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Fussballerinnen am Jugendsporttreffen des Kaufmännischen Verbandes 1974 in Thun (Foto: Ernst und Margrit Baumann/SozArch F 5175-Fc-390)
Fussballerinnen am Jugendsporttreffen des Kaufmännischen Verbandes 1974 in Thun (Foto: Ernst und Margrit Baumann/SozArch F 5175-Fc-390)

Buchempfehlungen der Bibliothek

Marianne Meier, Monika Hofmann: Das Recht zu kicken. Die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs. Zürich, 2025

Diesen Sommer elektrisierte die Frauenfussball-Europameisterschaft die Schweiz. Wie entwickelte sich aber der einheimische Frauenfussball bis hin zur überraschenden Viertelfinalqualifikation im eigenen Land? Das neue Buch von Marianne Meier, Pionierin der helvetischen Frauenfussballhistoriografie, und Monika Hofmann gibt erstmals einen faszinierenden und gut lesbaren Überblick über die mehr als hundertjährige Geschichte des Frauenfussballs in der Schweiz. Diese reicht von Anfängen in Genf um 1920 über die «irrtümliche» Lizenzierung der zwölfjährigen Walliserin Madeleine Boll (zu deren Ehren das EM-Maskottchen von 2025 den Namen «Maddli» erhielt) als weltweit erste Fussballerin durch den Schweizerischen Fussballverband im Jahr 1965 und die beginnende Institutionalisierung in Vereinen, einer Liga, einem Nationalteam und einer (zunächst prekären) Affiliation an den Fussballverband um 1970 bis zum beschleunigten Aufschwung ab der Jahrtausendwende. Die ausführlichen Kapitel zu (Un)sichtbarkeit und Geschlechterklischees in der medialen Vermittlung, zur wirtschaftlichen Entwicklung des Frauenfussballs oder der Haltung von Vereinen, Verbänden und Behörden zeigen eindrücklich Bedeutung und Symbolhaftigkeit des Frauenfussballs in der Gesellschafts- und Geschlechtergeschichte der modernen Schweiz.

Weitere Literatur zum Thema (Auswahl):

  • Bührer, Florian: Frauenfussball in der Schweiz. Der Weg zur Anerkennung war lang und ist noch nicht zu Ende, in: Hüser, Dietmar (Hg.): Frauen am Ball. Geschichte(n) des Frauenfussballs in Deutschland, Frankreich und Europa. Bielefeld 2022. S. 93–114, 151486
  • Degen, Seraina und Daniel Schaub: Das goldene Buch des Schweizer Frauenfussballs. Die Länderspiele von 1972 bis 2017. Muttenz 2017, Gr 14512
  • Jucker, Michael (Hg.): FCZ-Revue: Eine eigene Liga! 50 Jahre Frauenfussball in der Schweiz. Zürich 2021, Gr 15216
  • Koller, Christian: Frauen im Schweizer Eishockey vom Fin de Siècle bis zum Millennium, in: ders. et al. (Hg.): Sportgeschichte in der Schweiz. Stand und Perspektiven. Neuchâtel 2019. S. 119–138, 142377
  • Koller, Christian und Marianne Meier: Fussball, in: Historisches Lexikon der Schweiz, 16.6.2025, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/048188/2025-06-16/
  • Meier, Marianne: «Zarte Füsschen am harten Leder…». Frauenfussball in der Schweiz 1970–1999. Frauenfeld 2004, 113691
  • Meier, Marianne: Geschichte der Frauen-Fussballnationalelf, in: Jung, Beat (Hg.): Die Nati. Die Geschichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Göttingen 2006. S. 295–323, 117332
  • Meier, Marianne: Der Captain hiess auch Odermatt: Schweiz – Österreich 9:0 (8.11.1970), in: Koller, Christian (Hg.): Sternstunden des Schweizer Fussballs. Zürich 2008. S. 103–119, 123072
  • Meier, Marianne und Seraina Degen: «Rasen betreten verboten!». GC-Fussballerinnen auf dem Weg zur Spitze?, in: Baumann, Reto et al. (Hg.): Grasshoppers. Fussball in Zürich seit 1886, Bd. 1. Basel 2022. S. 356–379, 149378:1
  • Prudent, Dominique: Histoire du football féminin en Suisse. Neuchâtel 2025, erwartet
  • Rufli, Corinne et al.: Vorbild und Vorurteil. Lesbische Spitzensportlerinnen erzählen. Baden 2020, 143744

