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Propagandafilme aus der Zeit des Kalten Kriegs

Unverhofft ist das Sozialarchiv zu einem spannenden Filmbestand gekommen: Rund 60 Propagandafilme aus dem Kalten Krieg sind nun online zugänglich. Sie stammen aus der Sowjetunion und der DDR und kamen auf nicht mehr vollständig rekonstruierbaren Wegen in die Schweiz, wo sie zuletzt beim Sammler Roland Gretler landeten.

Eine handschriftliche Notiz – «Filmbestand Wälli Moser» – war lange Zeit die einzige Information über mehrere Dutzend Filmrollen, die im Keller des «Panoptikums zur Sozialgeschichte» von Roland Gretler im Zürcher Schulhaus Kanzlei lagerten. Anlässlich der Übernahme des Panoptikums nach dem Tod Gretlers stellte sich heraus, dass er selber die Filme gar nie geschaut oder anderweitig verwendet hatte. Ebenso fehlten weitere schriftliche Hinweise, die über Herkunft, Inhalt oder Verwendung der Filme hätten Auskunft geben können. Es blieb also nur der Weg über den Visionierungstisch, ein Gerät aus der mittlerweile verblichenen Zeit des analogen Films, welches das Abspielen von 16mm-Filmen ermöglicht.

Im Sommer und Herbst 2021 schauten sich die beiden Projektmitarbeiter Basil Biedermann und David Schlittler die Filme integral an und protokollierten in einer Tabelle formale, konservatorische und inhaltliche Aspekte. Diese Informationen liefern die Basis für die archivische Bewertung, also für den Entscheid, was mit dem Material geschehen soll. In der Regel wird historisch wertvolles Material digitalisiert, damit Zugänglichkeit und Erhaltung gewährleistet sind. Nur wenn der physische und chemische Zustand dies nicht erlaubt und auch eine Restaurierung nicht möglich ist, wird Filmmaterial entsorgt – in diesem Fall war das glücklicherweise nicht nötig.

Das erste Fazit nach der Visionierung: Wälli Mosers Sammlung besteht fast ausschliesslich aus Propaganda- und Imagefilmen aus der Sowjetunion und der DDR. Weil viele Filme über einen deutschen (oder französischen) Kommentar verfügen, liegt die Vermutung nahe, dass sie auch für ein deutschsprachiges Publikum produziert wurden. Recherchen ergaben schliesslich, dass Walter Moser Mitglied der Basler PdA war. Ausserdem engagierte er sich in den sogenannten Freundschaftsgesellschaften wie der Gesellschaft Schweiz-UdSSR. Er war im Besitz eines 16mm-Projektors und hat vermutlich an Veranstaltungen dieser Freundschaftsgesellschaften oder der PdA als Filmoperateur fungiert. Er sammelte und lagerte die Kopien bei sich zu Hause und später in einer Garage, bis die fehlende Nachfrage nach solchen Filmen und das Aussterben der analogen Formate die Rollen obsolet machte. Roland Gretler holte sie dann 2003 von Basel nach Zürich, wo sie im Schulhauskeller verstaubten.

Walter Moser und seine Vorgänger als Filmoperateure dürften einiges zu tun gehabt haben. Ein Blick in die Akten der Gesellschaft Schweiz-Sowjetunion (SozArch Ar 23) zeigt, dass Filme zumindest in den 1950er Jahren eine tragende Rolle in der Organisation spielten. Die Gesellschaft war 1944 zum Zweck der Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten gegründet worden. Gegenseitige Besuche und ein kultureller Austausch sollten das Misstrauen ausräumen, das im Westen gegenüber dem riesigen kommunistischen Land vorherrschte. In grösseren Städten der Schweiz entstanden lokale Ableger der Gesellschaft Schweiz-Sowjetunion. Für die Ortsgruppe Basel ist belegt, dass es monatlich mindestens eine Filmvorführung gab. Gezeigt wurden (oft im Unionssaal des Volkshauses) Spielfilme, Literaturverfilmungen, Dokumentarfilme über technische Meisterleistungen oder Landschaftsporträts (SozArch Ar 23.10.6).

Doch zurück zur Bestandesbearbeitung im Sozialarchiv: Nach der Visionierung sollte eine gründliche Recherche in verschiedenen Datenbanken Klarheit darüber bringen, ob die Filme allenfalls schon anderswo in einer Gedächtnisinstitution aufbewahrt werden und vielleicht sogar schon digital zugänglich sind. Weil die Digitalisierung ziemlich kostspielig ist, lohnt sich dieser Schritt unbedingt. Hierfür durchsuchten die beiden Projektmitarbeiter die Datenbanken internationaler Filmportale und nationaler Kinematheken. Das Resultat war einigermassen erstaunlich: Obwohl es sich bei fast allen Filmen um industriell gefertigte Massenware handelt, haben die wenigsten im Internet irgendwelche Spuren hinterlassen. Natürlich heisst das noch lange nicht, dass nicht irgendwo auf der Welt noch weitere Kopien vorhanden sind. Im Zweifelsfall aber bedeutet für uns der fehlende Online-Nachweis das Gut zur Digitalisierung.

Eine Ausnahme stellen die Produktionen der DEFA dar, der ehemaligen staatlichen Filmproduktion der DDR. Eine Kontaktaufnahme mit der DEFA-Stiftung, die 1999 zur Rettung des Filmschaffens der DDR gegründet wurde und sich seither vorbildlich um den Nachlass kümmert, ergab nämlich, dass die Sammlung Moser tatsächlich DEFA-Filme enthielt, die im Stiftungsarchiv noch nicht vorhanden waren. Im Sinne der Vollständigkeit des DEFA-Archivs wurden deshalb 28 Rollen ins Deutsche Bundesarchiv transferiert, wo die Stiftung die Originale aufbewahrt. Die verbleibenden 60 Filme im Umfang von 90 Filmrollen wurden von Frühling bis Herbst 2022 vom Lichtspiel in Bern digitalisiert.

In den letzten Monaten entstanden nun anhand der digitalen Dateien die ausführlichen Beschreibungen. Sie bestehen aus einem Abstract und einer detaillierten Inhaltsbeschreibung, die an Timecodes gebunden ist. Vor allem Letzteres ist enorm zeitaufwändig, bringt allerdings für die Recherche immense Vorteile: Dank der Volltextsuche findet man in kurzer Zeit den gewünschten Filmausschnitt, ohne den ganzen Film anschauen zu müssen.

Der Grossteil der Filme stammt aus den 1950er bis 1970er Jahren. In Moskau, Leningrad, Minsk und Kiew betrieb die sowjetische Filmindustrie grosse Produktionsstätten für Dokumentar- und Spielfilme. Deren Output war einerseits für den heimischen Markt gedacht, gelangte aber vielfältig synchronisiert auch in den Westen und wurde dort über die sowjetischen Botschaften in die Programme der Freundschaftsgesellschaften eingespeist. Inhaltlich sind die Filme darauf getrimmt, ein möglichst positives Bild der Sowjetunion zu vermitteln. Die Leistungen auf wirtschaftlichem, technischem, sportlichem und sozialem Gebiet werden in professionell gemachten, meist kurzen Filmen hervorgehoben. Der Film «Für den Menschen» von 1966 schildert zum Beispiel die Errungenschaften des sowjetischen Gesundheitswesens anhand des Schicksals eines Schlossers in Kiew: Bei einer Vorsorgeuntersuchung in seinem Maschinenbauwerk klagt er über Schmerzen im Oberbauch. Zur Abklärung wird er in die Klinik «Oktoberrevolution» eingewiesen, «eine von 266 medizinischen Einrichtungen in Kiew». Bei den umfassenden Untersuchungen werden ein eindrücklicher Maschinenpark, moderne Labore und eine umfassende Krankenpflege ins rechte Licht gerückt. Danach steht die Diagnose fest: Der Schlosser leidet an einer Gallenblasenentzündung und wird vom leitenden Professor persönlich operiert, «einem einfachen und freundlichen Mann». Nach der Operation unterhält sich das Ärztekonsilium über die weiteren Behandlungsschritte und entlässt den Schlosser wieder an seinen Arbeitsplatz. Der Kommentar weist darauf hin, dass die ganze Behandlung kostenlos war und der Schlosser wie alle anderen kranken Arbeiter:innen während des gesamten Spitalaufenthalts 90% seines Lohns erhielt.

Andere Filme sind Propaganda in Reinkultur. Im Oktober 1973 gelang es der Sowjetunion, in Moskau einen «Weltkongress der Friedenskräfte» auszurichten. Vertreter:innen von über 1’000 Organisationen weltweit folgten der Einladung. Die rund halbstündige filmische Dokumentation beginnt mit einer pathetischen Ansprache an den Planeten Erde, der vielerorts (Naher Osten, Kambodscha, Südafrika…) in kriegerische Ereignisse verstrickt sei. Das propagandistische Machwerk gipfelt in der Rede Leonid Breschnews – ihm wurde während des Kongresses der «Internationale Leninpreis für die Festigung des Völkerfriedens» verliehen. Geschickt inszeniert der Film die diverse, internationale Beteiligung am Kongress. Vertreterinnen kenianischer Frauengruppen kommen ebenso zu Wort wie der damalige UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim. Einen emotionalen Höhepunkt bietet der Auftritt der Witwe des kurz vor Kongressbeginn gestürzten und verstorbenen chilenischen Präsidenten Salvador Allende. Sie berichtet über das Schicksal Chiles nach dem faschistischen Umsturz.

Der gesamte Filmbestand (SozArch F 9093) ist ab sofort online verfügbar.

Pier Paolo Pasolini im Quarticciolo in Rom, 1960 (Foto: Urheber:in unbekannt/L'Espresso/Wikimedia Commons)
Pier Paolo Pasolini im Quarticciolo in Rom, 1960 (Foto: Urheber:in unbekannt/L'Espresso/Wikimedia Commons)

Buchempfehlungen der Bibliothek

Valerio Curcio: Der Torschützenkönig ist unter die Dichter gegangen. Fussball nach Pier Paolo Pasolini. Bad Herrenalb, 2022

Pier Paolo Pasolini (1922-1975) war ein italienischer Intellektueller, der allen politischen Lagern und manchmal auch seinen Freunden unbequem war. Er selbst bezeichnete sich als Schriftsteller, er war aber auch Maler und Zeichner, Sprachwissenschaftler, Schauspieler, Herausgeber, Drehbuch- und Theaterautor, Regisseur, Journalist und nicht zuletzt ein vielbeachteter Gesellschaftskritiker. Und daneben, zwischendurch, immer wieder, bis zu seinem brutalen Tod, war Pasolini auch noch ein ambitionierter und passionierter Fussballer.
So richtig glücklich war er nur, wenn er selber Fussball spielen konnte. Danach wurde er wieder zum unruhigen, geplagten Erwachsenen, der zeitlebens wegen seiner Homosexualität an den Pranger gestellt wurde. Im Buch gibt es ein Foto, das Pasolini im Fussballtrikot zeigt, als Spieler in der Fussballmannschaft «Sänger und Schauspieler», entspannt lächelnd, so wie man ihn selten sah. Pasolini begriff den Fussball als universelle Sprache, als Mittel der Kommunikation, der Interaktion, der Teilhabe – und dies galt für die Schotterplätze der römischen Peripherie wie für die grossen Spektakel der ersten Liga gleichermassen.
Valerio Curcio macht Pasolini, welcher mit einem Fussballtrikot auf dem Sarg zu Grabe getragen wurde, mit diesem umsichtigen, detailreichen und dabei stets gut geerdeten, sich ganz auf den Fussball fokussierenden Porträt als Mensch greifbar.

Eine kleine Auswahl von Büchern von und über Pier Paolo Pasolini im Sozialarchiv:

Maria Wiesner: Alles in Ordnung? Warum wir vor lauter Aufräumen unser Leben verpassen. Hamburg, 2021

Ausgehend vom Hype um das Buch «Magic Cleaning» von Marie Condo geht die Journalistin Maria Wiesner den Paradoxien aktueller Minimalismus- und Aufräumtrends nach. Sie entlarvt sie als das, was sie gerade zu sein leugnen: Neue Konsummechanismen für kapitalkräftige Gesellschaftsschichten. Anstelle nachhaltiger und positiver Effekte auf die Konsumgesellschaft stützen sie die wirtschaftlichen und geschlechtlichen Ungleichheiten und Ausbeutungsverhältnisse. Mit ihrem Anstrich von Ethik und Nachhaltigkeit gelingt es ihnen, ihre Anhänger glauben zu lassen, in einer konsumfixierten Welt zu den Guten zu gehören.
Ratgeber-Autor:innen wie Jordan Peterson, Minimalismus-Blogger:innen und Konzepte häuslicher Gemütlichkeit wie Hygge koppeln gesamtgesellschaftliche Probleme von Individuen ab, indem sie ihnen suggerieren, dass jeder Einzelne für sein Glück und Wohlergehen ausschliesslich selbst verantwortlich sei. Glücklich werde man nur, indem man sich selbst optimiert, vom überflüssigen Kram trennt und den Rest fein säuberlich in hübsche Schachteln versorgt.
Mit ihrer sachlichen und unterhaltsamen Analyse blickt Wiesner hinter die pastellfarbenen Fassaden dieser Lifestyle-Trends und deckt ihre Widersprüchlichkeiten und Absurditäten auf. Ohne zu moralisieren und ohne erhobenen Zeigefinger macht sie darauf aufmerksam, dass sich konsumgesellschaftliche Probleme und Fehlentwicklungen nicht teetrinkend auf dem Sofa oder auf Flohmärkten flanierend lösen lassen.

Barbara F. Walter: Bürgerkriege. Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen. Hamburg, 2023

Im Lauf ihrer Forschungstätigkeit zu Bürgerkriegen kam die Politikwissenschaftlerin Barbara F. Walter zum Schluss, dass die Bürgerkriege des 21. Jahrhunderts in der Regel auf eine vorhersehbare Weise entstehen und eskalieren. Es wirke so, als ob sie auf einem Drehbuch basierten, ungeachtet ihres individuellen geschichtlichen und politischen Hintergrunds. Diesem Drehbuch geht sie in ihrem Buch nach. Sie untersucht die gemeinsamen Elemente und unterlegt sie mit Beispielen aus allen Regionen der Welt, darunter Ex-Jugoslawien, Irland, Syrien und Indonesien. Sie erklärt zentrale Erscheinungen und Begriffe wie Faktionalismus und Anokratien und illustriert, welche fatale Rolle soziale Medien bei der Polarisierung von Gemeinschaften spielen können.
Angesichts der Präsidentschaft von Donald Trump und des Sturms auf das Kapitol fragt sie, ob und wie nahe sich die USA an einem Bürgerkrieg befinden, und kommt zum Schluss, dass sie näher dran sind, als man wahrhaben möchte. Doch Walter untersucht nicht nur, wie es zu Bürgerkriegen kommt und was die Warnhinweise für solche Entwicklungen sind. Sie befasst sich auch mit der Frage, welche Massnahmen nötig sind, um Bürgerkriege zu verhindern. Es gelingt ihr aufzuzeigen, dass Demokratie ein wichtiges Gut ist, das nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden darf, sondern immer aufs Neue gemeinsam erarbeitet werden muss.

Adrian Daub: Cancel Culture Transfer. Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Berlin, 2022

Am 27. März dieses Jahres hielt der Tages-Anzeiger nach einer grossen Umfrage fest, an Schweizer Unis gebe es keine «Cancel Culture». Die Hintergründe der aktuellen Obsession mit «Cancel Culture» analysiert das Buch von Adrian Daub, Literaturprofessor an der Stanford University. Für Daub hat die Rede über «Cancel Culture» eine «aufmerksamkeitsökonomische Funktion», steht «in keiner Relation zu ihrer objektiv belegbaren Verbreitung» und ist «wenig hilfreich, wenn es um die Beschreibung der Realität geht». Vielmehr würden dabei Anekdoten herausgepickt und kontextfrei herumgereicht, während der «Cancel Culture»-Diskurs umgekehrt aber etwa Verbote in US-Bundesstaaten ausblendet, an Schulen Themen wie Sklaverei oder LGBT anzusprechen oder in Bibliotheken Bücher zur afroamerikanischen Geschichte an Schüler:innen auszuleihen.
Der Diskurs entstand in der Reagan-Ära, zog aber erst durch das Internet grössere Kreise. Angebliche «Cancel Culture» beklagten zahlreiche Politiker:innen, von Trump und Johnson (als «Machwerk» ihrer politischen Gegner:innen) bis zu Putin (als «westliches» Phänomen). Daub zeichnet den Transfer des «Cancel Culture»-Diskurses von den USA nach Europa 2018/19 detailliert nach. Er erfolgte zunächst über Twitter und wurde dann medial multipliziert. Allein die NZZ publizierte ab 2019 über 120 entsprechende Artikel und holte sich 2021 in einem Interview gar Schützenhilfe von Sahra Wagenknecht.
Daubs Fazit: «Über Cancel Culture oder ‘Wokeness’ zu reden bedeutet immer, über anderes nicht zu reden.»

Diverse Bücher über das Jahr 1923

Alle Jahre wieder erscheinen sogenannte «Jubiläumsbücher», die analysieren, was vor 50, 75 oder 100 Jahren auf der Welt geschah. Weil wir uns wieder in einer Zeit verschiedener Krisen befinden – Klimakrise, Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine –, gibt insbesondere das Jahr 1923 Anlass, die Geschichte wieder aufzurollen. Bereits letztes Jahr erschienen in weiser Voraussicht diverse Publikationen, die sich mit dem scheinbar schicksalsträchtigen Jahr auseinandersetzen. Diverse Krisen von damals werden beleuchtet und Parallelen zu 2023 gezogen.
In den Feuilletons werden diese Bücher momentan regelmässig besprochen. So erschien beispielweise im vergangenen Januar im «Spiegel» ein Artikel mit dem Titel «Das deutsche Horrorjahr», in dem das Jahr 1923 als das Jahr der «Polykrise» bezeichnet wird: Hyperinflation, Kampf um Rohstoffe (damals Kohle) und die Ruhrbesetzung durch französische Truppen beherrschten 1923 in der jungen Weimarer Republik den Alltag und konnten so «die Feinde der Demokratie» stärken. Zitiert wird auch Theo Grütter, Direktor des Essener Ruhr Museums, wo zurzeit eine Sonderausstellung («Hände weg vom Ruhrgebiet! Die Ruhrbesetzung 1923-1925», 12.1. –27.8.2023) zu den damaligen Geschehnissen stattfindet. Grütter zufolge war 1923 «ein Trauma, aber es kann uns auch Hoffnung geben». Bezeichnenderweise geht der «Spiegel»-Artikel allerdings nicht weiter auf diese Aussage ein, womit offenbleibt, wie und was denn genau aus den multiplen Krisen von damals für heute gelernt werden könnte.

Bücher zum Jahr 1923 (Auswahl):

28.6.2023, 19 Uhr: Terrorist und CIA-Agent

Die unglaubliche Geschichte des Schweizers Bruno Breguet

Buchpräsentation mit dem Autor Adrian Hänni

Das Buch erzählt anhand zuvor nicht zugänglicher Quellen die unglaubliche Geschichte des Tessiners Bruno Breguet. Breguet schloss sich als Gymnasiast der Volksfront zur Befreiung Palästinas an, erhielt im Libanon eine militärische Ausbildung und wurde 1970 als erster Nichtaraber wegen terroristischer Vergehen in Israel zu einer langen Haftstrafe verurteilt. In den 1980er-Jahren arbeitete er für den legendären «Carlos», auch bekannt als «der Schakal». Zu Beginn der 1990er-Jahre wechselte er die Seiten und half der CIA bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. 1995 verschwand er spurlos von einer Fähre im Mittelmeer.

Breguets Biografie ist eng verwoben mit den Ereignissen des Nahostkonflikts im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts und bietet neue Perspektiven auf die Auseinandersetzung der Schweiz mit dem Nahostterrorismus.

Mittwoch, 28. Juni 2023, 19 Uhr
Schweizerisches Sozialarchiv, Medienraum

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Vor 175 Jahren: Die Schweiz und das Revolutionsjahr 1848

Der Schweizerische Bundesstaat feiert dieses Jahr seinen 175. Geburtstag. Seine Entstehung war mit vielfältigen innenpolitischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, zum Teil aber auch glücklichen Umständen verknüpft und lässt sich nur im gesamteuropäischen Zusammenhang des frühen 19. Jahrhunderts verstehen.

