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Zeitschriften suchen leicht gemacht!

Neu können Sie im Lesesaal des Sozialarchivs virtuell das Angebot von über 900 periodisch erscheinenden Publikationen durchstöbern, die im Sozialarchiv physisch und/oder elektronisch zur Verfügung stehen. So finden Sie auch diejenigen Zeitschriften, die wir aus Platzgründen nicht im Freihandbereich auflegen können.

Die Benutzerführung am neuen Touchscreen und den Computern im Lesesaal ist so intuitiv wie möglich gestaltet und soll auch den Zugang zu Zeitschriften erleichtern, deren Titel man (noch) nicht kennt (Suche innerhalb von verschiedenen Sachgruppen).

Kommen Sie vorbei, probieren Sie die Suchfunktionen am Touchscreen aus und entdecken Sie altbekannte und neue Zeitschriften aus Ihrem Interessengebiet. Für Fragen steht Ihnen das Personal am Ausleihschalter gerne zur Verfügung.

Buchempfehlungen der Bibliothek

Magdalena Nadolska et al.: RABE – 20 Jahre alternatives Kulturradio Bern. Bern, 2017

Das nichtkommerzielle Berner Alternativradio Radio RaBe («Radio Bern») wurde 1996 gegründet und feierte 2016 sein 20-Jahr-Jubiläum mit verschiedenen Veranstaltungen, darunter Spezialsendungen, Konzerte und eine Ausstellung.
Nun ist das Buch zum Jubiläumsjahr erschienen und hält Rückschau auf eine bewegte Zeit. Die Geschichte des «krächzenden RaBen» wird mit zahlreichen Abbildungen von Dokumenten, Plakaten und Zeitungsausschnitten aufgerollt, die Gründungspersonen sowie heutigen SendungsmacherInnen berichten über die Arbeit hinter den Kulissen und auf der beigelegten CD gibt es Audio-Perlen aus dem Archiv beziehungsweise «RaBe-Horst».

> Im Tonarchivbestand der Radioschule klipp+klang (SozArch F 1032) hat es auch Audio-Dokumente von Radio Rabe.

Arlie Russell Hochschild: Fremd in ihrem Land – Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten. Frankfurt am Main, 2017

Nach dem Sieg von Donald Trump bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 2016 erschien in der New York Times ein Artikel mit dem Titel «6 Books to Help Understand Trump’s Win». Ausgewählt wurde auch das Buch der Berkley-Soziologin Arlie Russell Hochschild «Strangers in their Own Land».
Russell Hochschild reiste für ihre Recherchen nach Louisiana ins sogenannte «geografische Herz der Rechten» und machte sich ein Bild der dortigen Tea-Party-UnterstützerInnen. Selber eine entschiedene Anhängerin der Linken gelingt es Russell Hochschild in ihrem Buch, die Sorgen und Ängste derjenigen einzufangen, die sich vom Staat abgehängt und vergessen glauben. Doch stiess sie bei ihren Gesprächen auch immer wieder auf das «grosse Paradox», welches sie beispielsweise im Bereich Umweltpolitik ausmacht: Obwohl in Louisiana viele Gebiete durch Giftabfälle grosser Industriekonzerne zerstört wurden, wählen viele der betroffenen EinwohnerInnen rechte Politiker, die sich gegen staatlich finanzierte Umweltschutzprogramme einsetzen. Eine eindeutige Erklärung für dieses Verhalten findet sie nicht, vermag aber die Zusammenhänge zwischen den Interessen der Bevölkerung, Wirtschaftsvertretern und Politikern auf unvoreingenommene Art und Weise aufzuzeigen.

Stephanie Kleiner, Robert Suter (Hrsg.): Guter Rat – Glück und Erfolg in der Ratgeberliteratur 1900–1940. Berlin, 2015

Als erster einer auf drei Bände angelegten Reihe zu Glücks- und Erfolgswissen im 20. Jahrhundert untersucht «Guter Rat» die vielfältigen Beziehungen zwischen Glück und Erfolg. Im April 2013 fand an der Universität Konstanz ein von Stephanie Kleiner und Robert Suter organisierter erster Workshop zur Ratgeberliteratur zwischen 1900 und 1940 statt, dessen Ergebnisse der Band versammelt.
Glück und Erfolg können gemäss den AutorInnen als «Leitideen bei der Gestaltung individueller Lebensläufe im 20. Jahrhundert» gelten, was die Analyse der frühen Ratgeberliteratur in acht Texten zeigt. Astrid Ackermann beispielsweise legt in ihrem Beitrag dar, wie die Glücksratgeber anfangs des 20. Jahrhunderts predigten, dass das Glück nur im Kleinen zu finden sei, zu viel Glück aber auch gefährlich sein könne. Lu Seeger schreibt über den Lebens- und Eheberater Walther von Hollander, dessen populärer Ratgeber «Das Leben zu Zweien» 1940 erschien und einerseits mit nationalsozialistischen Ideologien korrespondierte, sich diesen andererseits aber auch entzog.
Auch im Bibliotheksbestand des Sozialarchivs finden sich Ratgeber-Klassiker aus dieser Zeit mit Titeln wie «Wege zum Erfolg», in 15. Auflage (!) «Sich selbst rationalisieren» oder auch – sehr eindeutig – «Mache dein Glück vor Vierzig!».

