Am 11. November 1918 endete mit dem Waffenstillstand an der Westfront der Erste Weltkrieg offiziell. In zahlreichen Regionen ging in den folgenden Monaten und teilweise Jahren das Blutvergiessen aber weiter mit Bürgerkriegen, Konflikten um die Neuordnung der politischen Landkarte, Putschversuchen, Revolutionen, Rebellionen und ihrer Niederschlagung. Diese Fortsetzungskriege wurden zum grossen Teil nicht mehr von regulären Armeen geführt, sondern von paramilitärischen Verbänden, die sich neu bildeten oder als Zerfallsprodukte auseinandergebrochener Weltkriegsarmeen entstanden. Was heute als ein Merkmal sogenannter „Failed States“ in Afrika oder Asien gilt, der teilweise oder vollständige Zerfall des staatlichen Gewaltmonopols und seine Usurpation durch Paramilitärs und „warlords“, war im Anschluss an den Ersten Weltkrieg auch in weiten Teilen Europas Realität. Dabei gab es verschiedene, in ihrem Verhältnis zum Staat höchst ambivalente Typen von Paramilitärs, die sich in Struktur und Funktion teilweise überlappten oder im Zeitverlauf ineinander übergingen.
Wo es zu Kämpfen zwischen revolutionären und konterrevolutionären Kräften kam, wie 1918 bis 1922 in Russland und seinen Peripherien, im Frühjahr 1918 in Finnland oder im Frühjahr 1919 in Ungarn und Bayern, bildeten sich paramilitärische „rote“ und „weisse“ Garden, die je nach Konfliktdauer zu eigentlichen Bürgerkriegsarmeen auswuchsen und sich häufig unsägliche Gräueltaten gegen den ideologischen Gegner, inklusive der Zivilbevölkerung, zuschulden kommen liessen. Bei den „weissen“ Garden in Russland und Ungarn schloss dies auch antisemitische Pogrome ein. Daneben (und teilweise damit verknüpft) entlud sich paramilitärische Gewalt in den zahlreichen Konflikten um die Neuordnung der politischen Landkarte im Raum der kollabierten Imperien der Habsburger, Osmanen und Russlands, etwa zwischen Polen und der Ukraine, Ungarn und seinen Nachbarländern, im Baltikum, auf dem Balkan und in Anatolien. Dabei ging es sowohl um die Festlegung neuer Grenzen als auch um ethnische Homogenisierung der neuen, sich als „Nationalstaaten“ verstehenden Länder durch Vertreibungen und Massaker an „Nationsfremden“. Einige an diesen Konflikten beteiligte paramilitärische Gruppierungen wie die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation“ hatten ihre Wurzeln bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Auch in Irland hatten sich wenige Jahre vor Kriegsausbruch republikanische und unionistische (probritische) Milizen gebildet, die sich beim Osteraufstand 1916 und im irischen Unabhängigkeitskrieg 1919 bis 1921 bekämpften, sodann in neuer Konstellation im irischen Bürgerkrieg 1922/23 und teilweise Vorläufer der Untergrundorganisationen waren, die während der nordirischen „troubles“ ab den 60er Jahren Terror verbreiteten.
Zerfallsprodukte von Weltkriegsarmeen und Veteranenverbände spielten in mehreren Ländern eine wichtige politische Rolle. Italien, wo viele mit den Ergebnissen der Friedenskonferenz unzufrieden waren und von einem „verstümmelten Sieg“ sprachen, erlebte als einziger Siegerstaat eine Welle paramilitärischer Brutalisierung. Die „Arditi“ um den nationalistischen Schriftsteller Gabriele D’Annunzio besetzten 1919/20 die Stadt Fiume (das heutige Rijeka). Während des „Biennio rosso“ 1919/20 mit seinen zahlreichen Streiks, Arbeiterdemonstrationen, Land- und Fabrikbesetzungen erlangten die ab Anfang 1919 hauptsächlich aus Kriegsveteranen gebildeten antisozialistischen „Squadre d’azione“ und „Fasci di combattimento“ Zulauf. Sie wurden von Grossgrundbesitzern und Industriellen gefördert und von Mussolini zu einer politischen Bewegung systematisiert. Von den Behörden weitgehend geduldet, ebneten sie in unzähligen Gewaltakten mit mehreren Hundert Todesopfern den Weg für die faschistische Machtübernahme im Jahre 1922, nach der sie in die „Milizia Volontaria pro La Sicurezza Nazionale“ mit zunächst knapp 200’000 Mann umorganisiert wurden. Die linken „Arditi del Popolo“, die als Reaktion auf die Gewalt faschistischer Paramilitärs entstanden waren, wurden bis 1924 vollständig unterdrückt.
Die ab Kriegsende in Deutschland aus Freiwilligen (insbesondere ehemaligen Weltkriegssoldaten) aufgestellten rund 120 „Freikorps“ mit insgesamt etwa 400’000 Mitgliedern bekämpften linksradikale Aufstände, beteiligten sich an den Konflikten um die neue Ostgrenze und mischten im Baltikum auch im russischen Bürgerkrieg mit. Im März 1920 beteiligten sich Freikorps-Verbände am Kapp-Lüttwitz-Putsch gegen die Regierung der Weimarer Republik, der wesentlich durch einen Generalstreik zu Fall gebracht wurde. Danach gingen sie teilweise in den paramilitärischen Verbänden der republikfeindlichen Veteranenorganisation „Stahlhelm“ auf. Aus dem Freikorps „Marine-Brigade Ehrhardt“, welches bereits die Hakenkreuzsymbolik verwendete, wichtiger Träger des Kapp-Lüttwitz-Putsches war und danach aufgelöst wurde, ging der rechtsextreme, antisemitische Geheimbund „Organisation Consul“ hervor, der in den frühen 20er Jahren für verschiedene politische Morde verantwortlich zeichnete. Offiziere der Ehrhardt-Organisation bauten auch wesentlich die nationalsozialistischen „Sturmabteilungen“ (SA) auf. Einige Freikorps wurden in der Folge in die neue Reichswehr übernommen. Daneben unterstützte die Reichswehr zur Umgehung der Rüstungsbeschränkungen des Versailler Friedensvertrags insgeheim und illegal die ab 1921 aus der Freikorps-Bewegung (inklusive „Organisation Consul“) sowie anderen paramilitärischen Verbänden rekrutierte „Schwarze Reichswehr“. Teile dieser Geheimstruktur, die etwa 20’000 Mann umfasste, für eine Reihe von Morden verantwortlich war und aus der dann zahlreiche Nationalsozialisten hervorgingen, putschten 1923 in Küstrin erfolglos gegen die Reichsregierung. Weiterführende Staatsstreichpläne der „Schwarzen Reichswehr“ gelangten nicht zur Ausführung (wobei allerdings der in der zweiten Staffel der Kultserie „Babylon Berlin“ thematisierte, im Frühjahr 1929 angesiedelte Putschversuch auf Fiktion beruht).
