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Rundgang mit Ludi Fuchs

Mit einem kleinen Spaziergang durch zwei neuere Ustermer Siedlungen eröffnete Ludi Fuchs den Abend.

2004 realisierte der für seine rationelle und kostensparende Bauweise bekannte Investor Leopold Bachmann 160 Wohnungen gleich hinter dem Bahnhof. Die Mietpreise liegen kräftig unter den ortsüblichen Preisen für Neubauten; trotzdem erfüllte sich auch in Uster nicht, was vielerorts als ängstliches Argument gegen preisgünstiges Wohnen vorgebracht wird: dass durch günstige Mieten eine problematische, sprich sozialhilfeabhängige Klientel angezogen werde.
Nur wenig älter ist eines der architektonischen Aushängeschilder Usters: die Siedlung «Im Werk», die 1998 als Resultat eines Architekturwettbewerbs entstanden ist und deren 75 Wohnungen in erster Linie an Familien vermietet sind. Zwei Baugenossenschaften erhielten das Bauland an zentraler Lage von der Gemeinde Uster im Baurecht. Ein Grossteil der Wohnungen ist subventioniert. Das weitgehend autofreie unmittelbare Umland und die recht grosszügigen Aussenräume tragen das Ihre dazu bei, dass diese Wohnungen äusserst begehrt sind.

In unmittelbarer Nachbarschaft steht das ehemalige Elektrizitätswerk von Uster, das heute unter dem Namen «Musikcontainer» verschiedenen Formationen als Probe- und Auftrittsort dient und für Anlässe jeglicher Art gemietet werden kann.

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Podiumsdiskussion im Musikcontainer

Im Musikcontainer diskutierten Ernst Hauri, Direktor a.i. des Bundesamtes für Wohnungswesen, Barbara Thalmann, Sozialvorsteherin Uster, und Marco Brunner, Investor, unter der Leitung von Ludi Fuchs Fragen rund ums Wohnen und den Preis, den wir dafür zu bezahlen bereit sind.

Ernst Hauri rückte auf die Einstiegsfrage, ob günstiger Wohnraum tatsächlich überall fehle, die Verhältnisse ins Lot: In der Juraregion oder im Kanton Glarus finde man problemlos günstige Wohnungen. Dort ist der Leerwohnungsbestand um ein Vielfaches höher als in den Problemregionen um Zürich und Genf oder in steuergünstigen Innerschweizer Gemeinden. Auch der subjektiv oft vorhandene Eindruck, dass Wohnen immer teurer werde, stimmt nicht ganz: Zwar sind bei Neuvermietungen die Preise in den letzten Jahren tatsächlich um stolze 20% gestiegen, bestehende Mietverhältnisse hingegen zeichnen sich durch grosse Stabilität oder gar rückläufige Mieten aus.
Alles in Butter also? Die Schweiz bleibt zwar von gravierenden Phänomenen wie Obdachlosigkeit oder Slumbildung verschont. Der Wohnungsmarkt funktioniert aber trotzdem nicht reibungslos: Das Bevölkerungswachstum einerseits und stetig wachsende Ansprüche an den Ausbaustandard und die Wohnfläche andererseits generieren einen permanenten Druck. In Uster führt das dazu, dass neu gebaute Wohnungen sofort und restlos verkauft oder vermietet werden können. Allerdings hinkt das Angebot der Nachfrage hinterher. Ludi Fuchs führte Beispiele von (reichen) Gemeinden an, wo Familien aufgrund von akutem Wohnungsmangel und hohem Mietzinsniveau die Gemeinde verlassen müssen. Diese Fluchtbewegung von nicht überdurchschnittlich verdienenden jungen Leuten hat in einigen Zürichseegemeinden bereits zu einer Vergreisung geführt, die das Funktionieren zentraler kommunaler Aufgaben gefährdet, indem beispielsweise das Engagement für die Feuerwehr ausbleibt.
Diese Tendenzen mochte niemand auf dem Podium bestreiten. Doch über deren Tragweite und Auswirkungen sowie über mögliche Abwehrstrategien war man sich nicht einig. Brunner lancierte die Debatte mit der provokanten These, dass der Markt «es schon richte», Einmischungen vom Staat verbot er sich. In der Konzentration von Reichen und Alten in gewissen Gemeinden sieht er kein Problem. Die Sozialvorsteherin von Uster, Barbara Thalmann, widersprach dem. Der ungelenkte Markt führe zu Ghettobildung und Abschottung. Nur gut durchmischte Gemeinden seien vitale Gemeinden. Die Antwort, wie diese Durchmischung zu erreichen sei, blieb das Podium schuldig. Einem rigorosen kommunalen Interventionismus sprach niemand das Wort.
Einen Lichtblick könnten die Baugenossenschaften bringen. Auch sie können zwar nicht billig bauen. Dank der Kostenmiete und der Absenz des Renditezwangs bleiben Genossenschaftswohnungen aber mittel- und langfristig oft preislich stabil. Die Verbreitung und Akzeptanz von Wohnbaugenossenschaften als Player auf dem Baumarkt ist allerdings – abgesehen von Städten wie Zürich oder Winterthur – noch sehr gering. Gesamtschweizerisch sind nur gerade 6% aller Bauten genossenschaftlich erstellt, in Uster sind es gar nur 4%. Zudem sind die Genossenschaften auf die Zusammenarbeit mit den Gemeinden angewiesen, damit sie allfällige vorhandene Landreserven überhaupt erwerben können.
Anschliessend bot sich dem Publikum die ausgiebig genutzte Gelegenheit, sich in die Diskussion einzuschalten. Mehrere Stimmen forderten ein stärkeres Engagement der Kommunen für gemeinnützige Bauträger. Der Wohnungsmarkt sei der denkbar schlechteste Spielplatz für den freien Markt. Die auch auf dem Podium wiederholt geforderte Durchmischung fand grosse Zustimmung im Publikum. Weil die Landressourcen aber immer knapper werden, sind kreative Lösungen gefordert: Liegen sie, wie ein Votant forderte, in der Besteuerung des Wohnraums? Oder soll von Eigenheimbesitzern der effektive Preis für die Erschliessung verlangt werden? Oder muss die Verdichtung des Bauens nolens volens rigoroser durchgesetzt werden? Auf mehr Akzeptanz als steuertechnische oder gesetzgeberische Massnahmen dürften aber vermutlich neue Wohnformen stossen, die ökologische Verträglichkeit und reduzierte Ansprüche an den Ausbaustandard verbinden.
In der vom Podium bestrittenen Schlussrunde setzte sich Barbara Thalmann dafür ein, den Wohnungsbau nicht zur Geldmaschine zu degradieren. Sie forderte Investoren mit Visionen und hohem Qualitätsbewusstsein. Ernst Hauri erinnerte daran, dass das Mietzinsproblem in der Schweiz eine relativ kleine Schicht von 500’000 Haushalten betreffe. Sie – einkommensschwache Familien und Alleinerziehende, Ausländer und Alte – darf man nicht allein den Marktkräften überlassen. Marco Brunner brachte zum Schluss die Qualität des Bauens ins Spiel: sie entspreche einem grossen Bedürfnis.

Stefan Länzlinger

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