«Im Hochland fiel der erste Schuss»

Die Gründung des Bundesstaats beendete ein halbes Jahrhundert von Umbrüchen. Im Jahre 1798 war die auf einem komplizierten Bündnisgeflecht von Ständen mit unterschiedlichen politischen Systemen beruhende Alte Eidgenossenschaft zusammengebrochen und hatte zunächst einem parlamentarischen Einheitsstaat nach dem Vorbild der französischen Direktorialverfassung von 1795 mit bürgerlichen Freiheitsrechten, Aufhebung der Untertanengebiete und Herabstufung der Kantone zu Verwaltungseinheiten Platz gemacht. Dessen Verfassung begann mit den Worten: «La République helvétique est une et indivisible.» Die Helvetische Republik versank aber bereits nach kurzer Zeit in Parteikämpfe, Staatsstreiche und Rebellionen und wurde 1803 durch einen von Napoleon oktroyierten Staatenbund ersetzt. Der Untergang des Kaisers der Franzosen 1814/15 brachte in der Schweiz das Ende dieser sogenannten Mediationszeit. In verschiedenen Kantonen kehrte das Patriziat an die Macht zurück, alte Rechtsungleichheiten wurden zum Teil wiederhergestellt und die Verfassungen vieler Kantone erhielten eine strenge Beschränkung des Wahlrechts auf die Vermögenden und ein Übergewicht der Exekutive. Im Bundesvertrag von 1815 war die Zentralgewalt aus Tagsatzung und dem zwischen Zürich, Bern und Luzern rotierenden Vorort noch schwächer als in der Mediation.

In der Folgezeit wurden die als Opposition zur restaurativen Ordnung des Wiener Kongresses von 1814/15 in Europa um sich greifenden liberalen und nationalen Ideen nicht zuletzt unter dem Einfluss von Exilanten auch in der Eidgenossenschaft wichtig und wirkten auf das aufstrebende Wirtschafts- und Bildungsbürgertum sowie die ländliche Oberschicht. Verschiedene gesamteidgenössische Vereinigungen von Studenten, Wissenschaftlern, Schützen oder Turnern, die zwischen 1815 und den 1830er-Jahren entstanden, schufen eine gesamtschweizerische politische Öffentlichkeit. Auch das sich entfaltende Pressewesen trug dazu bei. So formierten sich im europäischen Revolutionsjahr 1830 in verschiedenen Kantonen oppositionelle Bewegungen. In Frankreich stürzte in jenem Jahr die Julirevolution die Restaurationsmonarchie Karls X. und ersetzte sie durch ein zunächst etwas liberaleres Königtum unter dem «Bürgerkönig» Louis-Philippe von Orléans. Daraufhin regten sich auch in anderen Regionen liberale Kräfte. Mit französischer und britischer Unterstützung spaltete sich Belgien von den Vereinigten Niederlanden ab und wurde zu einer liberalen konstitutionellen Monarchie. Einige Staaten des Deutschen Bundes erliessen neue Verfassungen, die jedoch im landständischen Rahmen blieben. Andernorts waren die gegen die restaurative Ordnung gerichteten Kräfte weniger erfolgreich. Erhebungen in Italien scheiterten ebenso wie der grosse Novemberaufstand in Kongresspolen gegen die Herrschaft des russländischen Zaren.

In der Eidgenossenschaft erfolgten 1830/31 in den Kantonen Tessin, Thurgau, Aargau, Luzern, Zürich, St. Gallen, Fribourg, Waadt, Solothurn, Bern und Schaffhausen nach Massenpetitionen und Volksversammlungen liberale Verfassungsänderungen, welche die alten Eliten entmachteten und das Wahlrecht auf breitere Schichten der männlichen Bürgerschaft ausdehnten (allerdings zum Teil einen gemässigten Zensus vorsahen und Juden, Armengenössige sowie häufig Knechte und Gesellen weiterhin von den politischen Rechten ausschlossen). In Zürich beruhten die an der Volksversammlung in Uster vom 22. November 1830 verabschiedeten Forderungen wesentlich auf dem «Küsnachter Memorial» des hessischen Flüchtlings Ludwig Snell. In Basel führten die Bemühungen um eine Verfassungsreform, welche die politische Benachteiligung der Landschaft beseitigen sollte, 1833 zur Trennung in zwei Halbkantone. Die sogenannt «regenerierten» Kantone führten parlamentarische Systeme mit Gewaltenteilung und direkten Wahlen sowie Presse-, Handels- und Gewerbefreiheit ein und bauten ein staatliches Bildungssystem mit obligatorischer und unentgeltlicher Volksschule, Kantonsschule, Lehrerseminar sowie (in Zürich und Bern) Hochschule auf.

Gleichzeitig setzten Bestrebungen zu einer Revision der Bundesordnung ein. Einen vom italienischen Juristen und Ökonomen Pellegrino Rossi (der dann Ende 1848 während der revolutionären Wirren in Rom ermordet werden sollte) ausgearbeiteten Tagsatzungsentwurf für eine leichte Stärkung der Bundesbehörden lehnte 1833 die Mehrheit der Kantone aber ab. Ab Ende der 1830er-Jahre polarisierte sich die politische Landschaft mehr und mehr. 1839 setzten in Zürich Reformiert-Konservative mit Hilfe bewaffneter Bauern die liberale Regierung ab und begründeten damit die internationale Karriere des Dialektbegriffs «Putsch», während im Tessin die Liberalen die katholisch-konservative Regierung stürzten. Auch wurden die Konflikte zunehmend von konfessionellen Gegensätzen überlagert. Der radikale Flügel des Liberalismus richtete sich mit seinem Antiklerikalismus besonders gegen die katholische Kirche. 1841 führten demokratische Verfassungsreformen im Aargau zu einer Mehrheit der Liberalen und Radikalen im Grossen Rat, in Luzern dagegen zu einem Sieg der Katholisch-Konservativen. Die von der radikal-liberalen Mehrheit im Aargau verfügte Aufhebung von acht Klöstern zog eine langwierige Auseinandersetzung nach sich. In Genf gab es 1841 und 1846 Revolutionen unter dem Anführer der Radicaux James Fazy. Im Wallis erfolgte 1843 ein konservativer Umschwung, welcher bürgerkriegsähnliche Unruhen nach sich zog. 1844 berief die Luzerner Regierung die Jesuiten an die höheren Schulen, was zu heftiger Kritik führte, galt der Jesuitenorden doch als Inbegriff der Reaktion. 1844/45 unternahmen Radikale zwei gescheiterte Freischarenzüge nach Luzern. Der zweite Zug wurde vom späteren Berner Regierungsrat, Tagsatzungspräsidenten und Bundesrat Ulrich Ochsenbein angeführt. Unter den Teilnehmern befand sich Gottfried Keller.

In der Waadt kam es im Februar 1845 zu einer Revolution gegen die liberalkonservative Regierung. Im neu gewählten Verfassunggebenden Grossen Rat gaben die Radicaux den Ton an. Sie bewahrten die Freiheitsrechte aus der Regenerationsverfassung und erweiterten die direktdemokratischen Instrumente, waren hingegen bezüglich der Verwirklichung des von Rousseau inspirierten Gleichheitsgedankens und der Einführung sozialer Rechte («garanties sociales») gespalten. Der radikale Führer und spätere Bundesrat Henri Druey, der das frühindustrielle Elend britischer Grossstädte aus eigener Anschauung kannte, kritisierte in den Ratsdebatten sowohl die markwirtschaftliche Nationalökonomie von Adam Smith und Jean-Baptiste Say als auch den französischen Frühsozialismus als je zu einseitig und empfahl einen Mittelweg zwischen Individualismus und Sozialismus. Seine Bemühungen, das Recht auf Arbeit in der Verfassung zu verankern und «Nationalwerkstätten» einzurichten, scheiterten aber deutlich. Die Debatten über soziale Rechte nahmen Konflikte vorweg, die dann die 48er-Revolution in Frankreich entscheidend prägen sollten. In Zürich gelangten wieder die Liberalen an die Macht, zu deren Anführer rasch der junge Alfred Escher aufstieg. Ebenfalls 1845 wurde der Luzerner Grossbauer und Ratsherr Joseph Leu von Ebersol, Anführer des konservativen Umschwungs von 1841, von einem radikalen Bauern «gemeuchelt».

In der Folge schlossen sich Ende 1845 die katholisch-konservativ regierten Kantone Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Luzern, Zug, Fribourg und Wallis zu einem Sonderbund mit eigenem, gegen den Bundesvertrag verstossenden Kriegsrat unter dem Präsidium des Luzerner Regierungsrats Constantin Siegwart-Müller zusammen. Nachdem in Bern, Genf und St. Gallen die Radikalen an die Macht gelangt waren, bestand 1847 eine radikal-liberale Tagsatzungsmehrheit, welche die Auflösung des Sonderbunds, die Entfernung der Jesuiten aus der Schweiz und die Einleitung einer Revision des Bundesvertrags von 1815 beschloss. Daraufhin mobilisierte der Kriegsrat des Sonderbunds die kantonalen Milizen und eröffnete am 3. November 1847 Feindseligkeiten mit einem Angriff auf das Tessin. Ziel war, die liberale Tessiner Regierung zu stürzen und Nachschubwege aus der österreichisch beherrschten Lombardei zu schaffen. Alle liberal-radikalen Kantone, unabhängig ob reformiert oder katholisch, unterstützten ein militärisches Vorgehen gegen den Sonderbund. Hingegen blieben die reformiert-konservativen Kantone Basel-Stadt und Neuchâtel sowie das katholisch-konservative Appenzell-Innerrhoden neutral.

Die konservativen Grossmächte, die schon Regeneration und Freischarenzüge mit Unbehagen beobachtet hatten, verfolgten die Entwicklung in der Schweiz missbilligend. Ihres Erachtens war die von ihnen auf dem Wiener Kongress unterzeichnete Garantie der Schweizer Neutralität und Unverletzbarkeit des Territoriums an die Staatsform des lockeren Staatenbundes geknüpft und sie nahmen sich das Recht heraus, gegen jede Veränderung zu intervenieren. Bereits im Sommer 1847 skizzierte die russländische Diplomatie die Idee, nach militärischer Machtdemonstration eine Vermittlungskonferenz durchzuführen, die unter Aufsicht der Grossmächte eine Revision des Bundesvertrags erarbeiten sollte. Der König von Preussen schrieb von einer «Seuche des Radikalismus, d. h. einer Sekte, welche wissentlich vom Christentum, von Gott, von jedem Rechte, das besteht, von göttlichen und menschlichen Gesetzen abgefallen» sei und nach einem Sieg in der Schweiz ganz Europa gefährden würde. Mit der Zuspitzung der Lage befürchteten Preussen, Österreich und Frankreich bei einem Sieg der Liberalen den Auftrieb oppositioneller Kräfte in den eigenen Ländern und stellten dem Sonderbund finanzielle und waffenmässige Unterstützung in Aussicht. Allein aus Österreich kamen 100’000 Gulden. 3’000 für den Sonderbund bestimmte Gewehre aus Mailand wurden dagegen in Lugano abgefangen. Auch zog Österreich in Vorarlberg Truppen zusammen. Eine gemeinsame Aktion der fünf europäischen Grossmächte gegen die Schweiz wurde aber von der britischen Diplomatie unter dem liberalen Aussenminister Lord Palmerston hinausgezögert.

Der Sonderbund ersuchte Österreich auch um Entsendung eines Generals für das Kommando seiner Truppen. Metternich schlug den Fürsten Friedrich Karl zu Schwarzenberg vor, der zwar ablehnte, jedoch privat beim Sonderbundüberfall auf Airolo sowie als Adjutant des Oberkommandierenden Johann Ulrich von Salis-Soglio an den entscheidenden Gefechten von Gisikon und Meierskappel teilnahm. Die eidgenössischen Truppen unter dem Kommando des gemässigt konservativen Genfers Guillaume Henri Dufour, der Angebote von Exilanten zum Eintritt in die Armee ablehnte und eine den Gegner schonende Kriegführung anordnete, errangen rasch die Oberhand. Bis Ende November kapitulierten sämtliche Sonderbundkantone. Deren Kriegsrat löste sich panikartig auf und die meisten Sonderbundführer setzten sich ins Ausland ab. Mit 93 gefallenen und 510 verwundeten Soldaten war der Sonderbundskrieg der wohl unblutigste Bürgerkrieg der modernen Geschichte – am anderen Ende der Skala rangiert der vier Jahre später in China ausgebrochene Bürgerkrieg zwischen Taiping-Bewegung und Quing-Dynastie mit 20 bis 30 Millionen Todesopfern.

Die Niederlage des Sonderbunds rief ein internationales Echo hervor. Während und nach dem Krieg gingen bei der Tagsatzung zahlreiche Unterstützungs- und Gratulationsschreiben von demokratischen Vereinen aus verschiedenen europäischen Ländern ein. Auf der anderen Seite unterbreiteten die konservativen Grossmächte noch am 30. November 1847 ein Vermittlungsangebot, das die siegreiche Tagsatzung zurückwies. Daraufhin drohten Österreich, Frankreich, Preussen und Russland am 18. Januar 1848 mit einer Interventionsnote. Die Tagsatzung antwortete Mitte Februar selbstbewusst und verwahrte sich gegen jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Eidgenossenschaft. Die kurz darauf ausbrechenden Revolutionen in Frankreich, Preussen und Österreich verhinderten dann eine Aktion der Grossmächte gegen die Schweiz.

Am 25. Februar 1848 jubelte der oppositionelle deutsche Dichter Ferdinand Freiligrath, der 1845/46 bei Rapperswil gelebt hatte, von London aus:

«Im Hochland fiel der erste Schuss
Im Hochland wider die Pfaffen!
Da kam, die fallen wird und muss,
Ja die Lawine kam in Schuss –
Drei Länder in den Waffen!
Schon kann die Schweiz vom Siegen ruhn:
Das Urgebirg und die Nagelfluhn
Zittern vor Lust bis zum Kerne!

Drauf ging der Tanz in Welschland los –
Die Scyllen und Charybden,
Vesuv und Aetna brachen los:
Ausbruch auf Ausbruch, Stoss auf Stoss!
– «Sehr bedenklich, Euer Liebden!»
Also schallt’s von Berlin nach Wien,
Und von Wien zurück wieder nach Berlin –
Sogar den Nickel graut es!»

Vom «Völkerfrühling» zur Konterrevolution

1848 erschütterte eine Revolutionswelle Europa, die diejenige von 1830 weit in den Schatten stellte. In Frankreich stürzte am 23. Februar die Monarchie. An ihre Stelle trat die kurzlebige Zweite Republik. Im März kam es in den einzelnen Staaten des Deutschen Bundes zu Revolutionen, die die Fürsten zur Einsetzung liberaler Regierungen zwangen. Daraufhin fanden Wahlen zu einer Nationalversammlung statt, die ab Mai in der Frankfurter Paulskirche die Verfassung für einen deutschen Nationalstaat auf konstitutionell-liberaler Grundlage erarbeitete. In Dänemark brachte die Märzrevolution den Übergang von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie. Im preussisch beherrschten Teil Polens kam es zu einem grossen Aufstand. In der Habsburgermonarchie gab es nebst Rebellionen in Wien Autonomie- und Unabhängigkeitsbewegungen in diversen Reichsteilen. Auch verschiedene Herrschaftsgebiete in Italien wurden von Aufständen erschüttert, ebenso in der «rumänischen Revolution» die unter osmanischer Oberhoheit stehenden Donaufürstentümer Moldau und Walachei. Der niederländische König gewährte angesichts der revolutionären Unruhen in verschiedenen anderen Ländern eine liberale Verfassungsreform, die den Übergang zur parlamentarischen (aber noch nicht demokratischen) Monarchie brachte und die Glaubensfreiheit einführte.

All diesen Rebellionen lag ein Ursachenbündel von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren zugrunde. Der rasche wirtschaftliche und technische Wandel seit dem Wiener Kongress und die sich herausbildende Industriegesellschaft liessen die auf den vorrevolutionären Eliten beruhende Restaurationsordnung zunehmend anachronistisch erscheinen. Das sich entwickelnde Zeitungswesen verbreitete trotz Zensur grenzüberschreitend die gegen die monarchisch-aristokratische Ordnung gerichteten Ideen des Liberalismus, Nationalismus, Republikanismus, Sozialismus und der Volkssouveränität und Völkerverbrüderung. Hinzu kam in den Jahren vor 1848 eine Serie von Wirtschaftskrisen, Missernten und Hungernöten – sowie der Sieg der Schweizer Liberalen und Radikalen im Sonderbundskrieg.

Neben den liberalen und nationalen Bewegungen des Bürgertums traten in den 48er-Revolutionen auch radikaldemokratische und sozialistische Kräfte aus der Intelligenz und den unteren Mittelschichten sowie erstmals in nennenswertem Ausmass die Arbeiterschaft auf dem politischen Parkett in Erscheinung. Wenige Tage vor Ausbruch der Revolution in Paris erschien das von Karl Marx und Friedrich Engels im Auftrag des «Bundes der Kommunisten» verfasste und im Entwurf praktisch gleichzeitig mit dem Ende des Sonderbundskrieges fertiggestellte «Manifest der Kommunistischen Partei» im Druck. Es legte nicht nur die Grundzüge der Geschichtsauffassung des marxistischen Sozialismus dar, sondern rief auch zu einem breiten Bündnis mit den fortschrittlichen Kräften des demokratischen Bürgertums und der verschiedenen sozialistischen Richtungen auf. In der Schweiz zu unterstützen seien dabei «die Radikalen, ohne zu verkennen, daß diese Partei aus widersprechenden Elementen besteht, theils aus demokratischen Socialisten im französischen Sinn, theils aus radikalen Bourgeois.»

In Paris kämpften im Februar aufständische Arbeiter:innen und Bürger:innen gemeinsam auf den Barrikaden gegen die königlichen Truppen. In der neuen provisorischen Regierung, die das Recht auf Arbeit proklamierte, wurde der Sozialist Louis Blanc Arbeitsminister. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung Ende April errangen dann aber gemässigte Republikaner und Konservative einen deutlichen Sieg, während die demokratisch-sozialistische und radikalrepublikanische Linke schlecht abschnitt. Als eine der ersten Amtshandlungen schaffte die Nationalversammlung auf Antrag von Victor Schœlcher die Sklaverei in den französischen Kolonien ab. Als die Regierung die Schliessung der «Ateliers nationaux» anordnete, die mit Beschäftigungsprogrammen viele Arbeitslose in Lohn und Brot gehalten hatten, kam es Ende Juni zu einem Aufstand der Pariser Arbeiterschaft, den Armee und Nationalgarde niederschlugen. Tausende Aufständische wurden getötet, noch mehr verhaftet und teilweise in die Kolonien deportiert. Louis Blanc musste bis 1870 ins Exil gehen.

Auf der Liste der 270 Gefallenen des Berliner Aufstandes vom 18./19. März 1848 waren 180 Handwerksgesellen, Arbeiter oder Handwerkslehrlinge. Im Spätsommer 1848 gründeten Handwerksgesellen und Industriearbeiter auf einem Kongress in Berlin als erste deutschlandweite Arbeiterorganisation die «Allgemeine Arbeiterverbrüderung», die mehr als 170 Arbeitervereine mit insgesamt 15’000 Mitgliedern umfasste und das Werk der Frankfurter Nationalversammlung unterstützte.

Die 48er-Revolutionen waren keine rein männliche Angelegenheit. Aus verschiedenen Städten ist die Beteiligung von bürgerlichen Frauen und Arbeiterinnen an Strassenkämpfen überliefert, etwa beim Barrikadenbau, als Wachen oder beim Transport von Wurfgeschossen in die höheren Etagen von Häusern. Auf der Liste der Toten des Berliner Märzaufstandes finden sich elf weibliche Namen. Darüber hinaus publizierten Frauen in den zahlreich entstehenden Revolutionszeitungen – einige wurden gar Herausgeberinnen eigener Zeitschriften. Auch entstanden in Deutschland 1848 verschiedene Frauenvereine, die als Vorläufer der sich wenige Jahrzehnte danach formierenden Frauenrechtsbewegung gelten. Von der institutionellen Politik blieben Frauen dagegen ausgeschlossen. Immerhin gab es in der Paulskirche eine «Damengalerie», die es Frauen ermöglichte, die Verhandlungen der wegen der Dominanz des liberalen Bildungsbürgertums als «Professorenparlament» charakterisierten Nationalversammlung mitzuverfolgen.

