgar Oehler beklagte „Zustände wie im Ostblock“.
Die Dynamik des Skandals führte im März 1990 zur Einsetzung einer zweiten PUK unter Leitung des Christdemokraten Carlo Schmid, die sich unter anderem mit Datenregistraturen im Militärdepartement und geheimen Diensten wie der Stay-Behind-Organisation P-26 und dem ausserordentlichen Nachrichtendienst P-27 befasste. Ihr Bericht vom November 1990 erwähnte etwa die Fichierung von GSoA-Mitgliedern, Offizieren, die einen Zivildienst befürworteten, Homosexuellen und „Spinnern“ sowie einen Fall von 1983, als einem Hauptmann wegen „son appartenance au Parti socialiste“ Kommandofunktionen entzogen wurden. „Verdächtige Personen“ wurden in „ND“ (Nachrichtendienst), „Terror/Sabotage“, „Subversion/Politik“, „Rechtsextrem“, „Verschuldet“ und „Abartige Veranlagungen“ kategorisiert. Die PUK konstatierte „eine uneinheitliche und inhaltlich teilweise fragwürdige, ja geradezu diskriminierende Registrierungspraxis“ und ortete in der mangelnden Kontrolle der P-26 „potentielle Gefahr für die verfassungsmässige Ordnung“: „Die Gefahr, dass eine Aktivierung ohne oder sogar gegen den Willen der obersten politischen Landesbehörden ausgelöst werden könnte, macht die Organisation zu einem Machtmittel von Personen, die keiner demokratischen Kontrolle unterstehen.“
Mit Beginn der Akteneinsichtnahme der Betroffenen ab Februar 1990 drangen immer neue Details über die Exzesse des Staatsschutzes an die Öffentlichkeit. Am 3. März 1990 tauchte an einer Kundgebung von 35’000 Personen gegen den „Schnüffelstaat“ in Bern der von der friedlichen Revolution in der DDR entlehnte Slogan „Wir sind das Volk!“ auf. Bis Ende März stellten über 300’000 Menschen Gesuche um Akteneinsichtnahme, im folgenden Jahr boykottierten zahlreiche Kulturschaffende die Feierlichkeiten zur 700jährigen Existenz der Eidgenossenschaft und wurde die Volksinitiative „S.o.S. – Schweiz ohne Schnüffelpolizei“ eingereicht. Damit hatte der Protest aber seinen Zenit überschritten und bald machte sich gegenüber dem Staatsschutzthema Gleichgültigkeit breit. Die Auflage des Kampagnenorgans der Staatsschutzinitiative „Fichen-Fritz“ fiel bis 1998 von 300’000 auf 8’000 Exemplare. Ein Referendum gegen das 1997 verabschiedete Staatsschutzgesetz kam nicht zustande und die „S.o.S.“-Initiative scheiterte 1998 mit 75,4 Prozent Nein-Stimmen. Die neue Qualität von Überwachungsmöglichkeiten im Zuge der Digitalisierung wurde kaum noch vor dem Hintergrund des analogen „Schnüffelstaats“ des Kalten Kriegs diskutiert – zu weit schien dieser in der Vergangenheit zu liegen.
Auch die Landesverteidigung erfuhr durch die Vorgänge des Herbsts 1989 grundlegende Veränderungen. Ab den 90er Jahren wurde die Armee in einer Kaskade von Reformen radikal verkleinert auf zunächst 400’000 Mann unter Absenkung der Wehrpflicht vom 50. auf das 42. Altersjahr („Armee 95“), sodann auf maximal 140’000 Aktive und 80’000 Reservisten unter Absenkung der Wehrpflicht auf das 30. Altersjahr („Armee XXI“). Parallel dazu wurde der Mannschaftsbestand des Zivilschutzes von 520’000 auf 380’000 und dann 100’000 reduziert. 1992 erfolgte die Einführung eines zivilen Ersatzdienstes für Dienstverweigerer aus Gewissensgründen. Waren 1977 und 1984 entsprechende Volksinitiativen mit jeweils 63 Prozent Nein-Stimmen klar gescheitert, so stimmten nun 82,5 Prozent der von allen grossen Parteien unterstützten Vorlage zu. Wie beim Staatsschutz bremsten auch bei der Armee die nach 1989 eingeleiteten Reformen die grundsätzliche Kritik ab. Die weiteren Initiativen der GSoA konnten nicht mehr an den relativen Erfolg von 1989 anknüpfen: Die Initiative „Für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge“, der zunächst gute Chancen eingeräumt worden waren, scheiterte 1993 mit 57,2 Prozent Nein, die zweite Armeeabschaffungsinitiative erlangte 2001 nur noch 21,9 Prozent Zustimmung.
Das Ende der Ost-West-Konfrontation brachte neben den Debatten um die sicherheitspolitische Neuausrichtung auch die Frage der Position der Schweiz in der postbipolaren Welt aufs Tapet, deren Konturen in den 90er Jahren noch unklar blieben. Die aussenpolitischen Volksentscheide dieser Jahre zeigten ein Schwanken zwischen Öffnung und Isolation und oftmals einen „Röstgraben“ zwischen Deutschschweiz und Romandie: Die Stimmberechtigten lehnten im Dezember 1992 bei einer Beteiligung von über 78 Prozent die Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,3 Prozent ab, stimmten dann aber knapp acht Jahre später den bilateralen Abkommen mit der Europäischen Union, die wesentliche Punkte der EWR-Vorlage wieder aufgriffen, mit Zweidrittelmehrheit zu. Der Beitritt der Schweiz zur UNO, der 1986 noch mit Dreiviertelmehrheit abgeschmettert worden war, erreichte 2002 eine Zustimmung von rund 54 Prozent. 1992 wurde der Beitritt der Schweiz zu den Institutionen von Bretton Woods (Weltbank und Internationaler Währungsfonds) angenommen, zwei Jahre darauf die Beteiligung schweizerischer Blauhelm-Truppen an friedenserhaltenden Operationen aber abgelehnt. Insgesamt kamen durch den Umbruch von 1989 damit auch in der Schweiz Prozesse in Gang, deren Endpunkt bis heute nicht absehbar ist.