In zahlreichen Ländern – etwa Belgien, Spanien, den Niederlanden, Italien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Grossbritannien, Österreich, der Schweiz und Deutschland – entstanden um das Ende des Ersten Weltkriegs herum paramilitärische „Bürgerwehren“. In Deutschland drifteten diese Einheiten, trotzdem sie auf Wunsch der SPD-geführten Reichsregierung nicht „Bürger-“, sondern „Einwohnerwehren“ hiessen und die demokratischen Kräfte ihre Anhänger zum Eintritt ermutigten, bald nach rechts aussen ab, unterstützten teilweise den Kapp-Lüttwitz-Putsch und waren auch in politische Morde verwickelt. Als von Bayern ausgehender Dachverband der Einwohnerwehren entstand im Mai 1920 die „Organisation Escherich“ („Orgesch“), die nominell an die 2 Millionen Mitglieder zählte und mit dem „Stahlhelm“ zusammenarbeitete. Via die „Organisation Kanzler“ gehörten der „Orgesch“ nominell auch die mit Waffen aus Bayern unterstützten österreichischen Bürgerwehren an. Nach dem Verbot der „Orgesch“ durch die Reichsregierung auf Druck der Alliierten 1921 und der Auflösung der Einwohnerwehren gingen ihre geheimen Waffenlager auf die „Schwarze Reichswehr“ über. In Vorarlberg, wo es nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie eine starke Bewegung für einen Anschluss an die Schweiz gab, entwarf der Lustenauer Lehrer Ferdinand Riedmann, ein Antisemit und später verurteilter Vergewaltiger, im Winter 1919/20 einen Putschplan zur Abspaltung von der in seinen Augen „jüdisch“ beherrschten Österreichischen Republik, bei dem den kurz zuvor entstandenen antisozialistischen „Volksmilizen“ eine wichtige Rolle zugedacht gewesen wäre.
Ein weiterer Typus paramilitärischer Verbände waren bewaffnete Streikbruchorganisationen. Solche Verbände hatten bereits vor dem Ersten Weltkrieg existiert und vor allem in den Vereinigten Staaten eine blutige Tradition. Die „Pinkerton National Detective Agency“ beispielsweise besass im späten 19. Jahrhundert eine Miliz von 30’000 Mann; 1892 hatten sich bei einem Stahlarbeiterstreik in Homestead (Pennsylvania) 300 Pinkerton-Agenten mit den Streikenden ein stundenlanges Feuergefecht mit Toten auf beiden Seiten geliefert. 1917 mobilisierten bei einem Bergarbeiterstreik in Bisbee (Arizona) die Bergwerksbesitzer eine im Vorjahr aufgebaute Bürgergarde („Citizens’ Protective League“), welche – wie eine Kommission des Präsidenten feststellte: illegal – 1’300 Streikende verhaftete, ins 200 Meilen entfernte New Mexico deportierte und für mehrere Monate die Macht in der Region übernahm. Noch dramatischere Szenen spielten sich 1920/21 im Bergbau in West Virginia ab: 1920 kam es in Matewan zu einem Feuergefecht zwischen Agenten der im Dienst der Bergwerksbetreiber stehenden „Baldwin-Felts Detective Agency“ und Streikenden mit zehn Toten. Aus Rache ermordeten Baldwin-Felts-Agenten im Folgejahr den in der Arbeiterschaft populären lokalen Sheriff. Dies war der Auftakt zu einem Aufstand von 10’000 Bergarbeitern, gegen den die lokalen Behörden und Bergwerksbetreiber eine Miliz von 2’000 Mann mobilisierten, die auch Maschinengewehre und Privatflugzeuge mit Splitterbomben einsetzte. Die zweitägige „Battle of Blair Montain“ mit rund 100 Toten wurde schliesslich durch den Aufmarsch der US Army beendet. In Europa gab es beispielweise „Zechenwehren“ im Ruhr-Bergbau, militärisch organisierte Schutzkorps im vierwöchigen schwedischen Generalstreik von 1909, die Bewachungsdienste und die Aufrechterhaltung von Infrastrukturbetrieben übernahmen, sowie international agierende Streikbruchagenturen. 1920 entstanden in Frankreich die „Unions Civiques“, die sich am Vorbild der Schweizer Bürgerwehren orientierten und eine Doppelfunktion als polizeiliche Hilfstruppe und Streikbruchorganisation bei Infrastrukturbetrieben innehatten.
Die paramilitärische Gewalt im Anschluss an das offizielle Ende des Ersten Weltkriegs mündete in einigen Ländern unmittelbar in die Errichtung von Diktaturen, so in Ungarn, Sowjetrussland und Italien. In anderen Staaten sahen sich labile Demokratien mit einer paramilitarisierten Parteienlandschaft und einem hohen Pegel von politischer Gewalt konfrontiert. In Deutschland wuchsen aus den paramilitärischen Verbänden der Umbruchszeit – Freikorps, Einwohnerwehren und linksradikaler „Roter Soldatenbund“ – Parteimilizen hervor, die die politische Kultur der Weimarer Republik durch massive Strassengewalt schwer belasteten: „Stahlhelm“ (ab 1918), SA (ab 1920/21), SS (ab 1925) sowie verschiedene „Wehrverbände“ rechts aussen, „Proletarische Hundertschaften“ (1921–1923), „Roter Frontkämpferbund“ (1924–1929) bzw. „Kampfbund gegen den Faschismus“ (1930–1933) links aussen und das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ (ab 1924) als Miliz der republiktreuen Kräfte (SPD, Freie Gewerkschaften, liberale Deutsche Demokratische Partei, katholisches Zentrum). Im Zuge des „Preussenschlags“, der Ausschaltung der SPD-geführten preussischen Landesregierung durch den konservativen Reichskanzler Franz von Papen, am 20. Juli 1932 wurden Mitglieder der auf über 400’000 Mann angewachsenen SA sowie von Stahlhelm und SS zu Hilfskräften der preussischen Polizei aufgewertet. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden die linken und republikanischen Parteimilizen unterdrückt und der „Stahlhelm“ mit der SA gleichgeschaltet. Im Sommer 1934 liess Hitler in der „Nacht der langen Messer“ dann mit Hilfe der SS die in seinen Augen zu mächtig gewordene SA-Führung ermorden. In der Folge stand die SA bis 1945 im Schatten der SS, deren militärischem Arm, der „Waffen-SS“, sich im Zweiten Weltkrieg auch etwa 2’000 Schweizer anschlossen.