Einige Frauen beteiligten sich sogar an den militärischen Revolutionskämpfen: Amalie Struve war im April 1848 beim radikaldemokratischen «Heckerzug» in Baden dabei und versuchte dann nach zwischenzeitlichem Exil in Basel im September zusammen mit ihrem Mann beim «Struve-Putsch» in Lörrach eine Republik auszurufen. Anschliessend verbrachte sie 205 Tage in Einzelhaft in Freiburg. Von Mai bis Juli 1849 beteiligte sie sich an einem neuerlichen Aufstand in Baden und bemühte sich besonders um die Mobilisierung von Frauen. Anschliessend emigrierte sie mit ihrem Mann in die USA und engagierte sich bis zu ihrem frühen Tod in New York für Frauenrechte. Auch Emma Herwegh beteiligte sich am «Heckerzug». Ihr Gatte, der sozialistische Dichter Georg Herwegh, der 1843 aus Zürich ausgewiesen worden war, hatte beim Ausbruch der 48er-Revolution aus deutschen Exilanten in Paris ein «Republikanisches Komitee» sowie die «Deutsche Demokratische Legion» aufgestellt, die auf Vermittlung von Emma am badischen Aufstand teilnahm. Nach dessen Niederschlagung flohen die Herweghs in die Schweiz und lebten von 1851 bis 1866 in Zürich. Obwohl sie in der Folge nach Süddeutschland zurückkehren konnten, wurde Georg Herwegh bei seinem Tod 1875 wunschgemäss in «republikanischer Erde» in Liestal bestattet, wo 1904 auch seine Gattin ihre letzte Ruhestätte fand.

Mathilde Franziska Anneke betätigte sich 1847/48 zusammen mit ihrem Gatten Fritz im Kölner Arbeiterverein, lernte Marx, Engels, Freiligrath, Herwegh und Ferdinand Lassalle kennen und gab nach der Verhaftung ihres Mannes im Juli 1848 für kurze Zeit eine «Frauenzeitung» heraus. Im Frühjahr 1849 diente sie in der revolutionären Pfälzischen Volkswehr im badisch-pfälzischen Feldzug als Ordonnanzoffizierin ihres Mannes. Nach dem Scheitern des Aufstandes flüchtete das Ehepaar nach Zürich und emigrierte dann in die USA, wo sich Anneke als Frauenrechtlerin, Vorkämpferin für Mädchenbildung und Aktivistin gegen die Sklaverei betätigte. Nach der Trennung von ihrem Mann lebte sie 1860 bis 1865 zusammen mit ihrer Partnerin, der amerikanischen Sklavereigegnerin Mary Booth, und drei ihrer Kinder in Zürich und betätigte sich journalistisch und literarisch.

Bereits im Sommer 1848 hatte der «Völkerfrühling» seinen Zenit überschritten. In Frankreich ernannte die Nationalversammlung nach dem Juniaufstand General Louis-Eugène Cavaignac, der die blutige Niederschlagung der Rebellion geleitet hatte, zum Ministerpräsidenten. Cavaignac galt auch für die Präsidentschaftswahl im Dezember als Favorit, unterlag aber Louis-Napoléon Bonaparte, der von nostalgischen Gefühlen für seinen kaiserlichen Onkel zehrte und mit populistischen Versprechen an die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen einen Erdrutschsieg errang. Nach dem Sturz Napoleons I. hatte sein Neffe bis Ende der 1830er-Jahre im Schweizer Exil auf Schloss Arenenberg gelebt, das Schweizer Bürgerrecht erworben und unter Dufour die Offiziersschule absolviert. 1836 und 1840 unternahm er Putschversuche gegen die französische Regierung. Als Präsident der Zweiten Republik putschte er dann 1851, kurz vor Ende seiner Amtszeit, ein drittes Mal, führte nach dem Vorbild seines Onkels durch eine manipulierte Volksabstimmung eine Verfassung ein, die ihm diktatorische Vollmachten gewährte, und liess sich im Folgejahr als «Napoleon III.» zum Kaiser krönen.

Die Niederschlagung des Pariser Juniaufstands war auch in anderen Ländern das Signal zur Konterrevolution. Nachdem bereits im Frühjahr und Sommer 1848 preussische Truppen den polnischen und österreichische Truppen den Prager Aufstand unterdrückt hatten, erfolgte im Oktober die blutige Niederschlagung einer Rebellion in Wien. Als die Frankfurter Nationalversammlung im März 1849 einen Verfassungsentwurf vorlegte, der eine kleindeutsche konstitutionelle Monarchie (ohne Österreich) vorsah, lehnte der preussische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm angetragene Kaiserwürde mit Berufung auf das Gottesgnadentum ab. Daraufhin mündete die radikaldemokratische Reichsverfassungskampagne im Mai in verschiedenen Teilen Deutschlands in Aufstände, die allesamt niedergeschlagen wurden. Zeitgleich machten Preussen und Österreich Druck zur Auflösung der Nationalversammlung. Ein Teil der Abgeordneten versammelte sich daraufhin in Stuttgart. Im Juni 1849 lösten württembergische Truppen dieses Rumpfparlament auf.

Im folgenden Monat intervenierten französische und spanische Truppen in Rom, wo der Radikaldemokrat und Vorkämpfer der italienischen und europäischen Einigung Giuseppe Mazzini im Februar eine Republik ausgerufen hatte, und stellten die Macht des Kirchenstaates wieder her. Mazzini hatte zuvor wiederholt in der Schweiz gelebt, unter anderem 1835/36 in Grenchen. 1834 hatte er mit anderen italienischen Flüchtlingen von Genf aus einen Umsturzversuch in Savoyen organisiert und im selben Jahr in Bern den Geheimbund «Junges Europa» gegründet, der seine Bewegung «Junges Italien» mit den gleichgesinnten Organisationen «Junges Deutschland» und «Junges Polen» verband. Im Oktober 1848 initiierte Mazzini von Lugano aus einen gescheiterten Aufstand im Val d’Intelvi in der nördlichen Lombardei. Im Verlauf des Jahres 1849 unterdrückten österreichische Truppen die Unabhängigkeitsbewegungen in Norditalien und – mit russländischer Unterstützung – in Ungarn. 1850 verständigten sich die Regierungen Preussens, Sachsens und Bayerns über die Verfolgung der «Arbeiterverbrüderung», die schliesslich 1854 zusammen mit den Arbeitervereinen verboten wurde.

Die Schweiz war in diese Revolutionen stark verwickelt. In Neuchâtel, das sich seit 1815 in einer eigentümlichen Zwitterposition als Kanton der Eidgenossenschaft und zugleich preussisches Fürstentum befand, zogen Anfang März 1848 republikanische Milizen aus den Montagnes in die Hauptstadt, bildeten eine provisorische Regierung und riefen die Republik aus. Der Konflikt wurde erst 1856/57 im «Neuenburgerhandel», der beinahe zu einem schweizerisch-preussischen Krieg führte, endgültig gelöst. Zur Unterstützung der Aufständischen in der Lombardei gingen im März 1848 etliche Tessiner Freischärler über die Grenze. Auch operierte im Veltlin und Trentino eine vor allem aus Waadtländern und Genfern bestehende Freiwilligenkompanie und zogen gegen 100 Mann unter dem Thurgauer Johannes Debrunner nach Venedig. Die lombardischen Aufständischen wurden mit dem eidgenössischen Obersten Michael Napoleon Allemandi sogar zeitweise von einem Schweizer angeführt. Auch in Süddeutschland beteiligten sich Schweizer an revolutionären Aktivitäten, so zum Beispiel der aus St. Gallen stammende radikale Historiker Karl Morel, der am ersten badischen Aufstand teilnahm, dann in die Schweiz zurückflüchtete und in der Folge Sekretär des neuen Eidgenössischen Politischen Departements (heute: EDA) wurde. Gottfried Keller war in Heidelberg Augenzeuge der revolutionären Ereignisse. Hingegen lehnte die Tagsatzung im April 1848 eine Anfrage des Königs von Sardinien-Piemont für eine antihabsburgische Allianz und Entsendung von 20’000 bis 30’000 Mann zur Unterstützung des lombardischen Aufstands mit 15 zu 6 Stimmen ab, und General Dufour beantwortete zwei Anfragen zur Übernahme des Oberfehls der piemontesischen Truppen negativ.

Nur zwei der fünf europäischen Grossmächte wurden von den 48er-Revolutionen kaum direkt betroffen: Grossbritannien und Russland. Es handelte sich dabei um die beiden grössten imperialistischen Reiche, die bei der zeitgleichen Unterwerfung weiter Teile Asiens in scharfer Konkurrenz standen (sogenanntes «Great Game»). Auch bezüglich ihrer politisch-gesellschaftlichen Systeme, Wirtschaftsstruktur und europapolitischer Agenden standen sie in starkem Gegensatz. Die parlamentarische Monarchie Grossbritanniens war 1832 durch den «Reform Act» modernisiert worden, der die jahrhundertealten Wahlkreise neu ordnete und das Wahlrecht auf die Mittelschichten ausdehnte. Nunmehr war etwa ein Siebtel der männlichen Bevölkerung stimmberechtigt. Das politische Schwergewicht im Unterhaus verschob sich vom aristokratisch geprägten Südengland zu den industriellen Grossstädten des Nordens. Einer der ersten Beschlüsse des reformierten Unterhauses betraf 1833 die Abschaffung der Sklaverei in den britischen Kolonien. Wenige Jahre darauf entstand mit den «Chartists» eine hauptsächlich von der Arbeiterschaft getragene Bewegung, die sich für das allgemeine Männerwahlrecht und weitere demokratische Reformen einsetzte. Zwei entsprechenden Massenpetitionen von 1838 und 1842 gab das Unterhaus aber nicht statt.

Eine dritte Petition kam im Revolutionsjahr 1848 zustande. Als Folge der Parlamentsreform von 1832 kam es im Vereinigten Königreich aber nicht zu einem Bündnis zwischen liberalem Bürgertum und demokratischen Unterschichten, wie es für die erste Phase der 48er-Revolutionen auf dem Kontinent kennzeichnend war. Nach lokalen Hungerunruhen in Manchester, Dublin und Glasgow im März 1848 untersagte die Regierung unter dem Eindruck der Revolutionen auf dem Kontinent die für die Petitionseinreichung am 10. April geplante Massendemonstration in London. Anschliessend erlitt der Chartismus einen raschen Niedergang und erst nach weiteren Parlamentsreformen 1867, 1884 und 1918 wurde das Vereinigte Königreich zur demokratischen Monarchie. Die britische Diplomatie der 1840er-Jahre hegte aber Sympathien für liberale Bestrebungen auf dem Kontinent und verfolgte gegenüber kontinentalen Oppositionellen eine grosszügige Flüchtlingspolitik. 1847/48 hielt sie angesichts der Interventionspläne der anderen Grossmächte ihre schützende Hand über die Schweiz und unterstützte den jungen Bundesstaat in der Folge in Konflikten um seine Asylpolitik sowie im «Neuenburgerhandel».

In Russland dagegen hatte Zar Nikolaus I. (der «Nickel» aus Freiligraths Gedicht) die autokratische Herrschaft noch verschärft. Bei seinem Thronantritt 1825 hatte er die Offiziersbewegung der «Dekabristen», die sich gegen Zensur, Polizeiwillkür und die Leibeigenschaft (der zu jener Zeit etwa die Hälfte der Bevölkerung des Zarenreiches unterlag) und für eine konstitutionelle Monarchie aussprach, energisch unterdrückt und in der Folge den Polizei- und Geheimdienstapparat ausgebaut. Nach der Niederschlagung des polnischen Aufstands von 1830/31 hob Nikolaus den verfassungsrechtlichen Sonderstatus im russländischen Teil Polens auf und startete dort eine Russifizierungspolitik. Ebenso betrieb er die Wiederbelebung der konservativen «Heiligen Allianz» aus der Zeit des Wiener Kongresses. 1833 beschlossen Russland, Preussen und Österreich auf der Konferenz von Münchengrätz Zusammenarbeit gegenüber dem unter ihnen aufgeteilten Polen sowie gegen liberale Bestrebungen in Europa. Unter anderem vereinbarten sie den Austausch von Polizeiberichten und gegenseitige Unterstützung bei eventuellen Aufständen in Polen oder revolutionären Unruhen im Deutschen Bund. All dies trug Nikolaus den Titel des «Gendarmen Europas» ein. Entgegen der Befürchtungen des Zaren griffen die 48er-Revolutionen nicht auf sein Reich über. Entsprechende Bemühungen des (nachmaligen) Anarchisten Michail Bakunin, der als Gebete getarnte Aufrufe in verschiedenen slawischen Sprachen verbreiten liess, einen demokratischen Zirkel in Odessa mit Waffen versorgte und im Sommer 1849 in der anonymen Schrift «Russische Zustände» beissende Kritik am zaristischen System übte, fruchteten nicht.

Die konservativen Eliten des Zarenreichs betrachteten die revolutionären Unruhen als Folge westeuropäischer Dekadenz. Aus Sicht des Diplomaten und Schriftstellers Fëdor Tjutčev, der weite Teile Westeuropas, inklusive die Schweiz, bereist hatte und danach als Oberzensor fungierte, gab es 1848 nur noch zwei «Kraftzentren»: Russland und die Revolution. Zur Unterdrückung der revolutionären Bewegungen in den Donaufürstentümern marschierten russländische Truppen in Moldau ein und drängte die russländische Diplomatie das Osmanische Reich zur Intervention in der Walachei, die dann bis 1851 von osmanischen und russländischen Truppen besetzt wurde. Dem Unterstützungsgesuch des österreichischen Kaisers gegen die Revolution in Ungarn, das im April 1849 seine Unabhängigkeit vom Habsburgerreich ausgerufen hatte, leistete der Zar mit der Entsendung einer 130’000 Mann starken Interventionsarmee Folge. 1849/50 übten der Zar und der österreichische Kaiser gemeinsam massiven Druck auf den preussischen König aus, den nach der Zerschlagung der Frankfurter Nationalversammlung unternommenen Versuch einer deutschen Einigung unter konservativeren, aber immerhin konstitutionellen Vorzeichen («Erfurter Union») abzubrechen. Auch an der Entwicklung in der Schweiz nahm die russländische Diplomatie Anteil. Nach der Interventionsidee vom Sommer 1847 schloss sie sich im November 1847 und Januar 1848 den drohenden Noten der konservativen Nachbarstaaten an. Am 13. Februar 1848 forderte Russland die Wiederherstellung der uneingeschränkten Souveränität der Kantone sowie Beschränkung des politischen Asyls und suspendierte seine Garantie der schweizerischen Neutralität und territorialen Integrität – dies gleichsam als Einladung an die Nachbarstaaten, in die Eidgenossenschaft einzumarschieren. Das Bild des jungen Bundesstaates blieb in der Folge bei den russländischen Eliten sehr negativ. Der russländische Gesandte assoziierte in einem Schreiben von 1851 die Schweizer Demokratie mit «moralischer Verderbtheit», «Lüge», «Unverschämtheit» und «politischem Wahnsinn».

Bundesstaatsgründung als revolutionärer Akt?

Die Revolutionen in den Nachbarstaaten öffneten für die Schweiz ab Februar 1848 für etwa ein Jahr ein «window of opportunities» für eine staatliche Neugestaltung ohne Interventionsgefahr durch die Grossmächte. Bereits im August 1847 hatte die Tagsatzung mit einer Stimme Mehrheit eine Revision des Bundesvertrages beschlossen und eine entsprechende Kommission eingesetzt. Dieses Vorgehen war umstritten, da der Bundesvertrag keine Revisionsklausel kannte. Die Sonderbundkantone und die sie unterstützenden Grossmächte stellten sich auf den Standpunkt, eine Bundesrevision bedürfe der Zustimmung sämtlicher Kantone. Die Revisionskommission trat nach dem Sonderbundskrieg erstmals am 17. Februar 1848 zusammen und legte nach 31 Sitzungen bereits am 8. April einen Entwurf vor. Die grosse Eile war dem Bestreben geschuldet, die momentan mit revolutionären Unruhen in ihren eigenen Ländern beschäftigten Grossmächte möglichst rasch vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Als institutionelle Eckpunkte der Bundesrevision standen von Beginn weg eine Stärkung der Bundesbehörden sowie Demokratie und Gewaltenteilung auch auf Bundesebene im Vordergrund. Wie dies konkret ausgestaltet werden sollte, war indessen Gegenstand intensiver Diskussionen. Bei der exekutiven Gewalt bestand Konsens, dass ein Präsidialsystem nach amerikanischem Vorbild wegen der Gefahr des Umkippens in eine persönliche Diktatur nicht zur Debatte stehe. Die Entwicklung in Frankreich unter Louis-Napoléon sollte diese Bedenken wenig später bestätigen. Vor diesem Hintergrund stand das in der schweizerischen Verfassungsgeschichte des vorangegangenen halben Jahrhunderts bereits mehrfach diskutierte und erprobte Direktorialsystem alternativlos da. Schon die Helvetische Republik hatte – nach dem Vorbild der französischen Direktorialverfassung – ein fünfköpfiges «Vollziehungsdirektorium» gekannt, dessen Mitglieder durch ein kompliziertes System aus Parlamentswahl und Losentscheid bestimmt wurden und für das eine Amtszeitbeschränkung auf fünf Jahre galt. Mehrere jüngere Kantonsverfassungen basierten ebenfalls auf dem Direktorialsystem. Der gescheiterte Revisionsplan von 1833 hatte einen fünfköpfigen Bundesrat unter Leitung eines Landammanns vorgesehen.

Die Reformkommission schlug ebenfalls einen fünfköpfigen Bundesrat vor. Die Tagsatzung erhöhte dann diese Zahl in ihren Verhandlungen auf sieben. Eine Volkswahl des Bundesrates lehnte die Kommission zugunsten der Wahl durch das Parlament knapp ab. In der Folge bürgerte sich aber das Gebrauchsrecht ein, dass sich die Bundesräte vor der Gesamterneuerungswahl durch die Bundesversammlung einer «Komplimentswahl» in den Nationalrat zu stellen hatten. An dieser Hürde sollte dann 1854 Bundesrat Ochsenbein scheitern, der in der Folge von der Bundesversammlung nicht mehr gewählt wurde. Zu Ende des 19. Jahrhunderts kam die «Komplimentswahl» ausser Gebrauch.

Umstrittener war die Ausgestaltung der legislativen Gewalt. Zur Debatte standen hier ein Fortbestehen der Tagsatzung mit gleicher Anzahl Delegierter pro Kanton, ein Einkammerparlament mit Volksvertretern nach Massgabe der Bevölkerungszahl der einzelnen Kantone, ein gemischtes Einkammerparlament mit Volks- und Kantonsvertretern oder ein Zweikammerparlament mit einer Volks- und einer Kantonskammer. Diese Frage führte in der Revisionskommission und dann der Tagsatzung zu heftigen Debatten. Das letztlich auserkorene Zweikammersystem war ein Kompromiss zwischen zentralistischen und partikularistischen Tendenzen und folgte verschiedenen Vorbildern. Während für den Nationalrat eine Direktwahl durch die Stimmberechtigten vorgesehen war, blieben die Wahlmodalitäten für den Ständerat den Kantonen überlassen. Im Unterschied zu den bisherigen Tagsatzungsgesandten sollten aber auch die Ständeräte (die in der Verfassung mal als «Abgeordnete», mal als «Gesandte» bezeichnet wurden) ohne Instruktionen ihrer Kantonsregierungen abstimmen.

Bereits die Helvetische Republik hatte ein ähnliches Zweikammersystem gekannt, das – im Unterschied zur französischen Direktorialverfassung – auch eine Kantonskammer besass. Diese als Senat bezeichnete Parlamentskammer umfasste vier Abgeordnete pro Kanton sowie alle ehemaligen Mitglieder des Vollziehungsdirektoriums. Die Schweizer Zweikammersysteme von 1798 und 1848 lehnten sich am Vorbild der amerikanischen Bundesverfassung von 1787 an, übernahmen davon aber weder die Funktionen der Parlamentskammern noch deren Wahlrhythmus. Das amerikanische Zweikammersystem wiederum war inspiriert vom Föderationsrat der frühneuzeitlichen Irokesen-Liga, weshalb zuweilen von «indianischen Spuren» in der Schweizer Bundesverfassung die Rede ist.

Organisatorisch und kompetenzmässig schwach ausgestaltet war die richterliche Gewalt. Das Bundesgericht, das nicht einmal einen festen Sitz hatte, war zunächst nur für ganz wenige Bereiche zuständig. Ein grosser Teil seiner Mitglieder gehörte zugleich der Bundesversammlung, also seinem eigenen Wahlorgan an. Erst die Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 machte das Gericht zu einer ständigen Behörde und legte im Sinne der Gewaltenteilung die Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Zugehörigkeit zu National- oder Ständerat und Bundesgericht fest. Eine eigentliche Verfassungsgerichtsbarkeit wurde aber auch dann (und bis heute) nicht eingeführt.

