Der Urnengang vom 7. Juni 1970 zeigte ein ungewohntes Bild: Bundesrat und Parlament, sämtliche Regierungsparteien, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Arbeitgeberorganisationen, Gruppierungen der Neuen Linken sowie die Presse von der „NZZ“ über den „Blick“ und das „Volksrecht“ bis zum „Vorwärts“ empfahlen die Vorlage zur Ablehnung – und dennoch schien der Ausgang der Abstimmung offen. Die Rede ist von der zweiten Überfremdungsinitiative, wegen ihres Aushängeschilds Nationalrat James Schwarzenbach zumeist als „Schwarzenbach-Initiative“ bezeichnet. Eine erste Überfremdungsinitiative hatten die Zürcher Demokraten 1965 eingereicht, drei Jahre darauf aber wieder zurückgezogen. Die einstige linksliberale Regierungspartei befand sich zu jenem Zeitpunkt in Agonie und öffnete ihre Listen teilweise Vertretern der sich formierenden Anti-Überfremdungsbewegung (vgl. SozialarchivInfo 6/2018). Nachdem bereits bei den Nationalratswahlen 1963 in Zürich zwei Anti-Überfremdungslisten („Schweizerische Volksbewegung gegen die Überfremdung“ und „Schweizervolk-Partei“) erfolglos kandidiert hatten, gelang der „Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat“ (NA) vier Jahre darauf trotz eines gesamtschweizerisch tiefen Stimmenanteils von 0,6 Prozent der Gewinn eines Mandats im Kanton Zürich, das an den Historiker und Redaktor James Schwarzenbach fiel. Hingegen blieben die ebenfalls erstmals antretenden „Vigilants“ in Genf erfolglos.
1968 lancierte die NA die zweite Überfremdungsinitiative. Sie forderte eine Beschränkung des Ausländeranteils in jedem Kanton (ausser Genf) auf 10 Prozent. Saisonniers, die sich jährlich nicht länger als neun Monate und ohne Familie in der Schweiz aufhielten, sollten von dieser Begrenzung ausgenommen bleiben, ebenso Pflege- und Spitalpersonal, qualifizierte Wissenschaftler und Künstler sowie einige weitere Gruppen. Bei betrieblichen Arbeitsplatzreduktionen sollte Ausländern zuerst gekündigt werden müssen. Die Senkung des Ausländeranteils durch erleichterte Einbürgerung schloss die Initiative weitgehend aus. Eine Annahme der Initiative hätte damit zur Folge gehabt, dass 300’000 bis 400’000 Menschen, insbesondere ItalienerInnen, die Schweiz hätten verlassen müssen.
Der Abstimmungskampf verlief intensiv und des Öfteren gingen dabei die Emotionen hoch. Schwarzenbach trat an unzähligen Veranstaltungen auf, erwies sich als rhetorisch versierter Diskutant und trieb auf Podien seine Kontrahenten mehrfach in die Enge. Die Gegnerschaft organisierte sich in einem bürgerlichen und einem sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Komitee. Letzteres stiess in den eigenen Reihen auf zahlreiche Sympathisanten der Schwarzenbach-Initiative. SP-Nationalrat Helmut Hubacher berichtete knapp fünf Monate vor der Abstimmung im „Volksrecht“ von gewerkschaftlichen Veranstaltungen, an denen Arbeiter die Gewerkschaftssekretäre fast ausgebuht hätten, und warnte, zwischen den Gewerkschaften und ihren Mitgliedern klaffe „in weiten Teilen noch ein Graben“ (Volksrecht, 27.1.1970). Im Kanton Zug gab die SP sogar die Ja-Parole zur Schwarzenbach-Initiative heraus, während das Gewerkschaftskartell Zug Stimmfreigabe beschloss. Die Nein-Kampagne der Wirtschaftsverbände betonte stark den volkswirtschaftlichen Nutzen der Gastarbeiter, welcher der Schweizer Bevölkerung zugute komme, und den Umstand, dass Ausländer vor allem körperlich anstrengende und schlecht bezahlte Tätigkeiten ausübten, für die sich keine Schweizer Arbeitskräfte mehr hergeben würden. Die emotionalisierte Atmosphäre des Abstimmungskampfs konnte sogar in Gewalt umschlagen: Am 20. März 1970 prügelte ein Aktivist der Anti-Überfremdungsbewegung in einem Zürcher Restaurant einen italienischen Dachdecker zu Tode, ohne dass von den Anwesenden jemand eingegriffen hätte.