14.9.2017, 18.30 Uhr: Bücherabend «Grazie a voi»

Der Bildband «Grazie a voi», der begleitend zur Ausstellung «Ricordi e Stima» entstanden ist, zeigt anhand von Fotografien das Leben von Italienerinnen und Italienern, die während des Aufschwungs der Nachkriegszeit in die Schweiz kamen. Mit einer erheblichen Fremdenfeindlichkeit konfrontiert, gründeten sie hierzulande ihre eigenen Vereine, organisierten kulturelle Anlässe und Feste und eröffneten eigene Schulen und Kindertagesstätten. Das Buch versammelt vorwiegend private Fotografien dieser Welt, die sich die italienische Gemeinschaft in der Schweiz schuf und aus welcher heraus sie sich selbst, aber auch die Schweiz veränderte.

Die HerausgeberInnen berichten von der Entstehung des Buches und führen Gespräche mit ZeitzeugInnen. Begleitend dazu präsentiert das Sozialarchiv Medien zum Thema aus den eigenen Beständen.

Donnerstag, 14. September 2017, 18.30 bis ca. 20.00 Uhr
Schweizerisches Sozialarchiv, Medienraum

Eintritt frei, Anmeldung nicht nötig.
Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!

> Veranstaltungsflyer herunterladen (PDF, 468 KB)

Menschenkette um die Henrichshütte am 23. April 1987
Menschenkette um die Henrichshütte am 23. April 1987

Buchempfehlungen der Bibliothek

Udo Böhm (Hrsg.): 100 Hüttenleben – Arbeiterportraits von Astrid Kirschey. Essen, 2017

In Hattingen steht das ehemalige Hüttenwerk Henrichshütte, das 1987 stillgelegt wurde und heute als Industriemuseum Zeugnis von der Industriekultur im Ruhrgebiet ablegt. Gegen die Stilllegung formierte sich damals grosser Widerstand: Am 23. April 1987 bildeten 5‘000 Arbeiter und Arbeiterinnen, aber auch BewohnerInnen von Hattingen eine Menschenkette, um dagegen zu demonstrieren. Der Hüttenkampf ging trotzdem verloren.
Dreissig Jahre danach hat der Förderverein des Museums 100 ehemalige Hüttenwerker und Hüttenwerkerinnen zu den damaligen Ereignissen befragt (dem Buch liegt eine DVD mit den Interviews bei) und von der Fotografin Astrid Kirschey porträtieren lassen.

Kate Evans: Threads – from the refugee crisis. London, 2017

In der französischen Hafenstadt Calais entstand 2015 ein Flüchtlingslager, das bald den wenig schmeichelhaften Namen «Dschungel von Calais» bekam. Das Lager war bis im August 2016, als es schliesslich geschlossen wurde, für Tausende Migranten und Migrantinnen ein unfreiwilliger Aufenthaltsort, denn diese wollten eigentlich weiter durch den Eurotunnel nach Grossbritannien.
Die britische Comic-Künstlerin Kate Evans hat sich damals ein Bild vor Ort gemacht und ihre Erlebnisse zu einem eindrücklichen Comic verarbeitet.
> Mehr Infos zum Comic auf der Website von Kate Evans

Andreas Tscherigg: Krankenbesuche verboten! Die Spanische Grippe 1918/19 und die kantonalen Sanitätsbehörden in Basel-Landschaft und Basel-Stadt. Liestal, 2016

Die Studie von Andreas Tscherigg widmet sich einem bislang in der Geschichtsschreibung der Region Basel nur marginal betrachteten Thema: der Spanischen Grippe von 1918/19. Beleuchtet wird der Umgang der kantonalen Sanitätsbehörden in den beiden Basler Halbkantonen mit der bislang heftigsten Grippepandemie. Die vielen Erkrankungen, der grosse Anteil der jungen Toten und die Massnahmen gegen die Seuche hielten die Behörden bis ins Frühjahr 1919 in Atem.
Massnahmen gegen die Grippe umfassten Empfehlungen zur persönlichen Reinlichkeit, «Grippeferien» in den Schulen oder allgemeine Versammlungsverbote. Auch die Schwierigkeiten der Behörden bei der Grippebekämpfung werden thematisiert: Ob die Einrichtung von Notspitälern, der Mangel an Ärzten und Pflegepersonal oder die Nichtbeachtung von Massregeln durch die Bevölkerung – die Herausforderungen durch die Spanische Grippe waren ebenso vielfältig wie die in der Presse angepriesenen Wundermittel.

Neue Chronologie der Schweizer Drogenpolitik von Peter J. Grob

Peter J. Grob, Prof. em., Dr. med., ehemals Leiter der Klinischen Immunologie
am Universitätsspital Zürich, war in zahlreichen nationalen und internationalen Gremien insbesondere zur Bekämpfung von Hepatitis und Aids tätig. 2009 veröffentlichte er das Buch «Zürcher ‹Needle-Park› – Ein Stück Drogengeschichte und -politik 1968–2008» (eine 2. Auflage erschien 2012), welches das Alltagsleben auf dem Platzspitz, den Drogenhandel und die Reaktionen aus Politik und Medien der damaligen Zeit beschreibt. Diese Publikation war mit Fotos von Gertrud Vogler bebildert. Die Fotografin übergab ihr Negativarchiv im Jahr 2013 dem Sozialarchiv und die neu erschlossenen Fotos werden laufend über die Datenbank Bild + Ton zugänglich gemacht.
Nun hat Peter J. Grob in einem 50-seitigen Dokument mit dem Titel «Illegale Drogen und ihre medizinischen, sozialen und politischen Folgen: Eine Chronologie der Ereignisse in der Schweiz 1967–2016» die wichtigsten Begebenheiten und Entwicklungen in der Schweizer Drogenpolitik chronologisch zusammengefasst. Der Bericht wird von der Bibliothek des Sozialarchivs in digitaler Form zur Verfügung gestellt und ist über den NEBIS-Katalog zugänglich.