Luz: Zwei weibliche Halbakte. Berlin, 2025

Gegenwärtig arbeitet sich die Zürcher Politik an der Hypothek des Dauerleihvertrags zwischen Bührle-Stiftung und Zürcher Kunstgesellschaft ab. Gemäss Vertrag obliegt die Finanzierung der zukünftigen Provenienzforschung dem Kunsthaus, während die Bilder als Dauerleihgaben immer noch der Bührle-Stiftung gehören. Im Juni 2024 hatte Raphael Gross seinen Expertenbericht «Überprüfung der Provenienzforschung der Stiftung Sammlung E. G. Bührle» vorgestellt. Der Historiker kam darin zum Schluss, dass bei den Werken aus der Sammlung der Bührle-Stiftung erheblicher weiterer Forschungsbedarf zur Klärung ihrer jüdischen Vorbesitzerschaft bestehe. Er forderte zudem für die Provenienzforschung einen Perspektivenwechsel weg von einem objektbezogenen hin zu einem personenzentrierten Fokus.
Luz bringt in seiner Graphic Novel das Kunststück eines doppelten Perspektivenwechsels fertig: Der französische Zeichner von Charlie Hebdo erzählt aus der Sicht eines Kunstwerks die Geschichte der Menschen, die mit ihm zu tun hatten. «Zwei weibliche Halbakte» erlebt 1919 zuerst seine eigene Entstehung durch den Künstler Otto Mueller, 1925 seinen Kauf durch den jüdischen Anwalt und Kunstsammler Ismar Littmann, 1935 seine Beschlagnahmung durch die Nazis und 1937 seine Hängung in der Ausstellung «Entartete Kunst» in München. 1939 erduldet es seine von den Nazis veranlasste, erfolglose Versteigerung auf einer Auktion in Luzern und 1941 seinen Erwerb durch den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, von dem es 1942 an den Kölner Sammler Josef Haubrich weiterkauft wird. Mit Haubrichs Schenkung seiner Kunstsammlung an das Kölner Wallraf-Richartz-Museum 1946 gelangt es 1976 in den Bestand des Museum Ludwig. Im Jahr 1999 schliesslich erfährt es seine Restitution an Ruth Haller, die nach Israel emigrierte Tochter von Littmann, und anschliessend seinen Rückkauf durch das Museum. – «Zwei weibliche Halbakte» ist Zeuge vom persönlichen Schicksal seiner jüdischen Voreigentümerschaft und erleidet auf seiner langen Reise eine typische Geschichte von Raubkunst bzw. NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern.

Michi Strausfeld: Die Kaiserin von Galapagos. Deutsche Abenteuer in Lateinamerika. Berlin, 2025

Michi Strausfelds Buch ist ein Plädoyer dafür, sich wieder vermehrt mit der Kultur und Politik Lateinamerikas zu beschäftigen. Die Autorin erzählt darin sehr unterhaltsam von deutschen Auswanderern: von Gaunern, Exzentriker:innen und Künstlern, die ihr Glück in den Ländern Lateinamerikas suchten; von Kaufleuten, die Reichtum witterten; von einer Utopistin mit Kaiserkrone und von Forschern, die sich um das kümmerten, was Alexander von Humboldt ihnen übriggelassen hatte. Später kamen die Auswanderer, die in Europa verhungert wären, dann die Menschen, die den Gräueltaten des Nationalsozialismus entkamen, und später die Nazi-Peiniger, die hier nach 1945 ein sicheres Refugium fanden, manchmal ohne sich gross verstecken zu müssen. Die Diktatoren Lateinamerikas waren nicht besonders daran interessiert, sie wieder loszuwerden, im Gegenteil: Geheimdienste und die katholische Kirche unterstützten aktiv die Flucht ranghoher Nazis aus Europa, vor allem nach Argentinien.
Die Autorin bedauert, dass das Interesse Deutschlands an Lateinamerika nach dem Mauerfall 1989 und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 rapide abnahm. Die lateinamerikanischen Staaten hingegen, so sehr sie historisch und kulturell mit Europa verbandelt sind, wendeten sich wirtschaftspolitisch immer mehr China zu und werden mittlerweile politisch von evangelikalen Kirchen und russischer Propaganda vereinnahmt.