Die (zu einem der letzten Male nur männlichen) Stimmberechtigten lehnten die Initiative schliesslich mit 54 Prozent Nein-Stimmen ab. Der „Blick“ jubelte: „Schwarzenbachab“, während das „Volksrecht“ nachdenklich titelte: „Schwarzenbach hat die Schlacht verloren – doch die Mobilmachung gewonnen“ (Volksrecht, 8.6.1970). Immerhin hatte es in den Kantonen Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Fribourg und Solothurn Ja-Mehrheiten gegeben. In der lateinischen Schweiz war die Ablehnung mit um die 60 Prozent Nein-Stimmen etwas stärker als in der Deutschschweiz, ein eigentlicher Röschtigraben tat sich aber nicht auf.
Der relative Erfolg der Schwarzenbach-Initiative kam nicht aus heiterem Himmel. Die Diskussion um eine angebliche „Überfremdung“ der Schweiz reichte bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Im späten 19. Jahrhundert wandelte sich die Schweiz von einem Auswanderer- zu einem Einwandererland. Hatte die Eidgenossenschaft jahrhundertelang Söldner nach ganz Europa exportiert und war im 19. Jahrhundert die Auswanderung armer SchweizerInnen nach Übersee und Russland auch behördlich gefördert worden (vgl. SozialarchivInfo 5/2018), so begann um 1880 die Zeit, welche die Migrationsgeschichte als „Jahrhundert der Italiener“ bezeichnet. Von 1850 bis 1910 stieg der Ausländeranteil in der Schweiz von 3 auf 14,7 Prozent. Die Eingewanderten konzentrierten sich vor allem auf Grenzregionen und industrielle Ballungsräume mit Ausländeranteilen zwischen 30 und 50 Prozent. In den 1890er Jahren kam es mit dem Berner „Käfigturmkrawall“ (1893) und dem Zürcher „Italienerkrawall“ (1896) zu zwei aufsehenerregenden Gewaltaktionen gegen italienische Arbeitsmigranten, die sich in zeitgleiche ähnliche Vorkommnisse in verschiedenen Teilen Europas einreihten. Kleinere Ausschreitungen gegen ItalienerInnen gab es 1893 in Lausanne und 1902 in Arbon.
Der Begriff „Überfremdung“ wurde vermutlich vom Zürcher Armensekretär Carl Alfred Schmid im Jahr 1900 geprägt. Seit etwa 1910 stieg er zu einem zentralen diskursiven Element der Schweizer Politik auf und ging auch in die Amtssprache ein. Die 1917 geschaffene eidgenössische Fremdenpolizei wurde explizit als Instrument gegen die „Überfremdung“ kreiert. In der Zeit um den Ersten Weltkrieg – während dem der Ausländeranteil in der Schweiz in Realität massiv zurückging – beklagten zahlreiche Reden und Publikationen eine angebliche wirtschaftliche, kulturelle und „rassische“ Überfremdung der Schweiz, zunehmend auch mit antisemitischer Schlagseite. Der Winterthurer Ingenieur Max Koller etwa monierte im Mai 1917 in einem Vortrag mit dem Titel „Die kulturelle Ueberfremdung der Schweiz“ vor der Neuen Helvetischen Gesellschaft „eine immer mehr zunehmende Trübung unseres Auges für die Erkenntnis der Schönheit unserer reinen natürlich gewachsenen Kultur“ und forderte, „dass wir Nichteuropäern, zu denen auch die Juden gehören“, die Möglichkeit zur Erlangung des Schweizer Bürgerrechts vorenthalten. Tatsächlich wurden in jener Zeit die Hürden für die Einbürgerung erhöht und insbesondere die dazu erforderlichen Wohnsitzfristen massiv ausgedehnt. Im Sommer 1919 erfolgte die Lancierung der ersten ausländerpolitischen Volksinitiative. Die Initianten stammten aus den Kreisen der im Gefolge des Landesstreiks entstandenen Bürgerwehren (vgl. SozialarchivInfo 3/2019). Die „Initiative betreffend die Erlangung des Schweizer Bürgerrechts und betreffend die Ausweisung von Ausländern“ wollte das passive Wahlrecht von Eingebürgerten einschränken und dem Bundesrat eine Ausweisungspflicht gegenüber Ausländern, die sich an verfassungswidrigen Umtrieben beteiligten oder „die allgemeinen Interessen der schweizerischen Volkswirtschaft“ verletzten, auferlegen. Der Bundesrat begrüsste das Begehren zwar inhaltlich, empfahl es aber aus formalen Gründen zur Ablehnung. 1922 wurde es vom Stimmvolk und sämtlichen Ständen sehr deutlich verworfen.