Schwach ausgebildet waren in der Verfassung von 1848 auch die direktdemokratischen Elemente. Teil- und Totalrevisionen der Verfassung unterlagen dem obligatorischen Referendum und es gab die Möglichkeit der Volksinitiative für eine Totalrevision. Als Zugeständnis an die Föderalisten wurde dabei neben dem Volksmehr das Ständemehr als zusätzliche Bedingung eingefordert. Weitere Volksrechte, wie sie auf kantonaler Ebene seit 1830 zum Teil existierten, fanden zunächst keinen Eingang in die Bundesverfassung. Die Möglichkeit der Volksinitiative für eine Verfassungsreform fand sich in einigen Regenerationsverfassungen, wobei in der Regel nicht ausdrücklich zwischen Teil- und Totalrevision der Verfassung unterschieden wurde. Die Waadtländer Verfassung von 1845 hatte dann explizit auch die Möglichkeit der themenbezogenen Volksinitiative eingeführt. Angefangen mit dem Kanton St. Gallen im Jahre 1831 fand auch das fakultative Gesetzesreferendum (damals oft als «Veto» bezeichnet) in mehrere Kantonsverfassungen Eingang. Der Anstoss dazu kam dabei je nach politischen Verhältnissen von radikaldemokratischer oder konservativ-antiliberaler Seite. Die Bundesverfassung von 1848 machte es nun zur Pflicht, dass die Kantonsverfassungen «vom Volke revidirt werden können, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt» (Art. 6, lit. c). Dadurch schuf sie das Werkzeug für die direktdemokratischen Bewegungen und Verfassungsrevisionen in verschiedenen Kantonen ab den 1860er-Jahren, die wiederum den entscheidenden Anstoss zur Erweiterung der Volksrechte auch auf Bundesebene gaben. 1874 wurde das fakultative Gesetzesreferendum eingeführt, 1891 die Volksinitiative für Teilrevisionen der Bundesverfassung (s. SozialarchivInfo 6/2018 und 6/2021).

Insgesamt stellte das Verfassungswerk, obwohl das Resultat eines Bürgerkriegs mit klaren Siegern und Besiegten, einen Kompromiss dar, der den Unterlegenen in wichtigen Punkten entgegenkam. Neben der Betonung der Souveränität der Kantone und der Einrichtung des Ständerats und des Ständemehrs gehörte dazu etwa die kantonale Schul- und Kirchenhoheit. Zentralistischen Bestrebungen und radikalen Modernisierungsprojekten waren damit deutliche Hürden in den Weg gelegt, was die Integration der Verlierer des Sonderbundskrieges in den neuen Bundesstaat in den folgenden Jahrzehnten begünstigte. Die Bundesverfassung schuf aber einen einheitlichen Wirtschafts-, Zoll- und Währungsraum und schrieb die bürgerlichen Freiheitsrechte fest. Allerdings waren die Niederlassungsfreiheit auf dem gesamten Gebiet der Eidgenossenschaft, Rechtsgleichheit und Ausübung der politischen Rechte (bis 1866) sowie die freie Ausübung von Gottesdiensten (bis 1874) vorerst auf «Schweizerbürger christlicher Konfession» eingeschränkt. Damit blieben neben den Frauen vor allem die etwa 3’000 jüdischen Schweizer:innen im frühen Bundesstaat diskriminiert.

Am 27. Juni 1848 verabschiedete die Tagsatzung die neue Verfassung mit 12 zu 1 Kantonsstimmen bei 9 Enthaltungen. In den beiden folgenden Monaten nahm eine Zweidrittelmehrheit der Kantone die Verfassung in Abstimmungen an. Dabei handelte es sich freilich nicht um ein einheitliches Plebiszit. In den Landsgemeindekantonen gab die Landsgemeinde ein Votum ab, in Fribourg der Grosse Rat, in Graubünden die Gerichtsgemeinden. In Luzern kam die befürwortende Mehrheit nur dadurch zustande, dass die Nichtstimmenden den Ja-Stimmen zugerechnet wurden. Am 12. September erklärte die Tagsatzung mit 17 zu 0 Kantonsstimmen bei 5 Enthaltungen auf der Basis dieser Resultate die neue Verfassung für angenommen. In ihren Augen war sie durch die Mehrheit in der Tagsatzung wie auch den kantonalen Abstimmungen sowohl auf der institutionellen Basis des geltenden Bundesvertrages als vor allem auch demokratisch legitimiert. Aus Sicht der Katholisch-Konservativen handelte es sich bei der Verfassungsgebung dagegen um einen vertragswidrigen Akt. Der Verfassungshistoriker Alfred Kölz hat die Entscheidung vom 12. September 1848 charakterisiert als einen «Beschluss, der vom bestehenden Staatsrecht nicht gedeckt war, insofern formell unrechtmässig und mithin revolutionär war».

Bereits im Oktober 1848 fanden die ersten eidgenössischen Wahlen statt. Aufgrund der Fortschritte der Konterrevolution in den Nachbarländern drängte die Tagsatzung darauf, die neuen bundesstaatlichen Behörden möglichst rasch funktionsfähig zu machen. Am 14. September erliess sie ein Dekret zur Durchführung der Wahlen und bereits am 6. November sollte die Bundesversammlung zusammentreten und dann den Bundesrat wählen. Aufgrund dieses engen Zeitplans konnte kein Bundeswahlgesetz erarbeitet werden. Die Organisation und Durchführung der Wahlen oblag den kantonalen Regierungen, die seit dem Ende des Sonderbundskrieges fast vollständig liberal und radikal dominiert waren. Sie versuchten mit verschiedenen Methoden, die Wahl konservativer Kandidaten zu verhindern. So gab es in gewissen Kantonen nur einen einzigen Wahlkreis, in anderen dagegen mehrere Wahlkreise mit je einem Sitz oder Wahlkreise unterschiedlicher Grösse (s. SozialarchivInfo 4/2019).

In den Kantonen Luzern und Fribourg fanden Wahlkreisversammlungen nur an wenigen, den konservativen Wählern möglichst schlecht zugänglichen Orten statt, wo unter Leitung von Regierungsvertretern die Stimmabgabe offen stattfand. Unter diesen Bedingungen nahmen im ersten Fribourger Wahlkreis, wo bei der Stimmabgabe ein Eid auf die neue liberale Kantonsverfassung abgelegt werden musste, nur etwa 3 % der Wahlberechtigten am Urnengang teil und gaben ihre Stimmen zu 100 % dem radikalen Kandidaten. Im fünften Fribourger Wahlkreis wurde der Sieg des konservativen Kandidaten annulliert und in der Wiederholung gewann der radikale Kandidat. In Genf gewannen die gemässigten Liberalen alle drei Sitze, worauf die radikale Kantonsregierung die Wahl unter dem Vorwand von Unregelmässigkeiten annullieren liess. Dies führte bei der Wahlwiederholung zu einem Boykott der Liberalen und die drei Sitze fielen an die Radicaux. In manchen Kantonen fanden die Wahlen an einem Mittwochvormittag statt. Damit sollte Lohnabhängigen, deren Mobilisierung durch die Opposition befürchtet wurde, die Teilnahme erschwert werden.

In mehreren Wahlkreisen blieb die Wahlbeteiligung deutlich unter 30 %, gesamtschweizerisch betrug sie etwa 44 %. Die radikale, freisinnige und demokratische Linke errang einen überwältigenden Sieg und kam mit einem Stimmenanteil von etwa 62 % aufgrund des Mehrheitswahlrechts auf 85 der 111 Sitze im Nationalrat. Die gemässigten Liberalen kamen mit einem Stimmenanteil von etwa 17 % auf 11 Mandate, die Katholisch-Konservativen mit etwa 12 % auf 9 Mandate und die Reformiert-Konservativen mit etwa 8 % auf 6 Mandate. Im Ständerat, der in den meisten Kantonen nicht direkt vom Volk gewählt wurde, erhielten die Freisinnigen und Radikalen 30, die gemässigten Liberalen 8 und die Katholisch-Konservativen 6 Sitze. Bei der Bundesratswahl am 16. November gingen alle sieben Sitze an Vertreter der Freisinnigen und Radikalen. Mit einer Ausnahme hatten alle Bundesräte bereits der Revisionskommission der Tagsatzung angehört. Erster Bundespräsident wurde der Winterthurer Jonas Furrer. Am 21. November 1848 hielt der erste Bundesrat seine konstituierende Sitzung ab.

Eingeschränkte Willkommenskultur für 48er-Flüchtlinge

Die gewaltsame Niederschlagung der Revolutionen und nationalen Erhebungen führte europaweit zu Fluchtbewegungen. Die Schweiz als einer der wenigen liberalen Staaten wurde in besonderem Masse zu einem Fluchtziel. Etwa 12’000 bis 20’000 deutsche Liberale und Demokrat:innen, französische Republikaner:innen, italienische, ungarische und polnische Unabhängigkeitskämpfer:innen flohen vorübergehend in die Schweiz. Die Zahl der 48er-Flüchtlinge in der Schweiz entsprach damit auf dem Höhepunkt rund 0,5 % der Gesamtbevölkerung. 1849 kamen in der Nordwestschweiz mehrere Tausend Aufständische aus Baden und der Pfalz über die Grenze. Der Staatsstreich Louis-Napoléons löste 1851 eine neue Fluchtbewegung in die Romandie aus. Die Ankunft der 48er-Flüchtlinge stellte den jungen Bundesstaat auf eine Bewährungsprobe. Einerseits standen viele von ihnen politisch der radikalen und liberalen Elite des Bundesstaates nahe. Andererseits stellte ihre Anwesenheit eine Bedrohung dar, forderten die kontinentalen Grossmächte doch ultimativ ihre Auslieferung und drohten gar mit militärischer Intervention.

Der Bundesrat, der die Zuteilung der Flüchtlinge auf die Kantone verfügte, schwankte zwischen Verteidigung des Asylrechts und aussenpolitischer Opportunität. Flüchtlinge wurden zwar grosszügig aufgenommen, politisch Aktive aber wieder ausgewiesen. Ein Beispiel war Wilhelm Liebknecht, der 1848/49 an den Aufständen in Baden (unter anderem als Adjutant Gustav Struves) teilgenommen hatte und nach seiner Flucht das Präsidium der deutschen Arbeitervereine in der Schweiz übernahm. Er wurde 1850 verhaftet und ausgewiesen. Allerdings oblag die Durchsetzung solcher Massnahmen den kantonalen Behörden und hintertrieben insbesondere die Regierungen von Genf und der Waadt teilweise ihre Umsetzung. Als der Bundesrat im Juli 1849 auf Drängen Österreichs 13 führende deutsche Revolutionäre auswies, führte dies in der Öffentlichkeit und seitens einiger Kantonsregierungen zu heftigen Protesten. Auch im Parlament wurde die Flüchtlingspolitik hitzig debattiert. Ende 1848 gingen die Emotionen sogar so hoch, dass sich der liberale Zürcher Nationalrat Rudolf Benz und sein radikaler Tessiner Ratskollege Giacomo Luvini mit Säbeln duellierten.

Die Ausweisung von Flüchtlingen bedeutete in den allermeisten Fällen nicht deren Auslieferung an die Herkunftsländer, sondern die Weiterreise nach Grossbritannien oder in die USA. Nach einiger Zeit war es manchen auch möglich, in ihre Heimatländer zurückzukehren. 1850, als sich noch etwa 800 Flüchtlinge in der Schweiz aufhielten, arbeitete der Bundesrat mit den französischen Behörden zusammen im Bemühen, Flüchtlinge zum Eintritt in die Fremdenlegion (die schon bei ihrer Gründung 1831 eine Vielzahl von polnischen Flüchtlingen aufgenommen hatte) zu bewegen. Etwa drei Dutzend Deutsche, Österreicher, Ungaren und Polen meldeten sich für diesen Dienst in Algerien, wo die französische Kolonialmacht ihre Herrschaft zu festigen versuchte und im Nachgang zum Juniaufstand auch Tausende von Franzosen und Französinnen zwangsansiedelte. Fünf Jahre später trat eine gewisse Zahl in die Schweiz geflüchteter deutscher «48er» unter falscher Schweizer Identität in die von Grossbritannien für den Krimkrieg rekrutierte «Swiss Legion» ein. Mehrere Hundert 48er-Flüchtlinge blieben dauerhaft in der Schweiz.

Unter den 48er-Exilant:innen, insbesondere denjenigen aus den deutschen Staaten, befanden sich manche prominente Namen. Johann Philipp Becker war seit 1838 in Biel wohnhaft gewesen und hatte im Sonderbundskrieg als Sekretär des eidgenössischen Generalstabs amtiert. Beim Ausbruch der Revolution in Deutschland organisierte er die «Deutsche Legion in der Schweiz» und den «Centralausschuss der Deutschen in der Schweiz», im Juni 1848 publizierte er ein Pamphlet in Märchenform, das vor der schrittweisen Verspeisung der freiheitsliebenden Völker durch den von Nikolaus I. angeführten Despotismus warnte, den Sonderbundskrieg als «Kampf gegen den allgemeinen Despotismus» und «Sieg für die Welt» feierte und zur Vereinigung der «Völker gegen den Despotismus der Gewalthaber» aufrief. Im September 1848 gründete Becker den deutsch-republikanischen Wehrbund «Hilf Dir», im Mai 1849 kommandierte er während des Aufstands in Baden die revolutionäre Volkswehr. Anschliessend flüchtete er wieder in die Schweiz, wo er zusammen mit seinem Kampfgefährten Christian Essellen eine «Geschichte der süddeutschen Mai-Revolution des Jahres 1849» publizierte. Anfang 1852 wies ihn der eidgenössische Kommissar aus Genf aus, doch bereits zwei Monate später kehrte er zurück. In der Folge betätigte er sich auf dem linken Flügel der Genfer Radicaux und war ab den 1860er-Jahren in der Ersten Internationale und der Schweizer Arbeiterbewegung aktiv.

Beckers nachmaliger Freund Friedrich Engels pendelte 1848/49 zwischen den revolutionären Schauplätzen in Deutschland und der Schweiz. Bereits 1847 hatte er für die «Deutsche-Brüsseler-Zeitung» über den Sonderbundskrieg geschrieben. Im September 1848 floh er vor einer drohenden Verhaftung von Köln nach Paris und wanderte dann in vier Wochen zu Fuss nach Bern. Dort betätigte er sich im lokalen Arbeiterbildungsverein und am Kongress der deutschen Vereine in der Schweiz und berichtete für die von Marx gegründete «Neue Rheinische Zeitung» über die Entwicklung in der Schweiz. Im Januar 1849 kehrte Engels nach Deutschland zurück und beteiligte sich an verschiedenen Aufständen. Danach floh er erneut in die Schweiz, lebte einige Monate in der Romandie und reiste dann nach London weiter.

Stephan Born aus dem preussisch besetzten Teil Polens beteiligte sich 1848/49 an den Revolutionen in Berlin, Dresden, Baden und Böhmen, präsidierte den Berliner Arbeiterkongress und war eine wesentliche Gründungsfigur der «Arbeiterverbrüderung». 1849 floh er in die Schweiz und arbeitete in der Folge als Buchdrucker, Seminar- und Gymnasiallehrer, Auslandsredaktor der «Basler Nachrichten» und schliesslich Professor für deutsche und französische Literatur an der Universität Basel. Johannes Scherr hatte bereits in den frühen 1840er-Jahren in Winterthur gelebt. 1848 war er Abgeordneter im württembergischen Landtag. Als Mitgründer des «Demokratischen Vereins» wurde er 1849 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, floh in die Schweiz und habilitierte sich an der Universität Zürich für Geschichte. Neben seiner Privatdozentur arbeitete er als Publizist, Schriftsteller, Übersetzer und Lehrer und veröffentlichte zahlreiche Bücher zu Geschichte und Literaturgeschichte, zeitgeschichtliche und kulturelle Essays, aber auch Erzählungen, Romane, Schauspiele und Gedichte. 1855 bis 1857 war er Chefredaktor des Winterthurer «Landboten», ab 1860 Professor für Geschichte und Literatur am Eidgenössischen Polytechnikum (heute: ETH), das 1855 als Folge der Bundesstaatsgründung entstanden war. Beide, Born und Scherr, publizierten mit einigem zeitlichen Abstand Bücher über die 48er-Revolution.

Richard Wagner, seit 1843 Königlich-Sächsischer Kapellmeister an der Dresdner Hofoper, bewegte sich ab März 1848 in republikanischen Zirkeln, lernte Bakunin kennen, beteiligte sich im Mai 1849 am Dresdner Aufstand und wurde anschliessend steckbrieflich gesucht. Mit einem falschen Pass flüchtete er nach Zürich, wo er, unterstützt vom Kaufmannsehepaar Wesendonck, bis 1858 die lokale Musikszene belebte. In seinen Zürcher Jahren entwarf Wagner wesentliche Teile des Opernzyklus «Ring des Nibelungen» und verfasste Schriften wie «Die Kunst und die Revolution» oder das antisemitische Pamphlet «Das Judentum in der Musik». Ebenfalls am Dresdner Aufstand beteiligt war der mit Wagner befreundete Architekt Gottfried Semper. Er floh zunächst nach London und wurde dann auf Vermittlung Wagners ans Polytechnikum berufen. Während seiner Zeit in Zürich baute er unter anderem das Hauptgebäude des Polytechnikums, das Winterthurer Stadthaus und die Eidgenössische Sternwarte in Zürich.

Carl Vogt war ab 1847 Zoologieprofessor in Giessen gewesen. 1848 beteiligte er sich an der Revolution, wurde in die Nationalversammlung gewählt und hielt dort eine aufsehenerregende Rede über die Trennung von Staat und Kirche. 1849 zog er mit dem Rumpfparlament nach Stuttgart und war im Juni 1849 Mitglied der fünfköpfigen Revolutionsregierung («Reichsregentschaft»). Anschliessend floh er nach Bern und liess sich dann 1852 in Genf nieder, wo er Geologieprofessor an der Akademie wurde. In den folgenden Jahren lieferte er sich eine publizistische Schlammschlacht mit Karl Marx. Vogts Behauptung, Marx sei ein österreichischer Agent, parierte Marx mit der Gegenbehauptung, Vogt sei ein Agent Napoleons III. Jahrzehntelang gehörte Vogt für die Radicaux dem Grossen Rat des Kantons Genf an, zudem 1856 bis 1861 und 1870/71 dem Ständerat und 1878 bis 1881 dem Nationalrat. 1874/75 war er Gründungsrektor der Universität Genf.

Der Nationalökonom Bruno Hildebrand war 1844/45 Rektor der Universität Marburg gewesen und dann von 1846 bis Anfang 1848 wegen eines in der deutschen «Londoner Zeitung» veröffentlichten Artikels der Majestätsbeleidigung angeklagt und suspendiert, aber schliesslich freigesprochen worden. Er war 1848 Mitglied der Vorparlaments, dann der Frankfurter Nationalversammlung und 1849 des Stuttgarter Rumpfparlaments. 1849/50 gehörte er der kurhessischen Ständeversammlung an, wo seine entschiedene Opposition gegen die konservative Regierung dazu führte, dass der Kurfürst die Versammlung auflöste und Besatzungstruppen des Deutschen Bundes anforderte. Hildebrand emigrierte daraufhin in die Schweiz. 1851 bis 1856 war er Professor an der Universität Zürich, dann bis 1861 an der Universität Bern. Zudem war er 1853 Mitbegründer von Alfred Eschers Schweizerischer Nordostbahn und dann in seiner Berner Zeit Gründer des ersten Statistischen Bureaus der Schweiz im Kanton Bern, Mitbegründer und Direktor der Ost-West-Bahn und Mitbegründer der Spar- und Leihbank in Bern. 1861 wechselte er an die Universität Jena.

Der Altertumswissenschaftler und spätere Literaturnobelpreisträger Theodor Mommsen hatte sich 1848 in Leipzig, wo er soeben eine Professur erhalten hatte, im liberalen «Deutschen Verein» betätigt und für den Erlass einer sächsischen Verfassung eingesetzt. 1849 wurde er zusammen mit zwei Professorenkollegen des Hochverrats angeklagt und trotz Freispruchs 1851 aus dem Hochschuldienst entlassen. 1852 erhielt er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Römisches Recht an der Universität Zürich. Allerdings gefiel es ihm in der Limmatstadt nicht. In einem Brief klagte er über die Schweizer:innen: «Die gehören zum Froschgeschlecht, und man muss Gott danken, wenn sie Hochdeutsch sprechen und eine Serviette auf den Tisch legen.» Bereits 1854 wechselte er nach Breslau und setzte seine Laufbahn in Preussen fort.

1850 kam der Militärwissenschaftler Wilhelm Rüstow in die Schweiz. Rüstow war wegen Beteiligung an der Märzrevolution als preussischer Offizier suspendiert und dann wegen seiner Schrift «Der deutsche Militärstaat vor und während der Revolution» eingekerkert worden. Im Sommer 1850 gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis. 1852 habilitierte er sich an der Universität Zürich, machte sich durch zahlreiche Publikationen einen Namen als Vertreter eines auf dem Milizsystem aufbauenden Wehrwesens und wurde 1853 auch Instruktor kantonaler Truppen und Militärberater der Bundesbehörden. 1860 schloss er sich den Streitkräften Giuseppe Garibaldis an, der 1849 in der kurzlebigen Römischen Republik Kommandant der Revolutionsarmee gewesen war. Garibaldis «Rothemden», in denen Rüstow zunächst als Generalstabschef, dann als Kommandant des linken Flügels fungierte, eroberten im Zuge der italienischen Einigung das Königreich beider Sizilien. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz war Rüstow 1864 Sekundant Lassalles bei dessen Duell mit dem Verlobten seiner Geliebten, einem rumänischen Adligen, in Genf. Dabei erlitt der Gründervater der deutschen Sozialdemokratie, auch er ein «48er», einen tödlichen Schuss in den Unterleib. Der von Lassalle ebenfalls als Sekundant angefragte Becker hatte vom Duell dringend abgeraten. Später war Rüstow Oberst im schweizerischen Generalstab, Chef der historisch-statistischen Sektion des Armeestabs und Dozent am Polytechnikum.