Susanne Brügger, Leiterin der Bibliothek des Sozialarchivs, hat sich mit Peter J. Grob zu einem kurzen Gespräch getroffen und ihm einige Fragen zur Thematik gestellt:

SB: Herr Grob, wie kamen Sie in den späten 1960er Jahren mit dem Drogenproblem in Berührung?
PG: Die klinische Immunologie des Universitätsspitals war damals europäisches Referenzlabor für die neu entdeckten Hepatitisviren geworden und erhielt Blutproben von vielen Ärzten, immer häufiger mit der Angabe, dass diese von Drogenkonsument/innen stammten. Von Drogen wusste ich wenig, wollte mir ein Bild machen, verliess den universitären Elfenbeinturm und kam mit der Realität ausserhalb in Berührung.

SB: Wie sah diese Realität aus?
PG: Ich traf auf Menschen, verstreut und in Gruppen, die aus der Normalität, wie ich sie selber kannte, herausgefallen waren. Sie befanden sich in verschiedenen Stadien: dahin dösend, in Trance oder verzweifelt nach Drogen, Geld und einer Bleibe suchend. Was vor allem beeindruckte, war die soziale und medizinische Verwahrlosung.

SB: Wie hat sich die Problematik nach 1968 weiterentwickelt?
PG: Die Zahl von intravenös spritzenden Konsument/innen von Heroin und Kokain nahm immer mehr zu, auch die Drogenkriminalität. Um den Anfängen zu wehren, beschloss das Schweizer Stimmvolk 1975, das Betäubungsmittelgesetz in Richtung Repression zu verschärfen. Zwei Lager standen sich danach gegenüber: einerseits die Befürworter des Betäubungsmittelgesetzes, das vorschrieb, dass die Drogensucht nur durch Repression und Entzug zu lösen sei, und andererseits die soziale und medizinische Seite, welche die Sucht als Krankheit einstufte. Die Hepatitis-Epidemie in den 1970er Jahren hatte die Bevölkerung und auch die Politik wenig aufgeschreckt. In Zusammenarbeit mit allen Zürcher Spitälern und zahlreichen Privatärzten hatte bereits 1981/82 die weltweit grösste Hepatitis-B-Impfaktion stattgefunden, die auch Drogenkonsument/innen miteinbezog, die aber kaum Beachtung fand. Dies änderte sich erst ab Mitte der 1980er Jahre mit dem Auftreten von HIV/Aids und der Erkenntnis, dass intravenös spritzende Drogenkonsument/innen besonders betroffen waren. Das machte Angst, Handeln war gefragt.

SB: Welche Änderung bewirkte HIV/Aids für Ihre Anliegen?
PG: Es waren nicht meine Anliegen, sondern es war generell eine neue Herausforderung für die Behörden und vor allem auch die sozio-medizinischen Kreise. Man hatte die Drogenkonsument/innen während Jahren von einem Ort zum anderen getrieben, was auch für die Ordnungskräfte und die Bevölkerung frustrierend war. Es gab zwar erste Drogenhilfestellen, die aber bald überlastet waren. Auch die Behörden der Stadt Zürich waren überfordert und suchten nach Alternativen. 1986 wurde der Platzspitz als Ort für geduldeten Drogenkonsum «freigegeben». Es entstand die weltweit erste offene Drogenszene dieser Art. Bald einmal versammelten sich dort Hunderte, dann Tausende Drogenkonsument/innen aus der ganzen Schweiz, weitgehend sich selbst überlassen, viele sozial und medizinisch verwahrlost, einige mit Hepatitisviren und HIV infiziert. Der Platzspitz war zu einem Ort geworden, wo sich Hepatitis und HIV auf die Bevölkerung ausbreiten konnten. Man musste handeln. Schliesslich kam das «Wunder von Zürich», so nannte ich das.

SB: Was bedeutet «Wunder von Zürich»?
PG: Die Behörden Zürichs und des Bundes ermöglichten das Zürcher Interventions-Pilotprojekt für Drogenabhängige gegen Aids (Zipp-Aids), dies unter der Trägerschaft der Sektion Zürich des Schweizerischen Roten Kreuzes, des Stadtärztlichen Dienstes, dreier Universitätsinstitute sowie des Bundesamtes für Gesundheit. Zürich sprach einen tranchenweisen Kredit von 3 Mio. Franken und das Bundesamt für Gesundheit einen von 2.4 Mio. Franken, obwohl vieles von dem, was wir dort taten – etwa die Spritzenabgabe – eigentlich gegen das geltende Betäubungsmittelgesetz verstiess. Innerhalb von 38 Monaten hatte man über zwei Millionen Kontakte zu Drogenkonsument/innen hergestellt, über 7 Mio. gebrauchte gegen sterile Spritzen ausgetauscht und tausendfach medizinische Hilfe geleistet.

SB: Was wäre geschehen, wenn man den Platzspitz nicht «erlaubt» hätte?
PG: Dann hätte sich HIV und Hepatitis in der Bevölkerung wohl noch stärker und rascher verbreitet. Schliesslich aber waren es die Verhältnisse auf dem Platzspitz, der inzwischen international «Needle Park» genannt wurde, die zu einem Umdenken in der eidgenössischen Drogenpolitik und Drogenhilfe hin zur Vier-Säulen-Strategie führten.