Der Begriff „Überfremdung“ gilt als schweizerische Erfindung, er tauchte aber spätestens in den 20er Jahren auch in der politischen Sprache Deutschlands auf, wo er sich insbesondere gegen Juden richtete. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verstärkte sich dieser Sprachgebrauch. So sprach Propagandaminister Joseph Goebbels 1933 von einer „Überfremdung des deutschen Geisteslebens durch das Judentum“. Auch die Schweizer Bewunderer des Dritten Reichs befleissigten sich in der Folge solcher Parolen.
Mit dem Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte eine erneute Zunahme der Wohnbevölkerung ohne Schweizer Pass. Die ImmigrantInnen kamen zunächst vor allem aus Italien, dann auch aus weiteren Ländern wie Spanien, Jugoslawien, Griechenland und der Türkei. Zwischen 1950 und 1970 nahm die Zahl der AusländerInnen in der Schweiz von 310’000 auf 1,2 Millionen zu. Der Ausländeranteil stieg damit von 6,1 Prozent im Jahre 1950 über 10,8 Prozent im Jahre 1960 auf 17,2 Prozent im Jahre 1970. Das mit Abstand grösste Kontingent stellten die ItalienerInnen, die 1960 59,2 Prozent und ein Jahrzehnt später immer noch 54 Prozent der AusländerInnen in der Schweiz ausmachten. Das Zusammenleben von SchweizerInnen und ItalienerInnen in urbanen Unterschichtenquartieren war bereits 1957 Thema von Kurt Frühs Spielfilm „Bäckerei Zürrer“. Anwerbeabkommen wurden 1948 und 1964 mit Italien und 1964 mit Spanien abgeschlossen. Dominierten kurz nach dem Krieg zunächst Frauen, so waren die MigrationsarbeiterInnen in der Folge mehrheitlich, aber keineswegs ausschliesslich männlich. Um 1960 stammte bereits die Hälfte der Beschäftigten im Baugewerbe aus dem Ausland. Das Sozialarchiv verfügt mit dem Film „Una condizione umana“ über ein rares filmisches Zeugnis zur Selbstwahrnehmung italienischer Migranten in der Schweiz. Der Film von Enzo Gistri, Nino und Piero Muzzi zeigt einen Sommersonntag in Luzern und kontrastiert helvetische Geschäftigkeit mit der Isolation eines italienischen Gastarbeiters. Die Immigration führte zur Entstehung einer gesellschaftlich wenig integrierten, politisch rechtlosen und bildungsmässig benachteiligten neuen Unterschicht. Dieses von der Soziologie als „Unterschichtung“ bezeichnete Phänomen ermöglichte Teilen der Schweizer Arbeiterschaft den sozialen Aufstieg in die unteren Mittelschichten.
Viele der MigrantInnen kamen als sogenannte Saisonniers nur vorübergehend in die Schweiz. Vor allem im Bau- und Gastgewerbe sowie der Landwirtschaft dominierte dieser Aufenthaltsstatus, der die Anwesenheit in der Schweiz auf 11,5 Monate (ab 1973: 9 Monate) pro Jahr beschränkte. In dieser Zeitspanne waren den Saisonniers Stellenwechsel und Familiennachzug untersagt. Durch eine Teilrevision des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) erhielten 1948 die Kantone die Kompetenz zur Erteilung temporärer Aufenthaltsbewilligungen für ausländische Arbeitskräfte, während für die dauerhafte Niederlassungsbewilligung die eidgenössischen Behörden zuständig blieben. In den 50er und 60er Jahren wurden insgesamt etwa 3 Millionen Saisonnierbewilligungen ausgestellt. Durch ein Rotationsprinzip sollte die Integration der Saisonniers gezielt unterbunden werden. Langfristig förderte diese Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte – die die Schwarzenbach-Initiative explizit nicht antasten wollte – die Strukturerhaltung und bremste wirtschaftliche Modernisierungsprozesse. Infolge der Wohnungsnot und tiefer Löhne lebten in den 50er bis 70er Jahren viele Saisonniers in Baracken oder alten Liegenschaften auf engstem Raum. Das Verbot des Familiennachzugs wurde nicht selten durch illegale Einreise umgangen und hatte zur Folge, dass die „versteckten“ Kinder, deren Zahl in den 70er Jahren auf 15’000 geschätzt wurde, nicht eingeschult werden konnten. Das zweite Anwerbeabkommen mit Italien von 1964 gab Saisonniers zwar langfristig die Perspektive, zu Jahresaufenthaltern und dann Niedergelassenen aufzusteigen. Offizielle Maxime der Migrationspolitik war jetzt nicht mehr die Nichtintegration durch Rotation, sondern „Assimilation“ derjenigen, die sich bewährt hatten und auf die die Wirtschaft langfristig angewiesen war. Erst in den 90er Jahren wurde das Saisonnier-Statut aber schrittweise abgeschafft.