In Österreich ging aus den Bürgerwehren der Umbruchszeit die den Christlichsozialen und teilweise den Deutschnationalen nahestehende, von österreichischen und deutschen Industriekreisen finanzierte „Heimwehr“ hervor, deren Angehörige aufgrund des Schmucks ihrer Uniformmützen auch als „Hahnenschwänzler“ bezeichnet wurden. Als Reaktion darauf gründeten die Sozialdemokraten 1923 den „Republikanischen Schutzbund“. Diese und verschiedene kleinere paramilitärische Organisationen bedienten sich aus den Waffenarsenalen der untergegangenen k. u. k. Armee und stiessen immer wieder gewaltsam aufeinander. Im Januar 1927 erschossen im burgenländischen Schattendorf Mitglieder der rechtsgerichteten „Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreichs“ bei einem Aufmarsch des Republikanischen Schutzbundes drei Personen. Als sie im Sommer gleichen Jahres von einem Geschworenengericht freigesprochen wurden, kam es in Wien zu Unruhen, die 89 Todesopfer forderten und in deren Verlauf der Justizpalast in Brand gesteckt wurde. Im Übergang der demokratischen Ersten Republik zum austrofaschistischen „Ständestaat“ 1933/34 führten im Februar 1934 dann Kämpfe zwischen der Heimwehr und dem Bundesheer einerseits und dem im Vorjahr nach der Ausschaltung des Parlaments durch den christlichsozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuss verbotenen Republikanischen Schutzbund andererseits zu Hunderten von Toten. In der Folge gingen die Heimwehr und andere rechtsgerichtete paramilitärische Verbände im „Freiwilligen Schutzkorps“, einer Hilfspolizei der Diktatur, sowie in der „Frontmiliz“ der neuen Einheitspartei „Vaterländische Front“ auf.
Milizen unterschiedlicher linker Parteien, Gewerkschaften und politischer Organisationen entstanden sodann in Spanien im Sommer 1936 im Widerstand gegen den Putsch rechtsgerichteter Offiziere um General Franco und waren in der ersten Phase des spanischen Bürgerkriegs die hauptsächlichen Truppen auf republikanischer Seite (vgl. SozialarchivInfo 1/2017). Im Unterschied zum in der Regel ausgesprochen männerbündischen Charakter paramilitärischer Verbände der Zwischenkriegszeit spielten in diesen Milizen Frauen eine wichtige Rolle. Auch Schweizer Freiwillige, die bereits vor der Gründung der „Internationalen Brigaden“ in den spanischen Bürgerkrieg eintraten, kämpften im Rahmen dieser Milizen.
Die historische Forschung hat die Paramilitärs der Zwischenkriegszeit und ihre Gewalt lange Zeit primär als Vorgeschichte von Faschismus und Zweitem Weltkrieg betrachtet. In den letzten Jahren wurde das Phänomen im Zuge einer zentenariumsbedingten Forschungskonjunktur zum Ersten Weltkrieg stärker im Zusammenhang des Kriegsendes 1918 und des teilweisen Kollapses der Staatsgewalt gesehen und international vergleichend analysiert. Die paramilitärischen Organisationen um 1920 erscheinen dabei als eigenständiges, mit der (Vor-)Geschichte des Faschismus eng verzahntes, aber nicht darauf reduzierbares Forschungsfeld. Daneben hat sich auch die international vergleichende Forschung zu – teilweise bewaffneten – Streikbruchorganisationen vor und nach dem Ersten Weltkrieg intensiviert. Schliesslich sind die Paramilitärs um 1920 im Kontext epochenübergreifender Studien zu „Gewaltgemeinschaften“ diskutiert worden, sozialen Gruppen und Netzwerken, die aus Gewalt ihren Zusammenhalt, ihre Identität und/oder ihren Lebensunterhalt beziehen – von Kriegergemeinschaften in der Spätantike oder im vorkolonialen Afrika über Hajduken, Kosaken und Gruppen marodierender Söldner im frühneuzeitlichen Europa bis eben den paramilitärischen Verbänden der Zwischenkriegszeit.
In all diesen Forschungsfeldern wurde die Schweiz bislang wenig beachtet. Hier schossen 1918/19, zeitgleich mit der Paramilitarisierung in anderen Ländern, sogenannte „Bürgerwehren“ wie Pilze aus dem Boden. Allerdings reichten verschiedene Typen paramilitärischer Strukturen, die sich in einem Dreieck zwischen (partei-)politischer Miliz, spontaner und kurzlebiger Gewaltgemeinschaft und (selbsternannter oder staatlich sanktionierter) Hilfspolizei verorteten, bedeutend weiter zurück. Organisierte oder improvisierte Parteimilizen hatte es im 19. Jahrhundert in verschiedenen Kantonen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen gegeben, so 1839 beim konservativen „Züriputsch“, 1844/45 bei den beiden radikal-liberalen Freischarenzügen gegen Luzern oder wiederholt im Tessin bei den Jahrzehnte andauernden Parteikonflikten, etwa dem „Pronunciamiento“ von 1855 oder dem liberalen „Tessiner Putsch“ von 1890. Im Anschluss an den Sonderbundskrieg von 1847 existierte in Fribourg mit der „Garde Civique“ eine freisinnig dominierte Kantonalmiliz, die hilfspolizeiliche Funktionen wahrnahm, Aufstände bekämpfte, aber zugleich auch bei Urnengängen die konservative Opposition einzuschüchtern versuchte. Nach einem konservativen Wahlsieg wurde sie 1856 aufgelöst.