Irina Scherbakowa und Filipp Dzyadko, Elena Zhemkova (Hrsg.): Memorial. Erinnern ist Widerstand. München, 2025

Im Dezember 2022 konnte «Memorial» zusammen mit dem ukrainischen «Center for Civil Liberties» und der belarussischen Menschenrechtsorganisation «Wjasna» in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Unabhängig von der staatlich gelenkten Erinnerungspolitik in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion bewahrt die 1989 gegründete russische Menschenrechtsorganisation in den postsowjetischen Zivilgesellschaften das Gedächtnis an den staatlichen Terror und die Massenrepressionen in der untergegangenen UdSSR anhand von Einzelschicksalen. Sie sichert zu diesem Zweck Zeitzeugnisse und Dokumente, betreibt Archive und Bibliotheken, erstellt Dokumentationen und pflegt Datenbanken. Von den russischen Behörden 2022 zwangsaufgelöst, existiert Memorial bis heute als transnationales, dezentrales Netzwerk weiter. Das Wachhalten der Erinnerung an die Millionen ausgelöschten Menschenleben bleibt auch im Exil ihr Kerngeschäft.
Der Sammelband enthält u.a. einen erhellenden Abriss über die Geschichte von Memorial, verfasst von der russischen Historikerin und Mitgründerin Irina Scherbakowa. Ein Bildteil präsentiert Objekte aus der Sammlung von Memorial – vom Brief und Gedichtband über Zeichnungen und Bilder bis zu Kleidungsstücken aus dem Straflager. Weitere Textbeiträge kommen von Persönlichkeiten wie Anne Applebaum, Aleida Assmann, Karl Schlögel oder Swetlana Alexijewitsch, aber auch von hierzulande weniger bekannten ukrainischen, polnischen und litauischen Menschenrechtlerinnen und Dissidenten. Für die rumänisch-deutsche Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller steht das Verbot des Wortes «Krieg» für die «Spezialoperation» gegen die Ukraine symptomatisch für das «stalinistische Schweigen», das in Russland über die «Verbrechen von innen und aussen» herrscht. Der deutsche Historiker Gerd Koenen wünschte sich für Memorial in Zukunft eine Zusammenarbeit mit der Ukraine und Belarus, denn Mittelosteuropa sei nicht nur eine «geopolitische ‘Schicksalsgemeinschaft’», sondern auch eine «historische Erinnerungsgemeinschaft».

Darya Tsymbalyuk: Ecocide in Ukraine. The Environmental Cost of Russia’s War. Cambridge/Hoboken, 2025

Der Begriff «Ökozid» ist vor über einem halben Jahrhundert im Zusammenhang mit dem amerikanischen Einsatz des Entlaubungsmittels «Agent Orange» im Vietnamkrieg entstanden. Inzwischen ist «Ökozid» in die Strafrechtsordnungen verschiedener Länder eingegangen und es gibt Forderungen, ihn auch als Verbrechen ins Statut des Internationalen Strafgerichtshofs aufzunehmen. Das neue Buch der ukrainischen Kulturwissenschafterin Darya Tsymbalyuk liefert eine erschütternde Analyse der gewaltigen ökologischen Schäden und ihrer gesellschaftlichen Folgewirkungen in den ersten zwei Jahren des Kriegs gegen die Ukraine. Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms durch mutmasslich russische Truppen am 6. Juni 2023, die grossflächige Überflutung mit etwa sechzig Todesopfern und gewaltige Schäden für Ökosystem, Landwirtschaft, Fischerei, Kulturgüter, Schifffahrt sowie Energie- und Wasserversorgung nach sich zog, ist lediglich die Spitze des Eisbergs. Tsymbalyuks Buch handelt etwa auch von den Kriegsfolgen für seltene Wildtiere und Pflanzen, der Verseuchung von Kultur- und Naturland mit Minen, der Ausbreitung von Tollwut bei Wild- und Haustieren sowie Menschen infolge der kriegsbedingten Unterbrechung von Impfkampagnen, dem Rückgang des ukrainischen Viehbestands um etwa 12 Prozent, den Folgen der russischen Besetzung der radioaktiv verseuchten Zone um Tschornobyl für Zivilbevölkerung und beteiligte Soldaten oder den Zerstörungen von Wasserleitungen und Energieinfrastruktur.
Eine Bibliografie zum Krieg in Osteuropa finden Sie auf unserer Website.

