Von der «Zentralstelle für soziale Literatur» zum «Schweizerischen Sozialarchiv»
Das Schweizerische Sozialarchiv wurde 1906 vom Verein «Zentralstelle für soziale Literatur der Schweiz» gegründet. Zweck der Zentralstelle sollte es sein, die «soziale Frage» zu dokumentieren und «diese Sammlung allen Interessenten unentgeltlich zugänglich zu machen». Die Initiative dazu kam von Paul Pflüger, Sozialreformer und Pfarrer im Arbeiterquartier Aussersihl. Angeregt durch einen Besuch im Musée Social in Paris anlässlich der Weltausstellung im Jahre 1900 entwickelte Paul Pflüger eine rege Sammeltätigkeit zur Dokumentation der sozialen Frage. Von Beginn an war der Verein überparteilich zusammengesetzt. Alle wichtigen politischen und konfessionellen Richtungen waren vertreten, um die wissenschaftlich objektive Arbeit der neugeschaffenen Institution sicherzustellen.
Die Anfänge
Im Januar 1907 nahmen das Lesezimmer und die Bücherausleihe in einer Zweizimmerwohnung am Seilergraben 31 den Betrieb auf. In den ersten Jahren wurde die «Zentralstelle für soziale Literatur» als Einmannbetrieb geführt. Erster Vorsteher war Gustav Büscher; er wurde 1909 von Sigfried Bloch abgelöst, der zusammen mit seiner Frau, Rosa Bloch-Bollag, zu den markanten Vertretern der schweizerischen Arbeiterbewegung dieser Zeit gehört. 1919 konnte die «Zentralstelle» im Erdgeschoss des ehemaligen Chors der Predigerkirche neue, grössere Räumlichkeiten beziehen.
Unter dem neuen Vorsteher Paul Kägi (1929-1941) erfuhr die Zentralstelle einen bescheidenen personellen Ausbau. Für die Betreuung des Lesesaals und für die wachsenden Katalogisierungs- und Büroarbeiten wurden drei feste Stellen geschaffen. In den Jahren der Wirtschaftskrise konnten zudem sogenannte Notstandsarbeiter für kürzere oder längere Frist beschäftigt werden.
Das «Schweizerische Sozialarchiv»
Ein erheblicher Ausbau der Institution erfolgte dann zwischen 1942 und 1946 unter dem neuen Vorsteher Eugen Steinemann. Mit dem Amtsantritt von Eugen Steinemann wurde 1942 auch der Name der Institution abgeändert in «Schweizerisches Sozialarchiv».
Am 2. Juni 1957 konnte das Schweizerische Sozialarchiv in den Neubau Neumarkt 28 einziehen. Dem Umzug gingen langwierige Verhandlungen mit den städtischen und kantonalen Behörden sowie die Volksabstimmung vom 8. Juli 1956 über die notwendigen Kredite voraus. Nach dem Tod von Eugen Steinemann übernahm 1966 Jakob Ragaz (1903-1985) die Leitung des Sozialarchivs.
Er wurde 1968 von Miroslav Tucek abgelöst. In dessen Amtszeit fielen die Anerkennung durch den Bund im Rahmen des Hochschulförderungsgesetzes (1974) und der Umzug an den heutigen Standort im Sonnenhof an der Stadelhoferstrasse 12 (1984). Unter seiner Leitung erlebte das Sozialarchiv einen wesentlichen Ausbau und wurde zu einer Institution mit gesamtschweizerischer und internationaler Ausstrahlung.
1988 erhielt das Schweizerische Sozialarchiv mit Anita Ulrich erstmals eine Vorsteherin. Unter ihrer Leitung schaffte das Sozialarchiv den Sprung ins Zeitalter der neuen Informationstechnologien, die neue Möglichkeiten zur Vermittlung der quantitativ und thematisch laufend ausgebauten Bestände eröffnen. Ebenfalls in ihre Amtszeit fielen der Beginn der systematischen Sammlung und Erschliessung audiovisueller Quellen sowie die Einrichtung eines Forschungsfonds, die durch eine Schenkung der 1999 verstorbenen Soziologin Ellen Rifkin Hill ermöglicht wurde. Nach Ulrichs Altersrücktritt wurde 2014 Christian Koller neuer Direktor.
Mehr über die Geschichte des Schweizerischen Sozialarchivs erfahren Sie in der Festschrift „100 Jahre soziales Wissen. Schweizerisches Sozialarchiv 1906-2006″ (PDF, 5 MB).
Die Broschüre in gedruckter Version kann gratis erworben werden.