In den 60er Jahren setzte eine politische und gesellschaftliche Debatte um die forcierte Immigration ein, die sich erneut um den Begriff „Überfremdung“ kristallisierte und weit über die sich formierende Antiimmigrationsbewegung hinausreichte. Schon 1961 schrieb beispielsweise das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA), der „Kampf gegen die Überfremdung“ sei eine „Aufgabe von nationaler Bedeutung“. Die Gewerkschaften forderten schon seit Mitte der 50er Jahre Massnahmen zur Reduktion der Arbeitsimmigration. Die Arbeitgeber rekrutierten zwar in der Hochkonjunktur stetig Arbeitskräfte im Ausland, stimmten aber Anfang der 60er Jahre ebenfalls in den Chor der über die „Überfremdung“ Besorgten ein. So sprach Gerhard Winterberger, Sekretär (und nachmaliger Direktor) des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (Vorort), 1961 in einer Rede von einer „Gefährdung der schweizerischen Eigenart“. Im Frühjahr 1963 setzte der Bundesrat eine sogenannte „Plafonierung“ in Kraft, die Arbeitsbewilligungen für Immigranten von der Verpflichtung des Arbeitgebers abhängig machte, seinen Belegschaftsbestand nicht zu erhöhen. Durch diese Restriktion bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze wollte die Landesregierung sowohl der „Konjunkturüberhitzung“ als auch der „Überfremdungsgefahr“ entgegenwirken. In Reaktion auf die erste Überfremdungsinitiative der Zürcher Demokraten sowie erneut im Vorfeld der Abstimmung über die Schwarzenbach-Initiative beschloss der Bundesrat weitere Begrenzungen bei der erwerbsbedingten Neuzuwanderung. Kurz nach der Abstimmung setzte er (als Vorläuferin der heutigen Eidgenössischen Migrationskommission) eine „Konsultativkommission zur Behandlung des Überfremdungsproblems“ ein. Durch die bundesrätlichen Begrenzungsmassnahmen wurde die Einwanderung im Jahrzehnt nach dem Höhepunkt von 1961/62 sukzessive um fast 60 Prozent reduziert. Dies war für Schwarzenbach und seine Mitstreiter aber noch zu wenig, um die Gefahr der „Überfremdung“ zu bannen.
Wer war James Schwarzenbach? Geboren 1911 in Rüschlikon (ZH) war er ein Spross der Seidenindustriellen-Familie Schwarzenbach und via seine Tante Renée Schwarzenbach auch mit der Generalsfamilie Wille verwandt. Er studierte von 1930 bis 1940 Geschichte an den Universitäten Zürich und Fribourg, gehörte zeitweise der Nationalen Front an und wurde 1934 durch antisemitische Auftritte aktenkundig. Ein Jahr zuvor war er unter dem Einfluss einer Spanienreise zum Katholizismus konvertiert. Nach dem Studium betätigte sich Schwarzenbach journalistisch und verlegerisch. 1947 übernahm er den Thomas-Verlag in Zürich, der auch antisemitische Schriften vertrieb. Von den 40er bis in die 70er Jahre setzte er sich publizistisch immer wieder für die Franco-Diktatur ein und zeigte Sympathien für den autoritären Staatsdenker des 19. Jahrhunderts Donoso Cortés. In den 60er Jahren publizierte er auch zwei Heimatromane, bevor er 1967 mit der Wahl in den Nationalrat die aktive politische Bühne betrat und mit der zweiten Überfremdungsinitiative innert kurzer Zeit zu einer zentralen, auch international bekannten Figur der Schweizer Politlandschaft aufstieg. Wenige Monate nach der Abstimmung zerstritt er sich mit der NA und rief die Schweizerische Republikanische Bewegung ins Leben, für die er noch bis 1979 im Nationalrat sass. Ein Jahr nach dem Rückzug aus der Politik publizierte er seine Autobiografie „Im Rücken das Volk“. Im Jahre 1983 schenkte Schwarzenbach seinen Vorlass dem Schweizerischen Sozialarchiv. Der neun Laufmeter umfassende Bestand beinhaltet die umfangreiche Korrespondenz Schwarzenbachs aus der Zeit seiner aktiven politischen Karriere, Zeitungsartikel und Propagandamaterial zur Schwarzenbach-Initiative, Akten zu Schwarzenbachs parteipolitischer und parlamentarischer Tätigkeit, Vorträge, Reden und Rezensionen sowie Unterlagen zu mehreren Gerichtsprozessen, in die Schwarzenbach verwickelt war. 1986 wurde der Bestand ergänzt durch die Akten der Republikanischen Bewegung, die Schwarzenbachs Sekretär und spätere SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer ablieferte. James Schwarzenbach starb 1994 in St. Moritz.
