Plakate, Poster und Postkarten. Die visuelle Kommunikation sozialer Bewegungen
Eine Analyse von Domagoj Belancic, Sara González Díaz, Franziska Oehmer
Ziel der vorliegenden Studie ist die Identifikation und Analyse Aufmerksamkeit generierender Merkmale in der visuellen Kommunikation sozialer Bewegungen. Den theoretischen Hintergrund bildet die Nachrichtenwerttheorie, die Charakteristika von nachrichtenrelevanten Ereignissen – den sogenannten Nachrichtenfaktoren – beschreibt, die einen Einfluss auf deren Publikationswahrscheinlichkeit in der medialen Berichterstattung zeitigen. Da diese jedoch nicht nur mediale, sondern allgemein kognitionspsychologische Aufmerksamkeitskriterien darstellen, konnten die Annahmen für diese Studie adaptiert werden: Je mehr Nachrichtenfaktoren die visuelle Kommunikation sozialer Bewegungen erhält, desto wahrscheinlicher werden sie auch wahrgenommen.
Überprüft wurde in dieser Studie nicht der Einfluss, sondern der Einsatz folgender Merkmale in der visuellen Kommunikation soziale Bewegungen: Schaden, negative Emotionalisierung, positive Emotionalisierung, Kontroverse, Reichweite, Personalisierung, Baby/Kind, Prominenz.
Insgesamt wurden 28 – per Zufallsauswahl ermittelte – Bilddokumente der Datenbank Bild + Ton des Schweizerischen Sozialarchivs einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Die Analyse erfolgte auf zwei Ebenen – separat für Bild und Text. Die Befunde lassen sich in folgenden Thesen zusammenfassen:
Charakteristika im Bild:
Im Bild dominieren vor allem die Nachrichtenfaktoren Schaden und Personalisierung: Ersterer soll dabei vor allem mit zum Teil drastischen und expliziten Darstellungen auf mögliche negative Folgen verweisen, die eintreten, wenn die Ziele der sozialen Bewegungen nicht realisiert werden. Der Betrachter soll so zur unbedingten Unterstützung der Forderungen der Bewegung mobilisiert werden. Der expliziten Ansprache und Identifikation dient der Einsatz des Merkmals Personalisierung: Nicht abstrakte Gegenstände und Sachverhalte, sondern Menschen sind Betroffene des sozialen Missstandes.
Charakteristika im Text:
Reichweite und Schaden sind Merkmale, die vornehmlich in den textlichen Bestandteilen der Plakate anzutreffen sind. Ebenso wie Personalisierung dient auch die Reichweite – also der Verweis auf die von einem Ereignis betroffenen Gebiete oder Personenkreise – der direkten Ansprache des Betrachters.
Vergleich Charakteristika in Bild und Text:
Die Verwendung bestimmter Merkmale divergiert – in Abhängigkeit von der jeweiligen Visualisierbarkeit – zwischen Bild und Text. Schaden, Personalisierung und positive Emotionalisierung sind vergleichsweise einfach bildlich darzustellen und daher vor allem auch im Bildbereich der Plakate vorzufinden. Die Reichweite hingegen lässt sich besser verbal als visuell darstellen.
In den Plakaten lässt sich jedoch auch der bewusste Einsatz einer Bild-Text-Schere erkennen, um durch die so erzeugte Überraschung ebenfalls Aufmerksamkeit auf die Ziele der Bewegung zu richten.
Wie diese Befunde deutlich zeigen, nutzen soziale Bewegungen in den hier analysierten Plakaten, Postern und Postkarten – bewusst oder unbewusst – eine Vielzahl an verschiedenen Mitteln, um Aufmerksamkeit auf ihre visuelle Kommunikation und konsequenterweise auf ihre Anliegen und Ziele zu lenken.
Aufgrund der geringen Fallzahl können diese Befunde jedoch nur exemplarisch, keinesfalls jedoch repräsentativ gewertet werden. Dafür bedarf es weiterführender Studien, die sich einem grösseren Analysekorpus im synchronen und diachronen Vergleich widmen.
In der nachfolgenden Bildergalerie lassen sich jeweils exemplarisch Beispiele für den Einsatz der Nachrichtenfaktoren in der visuellen Kommunikation sozialer Bewegungen finden.