Im Jahre 1936 fanden sowohl die Olympischen Winter- als auch die Sommerspiele im nationalsozialistischen Deutschland statt. Die Ausrichtung der Spiele war noch vor der „Machtergreifung“ nach Garmisch-Partenkirchen und Berlin vergeben worden. Die Nazis waren der olympischen Bewegung gegenüber an sich skeptisch, nutzten die Spiele dann aber als Propagandaanlässe, um der Welt das Bild eines modernen und friedliebenden Deutschland zu vermitteln. Nachdem die Fussball-Weltmeisterschaft 1934 in Italien zu einer Propagandabühne des Mussolini-Regimes geworden war, missbrauchte nun ein weiteres Mal eine faschistische Diktatur den internationalen Sport für ihre Zwecke.
Auf dem Berliner „Reichssportfeld“ wurde von 1934 bis 1936 ein Olympiastadion für 100’000 Zuschauer errichtet. Weiter gehörten zum Gelände das Deutsche Sportforum, ein Schwimmstadion, eine Freilichtbühne, ein grosses Aufmarschgelände, die an den Ersten Weltkrieg erinnernde Langemarck-Halle, ein Glockenturm, die Deutschlandhalle, ein Reiterstadion und weitere Sportanlagen. Das Ensemble atmete bereits den Gigantismus der Planungen für die nie realisierte Reichshauptstadt „Germania“ sowie für das ebenfalls von Albert Speer entworfene „Deutsche Stadion“ in Nürnberg, das nach dem Willen Hitlers mit einem Fassungsvermögen von 400’000 Personen sämtliche Olympischen Spiele ab 1944 hätte beherbergen sollen.
Als propagandistischer Erfolg erwies sich der erstmals durchgeführte Fackellauf von Olympia nach Berlin, der den Anspruch des „Dritten Reiches“ symbolisieren sollte, in der Gegenwart eine ebenso herausragende Stellung einzunehmen wie das antike Griechentum in der Vergangenheit. Die Idee stammte wahrscheinlich vom Sportfunktionär Carl Diem, der als Generalsekretär des Organisationskomitees fungierte und den Lauf bis ins kleinste Detail plante. Nachdem am 20. Juli 1936 das olympische Feuer um 12 Uhr mittags in den Ruinen von Olympia entzündet worden war, verlief die Stafette über 3’075 km durch insgesamt sieben Länder. In vielen Städten wurden Volksfeste organisiert. Nur in Prag störten antifaschistische Proteste die „Weihestunde“. Auf einer Waldlichtung in der Nähe von Hellendorf inszenierte das deutsche NOK eine Feierstunde der SA mit vielen Nazi-Flaggen. Am 1. August erreichte die Fackel schliesslich Berlin. Unter der Regie von Reichspropagandaminister Goebbels fanden Veranstaltungen mit 20’000 Hitlerjungen und 40’000 SA-Männern statt. Als krönender Abschluss wurde das Feuer im Olympiastadion auf vier Altären entzündet.
Auch punkto Medialisierung der Olympischen Spiele setzten die Nazis neue Massstäbe. Erstmals wurden die Spiele direkt im Radio in 40 Ländern übertragen. Zudem gab es zum ersten Mal Aufnahmen mit Fernsehkameras, die in rund zwei Dutzend Fernsehstuben in Deutschland ausgestrahlt wurden. Von den Winterspielen fertigte die AGFA I. G. Farbenindustrie AG Berlin im Auftrag des „Reichssportführers“ Hans von Tschammer und Osten einen Film für die Verbreitung im In- und Ausland an. 1938 folgte dann Leni Riefenstahls zweiteiliger Propagandafilm „Olympia“ über die Berliner Sommerspiele, der über dreieinhalb Stunden den nationalsozialistischen Körperkult zelebrierte.