Aus Italien kam nach 1849 Mazzini erneut mehrfach in die Schweiz und verwickelte die Eidgenossenschaft wiederholt in diplomatische Schwierigkeiten. Im August 1848 flüchtete auch der Mailänder Schriftsteller und Demokrat Carlo Cattaneo ins Tessin. Im März 1848 war Cattaneo während des gegen die habsburgische Herrschaft gerichteten Aufstands («Cinque giornate di Milano») Mitglied des revolutionären Kriegsrates. Die Rebellion bildete den Auftakt zum ersten italienischen Unabhängigkeitskrieg zwischen Sardinien-Piemont und der Habsburgermonarchie, der im Sommer 1848 vorläufig mit einem österreichischen Sieg endete. Im August marschierten österreichische Truppen unter Feldmarschall Josef Radetzky in Mailand ein. Cattaneo lebte nach seiner Flucht bis zu seinem Lebensende 1869 in Lugano, wo er seine 48er-Erfahrungen in verschiedenen Schriften verarbeitete. 1852 bis 1865 war er Philosophielehrer am neugegründeten Liceo cantonale. Er wurde zu einem wichtigen Mentor der liberal-radikalen Elite im Tessin und widmete sich auch der Melioration der Magadinoebene sowie der Alpenbahnfrage, in der er einer der wichtigsten Befürworter der Gotthardvariante im Tessin war. Dem 1861 gegründeten Königreich Italien stand er als Demokrat, Republikaner und lombardischer Föderalist kritisch gegenüber und trotz seiner Wahl in die italienische Deputiertenkammer nahm er nie an einer Parlamentssitzung teil.

Aus Russland via Frankreich kam der Schriftsteller und Philosoph Alexander Herzen in die Schweiz. Herzen war 1847 nach Westeuropa emigriert, hatte 1848 die Februarrevolution und den Juniaufstand in Paris miterlebt, floh 1849 vor der französischen Polizei in die Schweiz und erhielt bereits zwei Jahre später das Bürgerrecht. Enttäuscht vom Scheitern der 48er-Revolutionen wandte er sich von seinen westlich geprägten Fortschrittsideen ab und idealisierte nun einen Agrarkommunismus auf Basis der russischen Dorfgemeinde. Von 1857 bis 1867 gab er, zeitweise von Genf aus, die erste beachtenswerte russische Oppositionszeitschrift «Kolokol» (Die Glocke) heraus, die im Zarenreich illegal verbreitet wurde und zu deren Autoren unter anderen Ivan Turgenev, Victor Hugo, Garibaldi, Mazzini und Bakunin gehörten. Letzterer lebte 1843, 1863/64 und dann von 1867 bis zu seinem Tod 1876 in der Schweiz. Seine Betonung einer föderalistischen, von der lokalen über regionale, nationale bis zur internationalen Föderation aufsteigenden Gesellschaftsorganisation, die er etwa im «Katechismus der revolutionären Gesellschaft» (1865/66) oder der Rede «Föderalismus, Sozialismus, Antitheologismus» (1867) ausführte, wies unübersehbare Inspirationen aus der Schweizer Bundesverfassung auf.

1848: Kein erinnerungswürdiges Gründungsdatum?

Die Jahre und Jahrzehnte nach der Bundesstaatsgründung waren trotz des Kulturkampfs geprägt von der zunehmenden Integration der Verlierer des Sonderbunds. Die Tagsatzung hatte die Kosten des Sonderbundskrieges in Höhe von 6,18 Millionen Franken zunächst auf die ehemaligen Sonderbundkantone und die neutralen Kantone überwälzt. Bereits 1852 wurden die noch ausstehenden 2,2 Millionen aber erlassen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kehrten die Katholisch-Konservativen in den ehemaligen Sonderbundkantonen auf demokratischem Weg an die Macht zurück, ab den 1870er-Jahren errangen sie auf Bundesebene mit dem neuen Instrument des Gesetzesreferendums mehrere Erfolge gegen die freisinnige Modernisierungsagenda und 1891 wurden sie von den Freisinnigen als Juniorpartner in den Bundesrat aufgenommen.

In dieser Tendenz lag auch die Aufwertung der Entstehung der Alten Eidgenossenschaft gegenüber derjenigen der modernen Schweiz in der Erinnerungskultur. War die Gründung der Helvetischen Republik mit der Erinnerung an die französische Invasion verbunden und diejenige des Bundesstaates mit dem Sonderbundskrieg, galt die Entstehung der Alten Eidgenossenschaft als Akt der Selbstbehauptung eines angeblich freien, einigen und egalitären Bauernvolkes. Allerdings geisterten diesbezüglich lange Zeit verschiedene Daten der «Gründung» durch die Erinnerungskultur, so vor allem 1307 und 1315. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde der – bis Mitte des 18. Jahrhunderts unbekannte – Bundesbrief von 1291 zur angeblichen Gründungsurkunde der Schweiz aufgewertet. 1891 fanden in grossem Rahmen 600-Jahr-Feiern statt. Acht Jahre später erhob der Bundesrat – nicht zuletzt auf Drängen von Auslandschweizer:innen, die ein helvetisches Pendant zu den Nationalfeiertagen und Monarch:innengeburtstagen anderer Länder vermissten – den Ersten August zum Bundesfeiertag, der «1291» in der Erinnerungskultur weiter verankerte und gleichzeitig «1848», das keinen jährlichen Erinnerungstag erhielt, in den Hintergrund drängte.

Die liberale Nationalhistoriographie des späten 19. Jahrhunderts versuchte «1848» in ein einheitliches Geschichtsbild zu integrieren, in eine Kontinuität zur alteidgenössischen Geschichte zu stellen und dadurch zu legitimieren. Die Partei- und Verfassungskämpfe des frühen 19. Jahrhunderts erschienen dabei als Fortsetzung antiobrigkeitlicher Unruhen der frühen Neuzeit, die als Epoche des Niedergangs seit der Niederlage von Marignano und der aristokratischen Erstarrung gezeichnet wurde. Die Bundesstaatsgründung war aus dieser Warte eine Revitalisierung des Freiheitsgeistes aus der heroischen Gründungsphase der Alten Eidgenossenschaft.

Im frühen 20. Jahrhundert deutete der Landesstreikführer Robert Grimm in seiner im Gefängnis verfassten «Geschichte der Schweiz in ihren Klassenkämpfen» (1920) Sonderbundskrieg und Bundesstaatsgründung in marxistischem Sinne als Kulmination des bürgerlichen Klassenkampfes in der Schweiz, mit der «die Morgenröte des bürgerlich-kapitalistischen Staates empor[gestiegen]» sei. Eduard Fueter, dessen Karriere als NZZ-Redaktor und Titularprofessor an der Universität Zürich 1921 durch eine Schmutzkampagne deutschfreundlicher Rechtskreise beendet wurde, der aber heute als innovativster Schweizer Historiker des frühen 20. Jahrhunderts gilt, führte 1928 in seiner Geschichte des Bundesstaates in Abgrenzung zu älteren Kontinuitätserzählungen aus, mit 1848 habe «eine gänzlich neue Epoche» begonnen und die politischen Streitpunkte der Jahrzehnte davor seien «mit einem Schlage obsolet» geworden. Hingegen behauptete der einflussreiche aristokratisch-rechtskatholische Kulturhistoriker Gonzague de Reynold in seinem Werk «La Démocratie et la Suisse» (1929), der Bundesstaat von 1848 leide an einem «organischen Grundfehler»: Dem «Demokratismus», der unweigerlich zu Zentralismus, Etatismus und Sozialismus führen müsse. Stattdessen verklärte Reynold das Ancien Régime und träumte von einer autoritär-berufsständischen und ultraföderalistischen «Erneuerung» der durch einen «Landammann» ohne gewähltes Parlament zu führenden Schweiz, was ihn dann in die staatstheoretische und geschichtsmythologische Nähe der faschistischen Frontenbewegung rücken liess (s. SozialarchivInfo 5/2020). Die Entrüstung über das Buch zwang Reynold 1931 zum Rücktritt von seinem Lehrstuhl an der Universität Bern und Wechsel an die Universität Fribourg.

Die Privilegierung von «1291» gegenüber «1848» steigerte sich weiter durch die Errichtung des Bundesbriefmuseums in Schwyz, das 1936 feierlich eingeweiht wurde, und die im Zeichen der Geistigen Landesverteidigung abgehaltenen 650-Jahr-Feiern von 1941. Die 100-Jahr-Feierlichkeiten der Bundesstaatsgründung delegierte der Bund dagegen 1948 zu einem grossen Teil an Kantone, Gemeinden und Private. Die in jenem Jahr erfolgte Einführung der AHV bezogen manche Zeitgenoss:innen direkt auf die Bundesstaatsgründung (s. SozialarchivInfo 3/2017). Linke Stimmen wie der Zürcher PdA-Gemeinderat Fritz Heeb betonten den revolutionären Charakter von «1848» und wollten als wahre Nachfolger der Bundesstaatsgründer nicht die Freisinnigen, sondern die sozialistische Arbeiterbewegung sehen. Die Taktung von Jubiläumsfeierlichkeiten um «1848» wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass runde Jahrestage nicht nur mit Gründungsjahrestagen der in der Historiographie und Erinnerungskultur (ausser in den ehemaligen Untertanengebieten!) bis weit ins 20. Jahrhundert hinein sehr negativ bewerteten Helvetischen Republik von 1798 zusammenfielen, sondern auch mit runden Jahrestagen der grössten innenpolitischen Krise des Bundesstaates, des Landesstreiks von 1918, dessen Deutungen bis in die frühe Nachkriegszeit sehr kontrovers waren (s. SozialarchivInfo 4/2018).

Im späten 20. Jahrhundert verschoben sich die Perspektiven erneut. Die wissenschaftliche Geschichtsschreibung löste die Entstehung der Alten Eidgenossenschaft zunehmend aus nationalhistorischen und mythologischen Erzählungen, ohne dass freilich die entsprechenden Schlagworte («Rütlischwur», «Vögte») aus der politischen Rhetorik verschwunden wären. Die sich auf «1291» beziehenden 700-Jahr-Feiern von 1991 waren weniger nationalpädagogisch aufgeladen als ihre Vorläuferinnen von 1891 und 1941, wurden aber im Nachgang der Fichenaffäre von einem teilweisen Kulturboykott überschattet. Zugleich wurde «1848» vermehrt beachtet. Nach der EWR-Abstimmung 1992 entstand die Organisation «Geboren 1848», die sich unter Berufung auf die Bundesstaatsgründung für eine aussenpolitische Öffnung einsetzte (s. SozialarchivInfo 4/2022). Im Umfeld des 150-Jahr-Jubiläums 1998 betonte die Geschichtsschreibung verstärkt die europäischen Kontexte der Bundesstaatsgründung. Auch wurde das liberale «Fortschrittsnarrativ» durch die Analyse von Demokratiebewegungen ausserhalb der liberalen Eliten namentlich in den 1830er-, 1840er- und 1860er-Jahren relativiert. Zudem mehrten sich Hinweise auf die Diskrepanz, dass die Schweiz im 19. Jahrhundert Vorreiterin der Demokratie, im 20. Jahrhundert dagegen Nachzüglerin bei der Einführung des Frauenstimmrechts gewesen war, und wurde der «männerbündische» Charakter des Bundesstaats thematisiert (s. SozialarchivInfo 6/2020).

Und heute? Im aktuellen Jubiläumsjahr liegen die Schwerpunkte auf den demokratischen und rechtsstaatlichen Errungenschaften, aber auch Defiziten der Bundesverfassung von 1848. Vor dem Hintergrund der Diskussionen um «Postdemokratie» mit einem Zerfall inhaltlicher Auseinandersetzungen und wirklicher politischer Partizipation und der Verschiebung zentraler Entscheidungsmacht von demokratisch legitimierten Staatsorganen zu globalisierten Konzernen sowie der erneuten Bedeutungszunahme autoritärer und neototalitärer Regime und Bewegungen und ihrer antidemokratischen Diskursmacht im virtuellen Raum wird die Demokratie nicht als Selbstverständlichkeit und Selbstläufer, sondern verstärkt als eine stets bedrohte Errungenschaft verstanden und die Prozesshaftigkeit ihrer Herausbildung und Entwicklung vor, während und nach dem Revolutionsjahr 1848 betont. So fokussiert die zentrale Jubiläumsausstellung im Landesmuseum auf die Etablierung von Grundrechten in der ersten Bundesverfassung und ihre Weiterentwicklung und Vermehrung in den letzten 175 Jahren. Und am 4. Mai stimmte der Nationalrat einem Antrag des Mitte-Abgeordneten Heinz Siegenthaler zu, den 12. September als Jahrestag des Inkrafttretens der Bundesverfassung zu einem zweiten Nationalfeiertag zu erheben, in dessen Zentrum nicht Festreden, Bratwürste und Feuerwerke, sondern als «Feiertag der Demokratie» das Gedenken an die demokratische Verfassungstradition und das Nachdenken über ihre Gegenwart und Zukunft stehen soll.

Material zum Thema im Sozialarchiv (Auswahl)

Archiv

  • Ar 132.40.1, Mappe 3 Nachlass Fritz Heeb: Interpellation von Fritz Heeb im Zürcher Gemeinderat betr. Erinnerungsfeier Sonderbund und Gründung des Bundesstaates
  • Ar 198.52.1 Johann Heinrich Müller und Familie: Familienkorrespondenz 1844–1857
  • Ar sabz 226-229 Schweizerische Arbeiterbildungszentrale: 150 Jahre Bundesstaat
  • Ar SGB G 742/8 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Vereinbarung Projekt 150 Jahre Bundesstaat 1997

Sachdokumentation

  • KS 32/96+96a Revolution, Bürgerkrieg
  • KS 34/27 Schweizerische Bundesverfassung; Verfassungsrecht in der Schweiz
  • KS 34/31 Staatsrecht, Verfassungsrecht, Staatsorgane: Kanton Zürich vor 1900
  • KS 335/120a Kommunistisches Manifest
  • KS 900/7+7a Schweizer Geschichte: 1798 bis 1847
  • KS 900/8 Schweizer Geschichte: ab 1848
  • ZA 39.2 Schweizer Geschichte: 1798 bis 1847
  • ZA 39.3 Schweizer Geschichte: 1848 bis 1913