SB: Wie kam es zu dieser Vier-Säulen-Strategie und was beinhaltet sie?
PG: Man realisierte, dass man mit Repression keine Chance hatte, gegen Infektionen wie Hepatitis oder HIV zu kämpfen, und ebenfalls, dass eine Drogensucht so nicht einfach gestoppt werden konnte. Indem man die Repression um die Prophylaxe, Therapie und Schadensminderung erweiterte, entstand das Vier-Säulen-Modell – eine Pionierleistung der Schweiz, die in der Folge in vielen Ländern der Welt Nachahmung fand.

SB: Was denken Sie über den Platzspitz im Nachhinein?
PG: Er zeigte nicht nur die Bedrohung durch Hepatitis und HIV/Aids, sondern das ganze gesellschaftliche Ausmass der Drogenepidemie. Zuvor hatten Studien immer selektive Gruppen von Drogenkonsument/innen betroffen. Nun erkannte man deren ganzes Spektrum, das von höheren Angestellten, Student/innen, Lehrlingen, Prostituierten bis zu Aussteigern reichte, Personen auch «aus gutem Haus» umfasste, nicht nur aus der Stadt, auch vom Land. Ein Drittel der Platzspitz-Besucher/innen führte ein normales Leben, ein Drittel fiel aus dem System und fand wieder zurück, und ein Drittel landete einfach auf der Strasse.

SB: Ihre Chronologie endet nicht 1992 mit der Schliessung des Platzspitzes, sondern geht bis 2016. Was waren die Meilensteine in dieser Zeit?
PG: Ich möchte diese Frage in zwei Teilen beantworten. In der Schweiz entstand ein grosses Netzwerk von sozialer und medizinischer Drogenhilfe. Zwecks Schadensminderung der Drogensucht wurden die Methadonsubstitution und die heroingestützte Therapie eingeführt, was bei Tausenden Drogenabhängigen zumindest eine Stabilisierung der Sucht erlaubte. Prophylaktische medizinische Massnahmen wie die Hepatitis-B-Impfung und die immer erfolgreichere Behandlung von HIV/Aids führten zu einer starken Abnahme dieser Infektionen und deren Folgen, wobei bis heute aber noch namhafte «Altlasten» bestehen.

SB: Wie lautet der zweite Teil der Antwort?
PG: Vormals war der intravenöse Konsum illegaler Drogen das überragende Problem gewesen. Dann kamen zunehmend neue Drogen, Designerdrogen, in der Party- und Livestyle-Welt auf und brachten neue soziale und medizinische Probleme mit sich – eine neue Herausforderung. Man führte u.a. das Pillentesting ein. Ein Meilenstein war, dass das Schweizer Stimmvolk 2008 eine weitere Revision des Betäubungsmittelgesetzes annahm, welche die Vier-Säulen-Strategie weitgehend verankerte.

SB: Was sind Ihre wichtigsten Schlussfolgerungen 2017?
PG: Zum Schluss der Chronik 1967–2016 äussere ich meine persönliche Hoffnung, dass die Lehren, die sich daraus ziehen lassen, etwas zur Meinungsbildung für die zukünftige Drogenpolitik beitragen: hin zu einem weiteren Abbau der Stigmatisierung und Kriminalisierung von Konsument/innen illegaler Drogen, zur Aufhebung der Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Drogen sowie zum Festhalten am Vier-Säulen-Prinzip, an Prophylaxe, Therapie, Schadensminderung und adäquater Repression.

Marthe Gosteli, um das Jahr 2000 (Quelle: Gosteli-Stiftung)
Marthe Gosteli, um das Jahr 2000 (Quelle: Gosteli-Stiftung)

Buchempfehlungen der Bibliothek

Franziska Rogger: Marthe Gosteli – wie sie den Schweizerinnen ihre Geschichte rettete. Bern, 2017

Am 7. April diesen Jahres ist Marthe Gosteli im Alter von 99 Jahren gestorben. Nach ersten beruflichen Erfahrungen im Medienbereich während und nach dem 2. Weltkrieg stellte sie sich ab Mitte der 1960er Jahre ausschliesslich in den Dienst der Frauenbewegung und trug durch ihre Tätigkeit in verschiedenen Frauenvereinen massgeblich zur Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 bei. Bekannt ist auch die von ihr 1982 gegründete Gosteli-Stiftung in Worblaufen, die Trägerin des Archivs zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung ist.
In ihrem kurz nach dem Tod Gostelis erschienenen Buch beleuchtet die Historikerin Franziska Rogger das Leben und die Tätigkeiten einer Frau, die aus einem wertkonservativen Bauernhaushalt stammte, ohne akademische Bildung prägend für die Frauengeschichte der Schweiz wurde und nicht zuletzt entscheidend daran beteiligt war, dass diese Geschichte nicht in Vergessenheit geriet.

Michael Steinbrecher, Günther Rager (Hrsg.): Meinung – Macht – Manipulation. Journalismus auf dem Prüfstand. Frankfurt am Main, 2017

Vor allem seit Beginn der Pegida-Demonstrationen in Deutschland sehen sich die etablierten Medien immer wieder mit dem Vorwurf der «Lügenpresse» konfrontiert. Ebenso ist die aktuelle, von beiden Seiten erstaunlich hysterisch und emotional geführte «Fake-News»-Debatte Symptom einer Glaubwürdigkeitskrise der Medien. Doch worin besteht der Kern dieser Kritik? Wie ist es um die Qualität des Journalismus wirklich bestellt? Sind Medienschaffende wirklich «von oben» gesteuert?
Die Professoren Michael Steinbrecher und Günther Rager gehen zusammen mit vierzehn jungen Journalist/innen der Technischen Universität Dortmund diesen und weiteren Fragen wohltuend sachlich auf den Grund. Sie liefern Fakten zum Verhältnis von Pluralität und Rudel-Journalismus, untersuchen die Berichterstattung zum Thema Rechtsradikalismus und zeigen Wege, wie der Journalismus im digitalen Zeitalter aus seiner Glaubwürdigkeitskrise herausfinden kann.