Schwarzenbach und seine Bewegung standen international nicht allein da. Auch andere westeuropäische Länder hatten während des lang anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs der „Trente Glorieuses“ die Arbeitsimmigration forciert. Die Bundesrepublik Deutschland schloss Anwerbeabkommen mit Italien (1955), Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko und Südkorea (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Wichtig war insbesondere das Abkommen mit der Türkei: Nach dessen Abschluss kamen bis zum Anwerbestopp im Gefolge der Erdölkrise im Jahre 1973 867’000 türkische ArbeitnehmerInnen nach Deutschland, wobei allerdings im selben Zeitraum eine halbe Million von ihnen wieder rückwanderten. Auch Frankreich rekrutierte bis 1974 Arbeitskräfte in Südeuropa. Zudem verstärkte sich im Zuge der Dekolonisation die Einwanderung aus den ehemaligen Kolonien, insbesondere aus Nord- und Westafrika. Grossbritannien deckte seinen Arbeitskräftebedarf stark aus dem „Commonwealth of Nations“, das nach dem Zweiten Weltkrieg als Vereinigung ehemaliger britischer Kolonien an die Stelle des Empires trat. Von 1948 bis 1962 (und eingeschränkt bis 1973) besassen BürgerInnen von Commonwealth-Staaten das Recht der visumsfreien Einreise und Niederlassung im ehemaligen Mutterland. Dies führte zu einer verstärkten Einwanderung etwa aus Pakistan, Indien und der Karibik.
Um 1970 herum erlebten in diesen Ländern Bewegungen mit xenophober Stossrichtung Auftrieb. In der Bundesrepublik war 1964 die Nationaldemokratische Partei (NPD) entstanden, die den Begriff „Überfremdung“ wieder ins politische Vokabular Deutschlands einführte und bei der Bundestagswahl 1965 mit dem Slogan „Deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche“ mit 2 Prozent der Stimmen an der Sperrklausel scheiterte. Von 1966 bis 1968 gelang ihr aber im Zuge der ersten Nachkriegsrezession der Einzug in sieben Landtage; das beste Resultat erreichte sie 1968 in Baden-Württemberg mit 9,8 Prozent. Bei den Bundestagswahlen 1969 scheiterte die NPD mit 4,3% relativ knapp an der Sperrklausel, in den folgenden Jahren verpasste sie aber bei sämtlichen Landtagswahlen den Sprung über die 5-Prozent-Hürde deutlich und schaffte erst nach der Jahrtausendwende wieder den Einzug in zwei Landtage der neuen Länder. Der Wiederaufstieg der extremen Rechten in Deutschland fand bereits 1968 in John Le Carrés Roman „A Small Town in Germany“ eine literarische Verarbeitung. In Frankreich gründete 1972 der ehemalige Fremdenlegionsoffizier Jean-Marie Le Pen als Zusammenschluss verschiedener nationalkonservativer und rechtsextremer Gruppierungen den Front National (FN), der bei den Parlamentswahlen 1973 auf 1,3 Prozent kam, dann aber bis Mitte der 80er Jahre eine elektorale Durststrecke durchlief.