Auch im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen traten wiederholt bewaffnete Gruppen auf den Plan. 1868 patrouillierten bei einem Bauarbeiterstreik in Genf Baumeister und Angehörige der „Jeunesse dorée“ mit Revolvern und Gewehren durch die Strassen und boten die Bürgermeister von Landgemeinden die mit Stöcken und Gabeln ausgerüstete männliche Bevölkerung auf. 1875 führte der Einsatz einer schlecht ausgebildeten Bürgerwehr in Göschenen (UR) unter Leitung des lokalen Landjägers gegen streikende italienische Bauarbeiter des Gotthardtunnelprojekts zu vier Toten. 1898 gab in Brig die Anwesenheit italienischer Bauarbeiter des Simplontunnelprojekts Anlass zur präventiven Aufstellung einer Bürgerwehr. Als die Bauarbeiter 1899 und 1901 zwei Mal in den Streik traten, patrouillierten mit Gewehren bewaffnete Bürgerwehr-Einheiten unter Trommelschlag um die Bauplätze. Bauern und Metzgergesellen, die sich in der „Belle Epoque“ in und um Zürich mit Gewehren, Peitschen, Mistgabeln oder auch den baren Fäusten gegen Streikende wandten, wurden in Teilen der Presse als „freiwillige Wahrer der öffentlichen Ordnung, Reservemänner der Kantonspolizei“ (NZZ, 16.6.1886) oder „Bürgerwehr im offenen Feld“ (Tages-Anzeiger, 17.7.1906) gefeiert.
Während einer grossen Streikwelle von 1904 bis 1907 intensivierten sich solche Tendenzen. Diskussionen über die Institutionalisierung von Bürgerwehren im Gefolge der Zürcher Streikunruhen 1905/06 führten zu keinem Ergebnis. Hingegen entstand 1907 nach dem Waadtländer Generalstreik in Vevey eine Bürgerwehr als polizeiliche Hilfstruppe und sanktionierte auch die Bündner Kantonsregierung kommunale Bürgerwehren. Im selben Jahr bildete sich bei einem Streik zumeist italienischer Bauerarbeiter in Bülach (ZH) eine sechsköpfige, mit Revolvern, Gummischläuchen und Peitschen ausgerüstete und zusammen mit dem Ortspolizisten auftretende „Bürgerwehr“, deren Mitglieder sich in der Folge für ihr handgreifliches Vorgehen vor Gericht verantworten mussten. Ähnliches geschah zwei Jahre darauf in Zürich. An der Jahresversammlung 1910 des Zentralverbandes Schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen würdigte Verbandssekretär Otto Steinmann in einem Referat über die Lehren aus dem schwedischen Generalstreik des Vorjahres ausführlich die Schutzkorps. Von 1909 an gelangten in Zürich und Bern auch verschiedentlich Mitglieder international agierender Streikbruchagenturen, so der revolverbewehrten Berliner „Hintze-Garde“, zum Einsatz – unter anderem 1912 in Zürich, als die Erschiessung eines Streikpostens durch einen deutschen Berufsstreikbrecher schliesslich in einen lokalen Generalstreik mündete (vgl. SozialarchivInfo 4/2017). Im Anschluss daran wurde das Thema in Jakob Lorenz’ Schwank „Der Generalstreik oder Die Zürcher Bürgerwehr“ auch volksliterarisch verarbeitet.
Darüber hinaus hatte es in Zürich 1871 während des Tonhallekrawalls zwischen Deutschen, Franzosen und deutschfeindlichen Schweizern eine kurzlebige Stadtwehr gegeben. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs forderte dann der Polizeidirektor des Kantons Zürich angesichts des bedrohlich erscheinenden Potenzials von Arbeitslosen und Exilanten die Gründung von Bürgerwehren und drang damit in kleineren Gemeinden, nicht aber in der Kantonshauptstadt durch. Auch in anderen Kantonen existierten 1914/15 lokale Bürgerwehren, die in Abwesenheit der im Aktivdienst stehenden Wehrmänner für Ruhe und Ordnung sorgen sollten. Diese schlecht ausgebildeten Truppen erwiesen sich aber als wenig nützlich. Es gab Klagen wegen Nachtruhestörungen durch die mit Hunden patrouillierenden Einheiten und in Solothurn erschoss eine Bürgerwehr-Patrouille gar einen beim Obstdiebstahl überraschten Familienvater. Nach einigen Monaten schliefen viele Bürgerwehren wieder ein.
Im letzten Kriegsjahr nahm dann die Bürgerwehr-Bewegung im Zuge einer sich nach dem Umsturz in Russland ausbreitenden Revolutionsfurcht in bisher unbekanntem Ausmass Fahrt auf. In ländlichen Gebieten gingen teilweise bereits im Frühjahr 1918 improvisierte Bürgerwehren gegen sozialistische Veranstaltungen vor. Im Nachgang des Zürcher Bankangestelltenstreiks forderte dann am 25. Oktober Fritz Fleiner, Staatsrechtsprofessor an der Uni Zürich und Verwaltungsrat der Kreditanstalt, in einem Brief an Bundespräsident Felix Calonder Massnahmen, um „im Augenblick der Gefahr rasch zu handeln“ – „eventuell unter privater Mitwirkung“. Am 3. November, eine Woche vor dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbaren Landesstreik, begann der Anwalt und spätere Nationalrat der faschistischen „Union nationale“ Théodore Aubert in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Alpenclub (SAC) den Aufbau einer „Garde Civique“ in Genf mit der Absicht, eine landesweite Bürgerwehr-Organisation zu initiieren. Am 10. November lobte Paul Seippel, Romanistikprofessor am Polytechnikum Zürich, in einem Zeitungsartikel diese Genfer Initiative zur Abwehr des „socialisme asiatique“ und wünschte ihr landesweiten Erfolg (Journal de Genève, 10.11.1918). Am Abend des 11. Novembers, wenige Stunden vor Beginn des Landesstreiks, trafen sich auf Anregung des SAC-Zentralkomitees die Präsidenten von Schützen-, Turn-, Offiziers- und Unteroffiziersvereinen in Aarau, wo sich der Arzt, Offizier und nachmalige Mitgründer der Aargauischen Bauern- und Bürgerpartei Eugen Bircher an die Spitze der Bewegung stellte. Am selben Tag wurden in Basel, Bern und Lugano Bürgerwehren ins Leben gerufen, am Folgetag die Zürcher Stadtwehr. EMD-Vorsteher Camille Decoppet unterstützte am 13. November in einem Telegramm die Bildung von Bürgerwehren. Gleichentags bildete die Schweizerische Rückversicherungsgesellschaft in Zürich eine bewaffnete „Hauswehr“, die mit der Stadtwehr zusammenarbeitete und bis Mitte der 20er Jahre existieren sollte. In Genf, Basel und im Aargau kamen die von den Arbeiterorganisationen als „Knüppelgarden“ kritisierten Bürgerwehren bereits während des Landesstreiks im Kurierdienst, bei der Aufrechterhaltung des Trambetriebs sowie zur Bewachung von Geschäften zum Einsatz.