Buchempfehlungen der Bibliothek

Kurt Seifert: Eine Jahrhundertgeschichte – Pro Senectute und die Schweiz, 1917–2017. Baden, 2017

Postkarte von Pro Senectute, 1934 (F Ka-0001-080)

Als der Erste Weltkrieg 1917 seinem Ende zuging, betrug die durchschnittliche Lebenserwartung der Schweizer Frauen 57, diejenige der Männer 54 Jahre. Es existierten weder soziale Auffangeinrichtungen noch eine Altersvorsorge, und für die grosse Mehrheit der Bevölkerung war Arbeit «bis ins Grab» die Regel. Es war denn auch die oftmals grosse materielle Not alter Menschen, die vor 100 Jahren zur Gründung der Stiftung «Für das Alter» – der heutigen «Pro Senectute» – führte.

Der Sozialwissenschaftler Kurt Seifert erzählt auf leicht lesbare Weise die Jahrhundertgeschichte der Entwicklung der schweizerischen sozialen Institutionen und führt uns vom Landesstreik über die AHV bis in die heutige Zeit, in der die Sicherung der Altersvorsorge im Zentrum steht und Pro Senectute sich für ein aktives, erfülltes Alter engagiert. Das Buch, in welchem auch zahlreiche Bilder aus den Beständen des Sozialarchivs abgedruckt sind, zeigt auf, wie dramatisch sich das Thema Altern in den letzten 100 Jahren gewandelt hat und welch grosse Rolle die Entwicklung tragfähiger sozialer Netze dabei spielte.

Material zum Thema im Sozialarchiv (Auswahl):

  • Ar 521 Archiv Pro Senectute Kanton Zürich
  • Ar 504 Pro Senectute Schweiz, Stiftungsarchiv
  • F 9045 und F 9046 Film- und Video-Beiträge von Pro Senectute
  • 132436 Matthias Ruoss: Fürsprecherin des Alters: Geschichte der Stiftung Pro Senectute im entstehenden Schweizer Sozialstaat (1917–1967), 2015

> Digitale Auswahl an Archivperlen aus dem Stiftungsarchiv auf der Website von Pro Senectute

 

Catherine Merridale: Lenins Zug. Die Reise in die Revolution. Frankfurt am Main, 2017

In «Lenins Zug. Die Reise in die Revolution» erzählt die britische Historikerin Catherine Merridale die Geschichte der berühmten achttägigen Zugfahrt Lenins im April 1917 von Zürich nach Sankt Petersburg, dem damaligen Petrograd.

Durch die unerwartete Kooperation der deutschen Obersten Heeresleitung ergab sich für den im Schweizer Exil lebenden Lenin 1917 die Möglichkeit, durch Deutschland nach Russland zu fahren. Anhand der Auswertung damaliger Fahrpläne, Agentendepeschen und Bankanweisungen liefert Merridale eine akribische Rekonstruktion dieser Reise; sie fuhr die Strecke auch selbst ab. Obwohl das Buch keine grundsätzlich neuen Fakten beinhaltet, bietet es dennoch eine spannende und unterhaltsame Lektüre.

«Reise Lenins durch Deutschland im plombierten Wagen», 1924

Material zum Thema im Sozialarchiv (Auswahl):

  • 79140 Fritz Platten: Die Reise Lenins durch Deutschland im plombierten Wagen, 1924
  • 96335 Peter Huber: Stalins Schatten in die Schweiz, 1994
  • Christian Koller: Vor 100 Jahren: Lenin im Sozialarchiv (SozialarchivInfo 1/2016)

> Die Zugfahrt Lenins von Zürich bis Schaffhausen wurde anlässlich des Jubiläums am 9. April 2017 mit einem Basler Theaterensemble in Zusammenarbeit mit den Universitäten Bern, Basel und Zürich nachgespielt. Informationen dazu finden Sie auf der Plattform www.revolution-1917.ch/.

 

Karl Lüönd: Der Unerbittliche – Karl Schweri (1917–2001), Kämpfer für faire Preise. Zürich, 2017

Zum 100. Geburtstag von Karl Schweri am 31. März 2017 ist die Biografie des Denner-Gründers erschienen. Denner hat für das Buch erstmals seine Archive geöffnet – und viel Überraschendes freigegeben.

Kundinnen greifen bei Denner (Super-Discount Lindenplatz) beim preisgünstigen Bierangebot zu, 1967 (Quelle: e-pics, ETH-Bildarchiv online)

Karl Schweri konnte hart sein, schroff und streitbar. Jahrzehntelang war er als Störenfried in der kartellfreundlichen schweizerischen Wirtschaft unterwegs. So kritisierte er etwa das Bierkartell, das ihn boykottierte, da er die Ware billiger verkaufen wollte, als die Lieferanten es vorschrieben. Später legte er sich mit der Tabakindustrie an.