Die Olympischen Spiele in der Hitler-Diktatur stiessen indessen im Vorfeld durchaus auf Kritik. Das Foto eines britischen Reporters, das ein Plakat „Juden Zutritt verboten!“ am Vereinshaus des Ski-Clubs Partenkirchen zeigte, sorgte international für Empörung. Die Vereinigten Staaten erwogen einen Boykott der Winterspiele, falls jüdische AthletInnen diskriminiert würden, und St. Moritz, wo bereits die Winterolympiade 1928 stattgefunden hatte, anerbot sich als Ersatzort. Das Internationale Olympische Komitee hielt indessen an Garmisch-Partenkirchen als Austragungsort fest. Um einen Eklat zu vermeiden, liess die deutsche Regierung in der Umgebung von Garmisch-Partenkirchen die Judenverfolgungen einstweilen einstellen und antisemitische Plakate vorübergehend entfernen. Diese Massnahmen zur Beruhigung der internationalen öffentlichen Meinung stiessen bei den lokalen Nazis in Oberbayern auf wenig Gegenliebe, der Natur des Regimes gemäss mussten sie sich aber fügen.
Eine ähnliche Strategie fuhren die Nazis dann auch vor und während der Sommerspiele in Berlin. Bereits im Sommer 1933 hatte es internationale Proteste gegen Olympischen Spiele in der Hauptstadt des „Dritten Reiches“ gegeben. Im Juni 1933 hatte das IOC über eine mögliche Verlegung der Spiele beraten und dann von der neuen deutschen Regierung eine schriftliche Garantieerklärung eingefordert, die Regeln der „Olympischen Idee“ einzuhalten. Dies wurde vom Nazi-Regime umstandslos zugesichert. Dennoch ging die Protest- und Boykottbewegung weiter. Im Dezember 1935 wurde in Paris das „Comité international pour le respect de l’esprit olympique“ ins Leben gerufen. Es bestand aus deutschen Exil-Intellektuellen sowie Vertretern britischer, französischer, niederländischer, skandinavischer, tschechoslowakischer und schweizerischer Boykottkampagnen. In den USA wirkte ein „Committee on Fair Play in Sports“ im selben Sinne. Im Juni 1936 fand in Paris eine „Konferenz zur Verteidigung der Olympischen Idee“ statt, an der der exilierte Schriftsteller Heinrich Mann die Boykottforderung begründete. Seine Rede wurde im Wortlaut unter anderem vom Zürcher „Volksrecht“ abgedruckt. In Amsterdam veranstalteten AntifaschistInnen eine Kunstausstellung mit dem Titel „De olympiade onder dictatuur“. Auch die beiden internationalen Arbeitersportdachverbände, die sozialdemokratische Arbeitersport-Internationale (SASI) und die kommunistische Rote Sportinternationale (RSI), erliessen einen gemeinsamen Aufruf zum Boykott der Spiele.
Die Boykottbestrebungen scheiterten aber daran, dass sich im Unterschied zu den beiden Boykott-Olympiaden 1980 und 1984 keine wichtige Sportnation dazu durchringen wollte, den Spielen in Berlin fernzubleiben. Lediglich Spanien sagte seine Teilnahme ab. In den Vereinigten Staaten war die Boykott-Bewegung zwar relativ stark. Sie wurde unter anderem von wichtigen Sportverbänden sowie vom Gewerkschaftsdachverband AFL getragen. Avery Brundage, der Vorsitzende der „Amateur Athletic Union“ sowie der amerikanischen Olympischen Komitees und nachmalige IOC-Präsident, war aber ein entschiedener Boykottgegner und organisierte für die entscheidende Abstimmung im amerikanischen Olympischen Komitee eine knappe Mehrheit gegen den Boykott. Die Sowjetunion war zu jener Zeit nicht Mitglied der olympischen Bewegung und entsprechend stand ihre Teilnahme wie bei sämtlichen Olympischen Spielen seit dem Ersten Weltkrieg ohnehin nicht zur Debatte.