In den folgenden Monaten entstanden in unzähligen Gemeinden Bürgerwehren. Bereits am 7. Dezember 1918 übte eine sozialdemokratische Interpellation im Zürcher Kantonsrat Kritik an „diesem zum Bürgerkrieg führenden Treiben“. Die rechtliche Stellung der Bürgerwehren war erstmals am 18. November an einer militärischen Landesstreikkonferenz diskutiert worden. In der Armeeführung waren die Meinungen geteilt. Eine positive Einstellung zeigte Emil Sonderegger, nachmaliger Generalstabschef der Schweizer Armee und in den frühen 30er Jahren dann prominenter Frontist, der während des Landesstreiks die Ordnungstruppen in Zürich kommandiert und den berüchtigten Handgranatenbefehl erlassen hatte, die Bürgerwehren als „Stosstrupps der Gegenrevolution“ pries und am 22. November 1918 Weisungen für mögliche Einsätze der Zürcher Bürgerwehren verfasste. General Ulrich Wille, der in den Bürgerwehren potenzielle Konkurrenz und Hindernisse für Ordnungstruppen der Armee sah, schrieb dagegen am 20. November an Decoppet: „Wenn dann die Bürgerwehr ihre Pflicht tut, so haben wir den Bürgerkrieg, den Klassenkrieg im Lande.“ Der Armeeauditor meinte gleichentags in einem Schreiben an Generalstabschef Theophil Sprecher von Bernegg, „dass das Entstehen von Bürgerwehren an sich zu begrüssen ist“, gab aber zu bedenken, „dass wir m. E. auf diese Weise langsam den Bürgerkrieg vorbereiten“. Am selben Tag lehnte der Bundesrat eine finanzielle Bezuschussung von Bürgerwehren ab, während der Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes Ernst Laur deren gesetzliche Institutionalisierung forderte. Rudolf Mingers Berner Bauernpartei beschloss am 26. November die Bildung, Organisation und Bewaffnung von Bürgerwehren auf dem Land sowie eine Regelung der Lebensmittelversorgung im Streikfall. Eine Woche zuvor hatte die Stadtberner Bürgerwehr eine Petition lanciert, die vom Regierungsrat (erfolglos) die Amtsenthebung der sozialdemokratischen Mitglieder der Berner Stadtregierung forderte. Ungefähr zur selben Zeit sah ein geheimes Programm des Bauernverbandes mit dem Titel „Massnahmen gegen den Generalstreik“ die Kontrolle der Lebensmittelverteilung durch Bürgerwehren vor.
Im Auftrag des Bundesrats fertigte Generalstabschef von Sprecher im Winter 1918/19 ein Gutachten an, das zur Grundlage der Bürgerwehrorganisation wurde. Die Bürgerwehren sollten demnach nicht dem Bund, sondern Kantonen und Gemeinden unterstellt sein, denen auch deren rechtliche Regelung oblag. Einige Kantone anerkannten in den folgenden Monaten privatrechtlich organisierte Bürgerwehren oder wandelten sie gar in staatliche Hilfskräfte um, in anderen Kantonen blieb ihnen die staatliche Anerkennung versagt. Dazu gehörte Basel-Stadt, wo die private Bürgerwehr in der Folge auf Basis einer dünnen Rechtsgrundlage der Armee unterstellt wurde. Die Basler Bürgerwehr beteiligte sich im Frühjahr 1919 an der Verteilung von Wahlpropaganda der bürgerlichen Parteien und geriet wegen eines antisemitischen Flugblatts in die Kritik. In Grenchen verübten Mitglieder der lokalen Bürgerwehr Messerattacken auf Arbeiter. Eine „Volksgemeinde“ im Amphitheater Vindonissa am 24. November 1918, an der Eugen Bircher den Landesstreik als „gewalttägigen Umsturz“ bezeichnete und „fremde dunkle Mächte“ anprangerte, gab den Anstoss zur Gründung einer Bürgerwehr-Dachorganisation, die dann am 5. April 1919 in Gestalt des Schweizerischen Vaterländischen Verbandes (SVV) unter Birchers Präsidium erfolgte. Der Zweckartikel des SVV sah unter anderem vor, „gegebenenfalls in der ganzen Schweiz oder einem Teil derselben eine Gesamtaktion in die Wege“ zu leiten.
Die Bürgerwehren hatten in der Folge eine staatspolitisch sehr problematische Zwitterposition zwischen staatlicher Hilfsmiliz und ideologischem Paramilitär. Ihre Ausrüstung stammte überwiegend aus den Arsenalen des Bundes. Bis 1923 erhielten die Bürgerwehren der Kantone Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Fribourg, Solothurn und Aargau vom Bund 5’000 Gewehre, 50 Revolver, 800’000 Gewehrpatronen, 30’000 Pistolenpatronen und 19’000 Revolverpatronen. Die Aargauer Bürgerwehr, die 1920 über 14’000 Mitglieder zählte, besass aber auch Maschinengewehre, die wahrscheinlich aus Deutschland stammten. Ein undatiertes Schriftstück Eugen Birchers sprach von vier Maschinengewehren sowie Minenwerfern, die mit logistischer Hilfe der Lonzawerke Waldshut als „Eisenwaren“ in die Schweiz eingeführt wurden. Waffen- und Munitionsdepots befanden sich im ganzen Land verstreut. Der Zürcher Regierungsrat regte im Juli 1919 an, die Munition der Stadtwehr zwecks Entlastung der Polizei- und Militärkaserne in privaten Depots zu lagern – allerdings nur rechts der Limmat, also in sicherer Entfernung von den Arbeiterquartieren. Auch im Physikgebäude der Uni Zürich gab es ein Materiallager der Stadtwehr. Ausserdem gewährte ihr das Rektorat im Hauptgebäude ein Büro mit Telefonanschluss als Hauptquartier einer Infanterieabteilung. Für Aufsehen und ein parlamentarisches Nachspiel sorgte 1923 die Entdeckung eines Bürgerwehr-Waffenlagers im Postgebäude Olten, das unter anderem Handgranaten, Maschinengewehre und Infanteriemunition umfasste.