Mit dem Handel mit Perlonfasern und Kugelschreibern machte er kurz nach dem Krieg sein erstes Vermögen. Dann führte er bankenunabhängige Immobilienfonds ein und hatte die Idee für das erste Shoppingcenter der Schweiz in Spreitenbach. Da die Grossbanken ihn aus dem Geschäft drängten, scheiterte der Plan jedoch. Als 1967 die Preisbindung für Markenartikel aufgehoben wurde, erweiterte er seine Kette von vorwiegend aus Familienbetrieben hervorgegangenen Läden in kurzer Zeit zu einer grossen Anzahl von Denner-Supermärkten, in denen er Waren zu einem bis zu 40 Prozent günstigeren Preis als die Konkurrenz anbot.

Material zum Thema  im Sozialarchiv (Auswahl):

  • ZA 59.1 *4 Discountläden: Denner (Zeitungsausschnitte 1957-2006)
  • QS 95.3 Warenhäuser, Discountläden, Ladenketten (Broschüren/Flugschriften 1960-)
  • Gr 1621 Promarca (Hrsg.): Der Verzicht auf die festen Endverkaufspreise beim Markenartikel im Spiegel der Presse, 1967
Zwangserziehungsanstalt Aarburg (oberhalb der Stadtkirche), ca. 1910 (SozArch F 7000 Fe-0002-33)
Zwangserziehungsanstalt Aarburg (oberhalb der Stadtkirche), ca. 1910 (SozArch F 7000 Fe-0002-33)

Buchempfehlungen der Bibliothek

Kevin Heiniger: Krisen, Kritik und Sexualnot – die „Nacherziehung“ männlicher Jugendlicher in der Anstalt Aarburg (1893-1981). Zürich, 2016

In der 1893 auf der Festung Aarburg gegründeten Zwangserziehungsanstalt sollten jugendliche Straftäter vor der gemeinsamen Inhaftierung mit Erwachsenen und damit vor negativen Einflüssen bewahrt werden. Der Anteil administrativer Versorgungen betrug allerdings von Beginn an rund die Hälfte aller Einweisungen, womit die Anstaltsgeschichte von Aarburg nach Kevin Heiniger auch die „Fortsetzung von Verdingkinder- und Fremdplatzierten-Schicksalen“ darstellt.
Kompetenzkonflikte kurz nach der Eröffnung der Anstalt, Misshandlungsvorwürfe und die Suizide zweier Jugendlicher in den Jahren um den Ersten Weltkrieg, die medienwirksame Anstaltskritik von 1936 und schliesslich die Heimkampagne um 1970 sind die Sondierungspunkte dieses auf der Dissertation des Autors beruhenden Buchs. Im Zentrum der Untersuchung stehen neben der Institutionsgeschichte, die dank eines nahezu lückenlosen Aktenbestandes genauestens dokumentiert werden konnte, die Lebenswelt und die zwischenmenschlichen Beziehungen der Jugendlichen, die anhand der überlieferten Personendossiers nachgezeichnet werden. Insbesondere werden die sexuelle Unterdrückung und deren Folgen für die Jugendlichen aufgezeigt. Im Quellenanhang ist zudem das eindrückliche Tagebuch des Jugendlichen Oskar M. angefügt, der die Jahre 1942 bis 1945 in der Erziehungsanstalt verbrachte.

Für die Arbeit benutzte Archivquellen aus dem Sozialarchiv:

  • Ar 135.45.1 Strafanstalt Aarburg, 1936
  • Ar 201.89.5 Heimkampagne

Thomas Brückner: Hilfe schenken – Die Beziehung zwischen dem IKRK und der Schweiz 1919-1939. Zürich, 2017

Seit seiner Gründung ist das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) mit der Schweiz verbunden. Das neue, aus der Dissertation des Historikers Thomas Brückner entstandene Buch widmet sich den verschiedenen Dimensionen dieser Beziehung in den Jahren zwischen 1919 und 1939.
Der Autor geht das bisher noch wenig erforschte Thema unter dem Blickwinkel des Schenkens an, da die „Konzentration auf beziehungsstiftende Abhängigkeiten durch den Tausch“ einen wesentlichen Aspekt der Beziehung zwischen der Schweiz und dem IKRK darstellt. Er untersucht die humanitären Einsätze, die vor dem Zweiten Weltkrieg von der Schweiz und dem IKRK ausgingen und widmet sich dann den konstanten Tauschbeziehungen zwischen den Institutionen, welche beide fest aneinander band.

Für die Arbeit benutzte Quellen aus der Sachdokumentation des Sozialarchivs:

  • Dossier 49.5 Rotes Kreuz
  • KS 362/49 Internationale Hilfsaktionen

Philippe Bender und Patrick Bondallaz, in Zusammenarbeit mit Roland Böhlen: 150 Jahre für mehr Menschlichkeit – das Schweizerische Rote Kreuz 1866-2016. Bern,  2016

Um das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) geht es in der Festschrift zum letztjährigen 150-Jahre-Jubiläum. Das SRK wurde drei Jahre nach dem Internationalen Roten Kreuz 1866 in Bern von General Henri Dufour, Bundesrat Jakob Dubs und weiteren Persönlichkeiten gegründet. Die Publikation zeichnet die Entwicklung der humanitären Organisation von ihrem Ursprung im 19. Jahrhundert bis zum heutigen Tag nach. Die Historiker und SRK-Mitarbeiter Philippe Bender und Patrick Bondallaz fassen die wichtigsten Ereignisse in einem übersichtlich gestalteten und reich illustrierten Buch zusammen.