Bibliothek

  • Altermatt, Urs (Hg.): Das Bundesratslexikon. Basel 2019, 140755
  • Altermatt, Urs: Vom Unruheherd zur stabilen Republik: Der schweizerische Bundesrat 1848–1875: Teamplayer, Schattenkönige und Sesselkleber. Basel 2020, 144782
  • [Amiet, Jakob:] Der siegreiche Kampf der Eidgenossen gegen Jesuitismus und Sonderbund: Dessen Zusammenhang und Bedeutung in der Entwicklungsgeschichte der schweizerischen Nation und dessen Wirkung auf das politische Leben des Auslandes: Nebst vollständiger Schilderung des Feldzuges vom November 1847. Solothurn 1848, R 401
  • Andrey, Georges: Auf der Suche nach dem neuen Staat (1798–1848), in: Mesmer, Beatrix (Red.): Geschichte der Schweiz und der Schweizer. Basel 1986. S. 527-637, Hf 5520
  • Angerstein, Wilhelm: Die Berliner März-Ereignisse im Jahre 1848: Nebst einem vollständigen Revolutions-Kalender: Mit und nach Actenstücken, sowie Berichten von Augenzeugen: Zur Feststellung der Wahrheit und als Entgegnung wider die Angriffe der reactionären Presse. Leipzig 1864, A 2083
  • Auerbach, Berthold: Tagebuch aus Wien: Von Latour bis auf Windischgrätz (September bis November 1848). Breslau 1849, A 3108
  • Bakunin, Michael: Zwei Schriften aus den 40er Jahren des XIX. Jahrhunderts. Prag 1936, B 436
  • Bakunin, Michael: Sozialrevolutionäres Programm: Katechismus der revolutionären Gesellschaft (1865/66), in: ders.: Philosophie der Tat: Auswahl aus seinem Werk. Köln 1968. S. 316-359, 38520
  • Bakunin, Michael: «Barrikadenwetter» und «Revolutionshimmel» (1849): Artikel in der «Dresdner Zeitung». Berlin 1995, 100110:2
  • Bakunin, Michael: Russische Zustände (1849). Berlin 1996, 100110:3
  • Bakunin, Michael: Die revolutionäre Frage: Föderalismus, Sozialismus, Antitheologismus. Hg. Wolfgang Eckhardt. Münster 2000, 111589
  • Balser, Frolinde: Sozial-Demokratie 1848/49–1863: Die erste deutsche Arbeiterorganisation: «Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung» nach der Revolution. 2 Bde. Stuttgart 1965, 40153
  • Bauhofer, Stefan et al.: Totalrevision der Bundesverfassung: Dokumente und Diskussionsbeiträge. Basel 1977, 58685
  • Baumgartner, J.: Die Schweiz in ihren Kämpfen und Umgestaltungen von 1830 bis 1850. 4 Bde. Zürich 1853-1866, A 1561
  • Becker, Joh.[ann] Ph.[ilipp]: Die Neutralität nach dem Mährchen vom Menschenfresser: Zum Frommen der Menschheit: Den gesetzgebenden Versammlungen aller Völker, vornehmlich aber der Schweizerischen Tagsatzung gewidmet. Biel 1848, R 42
  • Becker, Joh.[ann] Ph.[ilipp] und Chr.[istian] Essellen: Geschichte der süddeutschen Mai-Revolution des Jahres 1849. Genf 1849, A 3224
  • Bergmann, Jürgen: Wirtschaftskrise und Revolution: Handwerker und Arbeiter 1848/49. Stuttgart 1986, 81887
  • Bericht von der hohen Tagsatzung niedergesetzten Kommission, betreffend die Vertheilung der sämmtlichen milden Gaben, welche für die Opfer des Feldzuges vom Spätjahr 1847 eingelangt sind. Bern 1848, R 662
  • Best, Heinrich: Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49: Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland. Göttingen 1980, 70824
  • Bilic, Viktorija und Alison Clark Efford (Hg.): Radikale Beziehungen: Die Briefkorrespondenz der Mathilde Franziska Anneke zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs. Stuttgart 2023, erwartet
  • Blattmann, Lynn und Irène Meier (Hg.): Männerbund und Bundesstaat: Über die politische Kultur der Schweiz. Zürich 1998, 103075
  • Bleiber, Helmut et al. (Hg.): Demokratie und Arbeiterbewegung in der deutschen Revolution von 1848/49: Beiträge des Kolloquiums zum 150. Jahrestag der Revolution von 1848/49 am 6. und 7. Juni 1998 in Berlin. Berlin 2000, 107085
  • Bleyer, Alexandra: 1848: Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution. Ditzingen 2022, 148844
  • Blum, Robert (Hg.): Volksthümliches Handbuch der Staatswissenschaften und Politik: Ein Staatslexicon für das Volk. 2 Bde. Leipzig 1848, A 3346:1
  • Bonderer, Roman: Willensnation wider Willen: Die medialen Konflikte in der Entstehungszeit des Schweizer Nationalstaats (1830–1857). Basel 2021, 144873
  • Bong, Jörg: Die Flamme der Freiheit: Die deutsche Revolution 1848/1849. Köln 2022, 148965
  • Bong, Jörg: Tage der Entscheidung: Die deutsche Revolution 1848/1849. Köln 2023, erwartet
  • Bong, Jörg (Hg.): Forderungen des Volkes: Frühe demokratische Programme. Köln 2023, 149899
  • Bong, Jörg: Freiheit oder Tod: Die deutsche Revolution 1848/1849. Köln 2024, erwartet
  • Bonjour, Edgar: Der Neuenburger Konflikt, 1856/57: Untersuchungen und Dokumente. Basel 1957, 39013
  • Born, Stephan: Erinnerungen eines Achtundvierzigers. Leipzig 1898, A 2159
  • Botzenhart, Manfred: 1848/49: Europa im Umbruch. Paderborn 1998, 104995
  • Boyer, Pierre et al.: La révolution de 1848 en Algérie: Mélanges d’histoire. Paris 1949, 30414
  • Brandstätter, Horst (Hg.): Im Interesse der Wahrheit: Zur Geschichte der deutschen demokratischen Legion aus Paris, von einer Hochverräterin: Nach dem unzensierten Handexemplar der Autorin Emma Herwegh. Lengwil 1998, 111740
  • Breynat, Jules: Les socialistes depuis février: Ledru-Rollin, Emile de Girardin, Proudhon, Blanqui, Louis Blanc, Cabet, Raspail, George Sand, Pierre Leroux, Pierre Dupont. Paris 1850, Bo 52
  • Brunhart, Arthur (Hg.): Liechtenstein und die Revolution 1848: Umfeld, Ursachen, Ereignisse, Folgen. Zürich 2000, 106968
  • Canis, Konrad: Konstruktiv gegen die Revolution: Strategie und Politik der preussischen Regierung 1848 bis 1850/51. Paderborn 2022, Gr 15574
  • Chase, Malcolm: The Chartists: Perspectives & legacies. London 2015, 131897
  • Claudin, Fernando: Marx, Engels et la révolution de 1848. Paris 1980, 67771
  • Cochut, Andreas: Die Arbeiter-Associationen: Geschichte u. Theorie der Versuche einer Reorganisation der Gewerbe, welche seit dem Febr. 1848 gemacht worden sind. Tübingen 1852, R 293
  • Collmer, Peter: Die Schweiz und das Russische Reich 1848–1919: Geschichte einer europäischen Verflechtung. Zürich 2004, 112710
  • Dean, Karin und Markus Widmer: Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in der Schweiz 1848/1849, in: Goehrke, Carsten und Werner G. Zimmermann (Hg.): «Zuflucht Schweiz»: Der Umgang mit Asylproblemen im 19. und 20. Jahrhundert. Zürich 1994. S. 39-63, 97808
  • Deinet, Klaus: Napoleon III: Frankreichs Weg in die Moderne. Stuttgart 2019, 141274
  • Dejung, Emanuel et al.: Jonas Furrer (von Winterthur) 1805–1861, erster schweizerischer Bundespräsident: Ein Lebensbild. Winterthur 1948, 17008
  • Dipper, Christof und Ulrich Speck (Hg.): 1848 – Revolution in Deutschland. Frankfurt 1998, 103135
  • Dommen, Bridget: Le géneral G. H. Dufour: Humaniste et pacificateur de la Suisse. Bière 2018, 139955
  • Dowe, Dieter et al. (Hg.): Europa 1848: Revolution und Reform. Bonn 1998, 103019
  • Eckhardt, Wolfgang: Von der Dresdner Mairevolution zur Ersten Internationale: Untersuchungen zu Leben und Werk Michail Bakunins. Lich 2005, 115048
  • Elsner, Helmut et al. (Hg.): Fragmente zu internationalen demokratischen Aktivitäten um 1848 (M. Bakunin, F. Engels, F. Mellinet u.a.). Trier 2000, 108030
  • Engehausen, Frank: Werkstatt der Demokratie: Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. Frankfurt 2023, 149730
  • Engels, Friedrich: Die deutsche Reichsverfassungskampagne. Berlin 1969, 85455
  • Enzensberger, Ulrich: Herwegh: Ein Heldenleben. Frankfurt 1999, 105099
  • Ernst, Andreas et al. (Hg.): Revolution und Innovation: Die konfliktreiche Entstehung des schweizerischen Bundesstaates von 1848. Zürich 1998, 102938:1
  • Escher, Alfred: Rede bei Eröffnung des zur ordentlichen Frühlingssitzung versammelten Grossen Rathes des Eidgenössischen Standes Zürich. Zürich 1848, R 634
  • Ferdinand Freiligrath’s sämmtliche Werke. 5 Bde. New York 1858, A 3162:1-5
  • Flanner, Karl: Die Revolution von 1848 in Wiener Neustadt. Wien 1978, 76501
  • Freund, Marion: «Mag der Thron in Flammen glühn!»: Schriftstellerinnen und die Revolution von 1848/49. Königstein/Taunus 2004, 113326
  • Frey, Jürg: Troubadour der Freiheit: Geschichte der politischen Lyrik in der Schweiz 1830–1848. Bern 1994, 97448
  • Fricke, Hans-Dierk: Der Krieg um Neuenburg findet nicht statt: Der europäische Krisenwinter 1856/1857. Ludwigsfelde 2008, 130588
  • Friedensburg, Wilhelm: Stephan Born und die Organisationsbestrebungen der Berliner Arbeiterschaft bis zum Berliner Arbeiter-Kongress (1840–September 1848). Leipzig 1923, 2229
  • Fuchs, Eduard: 1848 in der Caricatur. München o. J., Gr 754
  • Fueter, Eduard: Die Schweiz seit 1848: Geschichte, Politik, Wirtschaft. Zürich/Leipzig 1928, 4926
  • Gall, Lothar (Hg.): 1848 – Aufbruch zur Freiheit: Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums und der Schirn Kunsthalle Frankfurt zum 150jährigen Jubiläum der Revolution von 1848/49. Berlin 1998, Gr 9599
  • Gerhard, Ute: Über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung um 1848: Frauenpresse, Frauenpolitik, Frauenvereine, in: Hausen, Karin (Hg.): Frauen suchen ihre Geschichte: Historische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert. München 1983. S. 200-222, 73760
  • Geschichtswerkstatt (Hg.): Die Revolution hat Konjunktur: Soziale Bewegung, Alltag und Politik in der Revolution von 1848/49. Münster 1999, 104622
  • Gill, Arnon: Freiheitskämpfe der Polen im 19. Jahrhundert: Erhebungen – Aufstände – Revolutionen. Frankfurt 1997, 102585
  • Goldammer, Peter (Hg.): 1848: Augenzeugen der Revolution: Briefe, Tagebücher, Reden, Berichte. Berlin 1973, 50028
  • Graber, Rolf: Demokratie und Revolten: Die Entstehung der direkten Demokratie in der Schweiz. Zürich 2017, 136679
  • Graf, Christoph und Gérald Arlettaz (Hg.): Das Asyl in der Schweiz nach den Revolutionen von 1848. Bern 1999, D 5026:25
  • Gregori, Marco et al.: La double naissance de la Suisse modern. Lausanne/Genf 1998, Gr 9811
  • Gregorovius, Ferdinand: Europa und die Revolution: Leitartikel 1848–1850. Hg. Dominik Fugger und Karsten Lorek. München 2017, 137291
  • Grimm, Robert: Geschichte der Schweiz in ihren Klassenkämpfen. Bern 1920, 4534
  • Gruner, Erich (Hg.): Die Wahlen in den schweizerischen Nationalrat, 1848–1919: Wahlrecht, Wahlsystem, Wahlbeteiligung, Verhalten von Wählern und Parteien, Wahlthemen und Wahlkämpfe. Bern 1978, Gr 3286
  • Hachtmann, Rüdiger: Berlin 1848: Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution. Bonn 1997, 102338
  • Hachtmann, Rüdiger: «…nicht die Volksherrschaft auch noch durch Weiberherrschaft trüben»: Der männliche Blick auf die Frauen in der Revolution von 1848, in: Werkstatt Geschichte 20 (1998). S. 5-30, D 5437
  • Hachtmann, Rüdiger: Epochenschwelle zur Moderne: Einführung in die Revolution von 1848/49. Tübingen 2002, 110469
  • Hahn, Hans Joachim: The 1848 revolutions in German-speaking Europe. Harlow 2001, 110251
  • Hahn, Hans-Werner (Hg.): Johann Philipp Becker: Radikaldemokrat, Revolutionsgeneral, Pionier der Arbeiterbewegung. Stuttgart 1999, 106213
  • Haider, Barbara und Hans Peter Hye (Hg.): 1848: Ereignis und Erinnerung in den politischen Kulturen Mitteleuropas. Wien 2003, 114194
  • Hauch, Gabriella: Frau Biedermann auf den Barrikaden: Frauenleben in der Wiener Revolution 1848. Wien 1990, 92290
  • Hecker, Friedrich: Die Erhebung des Volkes in Baden für die deutsche Republik 1848. Köln 1997, 101566
  • Heger-Etienvre, Marie-Jeanne (Hg.): La Suisse de 1848: Réalités et représentations. Strasbourg 2005, 117050
  • Hein, Dieter: Die Revolution von 1848/49. München 1998, 102919
  • Hellfeld, Matthias von: 1848 in 48 Kapiteln: Geschichte einer Revolution. Freiburg/Br. 2022, 148947
  • Herwegh, Marcel (Hg.): Briefe von und an Georg Herwegh, 1848. München 1896, 5368
  • Hettling, Manfred: Das Begräbnis der Märzgefallenen 1848 in Berlin, in: ders. und Paul Nolte (Hg.): Bürgerliche Feste: Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert. Göttingen 1993. S. 95-123, 96055
  • Hettling, Manfred: Totenkult statt Revolution: 1848 und seine Opfer. Frankfurt 1998, 103724
  • Hildbrand, Thomas und Albert Tanner (Hg.): Im Zeichen der Revolution: Der Weg zum schweizerischen Bundesstaat 1798–1848. Zürich 1997, 102412
  • Hippel, Wolfgang von und Bernhard Stier: Europa zwischen Reform und Revolution 1800–1850. Stuttgart 2012, 126805
  • Hobsbawm, Eric J.: Europäische Revolutionen 1789–1848. Darmstadt 2017, 137126:1
  • Hockamp, Karin et al. (Hg.): «Die Vernunft befiehlt uns, frei zu sein!»: Mathilde Franziska Anneke (1817–1884). Münster 2018, 140453
  • Holenstein, Rolf: Ochsenbein: Erfinder der modernen Schweiz. Basel 2009, 121555
  • Holenstein, Rolf: Stunde Null: Die Neuerfindung der Schweiz im Jahr 1848: Die Privatprotokolle und Geheimberichte der Erfinder. Basel 2018, 139337
  • Huch, Ricarda: 1848: Die Revolution des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Zürich 1944, 14867
  • Humair, Cédric: 1848: Naissance de la Suisse moderne. Lausanne 2009, 122776
  • Humair, Cédric: La Suisse et les puissances européennes: aux sources de l’indépendance (1813-1857). Neuchâtel 2021, 142345
  • Inauen, Josef: Vom «Schurkenstaat» zur vertrauenswürdigen Republik: Die Beziehungen zwischen Baden, Württemberg und Bayern und der Schweiz im Vormärz 1840–1848 und der Wandel in der Wahrnehmung der Eidgenossenschaft durch die süddeutschen Staaten bis 1871. Fribourg 2013, 130045
  • Ireland, David: The communist manifesto in the revolutionary politics of 1848: A critical evaluation. Cham 2022, 148701
  • Jagmetti, Marco: Als die moderne Schweiz entstand: Zur Geschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert. Lenzburg 2019, Gr 15016
  • Jansen, Christian (Hg.): Nach der Revolution 1848/49: Verfolgung, Realpolitik, Nationsbildung: Politische Briefe deutscher Liberaler und Demokraten 1849–1861. Düsseldorf 2004, Gr 11275
  • John, Eckhard und David Robb: Songs for a revolution: The 1848 protest song tradition in Germany. Rochester, NY 2020, 144819
  • Jung, Joseph (Hg.): Alfred Eschers Briefwechsel (1843–1848): Jesuiten, Freischaren, Sonderbund, Bundesrevision. Zürich 2011, Gr 13195:3
  • Jung, Joseph (Hg.): Alfred Eschers Briefwechsel (1848–1852): Aufbau des jungen Bundesstaates, politische Flüchtlinge und Neutralität. Zürich 2012, Gr 13195:4
  • Jung, Joseph (Hg.): Einigkeit, Freiheit, Menschlichkeit: Guillaume Henri Dufour als General, Ingenieur, Kartograf und Politiker. Basel 2022, Gr 15538
  • Kaenel, Philippe (Hg.): 1848: Drehscheibe Schweiz: Die Macht der Bilder. Zürich 1998, 103430
  • Kaenel, Philippe et al. (Hg.): Les révolutions de 1848: l’Europe des images: Le printemps des peuples: Paris, Assemblée nationale du 4 février au 30 mars 1998, Turin, Museo Nazionale del Risorgimento Italiano du 15 avril au 31 mai 1998, Prangins, Musée national suisse du 19 juin au 30 août 1998, Nuremberg, Germanisches Nationalmuseum du 7 octobre au 20 décembre 1998. Zürich 1998, 106779
  • Kiehnbaum, Erhard (Hg.): «Bleib gesund, mein liebster Sohn Fritz…»: Mathilde Franziska Annekes Briefe an Friedrich Hammacher, 1846–1849. Berlin 2004, 116639
  • Kiehnbaum, Erhard (Hg.): «Ich gestehe, die Herrschaft der fluchwürdigen ‘Demokratie’ dieses Landes macht mich betrübt…»: Mathilde Franziska Annekes Briefe an Franziska und Friedrich Hammacher 1860–1884. Hamburg 2017, 138824
  • Klassen, Kurt: Mitverwaltung und Mitverantwortung in der frühen Industrie: Die Mitbestimmungsdiskussion in der Paulskirche. Frankfurt 1984, 76849
  • Koller, Christian: Fremdherrschaft: Ein politischer Kampfbegriff im Zeitalter des Nationalismus. Frankfurt/New York 2005, 115297
  • Kölz, Alfred: Neuere schweizerische Verfassungsgeschichte. 2 Bde. Bern 1992-2004, 93674
  • Kölz, Alfred: Der Weg der Schweiz zum modernen Bundesstaat: Historische Abhandlungen, 1789, 1798, 1848, 1998. Chur 1998, 104521
  • Kölz, Alfred (Hg.): Quellenbuch zur neueren schweizerischen Verfassungsgeschichte. 2 Bde. Bern 1992-1996, 93674
  • Kramer, Bernd: «Lasst uns die Schwerter ziehen, damit die Kette bricht…»: Michael Bakunin, Richard Wagner und andere während der Dresdner Mai-Revolution, 1849. Berlin 1999, 104835
  • Kröger, Ute: Gottfried Semper: Seine Zürcher Jahre 1855–1871. Zürich 2015, 132799
  • Kutter, Markus: Jetzt wird die Schweiz ein Bundesstaat: Von den Revolutionen der 1830er Jahre zur ersten Bundesverfassung (1830–1848). Basel 1998, 100572:4
  • Lahnstein, Peter: Die unvollendete Revolution: 1848–1849: Badener und Württemberger in der Pauluskirche. Stuttgart 1982, Hf 222
  • Lambrecht, Lars (Hg.): Osteuropa in den Revolutionen von 1848. Bern 2006, 118667
  • Langewiesche, Dieter (Hg.): Die deutsche Revolution von 1848/49. Darmstadt 1983, Hf 216
  • Lenhard-Schramm, Niklas: Konstrukteure der Nation: Geschichtsprofessoren als politische Akteure in Vormärz und Revolution 1848/49. Münster 2014, 134436
  • Leuthy, J.[ohann] J.[akob]: Die neuesten Weltereignisse im Jahre 1848. Zürich 1849-1850, A 3416
  • Lipp, Carola (Hg.): Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen: Frauen im Vormärz und in der Revolution 1848/49. Baden-Baden 1986, 80837
  • Lornée, Eugène: Geschichte der Wiener Revolution im Jahre 1848. Strassburg 1849, A 3355
  • Lötscher, Thomas: Demokratie mit Zukunft: Die Erschaffung der modernen Schweiz. Thun/Gwatt 2022, erwartet
  • Maissen, Thomas: Vom Sonderbund zum Bundesstaat: Krise und Erneuerung 1798–1848 im Spiegel der NZZ. Zürich 1998, 104424
  • Majer, Diemut: Frauen – Revolution – Recht: Die grossen europäischen Revolutionen in Frankreich, Deutschland und Österreich 1789 bis 1918 und die Rechtsstellung der Frauen: Unter Einbezug von England, Russland, der USA und der Schweiz. Zürich/Baden-Baden 2008, 123211
  • Marcello-Müller, Monica (Hg.): Frauenrechte sind Menschenrechte! Schriften der Revolutionärin und Literatin Amalie Struve. Herbolzheim 2002, 110054
  • Marchal, Guy P.: Schweizer Gebrauchsgeschichte: Geschichtsbilder, Mythenbildung und nationale Identität. Basel 2006, 116629
  • Marchi, Otto: Der erste Freischarenzug. Bern 1971, 44958
  • Marx, Karl und Friedrich Engels: Werke und Schriften von März bis Dezember 1848. Moskau/Leningrad 1935, 8143:G
  • Marx, Karl und Friedrich Engels: Werke, Artikel, Entwürfe Februar bis Oktober 1848. Hg. Jürgen Herres und François Melis. 2 Bde. Berlin 2016, 56449:I/7 und I/7A
  • Mehring, Franz et al.: 1848: Ein Lesebuch für Arbeiter. Berlin 1923, 8995
  • Meier, Michaela (Hg.): 1848: Die vergessene Revolution. Wien 2018, D 6053
  • Melis, François: Friedrich Engels’ Wanderung durch Frankreich und die Schweiz im Herbst 1848: Neue Erkenntnisse und Hypothesen, in: MEGA-Studien 1 (1995). S. 61-92, D 5519
  • Meuwly, Olivier: La Régénération: Le libéralisme suisse à l’épreuve du pouvoir (1830–1847). Lausanne 2022, erwartet
  • Meyerhofer, Ursula: Von Vaterland, Bürgerrepublik und Nation: Nationale Integration in der Schweiz 1815–1848. Zürich 2020, 107668
  • Mommsen, Wolfgang J.: 1848 – die ungewollte Revolution: Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830–1849. Frankfurt 1998, 103419
  • Moos, Carlo: Das «andere» Risorgimento: Der Mailänder Demokrat Carlo Cattaneo im Schweizer Exil 1848–1869. Wien/Zürich 2020, 150102
  • Morris, Max (Hg.): Von Cobbett bis zu den Chartisten 1815–1848: Auszüge aus zeitgenössischen Quellen. Berlin 1954, 28864
  • Müller, Frank Lorenz: Die Revolution von 1848/49. Darmstadt 2002, 110810
  • Müller, Thomas Christian: Der Schmuggel politischer Schriften: Bedingungen exilliterarischer Öffentlichkeit in der Schweiz und im Deutschen Bund (1830–1848). Tübingen 2001, 109172
  • Näf, Werner: Die Schweiz in der deutschen Revolution: Ein Kapitel schweizerisch-deutscher Beziehungen in den Jahren 1847–1849. Frauenfeld/Leipzig 1929, 1102
  • Obermann, Karl (Hg.): Flugblätter der Revolution: Eine Flugblattsammlung zur Geschichte der Revolution von 1848/49 in Deutschland. Berlin 1970, 42540
  • Obermann, Karl: Die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung im Frühjahr 1848: Die Wahlvorgänge in den Staaten des Deutschen Bundes im Spiegel zeitgenössischer Quellen. Berlin 1987, 83422
  • Paletschek, Sylvia: Frauen im Umbruch: Untersuchungen zu Frauen im Umfeld der deutschen Revolution 1848/49, in: Fiesler, Beate und Birgit Schulz (Hg.): Frauengeschichte gesucht – gefunden? Auskünfte zum Stand der historischen Frauenforschung. Köln 1991. S. 47-64, 92530
  • Petzet, Wolfgang und Otto Ernst Sutter (Hg.): Der Geist der Paulskirche: Aus den Reden der Nationalversammlung: 1848–1849. Frankfurt 1923, 44068
  • Pfitzner, Josef: Bakuninstudien: Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte. Berlin 1977, 59360
  • Price, Roger: 1848: Kleine Geschichte der europäischen Revolutionen. Berlin 1992, 93903
  • Prieto, Moisés: «Dieser ist auch fürs Vaterland gestorben»: Tod und Gedenken in den Nachwehen des schweizerischen Sonderbundskrieges (1847), in: Hamann, Anja Maria et al. (Hg.): Tod und Krise: Totenfürsorge und Bestattungspraktiken im langen 19. Jahrhundert. Potsdam 2021. S. 112-140, 146035
  • Prieto, Moisés (Hg.): Dictatorship in the nineteenth century: Conceptualisations, experiences, transfers. London/New York 2022, 146277
  • Prieto, Moisés: Narratives of Dictatorship in the Age of Revolution: Emotions, Power and Legitimacy in the Atlantic Space. London/New York 2023, erwartet
  • Püschmann, Friedrich Anton: Das Tagebuch des Buchdruckerlehrlings Friedrich Anton Püschmann während der Revolution von 1848/49 und der Restaurationsepoche von 1850 bis 1856. Hg. Matthias John. 3 Bde. Berlin 2015, 142247:1-3
  • Rappard, William E.: Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft 1848–1948: Vorgeschichte, Ausarbeitung, Weiterentwicklung. Zürich 1948, 15940
  • Rapport, Mike: 1848 – Revolution in Europa. Stuttgart 2011, 125277
  • Reinalter, Helmut (Hg.): Die Anfänge des Liberalismus und der Demokratie in Deutschland und Österreich 1830–1848/49. Frankfurt 2002, 110873
  • Reinalter, Helmut (Hg.): Politische Vereine, Gesellschaften und Parteien in Zentraleuropa: 1815–1848/49. Frankfurt/Bern 2005, 115855
  • Remak, Joachim: Bruderzwist, nicht Brudermord: Der Schweizer Sonderbundskrieg von 1847. Zürich 1997, 104872
  • Rettenmund, Barbara und Jeannette Voirol: Emma Herwegh: Die grösste und beste Heldin der Liebe. Zürich 2000, 107364
  • Reynold, Gonzague de: La Démocratie et la Suisse: Essai d’une philosophie de notre histoire nationale. Bern 1929, 3364
  • Reynold, Gonzague de: Selbstbesinnung der Schweiz. Zürich 1939, 10760
  • Roca, René: Bernhard Meyer und der liberale Katholizismus der Sonderbundszeit: Religion und Politik in Luzern (1830–1848). Bern 2002, 112443
  • Rogger, Franziska: «Wir helfen uns selbst!»: Die kollektive Selbsthilfe der Arbeiterverbrüderung 1848/49 und die individuelle Selbsthilfe Stephan Borns: Borns Leben, Entwicklung und seine Rezeption der zeitgenössischen Lehren. 3 Bde. Erlangen 1986, Gr 5182:1
  • Rohrbacher, Stefan: Gewalt im Biedermeier: Antijüdische Ausschreitungen in Vormärz und Revolution (1815–1848/49). Frankfurt 1993, 95792
  • Rosenberger, Nicole und Norbert Staub (Hg.): Prekäre Freiheit: Deutschsprachige Autoren im Schweizer Exil. Zürich 2002, 110746
  • Rühle, Otto: Achtzehnhundertachtundvierzig: Revolution in Deutschland. Münster 1998, 108779
  • Scherr, Johannes: Von Achtundvierzig bis Einundfünfzig: Eine Komödie der Weltgeschichte. 2 Bde. Leipzig 1868-1870, 15115
  • Scherr, Johannes: 1848: Ein weltgeschichtliches Drama. 2 Bde. Leipzig 1875, 15116
  • Schmid-Ammann, Paul: Der Freiheitskampf der neuen Zeit. Bern 1948, 15857
  • Schmidt, Jürgen: Brüder, Bürger und Genossen: Die deutsche Arbeiterbewegung zwischen Klassenkampf und Bürgergesellschaft 1830–1870. Bonn 2018, 146514
  • Schweizerisches Landesmuseum Zürich (Hg.): Die Erfindung der Schweiz 1848–1998: Bildentwürfe einer Nation: Katalog zur Sonderausstellung des Schweizerischen Landesmuseums Zürich zum 150jährigen Bestehen des Schweizerischen Bundesstaates und zum 100-Jahr-Jubiläum des Museums. Zürich 1998, Gr 9430
  • Schweizerisches Nationalmuseum, Landesmuseum Zürich (Hg.): Zum Geburtstag viel Recht: 175 Jahre Bundesverfassung. Dresden 2023, 149851
  • Schwengeler, Arnold Hans (Red.): Schweizerische Demokratie, 1848–1948: Ein Jubiläumswerk zum hundertjährigen Bestehen des eidgenössischen Bundesstaates: Beiträge von prominenten Persönlichkeiten der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Armee. Murten 1948, Gr 6090
  • Segesser, Jürg: Die Einstellung der Kantone zur Bundesrevision und zur neuen Bundesverfassung im Jahr 1848. Bern 1965, 34986
  • Senn-Barbieux, Walter (Hg.): Das Buch vom General Düfour: Sein Leben und Wirken, mit besonderer Berücksichtigung seiner Verdienste um die politische Selbstständigkeit der Schweiz sowie um Wissenschaft, Kunst und Humanität. St. Gallen 1879, 45020
  • Siemann, Wolfram: Die deutsche Revolution von 1848/49. Frankfurt 1985, 80164
  • Stadler, Peter: Der Kulturkampf in der Schweiz: Eidgenossenschaft und katholische Kirche im europäischen Umkreis, 1848–1888. Frauenfeld/Stuttgart 1984, 76210
  • Steiner, Bruno: Die eidgenössische Militärjustiz unter General Dufour im Sonderbundskrieg 1847/48: Ein Forschungsbericht zur Entstehungsgeschichte der modernen schweizerischen Militärstrafrechtspflege. Zürich 1983, 62946
  • Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M. 9 Bde. Frankfurt 1848-1849, A 1570
  • Stocker, Werner: Sozialdemokratie und Bundesverfassung: Lehren des hundertjährigen Bundesstaates für die schweizerische Arbeiterschaft. Hg. Sozialdemokratische Partei der Schweiz. O. O. u. J. [1948], 335/224c-40
  • Streckfuß, Adolph: Der Freiheits-Kampf in Ungarn in den Jahren 1848 und 1849. Berlin 1850, A 2293
  • Struve Amalie und Gustav Struve: Heftiges Feuer: Die Geschichte der badischen Revolution 1848. Ndr. Freiburg 1998, 103127
  • Studer, Brigitte (Hg.): Etappen des Bundesstaates: Staats- und Nationsbildung der Schweiz, 1848–1998. Zürich 1998, 104062
  • Tajouri, Rafa: Georg Herweghs politisches Denken und Wirken in seinem Verhältnis zur deutschen Linken. Zürich 2011, 125314
  • Thompson, Dorothy: The Chartists: Popular politics in the Industrial Revolution. Hants 1986, 80432
  • Traugott, Mark: Armies of the poor: Determinants of working-class participation in the Parisian insurrection of June 1848. Princeton 1985, 90674
  • Verein Frauenstadtrundgang Aarau und Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern des Kantons Aargau (Hg.): Was Männer wollten und Frauen taten: Erster historischer Frauenstadtrundgang Aarau 1998: Beiträge zur Frauen- und Geschlechtergeschichte im Aargau zwischen Helvetik und Bundesstaat (1798–1848). Baden 1998, 103975
  • Vertrag betreffend die Erledigung der Neuenburgerangelegenheit: Abgeschlossen am 26. Mai 1857. Bern 1857, R 648
  • Vuilleumier, Marc: Flüchtlinge und Immigranten in der Schweiz: Ein historischer Überblick. Zürich 1989, 88965
  • Weber, C.: Der Sonderbund und seine Auflösung von dem Standpunkte einer nationalen Politik. St. Gallen 1848, A 2016
  • Weber, Karl: Die schweizerische Presse im Jahre 1848. Basel 1927, 13368
  • Weber, Rolf (Hg.): Rosen unter Alpenschnee: Deutsche Emigranten in der Schweiz 1820–1885. Berlin 1983, 76071
  • Der Weg der Schweiz, 1748 – 1848 – 1948: Ausstellung im Helmhaus Zürich 21. Februar bis 25. April 1948: Wegleitung. Zürich 1948, B 541
  • Wegensteiner-Prull, Eva: Mazzini, Guiseppe: Ein Leben für die Freiheit: 1805–1872: Biografie. Wien 2017, 138194
  • Weigel, Sigrid: Flugschriftenliteratur 1848 in Berlin: Geschichte und Öffentlichkeit einer volkstümlichen Gattung. Stuttgart 1979, 94829
  • Widmer, Sigmund: Sonderbundskrieg und Bundesreform von 1848 im Urteil Frankreichs. Bern 1948, 15858
  • Wischermann, Ulla: «Das Himmelskind, die Freiheit – wir ziehen sie gross zu Haus»: Frauenpublizistik im Vormärz und in der Revolution von 1848, in: Kleinau, Elke und Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 2. Frankfurt/New York 1996, S. 35-50, 99460:2
  • Wolff, Adolf: Berliner Revolutions-Chronik: Darstellung der Berliner Bewegungen im Jahre 1848 nach politischen, socialen und literarischen Beziehungen. 3 Bde. Berlin 1851, A 2177