Die Finanzierung der Bürgerwehren erfolgte hauptsächlich aus privaten Mitteln. Der Vorstand der Nationalbank beschloss am 6. Dezember 1918 einen Zuschuss von 50’000 Franken, nachdem die Grossbanken bereits Gelder für die Bürgerwehren in Zürich (31’500 Franken) und Basel (20’000 Franken) gesprochen hatten. Mitte Februar 1919 verfügte die als Verein organisierte Zürcher Stadtwehr, die auf mehrere Tausend Mitglieder angewachsen war, über Mittel in der Höhe von 400’000 Franken. Total standen 1919 den fünf grössten Bürgerwehren 2,5 Millionen Franken zur Verfügung, die vor allem von Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen kamen. Der SVV propagierte Spenden aus der Wirtschaft als „Versicherungsbeiträge“. Die Zürcher Stadtwehr erhielt für den Einsatz im lokalen Generalstreik des Sommers 1919 aber nach langem Hin und Her auch eine Entschädigung von 10’000 Franken vom Kanton. Im zeitgleichen Basler Generalstreik machte die lokale Bürgerwehr sogar Gewinn: Ausgaben für den Generalstreikeinsatz von 230’000 Franken standen Spendeneinnahmen von 350’000 Franken gegenüber. Das Zürcher „Volksrecht“ prangerte Anfang 1920 die eigentümliche „Public Private Partnership“ bei der Finanzierung und Ausrüstung der Bürgerwehren in einem reisserischen Artikel auf der Frontseite als „Organisation des Bürgerkrieges“ an (Volksrecht, 26.1.1920). Daneben flossen Gelder vom schweizerischen sowie offenbar auch britischen Nachrichtendienst an den SVV.
Die Schweizer Bürgerwehr-Bewegung war international vernetzt. Ende 1919 forderte Ernst Laur auf Bitte bayerischer Rechtskreise den Bundesrat erfolglos auf, bei den Alliierten gegen die Entwaffnung der deutschen Einwohnerwehren vorstellig zu werden. Fast gleichzeitig unternahm Eugen Bircher eine Deutschlandreise zum Studium der Einwohnerwehren. Dabei tauschte er sich mit Waldemar Pabst und Erich Ludendorff aus. Pabst war im Januar 1919 als Freikorpsoffizier wesentlich an der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts beteiligt gewesen, hatte im Juli gleichen Jahres einen Putsch vorbereitet, spielte dann im März 1920 eine wichtige Rolle beim Kapp-Lüttwitz-Putsch, flüchtete nach dessen Scheitern nach Österreich und wurde in der Folge Stabschef der Heimwehr. In dieser Funktion stand er dann 1922 erneut mit Bircher in Kontakt. Ludendorff hatte seit dem Ausscheiden aus der deutschen Heeresleitung Ende Oktober 1918 massgebend an der Verbreitung der Dolchstosslüge mitgewirkt, der gemäss die Niederlage Deutschlands im Weltkrieg nicht von der militärischen Führung, sondern von Demokraten, Sozialisten und Juden zu verantworten sei, beteiligte sich dann am Kapp-Lüttwitz-Putsch und stand im November 1923 im Hitler-Ludendorff-Putsch mit an der Spitze eines erneuten Staatsstreichversuchs gegen die Weimarer Demokratie.
Ab 1920 pflegte der SVV einen regelmässigen Nachrichtenaustausch mit Bürgerwehr-Organisationen in Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, den Niederlanden, Grossbritannien und Österreich. Im November 1920 organisierte er zwecks Einrichtung einer überstaatlichen Nachrichtenzentrale einen internationalen Bürgerwehr-Kongress in Luzern mit Delegationen aus Deutschland, Spanien, Belgien, Italien, Dänemark, den Niederlanden und Grossbritannien, der aber ohne Resultat blieb. Der SVV wurde auch Teil der „Werkdienst-Internationale“, die von der aus den deutschen Freikorps erwachsenen „Technischen Nothilfe“ ins Leben gerufen worden war und sich von 1921 bis 1931 zu jährlichen Konferenzen traf. Eugen Bircher meinte 1921 in einer Rezension, es könne „auch einem Schweizer-Offizier nichts schaden“, sich mit der „Orgesch“ auseinanderzusetzen, „die in schwerer Not der Zeit geboren, sich den Schutz der bürgerlichen Ordnung zum Ziel setzte, wie alle diese Organisationen aber auch Missdeutungen ausgesetzt war“ (Allgemeine Schweizerische Militärzeitung, 16.4.1921). Théodore Aubert, SVV-Sekretär der Romandie, beriet 1920 die französische Regierung beim Aufbau der „Unions Civiques“, verfasste 1921 für eine französische Zeitschrift einen ausführlichen Artikel über die Bürgerwehren verschiedener Länder, den er als Separatdruck in 8’000 Exemplaren verbreitete, unternahm im selben Jahr eine Reise nach Lyon, Paris, London, Amsterdam und Brüssel zur Kontaktpflege mit den dortigen Bürgerwehr-Organisationen und initiierte 1924 die „Entente Internationale Anticommuniste“, die Ableger in 20 Ländern erhielt, in den 30er Jahren von Deutschland und Italien massiv finanziell unterstützt wurde und bis etwa 1950 existierte. Noch 1933 hielt ein SVV-Vertreter in Schweden mehrere Referate vor dortigen Bürgerwehrorganisationen.
Der Einsatz in den lokalen Generalstreiks von Basel und Zürich im Sommer 1919 blieb nach dem Landesstreik der einzige grössere Auftritt der Bürgerwehren, die dabei bewaffnete Patrouillen- und Bewachungsaufgaben, Dienste im Beobachtungs- und Meldewesen, bei der Infiltration von Streikversammlungen und der Strassenreinigung übernahmen. Danach gab es lediglich noch kleinere Einsätze, etwa im Frühjahr 1920 bei einem Streik in einer Weberei in Bäretswil (ZH). In den frühen 20er Jahren gingen parallel zur Abnahme der Revolutionsfurcht im Bürgertum die Mitgliederzahlen der Bürgerwehren rasant zurück. Zahlreiche Einheiten bestanden bald nur noch auf dem Papier. Viele Mitglieder, wie etwa der im Frühling 1919 der Luzerner Bürgerwehr beigetretene Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger 1919 Carl Spitteler, fühlten sich vom starken Rechtsdrall abgestossen und zogen sich rasch wieder zurück. Aus den Reihen der Bürgerwehren konstituierten sich Anfang der 20er Jahre, kurz nach Mussolinis Machtübernahme in Italien, die ersten faschistischen Organisationen der Schweiz: 1922 die „Ligue Nationale Suisse“ in der Waadt und 1923 die „Kreuzwehr“ in Zürich. Der SVV verlagerte seine Tätigkeiten in den 20er Jahren auf andere Gebiete, zunächst auf den „Werkdienst“ zur Aufrechterhaltung von Infrastrukturleistungen im Streikfall, dann auf die Bespitzelung linker Organisationen sowie rechtes Lobbying in Parlamenten und Behörden.