Stefan Bartholet: Von Ohrfeigen, Tatzen und Kopfnüssen. Körperliche Züchtigungen an der Zürcher Volksschule von 1945 bis 1985. Zürich, 2024

Die Geschichte des Züchtigungsrechts in der Schweiz ist bislang kaum systematisch aufgearbeitet worden. Die vorliegende Dissertation von Stefan Bartholet setzt hier an und widmet sich dem Umgang mit dem Züchtigungsrecht im Kanton Zürich – mit einem besonderen Fokus auf die Stadt Zürich als Fallbeispiel. Die Zürcher Volksschulverordnung von 1900 erlaubte Lehrpersonen bis Ende 1985 in Ausnahmefällen den Einsatz «körperlicher Züchtigungen». Darunter konnten sogenannte «Tatzen» (Schläge auf die Hände), Ohrfeigen, das Anwerfen von Gegenständen, das Zerren an Ohren oder Haaren, reine Prügelstrafe oder auch «Kopfnüsse» gehören. Rechtlich war nicht näher definiert, was einen «Ausnahmefall» darstellte.
Stefan Bartholet untersucht in seiner Arbeit, wie die Schulbehörden das Recht auslegten und anwendeten, wie Lehrpersonen es in der Praxis handhabten und in welchem Rahmen sie davon Gebrauch machten. Ebenso analysiert er, wie bei Beschwerden, welche meist von Eltern eingereicht wurden, vorgegangen wurde. Der Autor führte dazu eine schriftliche Befragung von tausend Einwohner:innen des Kantons Zürich durch, wovon eine Mehrheit eine Primarschule besucht haben. Ergänzend wertete er Archivquellen aus, um die Haltung der Bildungsbehörden – insbesondere der Erziehungsdirektion sowie der Bezirksschulpflegen – nachvollziehen zu können.
1985 genehmigte der Regierungsrat die vom Erziehungsrat beschlossene Änderung der Volksschulordnung. Ein generelles Verbot von körperlichen Züchtigungen wurde aber nicht ausgesprochen. Noch rund zwanzig Jahre lang wurden Körperstrafen als «entschuldbar» erachtet, erst in der neuen Volksschulverordnung von 2006 wurden keine Anmerkungen mehr zu körperlichen Züchtigungen mehr gemacht, was aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichts einem Verbot körperlicher Strafen gleichkam.

Joe Mulhall: Rebel Sounds. Music as Resistance. London, 2024

Kann Musik die Welt verändern? Mit dieser Frage macht sich Joe Mulhall in verschiedene Länder rund um den Globus auf, um zu erforschen, wie Musik als eine Form des Widerstands verwendet wurde und wird. Er besucht bedeutende Orte und Lokale, geht an Konzerte und setzt sich mit unterschiedlichen musikalischen Genres und Musiker:innen auseinander. Wir unternehmen mit dem Autor eine Reise, die uns von Nigeria nach Brasilien und Südafrika, von Grossbritannien über Irland in die USA, von Polen bis in die ehemalige Sowjetunion und zum Schluss in die Ukraine führt. Dabei lernen wir nicht nur etwa den irischen Tradfolk, die brasilianische Tropicália oder den Afrobeat von Fela Kuti und seinen Söhnen kennen, der Journalist lässt uns auch tief in Geschichte und Gegenwart der jeweiligen Länder eintauchen, in die politischen Kämpfe und sozialen Herausforderungen und wie die Menschen mit und dank der Musik diesen mutig die Stirn bieten.
Joe Mulhall kann seine Eingangsfrage am Ende mit einem Nein beantworten, denn es sind die Menschen, die die Welt verändern. Musik kann ihnen jedoch als Mittel dienen, ihre Botschaften zu vermitteln und ihre Ziele zu formulieren, und ihnen die Kraft und den Auftrieb geben, die sie für ihren Kampf für eine bessere Gegenwart und Zukunft brauchen. Auf welche Weise und in welchen Formen die Musik das tut, zeigt uns Mulhall in acht spannenden Episoden. Zu Beginn jeden Kapitels gibt er uns zudem eine Liste mit den aus seiner Sicht wichtigsten Songs und Interpret:innen mit auf den Weg. Damit rundet er seine globale Exkursion gelungen ab.

25. août 2025Susanne Brügger arrière