Auch in Grossbritannien kam es in jenen Jahren zu einer Politisierung des Immigrationsthemas. Bei den Unterhauswahlen 1964 gewann im Wahlkreis Smethwick in den westlichen Midlands entgegen dem nationalen Trend der konservative Kandidat Peter Griffiths mit einer rassistischen Kampagne („If you want a nigger for a neighbour, vote Labour“). Der eigentliche „Schwarzenbach-Moment“ der britischen Politik kam dann 1968 mit der sogenannten „Rivers of blood“-Rede des Altphilologen und konservativen Abgeordneten Enoch Powell in Birmingham. Die in Anlehnung an eine Passage von Vergils Aeneis benannte Rede kritisierte die Zuwanderung aus dem Commonwealth sowie den neuen „Race Relations Act“, der Rassendiskriminierung bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und Wohnungen sowie bei öffentlichen Dienstleistungen verbot, und malte den Untergang des „weissen“ Grossbritannien an die Wand. Powell wurde umgehend aus dem konservativen Schattenkabinett gefeuert, auf den Strassen gab es Kundgebungen für und gegen ihn. Bereits ein Jahr zuvor war die „National Front“ (NF) entstanden, die Empire-Nostalgiker, Apartheidfreunde, Ausländerfeinde und Überreste der britischen faschistischen Bewegung der Zwischenkriegszeit vereinigte, eine Ausschaffung aller nichtweissen ImmigrantInnen forderte und sich dabei teilweise auf Powell berief. Zwischen 1972 und 1977 fuhr die NF bei verschiedenen Wahlen starke Resultate ein. Bei Unterhauswahlen trat sie nur in einzelnen Wahlkreisen an, schnitt dort aber auf Augenhöhe mit den anderen Kleinparteien ab. Bestes Resultat waren 16 Prozent und der dritte Platz bei einer Nachwahl in West Bromwich 1973. Bei den Lokalwahlen 1976 erzielte die NF in einer Reihe von Städten um die 20 Prozent. Im Londoner Stadtteil Deptford kam sie in einer Nachwahl sogar auf 44,5 Prozent. In den späten 70ern geriet die Partei dann in die Krise mit Fraktionskämpfen, Abspaltungen und Misserfolgen bei Wahlen.
Auch in der Schweiz ging die Anti-Überfremdungsbewegung nach der Schwarzenbach-Abstimmung weiter. Bei den Nationalratswahlen 1971 erlitten sämtliche etablierten Parteien Stimmenverluste. Schwarzenbachs Republikaner kamen dagegen aus dem Stand auf über 4 Prozent und gewannen sieben Mandate. Die NA legte ebenfalls zu auf 3,2 Prozent und gewann zu ihrem bisherigen Sitz drei dazu. Damit hatte die Bewegung ihren Höhepunkt aber erreicht. 1975 verloren die Republikaner vier und die NA zwei Sitze. Vier Jahre darauf schied Schwarzenbachs Partei gar ganz aus dem Parlament aus, löste sich aber erst Ende der 80er Jahre auf. Die NA (ab 1990 als „Schweizer Demokraten“) blieb dagegen noch bis 2007 im Nationalrat vertreten. Das hauptsächliche Mobilisierungsmittel der Anti-Überfremdungsbewegung blieben indessen Volksinitiativen. Wenige Monate nach der Abstimmungsniederlage der Schwarzenbach-Initiative lancierten die NA und die Republikaner je eine eigene Überfremdungsinitiative. Diejenige der NA kam 1974 zur Abstimmung und wurde von 65,8 Prozent der Stimmenden und sämtlichen Ständen verworfen. Diejenige der Republikaner scheiterte 1977 an der Urne mit 70,5 Prozent Nein-Stimmen. Am selben Wochenende gelangte eine weitere, wiederum von der NA lancierte Überfremdungsinitiative, die nunmehr fünfte ihrer Art, zur Abstimmung. Dieses vor allem auf eine Beschränkung der Einbürgerungen abzielende Begehren lehnten 66,2 Prozent der Stimmenden ab.
Die zunehmend schlechteren Resultate der sukzessiven Überfremdungsinitiativen waren nicht nur Ausdruck einer Ermüdung der Stimmberechtigten über das Thema – der „Nebelspalter“ machte sich 1975 über die Lancierung einer 38. Überfremdungsinitiative lustig –, sondern auch des Umstandes, dass sich mit der Erdölkrise die Situation markant veränderte. Trotz einer massiven Rezession mit einem Wirtschaftseinbruch von beinahe 7 Prozent stieg die Arbeitslosenquote, die vorher lange Jahre nahe der Nullprozent-Marke verharrt hatte, bis 1976 lediglich geringfügig auf 0,7 Prozent an. Die Schweiz vermochte die Arbeitslosigkeit weitgehend zu exportieren, indem sie etwa eine Viertelmillion GastarbeiterInnen in ihre Herkunftsländer zurückschickte. In der von der Krise besonders gebeutelten, bereits zuvor auch mit strukturellen Problemen kämpfenden Maschinen- und Metallindustrie waren um 1970 etwa ein Drittel der Beschäftigten AusländerInnen gewesen. Viele dieser Arbeitsplätze wurden in der Krise abgebaut. Hatten 1970 die Gegner der Schwarzenbach-Initiative gewarnt, die Ausweisung von Hunderttausenden von MigrantInnen würde eine Wirtschaftskrise nach sich ziehen, so kehrte sich nun die Kausalität um: Die Krise zog die Ausweisung einer grossen Zahl von Menschen nach sich. Dies nahm der Anti-Überfremdungsbewegung den Wind aus den Segeln. Erst 1983 wurde wieder eine Überfremdungsinitiative lanciert, die 1988 mit 67,3 Prozent Nein-Stimmen bachab geschickt wurde. Drei weitere Überfremdungsinitiativen scheiterten 1987, 1991 und 1997 bereits im Sammelstadium.