Im Unterschied zu den Nachbarländern im Norden, Osten und Süden entwickelten sich in der Schweiz die paramilitärischen Strukturen der Umbruchszeit am Ende des Ersten Weltkriegs nicht zu eigentlichen Parteimilizen weiter. Zwar betrieben die Bürgerwehren trotz ihrer stets betonten Überparteilichkeit zum Teil Wahlkampfhilfe für bürgerliche Parteien und lief die Formierung lokaler Bürgerwehren manchenorts parallel zur Gründung von Bauernparteisektionen. Teilweise gab es innerhalb der Bürgerwehren aber auch parteipolitische Konflikte, so 1924 in St. Gallen, als die Katholisch-Konservativen aus Protest gegen die angebliche freisinnige Unterstützung eines SP-Kandidaten bei einer Nachwahl zum Austritt aus der lokalen Bürgerwehr aufriefen. Im Tessin bildete sich 1923 die militant katholisch-konservative Jugendorganisation „Guardia Luigi Rossi“, die indessen entgegen ihrem Namen und der Uniformierung ihrer Mitglieder keinen paramilitärischen Charakter hatte.
Zudem unterliess es die „Gegenseite“, gleichermassen aufzurüsten. Der zum Anarchismus neigende, schon vor dem Krieg bei der SP in Ungnade gefallene Zürcher Arbeiterarzt Fritz Brupbacher hatte im Januar 1918 in seinem Tagebuch stichwortartig einen Revolutionsplan skizziert, in dem auch eine „Rote Garde aus prolet. Stadtbataillonen“ sowie eine „Gewerkschaftsmiliz“ vorkamen, der aber reine Phantasie blieb. Nach dem Landesstreik tauchten als Reaktion auf die überall entstehenden Bürgerwehren Forderungen nach dem Aufbau von „Arbeiterwehren“ auf. Robert Grimm erteilte solchen Ideen am Parteitag 1919 der Berner SP eine unmissverständliche Absage, auch wenn er es „angesichts der verbrecherisch-tollen Rüstungen des Bürgertums psychologisch durchaus begreiflich“ fand, „wenn da und dort von der Bewaffnung des Proletariats gesprochen wird“. Selbst bei der zu jener Zeit weit linksstehenden Arbeiterunion Zürich blieben Rufe nach Bewaffnung isoliert; der Vorstand lehnte im März 1920 die Gründung einer Zürcher Arbeiterwehr ab.
Die Schweiz kam damit nicht in die Situation, dass sich die politischen Lager mit aufgerüsteten Streitkräften gegenüberstanden. Lediglich an den Rändern des politischen Spektrums gab es um 1930 Ansätze zu einer Paramilitarisierung: 1927/28 begann Jakob Herzog mit Unterstützung des deutschen Roten Frontkämpferbundes den Aufbau von kommunistischen „Arbeiterschutzwehren“, die auf dem Höhepunkt 1931 schweizweit aber nur etwa 400 Mitglieder in 7 Lokalsektionen zählten. Diese Wehren waren einer der Konfliktpunkte im „Kartellstreit“ zwischen dem kommunistisch dominierten Gewerkschaftskartell Basel und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund, der 1927 in Ausschluss und Neugründung der gewerkschaftlichen Dachorganisation Basels mündete. Nachfolgeorganisation der Arbeiterschutzwehren war 1933/34 der „Kampfbund gegen Faschismus“.
Auf der extremen Rechten plante die „Heimatwehr“ 1933 den Aufbau von „Freikorps“, der aber im Projektstadium versandete. In Genf marschierten zur selben Zeit die Anhänger der „Union Nationale“ uniformiert durch die Strassen. Die „Nationale Front“ gründete zunächst sogenannte „Kampfgruppen“, dann die mit Stahlruhten (zynisch auch „Migränenstifte“ genannt) und Schlagringen bewaffneten und mit grauen Hemden, schwarzen Krawatten und Frontabzeichen uniformierten „Harste“. Bei einem Strategietreffen der Zürcher Frontenführer am 7. April 1933, die unter anderem die Bildung paramilitärischer Verbände diskutierten, war auch Emil Sonderegger beteiligt. Sein von einem Teil der Forschung vermuteter Anteil am Aufbau der Harste ist quellenmässig schwer zu fassen. Lokale Harste, die je einem „Gauharstführer“ unterstellt und ihrerseits in „Quartierblöcke“ untergliedert waren, entstanden in der Folge unter anderem in Zürich – wo die frontistische Parteimiliz etwa im Vorfeld der Gemeindewahlen 1933 von sich reden machte (vgl. SozialarchivInfo 6/2017) –, Schaffhausen, Winterthur, Baden, Brugg, Aarau und Basel. Auf nationaler Ebene amtierte ein „Landesharstführer“. Ein für Terroraktionen ausgebildeter Harst-Ausschuss, die „Gruppe Säntis“, verübte 1933 unter anderem einen Bombenanschlag auf die Redaktion des „Volksrechts“; andere Frontisten attackierten 1935 Teilnehmer des 19. Zionistenkongresses in Luzern. 1936 wurden die Harste durch den „Auszug“ ersetzt. Ab 1941 versuchte dann der Frontist und ehemalige Major Ernst Leonhardt von Deutschland aus, ein Schweizer „Freiwilligenkorps“ zur Unterstützung der Achsenmächte auf die Beine zu stellen.
Seitens der Behörden wurden solche Parteimilizen nicht goutiert. Der Bundesrat untersagte im Mai 1933 das Tragen von Parteiuniformen. Der Zürcher Regierungsrat verbot im Februar 1934 „Selbstschutz- und Angriffsformationen politischer Parteien und ähnlicher Gruppen“ und wandte dieses Verbot im Juli gleichen Jahres auf den Harst sowie den Kampfbund gegen Faschismus an. Ein im selben Jahr an der Urne verworfenes eidgenössisches Staatsschutzgesetz („Lex Häberlin II“) hätte unter anderem ein Verbot von Vereinigungen vorgesehen, die eine „Hinderung oder Anmassung der Ausübung staatlicher Gewalt“ anstrebten, davon aber behördlich anerkannte Bürgerwehren ausnahm. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden nicht mehr wie 1914/15 lokale „Bürgerwehren“ improvisiert, sondern der Armee unterstellte „Ortswehren“ mobilisiert, die dann bis 1967 existierten.