> Die digitale Umsetzung findet man auf geschichte.redcross.ch, wo neben weiterem Bild- auch Videomaterial zu finden ist.

Material zum Thema im Sozialarchiv:

  • Dossier 49.5 Rotes Kreuz
  • Ar 201.28 Griechenlandhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes
  • Ar 20 Schweizerisches Arbeiterhilfswerk SAH

Helmut Altrichter:  Russland 1917 – ein Land auf der Suche nach sich selbst. Paderborn, 2017

Russland 1917: Das ist ein Staat im Krieg, eine Gesellschaft in der Krise. Der Zar wird gestürzt, der Sturm der Revolution fegt über das Reich. Doch wie es mit Russland weitergehen soll, bleibt heftig umstritten.
In der aktualisierten Ausgabe des Klassikers zur Geschichte des Revolutionsjahres entwirft der Autor das Panorama eines entscheidenden Jahres in der russischen Geschichte und führt in ein Land auf der Suche nach sich selbst. Einig ist es sich nur in dem, was es nicht will: in der Ablehnung der zarischen Autokratie. Über die Zukunft Russlands ist sich die polarisierte Gesellschaft hingegen uneins. An den Rändern des Vielvölkerreichs kommt es zu Unabhängigkeitsbestrebungen.
Helmut Altrichter hat seine Darstellung der Situation und der Kräfte und Kämpfe von 1917 anlässlich des 100. Jahrestages der Russischen Revolution um eine Rückschau auf Zeit, Ereignis und Mythos vom heutigen Standpunkt aus ergänzt.

Kleine Auswahl weiterer Bücher zum Thema im Sozialarchiv:

  • 135309 Moshe Lewin: The Soviet Century. London, 2016
  • 135290 Mark D. Steinberg: The Russian Revolution 1905-1921. Oxford, 2017
  • 135343 Andy Willimott: Living the Revolution: Urban Communes & Sowiet Socialism, 1917-1932. Oxford, 2017

> Vom 24.2. bis 25.6.2017 findet im Schweizerischen Nationalmuseum die Ausstellung „1917 Revolution – Russland und die Schweiz“ statt.

Buchempfehlungen der Bibliothek

Marina Widmer, Giuliano Alghisi, Fausto Tisato, Rolando Ferrarese (Hrsg.): Grazie a voi. Ricordi e Stima – Fotografien zur italienischen Migration in der Schweiz. Zürich, 2016

Von Integration sprach niemand, als die Italienerinnen und Italiener während des Nachkriegsaufschwungs in die Schweiz kamen; man erwartete von ihnen Assimilation. Dabei sahen sich die Gastarbeiter mit einer erheblichen Fremdenfeindlichkeit konfrontiert. Als Antwort auf die geschlossene schweizerische Gesellschaft gründeten sie ihre eigenen Vereine für Sport und Freizeit, organisierten kulturelle Anlässe und Feste und eröffneten eigene Schulen und Kindertagesstätten. Sie schufen sich ihre eigene Welt und veränderten von dort aus sich – und die Schweiz.
Der zweisprachige Ausstellungsband „Grazie a voi“, der auf die Ausstellungen in St. Gallen und Kreuzlingen 2016 folgt, zeigt Fotografien aus dem Leben dieser italienischen Migrantinnen und Migranten, und zwar ihre eigenen Bilder: Fotografien von Familien und Einzelpersonen sowie Fotografien, die an offiziellen Anlässen und Festen der italienischen Gemeinschaft aufgenommen wurden. Sie erzählen von Alltag und Familie, Bildung und Politik, von Freizeit und ehrenamtlichen Tätigkeiten in Vereinen, von Festlichkeit und Eleganz.

Joakim Eskildsen: American Realities. Göttingen, 2015

Gemäss Behördenangaben leben rund 45 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner unter der Armutsgrenze. Die kalifornische Stadt Fresno beispielsweise ist stark von Armut betroffen, hier lebt ein Viertel der Bevölkerung in prekären Verhältnissen.
Der Bildband „American Realities“ kommt bis auf ein Vorwort ohne Text aus – die Fotografien von Joakim Eskildsen sprechen für sich. Der dänische Fotograf, der für seine Werke immer wieder an den Rand der Gesellschaft geht, gibt den Armen in Amerika ein Gesicht und zeigt die Kehrseite des Mythos vom „American Dream“.

http://americanrealities.org bietet Zugang zu weiteren Fotografien aus dem Bildband sowie zu anderen Werken von Joakim Eskildsen.

Juri Auderset und Peter Moser: Rausch & Ordnung. Eine illustrierte Geschichte der Alkoholfrage, der schweizerischen Alkoholpolitik und der Eidgenössischen Alkoholverwaltung (1887-2015). Bern, 2016

Mit „Rausch & Ordnung“ liegt zum ersten Mal ein fundierter Überblick über die Geschichte der „Alkoholfrage“, der Schweizer Alkoholpolitik und der Eidgenössischen Alkoholverwaltung vor. Die Autoren erläutern unter anderem die Hintergründe der gescheiterten Totalrevision des Alkoholgesetzes und der bevorstehenden Auflösung der Alkoholverwaltung (EAV) und deren Integration in die Eidgenössische Zollverwaltung, welche 2018 vollzogen werden soll.
In fünf Kapiteln wird in „Rausch & Ordnung“ die Geschichte der sogenannten „Alkoholfrage“ nachgezeichnet, die es als solche nicht gibt, sondern gemäss Einleitung „vielmehr eine wandelbare, soziokulturelle Konstruktion“ ist. Wie Alkohol betrachtet und beurteilt wird, hängt stark vom Wandel der Arbeits- und Erwerbsformen ab, von wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen und der Einbettung des Trinkens in die soziale Alltagskultur.
Ein Unterkapitel widmet sich auch der Abstinenzbewegung, welche sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts als soziale Bewegung zu formieren begann und im Kern die totale Enthaltsamkeit forderte. Diverse Abstinenzvereine wurden gegründet, darunter 1877 auch das Blaue Kreuz, das heute noch existiert.