Als Reaktion auf die Flut von Überfremdungsinitiativen lancierte 1973/74 auf Anregung der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) eine aus 30 Organisationen und Parteien bestehende Arbeitsgemeinschaft, deren Akten sich wie diejenigen der KAB heute im Sozialarchiv befinden, unter dem Titel „Mitenand/Être Solidaires“ eine Volksinitiative für eine neue Ausländerpolitik. Sie forderte die Gleichbehandlung von SchweizerInnen und AusländerInnen, die Abschaffung des Saisonnier-Statuts und die Verpflichtung des Staats zur Integration der ausländischen Bevölkerung. 1977 eingereicht, gelangte das Volksbegehren 1981 zur Abstimmung und wurde mit 83,8 Prozent Nein-Stimmen deutlich verworfen. Im folgenden Jahr scheiterte auch der vom Parlament als indirekter Gegenvorschlag zur Mitenand-Initiative ausgearbeitete Entwurf für ein neues Ausländergesetz, gegen den die NA das Referendum ergriffen hatte, mit 50,4 Prozent Nein-Stimmen an der Urne knapp.
Die Anti-Überfremdungsbewegung Schwarzenbach’scher Prägung hatte sich spätestens in den 80er Jahren überlebt. Die NA verlagerte sich im Verlauf dieses Jahrzehnts, als sie bei kantonalen und kommunalen Wahlen verschiedentlich Überraschungserfolge verbuchen konnte, thematisch von der Arbeitsimmigration auf das politische Asyl. Zunehmend erhielt sie auch in diesem Themenfeld Konkurrenz, zunächst von der Auto-Partei, dann vor allem von der SVP. Migrationspolitische Initiativen und Referenden drehen sich seither hauptsächlich um die Themen Asyl, Bürgerrecht und Personenfreizügigkeit. Initiativen, die wie zu Schwarzenbachs Zeiten starre Ausländerobergrenzen und Einwanderungszahlen in die Verfassung schreiben wollten, kamen ab der Jahrtausendwende nur noch vereinzelt zustande und scheiterten deutlich: Im Jahr 2000 wurde die 18-Prozent-Initiative mit 63,8 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt, 14 Jahre darauf schickten 74,1 Prozent die Ecopop-Initiative bachab.
Material zum Thema im Sozialarchiv (Auswahl)
- Ar 1.240.8 (2) Sozialdemokratische Partei der Schweiz: Initiative Schwarzenbach II
- Ar 27.700.1 Sozialdemokratische Partei des Kantons Zürich: Abstimmungen 1970–1977
- Ar 40.70.11 Federazione Colonie Libere Italiane in Svizzera FCLIS: Iniziativa Essere solidali = Mitenand Initiative
- Ar 48 Zürcher Kontaktstelle für Ausländer und Schweizer
- Ar 52.75.13, Mappe 3 Verband der Gewerkschaften des christlichen Verkehrs- und Staatspersonals (VGCV): Unterlagen des Aktionskomitees gegen die Schwarzenbach-Initiative
- Ar 62 Mitenand-Initiative/Être Solidaires (1973–1990)
- Ar 108 Schwarzenbach, James (1911–1994)
- Ar 161.20.8 Schlup, Bernard (*1948): „Mitenand“-Initiative 1981
- Ar 173 Steiner, Hans (1897–1980)
- Ar 174 Aeschbach, Karl (*1935), Vorlass
- Ar 188.40.6 Keller, Max (1939–2014): Referate Ausländer
- Ar 201.36 Fortschrittliche Arbeiter, Schüler und Studenten (FASS)
- Ar 201.158 Da und fort – Wanderausstellung
- Ar 201.253 Dokumentation Sibilla Schuh zum Centro Scuola e Famiglia delle Colonie Libere Italiane
- Ar 428.20.5 Katholische Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbewegung der Schweiz (KAB): „Mitenand-Initiative“
- Ar 429 Berufsschule der Emigrierten/Scuola Professionale Emigrati SPE
- Ar 430.10.1 Mappe 2 Erklärung von Bern (EvB): Unterlagen zur Schwarzenbachinitiative
- Ar 430.26.1 Erklärung von Bern (EvB): Mitenand-Initiative 1973–1981 / Symposium „Entwicklung heisst Befreiung“ 1981