Die Schweizer Bürgerwehren der Landesstreikzeit waren insgesamt somit kein Sonderfall, sondern ein vergleichsweise moderater Ausläufer der Paramilitarisierung Europas in der Umbruchsphase nach dem Ersten Weltkrieg. Auch der nach einem spektakulären Aufschwung 1918/19 relativ rasche Bedeutungsverlust der Schweizer Bürgerwehren folgte einem gesamteuropäischen Muster: Die paramilitärischen Verbände erlangten insbesondere in denjenigen Staaten Bedeutung, die im Ersten Weltkrieg verloren hatten oder stark beschädigt aus dem Konflikt hervorgegangen waren. Das dadurch beeinträchtigte staatliche Gewaltmonopol in Kombination mit gravierenden materiellen Problemen, einer Brutalisierung durch die Kriegserfahrung und psychologischen Kompensationsbedürfnissen infolge der Enttäuschung über den Ausgang des Krieges mündete in aktuelle oder latente Bürgerkriege, die kurz- oder mittelfristig den Übergang zu Diktaturen begünstigten, welche die Paramilitärs der eigenen ideologischen Richtung dann in der Regel offizialisierten. Demgegenüber versanken die paramilitärischen Organisationen in politisch einigermassen stabilen Siegerstaaten und neutralen Ländern wie der Schweiz bald wieder in die Bedeutungslosigkeit.
Allerdings verschwand die Idee, mittels Bürgerwehren das Recht unter Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols in die eigene Hand zu nehmen, in der Folge selbst in der Schweiz nicht von der Bildfläche: 1955 machte in Uster eine bewaffnete Bürgerwehr sechs Wochen lang Jagd auf einen Brandstifter. In den 60er Jahren bildeten sich angesichts der Eskalation des Jura-Konflikts antiseparatistische „Gardes Civiles“ (vgl. SozialarchivInfo 1/2019). 1977 mischte sich in Olten bei einer Demonstration von Atomkraftgegnern eine spontane „Bürgerwehr“ handfest ins Geschehen ein. In den frühen 80er Jahren entflammte während der Zürcher und Berner Jugendunruhen (wie vereinzelt bereits 1968) eine Bürgerwehrdiskussion. 1990 drohte während des Konflikts um den Bau des Waffenplatzes Neuchlen-Anschwilen eine „nationale Bürgerwehr“ in anonymen Ankündigungen mit Gewalt gegen die Besetzung des Terrains durch Waffenplatzgegner und einige Monate später wurde das Camp der Besetzer von einem Dutzend uniformähnlich Gekleideter mit Schlagstöcken, Ketten, Messern und Petarden überfallen. Anfang 90er Jahre engagierte die „Aktion betroffener Anrainer“ private Sicherheitskräfte zur Kontrolle der offenen Drogenszene in Zürich und entwickelte Planungen für eine eigenständige Auflösung der Szene am Letten unter Umgehung der Polizei (vgl. SozialarchivInfo 5/2017). Die Medien schrieben in diesem Zusammenhang teilweise von einer „Bürgerwehr“. Im selben Kontext lehnte 1994 der Zürcher Gemeinderat einen CVP-Vorstoss zur Finanzierung privater Sicherheitspatrouillen ab, da diese, wie die FDP-Fraktion kritisierte, „gefährlich nahe an Bürgerwehren“ kämen. Auch in Bern gab es in den 90er Jahren im Zusammenhang mit den Drogenszenen eine Bürgerwehrdiskussion. Nach Krawallen an der Zürcher 1.-Mai-„Nachdemonstration“ 2000 drohte ein Communiqué der SVP, zu prüfen, „wie eine Bürgerwehr gegen 1.-Mai-Chaoten auf die Beine gestellt werden kann“.
Ab 1998 machte in Ebikon (LU) eine vierköpfige Bürgerwehr unter Leitung eines SVP-Lokalpolitikers und Ex-Boxers mit Schrotflinten, Morgenstern, Kettensägen, Pfefferspray und Handschellen Jagd auf Einbrecher. Gegen Nachtruhestörer, Drogendealer und Vandalen entstanden (teils nur kurzlebige) Bürgerwehr-Patrouillen auch in Giebenach (BL) (2003), Buchs (SG) (2004), Wangen-Brüttisellen (ZH) (2004), Oberwil bei Büren (BE) (2005), Amriswil (TG) (2005), Stabio (TI) (2007), Birsfelden (BL) (2009), Neuenhof (AG) (2009), Gais (AR) (2012) und Winterthur (2017). 2012 lancierten die „Schweizer Demokraten“ (SD) in Reinach (AG) eine Petition für die Aufstellung einer unbewaffneten Bürgerwehr. Sie wurde von den lokalen Behörden ebenso abgelehnt wie SVP-Vorstösse zur Einrichtung von Bürgerwehren in Riehen (BL) (2008 bis 2010 während einer Serie von Brandstiftungen) und Kriens (LU) (2015 nach der Einquartierung von 70 Flüchtlingskindern in einem leerstehenden Hotel). Asylpolitische Drohungen mit Bürgerwehren im Umfeld von Flüchtlingszentren gab es auch 2012 in Buchs (AG) und Landegg (AR) sowie 2017 in der Guglera (FR). 2015 initiierte in Genf ein Kampfsportlehrer und ehemaliger Fremdenlegionär die „Black Belt Patrol“, eine private Strassenpatrouille aus rund 30 Gürtelträgern. 2016 war im Nationalrat die kurz zuvor von der rechtsextremen „Partei National Orientierter Schweizer“ (PNOS) gegründete Formation „Ahnensturm“ ein Thema, welche das VBS aber nicht als paramilitärische Organisation einstufte. Im selben Jahr riefen – parallel zu ähnlichen Vorgängen in deutschen Städten – die Facebook-Gruppen „Zürich passt auf“ und „Bern passt auf“ zu lokalen Bürgerwehr-Aktionen auf.
Material zum Thema im Sozialarchiv (Auswahl)
Archiv
- Ar 1.124.10 Sozialdemokratische Partei der Schweiz: Nationalsozialistische Bewegung/Nationale Front
- Ar 2.20.9 Arbeiterunion Zürich: Vorstands-Protokolle, 1919–1923
- Ar 101.10.4 Nachlass Fritz Brupbacher: Tagebücher 1918–1919
- Ar 201.58 Aktion betroffener Anrainer (ABA)
Sachdokumentation
- KS 32/20 Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik
- KS 32/58 Schweizerischer Vaterländischer Verband, Bürgerwehren
- KS 331/260 Landesstreik 1918
- DS 1721 100 Jahre Aargauische Vaterländische Vereinigung
Bibliothek
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