Periodika

  • 1848, révolutions et mutations au XIXe siècles: Bulletin de la Société d’histoire de la révolution de 1848 et des révolutions du XIXe siècle, D 5017
  • Das freie Wort: Alles für das Volk und für des Volkes Freiheit, für Deutschlands Einheit, ZZ 322
  • Freiheit, Arbeit: Organ des Kölner Arbeitervereins, N 4141
  • Leipziger Reibeisen, NN 524
  • Neue Rheinische Zeitung: Organ der Demokratie, G 178
  • Revue d’histoire du XIXe siècle: Revue de la Société d’Histoire de la Révolution de 1848 et des Révolutions du XIXe Siècle, D 6341
  • Die Verbrüderung: Correspondenzblatt aller deutschen Arbeiter, N 4184
  • Vereinigte Volksblätter für Sachsen und Thüringen, NN 526
  • Das Volk: Organ des Central-Komitees für Arbeiter: Eine sozialpolitische Zeitschrift, N 4227
  • Das westphälische Dampfboot: Eine Monatsschrift, NN 196

Ausstellung zum Thema mit Material aus dem Sozialarchiv:
Zum Geburtstag viel Recht: 175 Jahre Bundesverfassung, Landesmuseum Zürich, 17. März – 16. Juli 2023

Sodafabrik Zurzach: Abwassereinleitung in den Rhein, 1975 (Foto: Günter Sokolowski/SozArch F Fd-0007-016)
Sodafabrik Zurzach: Abwassereinleitung in den Rhein, 1975 (Foto: Günter Sokolowski/SozArch F Fd-0007-016)

7.6.2023, 18 Uhr: Gifttod, Betonwüsten, strahlende Zukunft

Vernissage im Werdhölzli

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Schweiz radikal umgebaut: Der Verbrauch fossiler Brennstoffe schiesst in die Höhe, Autobahnen werden erstellt, die kommerzielle Nutzung der Atomkraft hält Einzug. Badeverbote in Seen und Flüssen, vergiftete Obstplantagen und die Zubetonierung der Landschaft sind die Folgen. Gegen diese Entwicklung wehren sich Natur- und Umweltschutzorganisationen. Die entsprechenden Auseinandersetzungen werden auch im Film und in der Fernsehberichterstattung geführt.

Thomas Schärer und Stefan Länzlinger haben für die Publikation Gifttod, Betonwüsten, strahlende Zukunft – Umweltbewegungen und bewegte Bilder in der Schweiz, 1940–1990 (Bern 2020) Hunderte Stunden Filmmaterial analysiert und damit die Umweltgeschichte der Schweiz um eine spannende Dimension erweitert.

Die Vernissage der Publikation findet in passender Umgebung in der Kläranlage Werdhölzli statt. Dort zeigen und kommentieren die Autoren Filmausschnitte und es gibt eine kleine Führung mit einem Überraschungsgast. Für Speis und Trank ist gesorgt. Wir freuen uns, an einem hoffentlich lauschigen Frühsommerabend mit Ihnen auf die Publikation anzustossen!

Mittwoch, 7. Juni 2023, 18 Uhr
Grillstelle Werdhölzli, Bändlistrasse 148, 8064 Zürich
Die Veranstaltung findet draussen statt (gedeckter Pavillon).
Anreise mit dem Tram: Linie 17 Richtung Werdhölzli bis Endstation, dann zu Fuss.

Veranstaltungsflyer herunterladen (PDF, 211 KB)

Nein-Plakat zur kantonalen Volksinitiative «Gegen Steuergeschenke für Superreiche; für einen starken Kanton Zürich», 2013 (Urheber:in unbekannt/SozArch F Pe-1430)
Nein-Plakat zur kantonalen Volksinitiative "Gegen Steuergeschenke für Superreiche; für einen starken Kanton Zürich", 2013 (Urheber:in unbekannt/SozArch F Pe-1430)

Der Jahresbericht 2022 liegt vor

Das Wichtigste in Kürze

Das Thema «Steuern» ist ein politischer und gesellschaftlicher Dauerbrenner. Wer wie viel Steuern bezahlen muss, wer mit welchen Mitteln die Bezahlung von Steuern vermeidet, welche Steuerarten gerecht oder ungerecht, sozialverträglich oder wirtschaftsfreundlich sind, welche Auswirkungen steuerpolitische Veränderungen auf Staat, Wirtschaft, einzelne gesellschaftliche Gruppen und die Umwelt haben, steuerliche Unterschiede zwischen benachbarten Gemeinden und Kantonen sowie internationale Versuche zur Steuerharmonisierung sind immer wieder Gegenstand politischer und medialer Debatten, die etwa Wortschöpfungen wie «Steueroase», «Steuergeschenke» oder «Steuerhölle» hervorgebracht haben. Allein im Berichtsjahr 2022 wurden die Stimmberechtigten zweimal für steuerpolitische Bundesvorlagen an die Urne gerufen, hinzu kamen mehrere kantonale Urnengänge zu Steuerfragen. Die Illustrationen des vorliegenden Jahresberichts laden Sie ein zu einem Streifzug durch ein Jahrhundert Steuerpolitik und zeigen Veränderungen, vor allem aber Konstanten bei der Vermittlung der komplexen Materie durch Parolen und Bilder.

Im Berichtsjahr hat das Sozialarchiv das Angebot an analogen und digitalen, schriftlichen und audiovisuellen Quellen, wissenschaftlicher und grauer Literatur zu seinen Schwerpunktthemen erneut in allen Abteilungen ausgebaut. Das Archiv verzeichnete eine rekordhohe Zahl von 78 neuen Beständen. Wichtige Übernahmen waren etwa die Archive von terre des hommes schweiz, Integras (Fachverband Sozial- und Sonderpädagogik), CIPRA Schweiz, Solidarité sans frontières und dem Verein Shedhalle Zürich, die Vorlässe von Regula Renschler sowie Judith und Sergio Giovannelli-Blocher und umfangreiche Nachlieferungen zu den Archiven der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie, Partei der Arbeit, des Schweizerischen Verbandes für Frauenrechte, Schweizerischen Bankpersonalverbandes, Schweizerischen Arbeiter-Hilfswerks/Solidar Suisse, Personalverbandes des Bundes und Public Eye/Erklärung von Bern. Die drittmittelfinanzierten Erschliessungs- und Digitalisierungsarbeiten an der Sammlung «Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte» und dem Fotoarchiv Claude Giger konnten vorangetrieben werden. Das von Felix Aeppli übernommene umfangreiche Rolling-Stones-Archiv wurde der Benutzung zugänglich gemacht.

Die Bestände des Sozialarchivs wurden im Berichtsjahr intensiv genutzt. Sowohl im Archiv als auch in der Sachdokumentation nahmen die Anzahl der Benutzer:innen und der Benutzungstage gegenüber dem Vorjahr zu. Hingegen zeigen sich bei der Benutzung der Bibliotheksbestände nach wie vor grosse Unsicherheiten und Orientierungsprobleme im Umgang mit dem neuen swisscovery-Katalog. Einen hohen Stellenwert hatten auch in diesem Berichtsjahr die Vermittlungsaktivitäten und die Öffentlichkeitsarbeit. Nachdem sich im Frühjahr die pandemische Situation beruhigt hatte, konnte bei den Führungen und öffentlichen Veranstaltungen wieder auf Normalbetrieb mit physischen Anlässen umgestellt werden. Im September war das Sozialarchiv – zum fünften Mal nach 1972, 1988 und 2006 sowie der digitalen Tagung von 2021 – Gastgeber der Jahreskonferenz der «International Association of Labour History Institutions» (IALHI). Die analogen und digitalen Kommunikationskanäle des Sozialarchivs wurden im Berichtsjahr weiterentwickelt. Auf das Frühjahr 2022 hin erfolgte ein konzeptioneller und visueller Relaunch des «SozialarchivInfo». Während des ganzen Jahres liefen inhaltliche, technische und organisatorische Vorarbeiten für einen Relaunch der Website auf das Jahr 2024 hin. Der Fonds «Forschung Ellen Rifkin Hill» förderte im Berichtsjahr acht Projekte.

Auch wurden im Berichtsjahr verschiedene betriebliche Neuerungen vorbereitet. Nach den pandemiebedingten Erfahrungen mit Homeoffice wurden Richtlinien für die dauerhafte Möglichkeit von mobilem Arbeiten entwickelt und umgesetzt. Ebenso erfolgten Vorarbeiten für die Neuaufstellung der Archivabteilung und Informatik im Hinblick auf bevorstehende Personalwechsel und als Reaktion auf die Erfordernisse des digitalen Wandels.

Das Schweizerische Sozialarchiv dankt allen, die es 2022 unterstützt haben: den Behörden, den Vereinsmitgliedern, den Partnerinstitutionen und -vereinigungen, den Benutzerinnen und Benutzern sowie allen Personen und Organisationen, die uns Schenkungen und Leihgaben anvertraut haben. Ein besonderer Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne deren Einsatz das Sozialarchiv seine vielfältigen Aufgaben nicht erfüllen könnte.

Der vollständige Jahresbericht 2022 als PDF (6 MB)

20.4.2023, 19 Uhr: Diktatur im 19. Jahrhundert

Buchpräsentation mit dem Autor Moisés Prieto

Die Diktatur, im 20. und frühen 21. Jahrhundert ein allgegenwärtiges Phänomen, hat in ihrer modernen Form die Wurzeln im 19. Jahrhundert. Als Gegenmodell sowohl zu den auf Gottesgnadentum und dynastischer Vererbung beruhenden Monarchien als auch zum aus den Ideen der Amerikanischen und Französischen Revolutionen hervorgegangenen Verfassungsstaat auf Basis der Volkssouveränität schuf sie eine Herrschaftsform, die es Usurpatoren wie den beiden Napoleonen in Frankreich oder zahlreichen Heerführern in den neuen lateinamerikanischen Staaten ermöglichten, mit einer Mischung aus populistischen Versprechen, Mobilisation von Emotionen und Gewaltherrschaft ihre persönliche Macht zu sichern und aufrechtzuerhalten. Die Diktatur des 19. Jahrhunderts grenzte sich dabei sowohl vom namensgebenden altrömischen Vorbild als auch von den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts ab.
Die beiden neuen Bücher von Moisés Prieto analysieren Funktionsweise und Legitimationsstrategien der Diktaturen des 19. Jahrhunderts und weisen auch auf transatlantische Austauschprozesse hin.

Donnerstag, 20. April 2023, 19 Uhr
Schweizerisches Sozialarchiv, Medienraum

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Vor 100 Jahren: Aufschwung der Baugenossenschaften

Die Schweiz ist bekanntlich ein Land der Mieter:innen. Landesweit leben 58% der Bevölkerung in Mietverhältnissen, lediglich 42% im Eigenheim. Als eine spezielle dritte Form des Wohnens wird häufig die Genossenschaft mit ihrer Gleichzeitigkeit von Mietverhältnis und kollektivem Miteigentum betrachtet. Nicht nur liegen bei Baugenossenschaften die Mietzinsen pro Quadratmeter etwa 15% unter dem Durchschnitt aller Mietwohnungen, sondern sie ermöglichen auch die Mitwirkung im Sinne der Genossenschaftsidee, die seit 2016 Teil des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO ist. Heute sind in der Schweiz etwa 160’000 Wohnungen, das sind etwa 5% des gesamten Wohnungsbestands, im Eigentum von rund 1’500 Baugenossenschaften. In den grösseren Städten ist der Anteil aber bedeutend höher. In der Hochburg Zürich besitzen die über 120 Baugenossenschaften etwa 18% aller Wohnungen, im Kanton Basel-Stadt sind es immerhin 10%. Wohnbaugenossenschaften sind keine schweizerische Besonderheit. In zahlreichen Ländern existieren vergleichbare Einrichtungen. In Deutschland leben heute etwa 5 Millionen Menschen in Genossenschaftswohnungen. Spitzenreiterin ist die Stadt Hamburg mit einem genossenschaftlichen Anteil am Gesamtwohnungsbestand von 14%. In Schweden wohnt ein Sechstel der Bevölkerung in Genossenschaften. Die grösste genossenschaftliche Siedlung der Welt, die um 1970 in der New Yorker Bronx erbaute «Co-op City», umfasst etwa 15’000 Wohnungen mit 50’000 Einwohner:innen und besitzt eine eigene urbane Infrastruktur. Das Schweizer Baugenossenschaftswesen erlebte seinen Take-off vor 100 Jahren, in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts.