Material zum Thema „Alkohol“ im Sozialarchiv:

Arthur Conan Doyle 1894. Abbildung in seinem Artikel „An Alpine Pass on ‚Ski‘“, „The Strand Magazine“ (Quelle: Arthur Conan Doyle Encyclopedia)
Arthur Conan Doyle 1894. Abbildung in seinem Artikel „An Alpine Pass on ‚Ski‘“, „The Strand Magazine“ (Quelle: Arthur Conan Doyle Encyclopedia)

Buchempfehlungen der Bibliothek

Barbara Piatti: Von Casanova bis Churchill – Berühmte Reisende auf ihrem Weg durch die Schweiz. Baden, 2016

„Wenn du das erste Mal das Umwenden versuchst, glauben deine Freunde, es sei einer deiner schlechten Witze“, bemerkte Arthur Conan Doyle im Jahr 1894, als er in Davos das Skifahren lernte (kein Wunder, die Skis hatten damals eine Länge von 2.4 Metern!). Der Schriftsteller und Erfinder der Figur Sherlock Holmes löste damit einen eigentlichen Skiboom in der Schweiz aus. Doyle war übrigens schon ein Jahr früher in die Schweiz gereist, schliesslich diente ihm der Besuch bei den Reichenbachfällen dazu, seinen ihm etwas lästig gewordenen Protagonisten loszuwerden…
Arthur Conan Doyle war nur einer von vielen berühmten BesucherInnen der Schweiz. Barbara Piatti hat 35 von ihnen auf unterhaltsame Art porträtiert. So finden sich beispielsweise auch Berichte über die Reisen von Mary Shelley, Felix Mendelssohn-Bartholdy oder Winston Churchill in ihrem Buch. Ergänzt werden die Originaltexte und Illustrationen durch kommentierende Einführungen, die einen Einblick in individuelle sowie zeitspezifische Aspekte des Reisens geben.

Simon Geissbühler, Daniel Ryf: Der einarmige Auswanderer – Eine Spurensuche vom Emmental nach Argentinien. Zürich, 2016

„Ernst, geboren 1868, Farmer, Buenos Aires.“ Dieser mysteriöse Eintrag im Stammbaum der Familie Geissbühler löste eine abenteuerliche Suche aus, die vom Emmental in die argentinische Pampa führte. Wer war dieser Auswanderer und Ururgrossonkel von Simon Geissbühler? Warum verliess er 1889 erst 21-jährig allein das heimische Studen im Seeland? Wurde er wegen seiner Behinderung stigmatisiert? Wollte er in Argentinien ein neues Leben aufbauen? Wie erging es ihm in Südamerika?
Im Buch ist die Spurensuche dokumentiert, die Geissbühler mit Hilfe von Daniel Ryf im Internet, in Archiven und in Schweizer Konsulaten in Argentinien durchgeführt hat. Tagebuchartige Einträge formulieren Gedanken und Erlebnisse dieser Entdeckungsreise. Dazwischen eingestreut sind Fakten und Aussagen, die auf Quellenrecherchen und Forschungsliteratur beruhen. Damit stellt das Buch nicht nur einen Beitrag zur Geschichte der Schweizer Überseeauswanderung dar, sondern beinhaltet auch eine berührende Familiengeschichte mit einem unerwarteten Ausgang.

Harm-Peter Zimmermann, Andreas Kruse, Thomas Rentsch (Hrsg.): Kulturen des Alterns – Plädoyers für ein gutes Leben bis ins hohe Alter. Frankfurt, 2016

Wie wollen wir im Alter leben? Welche kulturellen und sozialen Bedingungen sind dafür ausschlaggebend? – Altersforscher unterschiedlicher Disziplinen, unter anderem der Kultur- und Medienwissenschaft, Ethnologie, Soziologie und Theologie, loten Möglichkeiten des Alterns in globaler Perspektive aus. So widmet sich der Alters- und Generationenforscher François Höpflinger, der vor zwei Jahren mit der Veranstaltungsreihe „Drittes Lebensalter – Eine neue Generation im Aufbruch“ Gast im Sozialarchiv war, der Entwicklung von Altersbildern und der Frage, wie sich diese im Lauf der Zeit gewandelt haben. Zum Beispiel zeigt er in seinem Beitrag, dass defizitorientierte Theorien des Alters ab den 1970er und frühen 1980er Jahren in der Wissenschaft allmählich von kompetenzorientierten Theorien des aktiven, erfolgreichen und gesunden Alterns abgelöst wurden.
Ein Kapitel thematisiert das Altern beispielsweise in China oder Kamerun, ein anderes beleuchtet die konkreten Möglichkeiten und Grenzen des Alterns in Europa, so etwa ein Beitrag über das Leben hochbetagter Menschen mit Demenz im ländlichen Raum.
Grundsätzlich will das Buch den gängigen Vorstellungen einer negativ verstandenen Vergreisung der Gesellschaft entgegenwirken und aufzeigen, wie die Kunst des humanen Alterns gelingen kann.