Auch in der Schweiz gab es Proteste, die Bundesbehörden bewilligten aber schliesslich die Kredite für die Beteiligung der Schweizer Delegation an den Spielen in Berlin. Der freisinnige Bundespräsident Albert Meyer betonte an einer Rede am Eidgenössischen Turnfest 1936 in Winterthur, das wenige Tage vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele stattfand, die durch das Turnfest manifestierte „Solidarität der Welt im Kleinen“, gab der Hoffnung Ausdruck, “damit dem Gedanken des Völkerfriedens gerade in der heutigen wirren Zeit einen Dienst zu leisten“, und beklagte, dass „unsere politischen Ideale, die Demokratie […], die Freiheit […] manchenorts an Geltung verloren“ und „der Kultus der Gewalt […] in Europa einen Siegeszug halten“ würde. Expliziter war die Opposition gegen die Spiele in Berlin im schweizerischen Arbeitersport. So verhöhnten etwa SATUS-Vereine die „Hitlerolympiade“ an ihren Veranstaltungen mit theatralischen Darbietungen. Auch plante der SATUS die Beteiligung an der „Olimpiada Popular“ in Barcelona.
Die InitiatorInnen dieser Gegenolympiade stammten aus den Kreisen der katalanischen Linken. Zu den innerhalb von drei Monaten organisierten Spielen, die 17 Sportarten sowie kulturelle Veranstaltungen umfassen sollten, wurden 6’000 AthletInnen aus 23 Staaten und Kolonien erwartet, darunter deutsche und italienische Exilteams. Aus einigen Staaten wie etwa Frankreich hatten sich auch AthletInnen aus „bürgerlichen“ Vereinen und Verbänden angemeldet. Zwei Tage vor der geplanten Eröffnung begann aber der von Deutschland logistisch unterstützte Putsch der in Spanisch-Marokko stationierten Armeeeinheiten unter General Franco gegen die demokratisch gewählte Madrider Volksfrontregierung, der den Spanischen Bürgerkrieg auslöste. Am vorgesehenen Eröffnungstag war Barcelona Schauplatz blutiger Strassenkämpfe zwischen aufständischen Armeeeinheiten auf der einen und zivilen Sicherheitskräften und eilig aufgestellten Arbeitermilizen auf der anderen Seite. Die Volksolympiade, geplant als Fest des Friedens und der Völkerverbrüderung, konnte nicht ausgetragen werden. Zahlreiche AthletInnen blieben trotzdem in Spanien und schlossen sich dem Kampf für die Republik an. Zu ihnen zählte etwa die Basler Anarchistin und Arbeiter-Schwimmerin Clara Thalmann, die den POUM-Milizen beitrat. Erst im folgenden Jahr konnte die dritte Arbeiter-Olympiade in Antwerpen, an der sich im Zeichen der Volksfront-Doktrin erstmals beide internationalen Arbeitersportdachverbände beteiligten, einen wenn auch schwachen Kontrapunkt zu den Olympischen Spielen unter dem Hakenkreuz setzen.
Materialien zum Thema im Sozialarchiv
Archiv
Ar 468.61.1 Schweizerischer Arbeiter-Turn- und Sportverband SATUS: Internationale Arbeiter-Olympiaden und -Sporttage, Deutsche Turn- und Sportfeste 1922–1935, Tschechoslowakisches Arbeiter-Turnfest in Prag 1928
Archiv Bild + Ton
F_5046 Schweizerischer Arbeiter Turn- und Sportverband (SATUS)
F_5091 Schweizerischer Arbeiter Turn- und Sportverband (SATUS), Sektion Wiedikon
Sachdokumentation
KS 32/82a Antifaschismus (1933–1939)
KS 70/15 Sport & Sportanlagen (bis 1959)
KS 70/16a Arbeitersport (bis 1959)
Bibliothek
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