- Ar 597 Être Solidaire
- Ar 656.10.6 Dokumentation U. Knecht zur Asylpolitik: Mitenand Initiative
- Ar GBI 05C-0012 Gewerkschaft Bau und Industrie: Unterkunft ausländischer Arbeitnehmer
- Ar GBI 05C-0056 Gewerkschaft Bau und Industrie: Integrations- und Ausländerpolitik der Gewerkschaften
- Ar GBI 06A-0001 Gewerkschaft Bau und Industrie: Mitenand-Initiative: Abstimmungsunterlagen, Referate, Werbemittel, Grosskundgebung 1. Nov. 1980
- Ar GBI 06B-0014 Gewerkschaft Bau und Industrie: GBH-Grosskundgebung „Solidarität mit den ausländischen Arbeitnehmern“
- Ar GBI 06B-0025 Gewerkschaft Bau und Industrie: Gegen Initiative Nationale Aktion „Begrenzung der Einwanderung“, Xenofobia
- Ar GBI 06K-0001 Gewerkschaft Bau und Industrie: Ausländische Arbeitnehmer, Stellung und Probleme der Gewerkschaften
- Ar SGB G 491/3 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Ausländerfragen, 1974–1981
- Ar SGB G 675/6 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: SGB-Kampagne 18-Prozent-Initiative
- Ar SMUV 01D-0017 SMUV Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen: Ausländerpolitik (Gegenvorschlag zu Überfremdungsinitiative)
- Ar SMUV 01D-0018 SMUV Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen: Ausländerpolitik (Gewerkschaften und Überfremdungsinitiativen)
- Ar SMUV 05D-0004 SMUV Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen: Unterlagen der schweiz. Volksbewegung gegen die Überfremdung (Pressespiegel)
- Ar SMUV 06A-0010 SMUV Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen: 2. Schwarzenbach-Initiative: Abstimmungskampf
- F 5002 Federazione Colonie Libere Italiane in Svizzera (FCLIS)
- F 5021 Da und fort – Leben in zwei Welten: Immigration und Binnenwanderung in der Schweiz
- F 5108 Dokumentation Sibilla Schuh zum Centro Scuola e Famiglia delle Colonie Libere Italiane
- F 9032 Aargauischer Gewerkschaftsbund (AGB) [FILM]: Una condizione umana (ca. 1965)
- KS 32/122a Ausländische Arbeitskräfte: Internationale & zwischenstaatliche Gastarbeiterverträge
- KS 32/126 Ausländerfrage; Einwanderung: Schweiz
- KS 331/25 Fremdarbeiter, Gastarbeiter, Saisonarbeiter
- QS 02.3 C Ausländerfrage, Ausländerintegration; Einwanderung: Schweiz
- QS 02.3 C *18 18-Prozent-Initiative („Ausländerstopp-Initiative“)
- QS 02.3 C *M Mitenand-Initiative
- QS 22.5 Ausländerrecht
- QS 38.81 Republikaner (Schweizerische Republikanische Bewegung)
- QS 38.82 Nationale Aktion (NA); Schweizer Demokraten (SD)
- QS 75.8 Ausländische Arbeitskräfte, Gastarbeiter/-innen: Allg. & Ausland
- QS 75.8 C Ausländische Arbeitskräfte, Gastarbeiter/-innen in der Schweiz
- ZA 02.3 C Ausländerfrage, Ausländerintegration; Einwanderung: Schweiz
- ZA 02.3 C *M Mitenand-Initiative
- ZA 02.3 C *Ü Überfremdungsinitiativen
- ZA 04.9 Schum–Schwa Biografien: einzelne Personen: Schum–Schwa
- ZA 22.5 Ausländerrecht
- ZA 38.81 Republikaner (Schweizerische Republikanische Bewegung)
- ZA 38.82 Nationale Aktion (NA); Schweizer Demokraten (SD)
- ZA 75.8 Ausländische Arbeitskräfte, Gastarbeiter/-innen: Allg. & Ausland
- ZA 75.8 C Ausländische Arbeitskräfte, Gastarbeiter/-innen in der Schweiz
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- Argast, Regula: Staatsbürgerschaft und Nation: Ausschliessung und Integration in der Schweiz 1848–1933. Göttingen 2007, 118644
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