Das Wichtigste in Kürze
Der vorliegende Bericht legt von einem etwas ungewöhnlichen Jahr Zeugnis ab. Die Corona-Pandemie hat 2020 die Publikumsdienstleistungen, Vermittlungsaktivitäten und innerbetrieblichen Abläufe des Schweizerischen Sozialarchivs massiv beeinflusst. Vom 16. März bis 8. Juni und erneut ab dem 22. Dezember mussten wir unseren Lesesaal schliessen, vom 17. März bis 11. Mai zusätzlich auch den Ausleihschalter. Desinfektionsmittel, Schutzmasken und Zoom-Konferenzen wurden im Laufe des Jahres zu gewohnten Elementen des Arbeitsalltags. Dennoch konnten wir zumindest Teile unserer Publikumsdienstleistungen während des ganzen Jahres aufrechterhalten – wenn auch während des Lockdowns nur auf postalischen und digitalen Wegen. Hinzu kam Anfang Dezember der Wechsel in den neuen schweizweiten Bibliothekskatalog «swisscovery», verbunden mit der Einführung eines neuen Bibliothekssystems, was umfangreiche organisatorische Vorkehrungen und Umschulungen bedingte.
Beides waren freilich für eine Institution mit der Tradition des Schweizerischen Sozialarchivs nicht vollständig neue Erfahrungen. Bereits 1918 hatte die Pandemie der Spanischen Grippe eine mehrwöchige Bibliotheksschliessung verursacht. Und als erste geistes- und sozialwissenschaftliche Institution, die sich 1992 dem digitalen Bibliothekskatalog der ETH Zürich anschloss, war das Sozialarchiv an den verschiedenen technischen und organisatorischen Umstellungen des nun nach drei Jahrzehnten aufgelösten NEBIS-Verbundes stets beteiligt.
«Social Distancing» war im Berichtsjahr ein Schlüsselbegriff und wurde auch in den Räumlichkeiten des Sozialarchivs konsequent umgesetzt. Als Kontrapunkt illustriert diesen Jahresbericht eine Auswahl aus unserem Bildarchiv zu einer Kulturpraxis, die in unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Zusammenhängen seit jeher eine wichtige Rolle gespielt hat: dem kollektiven Gesang. Gerade das Jahr 2020 mit seinen epidemiologisch notwendigen Versammlungsverboten und Einschränkungen des Aerosolausstosses hat die vielfältigen Funktionen dieser vorübergehend kaum noch möglichen Kulturpraxis aufgezeigt – sei es an festlichen Anlässen, politischen Manifestationen, religiösen Versammlungen oder in der Fankurve.
Trotz Corona-Krise und eines temporären Erwerbungsstopps während der Umstellung des Bibliothekssystems hat das Angebot an analogen und digitalen, schriftlichen und audiovisuellen Quellen, wissenschaftlicher und grauer Literatur zu den Schwerpunktthemen des Sozialarchivs im Berichtsjahr wiederum in allen Abteilungen deutlich zugenommen. Wichtige Archivübernahmen waren etwa die Nachlässe des langjährigen SP-Präsidenten Helmut Hubacher und des Fotografen Karlheinz Weinberger, das Firmenarchiv der G.H. Fischer AG, das Archiv der Syna Region Oberer Zürichsee, die Dokumentation zur AIDS-Ausstellung «Problem gelöst? Geschichten eines Virus» sowie eine umfangreiche Nachlieferung zum Archiv von Pink Cross im schwulenarchiv schweiz. Um die trotz der zunehmenden Digitalisierung weiterhin wachsenden physischen Bestände beherbergen zu können, wurde im Frühjahr 2020 ein zusätzliches Aussenmagazin bezogen.
Das Sozialarchiv positionierte sich auch als führende Institution zur Archivierung der Corona-Krise in der Schweiz. Die Sammlung „Digitale Schriften“ in der Sachdokumentation enthielt Ende 2020 über 200 Stellungnahmen von politischen Parteien, Verbänden, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Kirchen und Think-Tanks mit Forderungen, Empfehlungen und Kritikpunkten zur COVID-Politik. Darüber hinaus ist das Sozialarchiv eine Kooperation mit dem Projekt corona-memory.ch eingegangen. Dieses partizipative Archiv ermöglicht es Privatleuten, Texte, Fotos, Filme etc. zum Alltag während der Pandemie mit der Mitwelt zu teilen und für die Nachwelt zu erhalten. Das Sozialarchiv wird als Endarchiv diese Daten übernehmen.
Einen hohen Stellenwert hatten trotz der speziellen Situation auch in diesem Berichtsjahr die Vermittlungsaktivitäten und die Öffentlichkeitsarbeit. Öffentliche Veranstaltungen konnten nur in der Phase zwischen den beiden Epidemie-Wellen durchgeführt und die für September 2020 in Zürich geplante Jahreskonferenz der „International Association of Labour History Institutions“ (IALHI) musste um ein Jahr verschoben werden. Hingegen fanden zahlreiche Führungen für Studierende auf digitalem Weg statt und auch die während des Lockdowns intensiver bewirtschafteten Online-Kanäle (elektronischer Newsletter, Facebook- und Instagram-Auftritt, YouTube-Kanal) stiessen auf ein gutes Echo. Die vom Sozialarchiv mitorganisierte Ausstellung «Zürich 1980» im Zentrum Architektur Zürich (ZAZ) konnte im September wie geplant eröffnet werden. Der Fonds «Forschung Ellen Rifkin Hill» förderte im Berichtsjahr fünf Projekte, darunter drei Promotionsvorhaben. Zwei in den Vorjahren vom Fonds geförderte Dissertationen wurden im Berichtsjahr erfolgreich verteidigt.
Das Schweizerische Sozialarchiv dankt allen, die es 2020 unterstützt haben: den Behörden, den Vereinsmitgliedern, den Partnerinstitutionen und -vereinigungen, den Benutzerinnen und Benutzern sowie allen Personen und Organisationen, die uns Schenkungen und Leihgaben anvertraut haben. Ein besonderer Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die besonderen Herausforderungen des Berichtsjahrs mit grosser Flexibilität und stoischer Gelassenheit bewältigt haben und ohne deren Einsatz das Sozialarchiv seine vielfältigen Aufgaben nicht erfüllen könnte.
> Jahresbericht 2020 (PDF, 858 KB)