Bestände zum Thema im Schweizerischen Sozialarchiv (Auswahl)
- Ar 1.126.11 Sozialdemokratische Partei der Schweiz. Atombewaffnung Akten
- Ar 28 Archiv zur polnischen Zeitgeschichte, Archiwum polskiej historii wspólczesnej
- Ar 47 Archiv Schnüffelstaat Schweiz
- Ar 155.16.2. Nachlass Jost von Steiger: Atomare Aufrüstung, Ostermarschbewegung
- Ar 198.34 Nachlasssplitter Jacobo Arbenz Guzmán
- Ar 201.250 Gesellschaft Schweiz – DDR
- Ar 437.10.4 Frauen-/Lesben-Archiv: Allgemeine Situation Osteuropa 1972–2002
- Ar 452 Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA
- Ar 475 Dokumentation Kulturboykott/CH91
- Ar 579 Archiv Schweiz-Osteuropa
- Ar 606.10.1 Dokumentation Feministische Friedensarbeit (St. Jegher): Ost-West-Friedensdebatte der 1980er Jahre: Unterlagen
- F 5055 Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA)
- F 5156 Claude Giger
- KS 32/208 Atomwaffen: Schweiz
- KS 335/462 Kalter Krieg; Kritik am Kommunismus
- QS 23.1 Staatsschutz, Verfassungsschutz; Berufsverbote: Schweiz: Allg.
- QS 40.51 Internationale Blockbildung; Ost-West-Konflikt; Kalter Krieg
- QS 45.3 C *17 Militär, Armee: Schweiz: Armeeabschaffung
- QS 45.3 C *25 Zivilschutz: Schweiz
- ZA KSU 3 Sowjetunion (UdSSR): Innenpolitik
- ZA KSU 4 Sowjetunion (UdSSR): Aussen- & Sicherheitspolitik
- ZA KVB Bulgarien
- ZA KVC Tschechoslowakei (CSSR)
- ZA KVD Deutsche Demokratische Republik (DDR)
- ZA KVH Ungarn
- ZA KVP Polen
- ZA KVR Rumänien
- ZA 23.1 *2 Staatsschutz, Verfassungsschutz: Schweiz: Allg.
- ZA 23.1 *4 Cincera-Archiv und Demokratisches Manifest
- ZA 39.0 *J Schweizerische Jubiläumsfeiern: CH 91
- ZA 45.3 C *17 Militär, Armee: Schweiz: Armeeabschaffung
- ZA 45.3 C *25 Zivilschutz: Schweiz
- ZA 45.5 *1 Atomwaffen: Allg.
- ZA 45.5 *11 Atomwaffen: Atomsperrverträge
- ZA 45.5 *12 Atomwaffen: Atombewaffnung der Schweiz
- ZA 45.7 *2 Geheimdienste & Spionage: Schweiz
- ZA 45.7 *2 Ba Geheimdienste & Spionage: Schweiz: Albert (Bert) Bachmann
- ZA 45.7 *2 Je Geheimdienste & Spionage: Schweiz: Jean-Louis Jeanmaire
- ZA 46.0 Entspannungspolitik, Friedenspolitik, Kriegsverhütung
- ZA 46.3 *1 Abrüstung: Allg.; Rüstungskontrolle
- ZA 46.3 *2 Abrüstungskonferenzen: SALT-Konferenzen
- ZA 46.3 *3 Abrüstungskonferenzen: MBFR-Konferenzen
ZA 47.1 Nordatlantikpakt (NATO) - ZA 47.2 Warschauer Pakt
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- Schnüffelstaat Schweiz: Hundert Jahre sind genug. Hg. Komitee Schluss mit dem Schnüffelstaat. Zürich 1990, 90000
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- Spohr, Kristina: Wendezeit: Die Neuordnung der Welt nach 1989. München 2019, in Bearbeitung
- Stahel, Albert A.: Indirekte Strategie: Der Westen und Gorbatschow. Zürich 1989, 88436
- Stöver, Bernd: Der Kalte Krieg, 1947–1991: Geschichte eines radikalen Zeitalters. München 2017, 124491
- Tanner, Jakob: Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert. München 2015, 132191
- Tarli, Ricardo: Operationsgebiet Schweiz: Die dunklen Geschäfte der Stasi. Zürich 2015, 131453
- Ther, Philipp: Das andere Ende der Geschichte: Über die Grosse Transformation. Berlin 2019, in Bearbeitung
- Vorkommnisse im EJPD: Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) vom 22. November 1989. Bern 1989, 88831
- Vorkommnisse im EMD: Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK EMD) vom 17. November 1990. Bern 1990, 90799
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Periodika:
- Fichen-Fritz: Zeitung des Komitees „Schluss mit dem Schnüffelstaat“, D 3079
- GSoA-Zitig: Informationen und Anregungen der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, D 3192
- Mitteilungen des Schweizerischen Aufklärungsdienstes, K 491 F
- ZeitBild, N 4271