Entwicklung und Vielfalt des Genossenschaftswesens

Das moderne Genossenschaftswesen in der Schweiz hat verschiedene ideelle Wurzeln. Neben der Anknüpfung an vormoderne bäuerliche und handwerkliche Organisationsformen (inklusive der Eid-Genossenschaft) kamen im 19. Jahrhundert Einflüsse aus dem britischen und französischen Frühsozialismus (etwa von Robert Owen und Charles Fourier), den «redlichen Pionieren» von Rochdale bei Manchester – 28 Webern, die 1844 eine Konsum- und Spargenossenschaft gründeten und dabei Grundsätze aufstellten, die für die internationale Genossenschaftsbewegung vorbildhaft wurden – sowie von den deutschen Genossenschaftspionieren, dem Linksliberalen Hermann Schulze-Delitzsch (unter dessen Einfluss 1867 das erste preussische Genossenschaftsgesetz zustande kam) und den christlich-karitativen Victor Aimé Huber und Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Der während des Hungerjahrs 1817 erschienene Roman «Das Goldmacherdorf» des deutsch-schweizerischen liberalen Schriftstellers und Pädagogen Heinrich Zschokke gilt mit seiner Betonung der wirtschaftlichen Selbsthilfe als erster Genossenschaftsroman der Weltliteratur. Bereits 1825/26 entstand die Schweizerische Gesellschaft zur gegenseitigen Versicherung des Mobiliars gegen Brandschaden (heute: Die Mobiliar) als genossenschaftlich organisierte Versicherung.

In Zürich wurde 1869 die Genossenschaftsidee bei der Totalrevision der Kantonsverfassung auf Betreiben des von Fourier beeinflussten Karl Bürkli, der den sozialistischen Flügel der demokratischen Bewegung anführte, in der Verfassung verankert, die es im Artikel 23 zur Staatsaufgabe machte, «die Entwicklung des auf Selbsthilfe beruhenden Genossenschaftswesens» zu fördern und erleichtern (s. SozialarchivInfo 6/2018). Das Obligationenrecht von 1881 etablierte die Rechtsform der Genossenschaft auf gesamtschweizerischer Ebene. Die Zahl der Genossenschaften nahm in der Folge rasant zu: 1887 waren in der Schweiz 690 Genossenschaften registriert, 1895 2’300 und 1903 bereits knapp 4’000. Dem 1895 gegründeten Internationalen Genossenschaftsbund (IGB) traten bald auch Schweizer Organisationen bei. 1921 sollte er dann seinen ersten Nachkriegskongress in Basel abhalten und in Anwesenheit des freisinnigen Bundespräsidenten Edmund Schulthess eine Deklaration für Frieden und Völkerversöhnung erlassen. 1923 setzte der IGB den jeweils ersten Samstag im Juli als internationalen Genossenschaftstag fest, der bis heute auch von Schweizer Baugenossenschaften begangen wird. 1937 bekannte sich der IGB zu den «Grundsätzen von Rochdale», wozu unter anderem die offene Mitgliedschaft, demokratische Entscheidungsprozesse, politische und religiöse Neutralität, Rückvergütung von Gewinnen an die Genossenschafter:innen und Förderung der Bildung zählten.

Im späten 19. Jahrhundert erlebte das Schweizer Genossenschaftswesen vor allem in zwei Bereichen einen Aufschwung: Erstens breiteten sich die Konsumgenossenschaften aus, deren Vorläufer bereits in der Frühindustrialisierung entstanden waren. Wichtige Gründungen (die bis 1881 noch oft die Rechtsform der Aktiengesellschaft hatten) waren als Pioniere im früh industrialisierten Kanton Glarus die «Aktienbäckereien» in Schwanden (1839), Mollis (1842) und Glarus (1843), sodann der 1851 von Bürkli mitgegründete Konsumverein Zürich (KVZ), 1865 der Allgemeine Consum-Verein Basel (ACV) und 1878 der Lebensmittelverein Zürich (LVZ). Der 1890 als Dachorganisation gegründete Verband schweizerischer Konsumvereine (VSK, seit 1970: Coop) umfasste im Gründungsjahr bereits 43 Mitgliedsgenossenschaften und wuchs bis in die Zwischenkriegszeit auf über 500 an. 1927 gründete der VSK zusammen mit dem Schweizerischen Gewerkschafsbund die Genossenschaftliche Zentralbank (GZB, heute: Bank Cler). Das Organisationsmodell der Konsumgenossenschaften wurde dann auch von der 1925 entstandenen Migros imitiert, welche sich 1941 unter dem Motto des «sozialen Kapitals» von der Form regionaler Aktiengesellschaften in Regionalgenossenschaften umwandelte, die im Migros-Genossenschaftsbund zusammengeschlossen wurden.

Zweitens löste die Agrarkrise der 1880er-Jahre eine Gründungswelle landwirtschaftlicher Bezugs- und Absatzgenossenschaften aus. Dabei konnte an die Tradition der Wald- und Alpkorporationen sowie Sennerei-, Milch- und Käsereigenossenschaften angeknüpft werden. Eine wichtige Rolle spielte der 1886 gegründete Verband Ostschweizerischer Landwirtschaftlicher Genossenschaften (VOLG). Hinzu kamen ab der Jahrhundertwende als ländliche Kreditgenossenschaften die Raiffeisenkassen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es rund 400 landwirtschaftliche Genossenschaften mit etwa 30’000 Mitgliedern.

Weniger erfolgreich waren die Produktionsgenossenschaften. In den 1860er-Jahren unter dem Einfluss der Ersten Internationale (die das Genossenschaftswesen begrüsste, ihm aber lediglich eine Hilfsfunktion zubilligte) und um die Jahrhundertwende (häufig im Zusammenhang mit Streiks) gab es zwei Wellen von Gründungen im handwerklichen Bereich, die jedoch oft nach kurzer Zeit wieder verschwanden. Immerhin entstand 1932, zunächst unter dem Namen Schweizerischer Verband sozialer Baubetriebe (VSB), dann als Verband genossenschaftlicher Bau- und Industrieunternehmungen (VGB), ein Zusammenschluss, der bis 2009 existierte und dessen Archiv heute im Sozialarchiv lagert. An der Gründung des VSB beteiligten sich 17 Produktionsgenossenschaften, eine Baugenossenschaft und der Schweizerische Gewerkschaftsbund. Auf dem Höhepunkt in den 1950er-Jahren hatte der Verband knapp 50 Mitgliedsgenossenschaften.

Über ihre wirtschaftlichen und sozialen Funktionen hinaus waren die Genossenschaften auch verschiedentlich mit der Entwicklung politischer Parteien verbunden. Bereits in den frühen 1850er-Jahren bildeten der KVZ die Basis einer (als «Sozial-Demokraten», «Bluthrothe» oder «Neudemokraten» bezeichneten) Oppositionsbewegung gegen die im Kanton Zürich dominanten Liberalen um Alfred Escher, aus der im folgenden Jahrzehnt die demokratische Bewegung hervorgehen sollte (s. SozialarchivInfo 6/2018). Ab dem späten 19. Jahrhundert waren die Konsumgenossenschaften mit der Arbeiterbewegung verbunden. Allerdings zeigen die Kräfteverhältnisse im LVZ-Genossenschaftsrat ein differenziertes Bild: Das 1914 geschaffene, von den (männlichen und weiblichen) Mitgliedern im Proporz gewählte Gremium besass bis Mitte der 1920er-Jahre mehrfach eine knappe bürgerliche Mehrheit, bevor die Linke dann eine dauerhafte Mehrheitsposition eroberte.

Die kurz nach der Jahrhundertwende aufkommenden genossenschaftlichen Konkordia-Läden in der Ostschweiz waren eng mit der Entstehung der christlichsozialen Bewegung innerhalb des katholischen Milieus verknüpft. Zeitgleich gingen die Bemühungen um Gründung eigenständiger Bauernparteien oft vom Funktionärskader der landwirtschaftlichen Genossenschaften aus. Prominentestes Beispiel ist Rudolf Minger, ab 1909 Präsident der landwirtschaftlichen Genossenschaft Schüpfen und ab 1911 Mitglied von Vorstand und Verwaltungskommission des bernischen Genossenschaftsverbandes, an dessen Delegiertenversammlung 1917 im Berner «Bierhübeli» er die legendäre Rede hielt, die im Folgejahr in die Gründung einer vom Freisinn unabhängigen bernischen Bauern- und Bürgerpartei mündete. 1929 wurde er dann erster Bundesrat der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (Vorläuferin des SVP). Und die Migros war jahrzehntelang mit dem von Gottlieb Duttweiler 1936 geschaffenen Landesring der Unabhängigen (LdU) verbunden, dessen Spitzenpolitiker:innen oft auch hohe Funktionen im Management des Migros-Genossenschaftsbundes bekleideten.

1912 forderten ein sozialdemokratisches Postulat sowie eine Eingabe des VSK die Einrichtung eines Lehrstuhls für «Geschichte und Theorie des Genossenschaftswesens» an der Universität Zürich. Daraufhin wurde das Lehrgebiet einer bestehenden nationalökonomischen Professur um Aspekte des Genossenschaftswesens erweitert. In den Krisenjahren um das Ende des Ersten Weltkriegs herum und angesichts des Landesstreiks sowie der Revolutionen in Russland und zahlreichen weiteren Ländern begannen Diskussionen um einen Mittelweg zwischen ungezügeltem Privatkapitalismus und marxistischem Staatssozialismus. Dabei forderten gemässigte sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Stimmen wie auch reformbürgerliche Kräfte neben dem Aufbau eines Sozialstaats auch Schritte in Richtung einer «Wirtschaftsdemokratie» und argumentierten häufig mit genossenschaftlichen Organisationsmodellen. So beinhaltete das Aktionsprogramm der Zürcher Freisinnigen vom Mai 1919 die «Demokratisierung der Arbeitsverhältnisse durch Schaffung von Wirtschaftsräten» sowie die «Bildung und Förderung von Genossenschaften».

Die vielfältigen Wurzeln und Interpretationen der Genossenschaftsidee widerspiegelten sich auch in der Entwicklung des Baugenossenschaftswesens. So gab es beispielsweise in Basel schon in der Frühphase neben den aus der Arbeiterbewegung lancierten Wohngenossenschaften den von bürgerlich-konservativen Kreisen initiierten Verein Gemeinnütziger Wohnungsbau, der über Jahre verschiedene Wohnbaugenossenschaften gründete. Als Gegenstück zum 1919 entstandenen Schweizerischen Verband für Wohnungswesen (heute: Wohnbaugenossenschaften Schweiz), dem weitaus grössten Dachverband der Baugenossenschaften, wurde 1965 der FDP-nahe Schweizerische Verband Liberaler Baugenossenschaften (heute: Wohnen Schweiz) ins Leben gerufen. Mit dem Schweizerischen Verband für sozialen Wohnungsbau gab es im christlichsozialen Organisationsgeflecht des katholischen Milieus noch einen dritten Dachverband.

Wohnungsprobleme und Wohnbaupolitik von der «Belle Époque» bis zum Landesstreik

Die Anfänge des Wohnbaugenossenschaftswesens liegen im späten 19. Jahrhundert, als die durch die Industrialisierung angetriebene Verstädterung mit erheblichen Wohnproblemen einherging. Zwischen 1850 und 1910 wuchsen die Bevölkerungszahlen der grössten Schweizer Städte massiv: In Zürich von 41’500 auf 215’500, in Genf von knapp 38’000 auf über 115’000, in Basel von knapp 30’000 auf 132’000, in Bern von knapp 30’000 auf knapp 91’000, in St. Gallen von knapp 18’000 auf 75’500, in Lausanne von 17’000 auf über 64’000 und in Winterthur von 13’500 auf über 46’000 (immer bezogen auf die heutige Stadtfläche). Die alte Stadt Zürich (die nur den heutigen Kreis 1 umfasste) verschmolz in dieser Zeit zunehmend mit den ursprünglich bäuerlich-kleingewerblich geprägten «Ausgemeinden» zu einer Siedlungseinheit. Das rasche Wachstum von Bevölkerung, Wirtschaft und überbauter Fläche sowie insbesondere die desolate Lage von Aussersihl, das innert weniger Jahre von einem kleinen Dorf zu einer mit Arbeiter:innen und Immigrant:innen übervölkerten Stadt entlang der Bahnschienen wurde, die bevölkerungsmässig sogar Zürich überholte, deren Infrastrukturen überfordert und deren Gemeindefinanzen angesichts des fehlenden Finanzausgleichs hoch defizitär waren, mündeten 1893 in die erste Eingemeindung. Dadurch vermehrte sich die Stadtfläche um einen Faktor 26 und Zürich (das nun die heutigen Kreise 1 bis 8 umfasste) wurde mit 120’000 Einwohner:innen zur ersten Grossstadt der Schweiz.

Im Zuge dieser Wachstumsschübe wurde die Wohnungsfrage zum Politikum. Häufig wohnten Arbeiterfamilien zusammen mit familienfremden Untermieter:innen in kleinen Ein- oder Zweizimmerwohnungen mit ungenügenden sanitären Einrichtungen. Selbst Obdachlosigkeit ganzer Familien war keine Seltenheit. So lebten in Bern im Sommer 1889 fast 100 Familien auf der Strasse bzw. in stadtnahen Wäldern. Wohnungsenquêten wie 1889 in Basel und 1896 in Zürich belegten für die Arbeiterquartiere sehr beengte, aber im Kubikmetervergleich relativ teure Wohnverhältnisse und wiesen auf dadurch verursachte hygienische und «sittliche» Probleme sowie das Phänomen sehr häufiger Wohnungswechsel hin. Einige dieses Enquêten sind 2022 von Sebastian Kohl (FU Berlin/Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung, Köln) und Florian Müller (Universität Zürich/FernUni Schweiz) im Rahmen eines Ellen-Rifkin-Hill-Projektes zur Erforschung und Visualisierung urbaner räumlicher Ungleichverteilung von Wohnraum, Wohnkomfort und Mietbelastung in der Schweiz und im Deutschen Reich ausgewertet worden. Zeitgenössisch kritisierten Pfarrer, Magistraten, Architekten, Sozialreformer und bürgerliche Frauen vor allem die häufig im Besitz der Fabrikherren befindlichen «Mietskasernen» und stiessen wohnungspolitische Debatten an. Diese Diskussionen waren international. Aufsehen erregte das Werk «How the Other Half Lives» (1890) des dänisch-amerikanischen Investigativjournalisten, sozialdokumentarischen Fotografen und christlichen Sozialreformers Jacob A. Riis über die katastrophalen Wohnverhältnisse in der New Yorker Lower East Side. Eine wichtige Person in der Schweiz war Paul Pflüger, Pfarrer in Aussersihl und später Stadt- und Nationalrat sowie Gründer des Sozialarchivs, der 1899 die Schrift «Die Wohnungsfrage» vorlegte.

In dieser Phase entstanden auch die ersten Baugenossenschaften in Basel, Bern, Biel, Zürich, Winterthur und St. Gallen. In der Stadt Zürich waren dies 1890 Eigenheim, 1892 die Bau- und Spargenossenschaft, 1895 Daheim und 1898 Westheim. Diese Genossenschaften wurden zumeist von mittelständischen Gruppen initiiert und grenzten sich teilweise ausdrücklich von der Arbeiterbewegung und den Konsumgenossenschaften ab. Die Pflichtanteilscheine kosteten 500 bis 1’000 Franken, das entsprach etwa einem halben Jahreslohn eines Arbeiters und schloss Arbeiterfamilien von ihrem Erwerb weitgehend aus. Die Genossenschafter stammten denn auch überwiegend aus klein- und mittelbürgerlichen Schichten. So trugen die ersten drei Präsidenten der auf Initiative eines Mietervereins entstandenen Bau- und Spargenossenschaft (heute: Bau- und Wohngenossenschaft) der Jahre 1892 bis 1931 allesamt einen Professorentitel. Eine Ausnahme bildete die Genossenschaft Westheim, die mit der «Arbeitersparkasse» zusammenarbeitete und lediglich ein Depositum von 100 Franken verlangte.

Nach der Jahrhundertwende wurde die Stadt Zürich auch selber tätig. 1900/01 errichtete sie beim Werkgelände des neuen städtischen Gaswerks in Schlieren eine Arbeiterwohnkolonie sowie getrennt davon eine kleine Beamtensiedlung. Ab 1907 entstanden auch in Zürich selber kommunale Bauten, die beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 368 Wohnungen umfassten. Zudem verabschiedete das Stadtparlament 1910 «Grundsätze zur Unterstützung gemeinnütziger Baugenossenschaften», die eine Förderung mittels günstigen Verkaufs von Baugrund, Gewährung vergünstigter Darlehen, Übernahme von Genossenschaftsanteilen sowie unter anderem auch die Unverkäuflichkeit subventionierter Mehrfamilienhäuser festschrieben. Im selben Jahr erfolgte die Gründung der «Genossenschaft für Beschaffung billiger Wohnungen und von Kleinhäusern», die von der Stadt für den Bau von zwölf Häusern günstiges Bauland an der Bertastrasse erhielt. Ebenfalls noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstanden zwei Siedlungen der Baugenossenschaft Entlisberg (deren Archiv im Sozialarchiv lagert) und der vom freisinnigen Stadtpräsidenten Robert Billeter sowie Stadtrat Paul Pflüger mitgegründeten Gartenstadt-Genossenschaft Zürich, die mit städtischer Beihilfe stilistisch an Bauerndörfern orientierte Einfamilienhaus-Kolonien für mittelständische Bewohner:innen schuf.

Die Stadt Zürich war bei der kommunalen Unterstützung von Baugenossenschaften und anderer gemeinnütziger Wohnbaugesellschaften indessen nicht die Pionierin. Im Jahre 1910 gab es bereits in Arbon, Chur, La Chaux-de-Fonds, Lausanne, Le Locle, Payerne, Schaffhausen, Solothurn, St. Gallen und Vevey solche Wohnungen. Die Tagung des Schweizerischen Städteverbandes von 1909 befürwortete als Arten kommunaler Unterstützung gemeinnütziger Wohnbaugenossenschaften die Abtretung billigen Baulandes, Mithilfe bei der Kapitalbeschaffung, Gewährung von Hypotheken und Garantieleistung bei der Aufnahme von Hypotheken bei Dritten. Zu den Pionieren des genossenschaftlichen Wohnungsbaus gehörte das Verkehrspersonal. Eisenbahner-Baugenossenschaften entstanden beispielswiese 1909 in St. Gallen, Erstfeld, Olten und Rorschach, 1910 in Biel, Luzern und Zürich, 1911 in Brig, 1913 in Rapperswil und 1919 in Bern. 1926 sollte es in der Schweiz bereits 20 Eisenbahner-Baugenossenschaften geben, die von günstigen Hypotheken seitens der SBB profitierten. In Zürich entstanden in der ersten Hälfte des Ersten Weltkriegs die ersten genossenschaftlichen Arbeitersiedlungen. 1914/15 eröffnete die Eisenbahner-Baugenossenschaft Zürich die Kolonie Industrie I. 1918 fusionierte sie mit der Baugenossenschaft des Postpersonals zur Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals (BEP). 1916 erfolgte als Selbsthilfeprojekt der Arbeiterschaft die Gründung der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ), deren Archiv heute im Sozialarchiv lagert. Ihre Anteilscheine kosteten nur 50 Franken, die in Monatsraten von 2 Franken abbezahlt werden konnten. Die erste ABZ-Siedlung wurde 1920 eröffnet.

Im Verlauf des Ersten Weltkriegs spitzte sich parallel zu den Versorgungsengpässen bei Nahrung, Energie und Kleidern auch die Wohnungsnot zu. Da die Baukosten während der Kriegsjahre um das Zweieinhalbfache stiegen, kam die Wohnbautätigkeit fast zum Erliegen. In Basel beispielsweise wurden zwischen 1915 und 1919 80% weniger Wohnungen erbaut als zuvor zwischen 1910 und 1914. Ganze Familien wurden in Einzelzimmern oder Baracken untergebracht. Die Verknappung des Angebots zog eine starke Erhöhung der Mietzinsen nach sich, die neben der Teuerung bei knappen Gütern des täglichen Gebrauchs dazu beitrug, dass die Arbeiterschichten Reallohnverluste von rund 25% erlitten. Aus Furcht vor Unruhen antwortete der Bund mit einer Reihe von Erlassen zum Mieterschutz und zur Beschlagnahmung unbenutzter Wohnungen. Im Verlauf des Jahres 1918 erhob das Oltener Aktionskomitee, das dann im November den Landesstreik leiten sollte, mehrfach Forderungen zur Wohnungspolitik, unter anderem die Idee einer Bundesförderung für Baugenossenschaften, und diskutierte auch mit dem Bundesrat über dieses Thema. Ende Oktober 1918 schränkte der Bundesrat auf Antrag der Stadt Zürich durch den «Bundesbeschluss betreffend Bekämpfung der Wohnungsnot durch Beschränkung der Freizügigkeit» die Niederlassungsfreiheit innerhalb der Schweiz ein, um den Zuzug in die Städte zu unterbinden. Wie die Versorgungskrise hielt auch die Wohnungsnot aber über das Kriegsende hinaus an. In der Stadt Zürich, wo noch im Oktober 1919 7% der Bevölkerung von Nahrungsmittelhilfen abhängig waren, sank der Leerwohnungsbestand im ersten Nachkriegsjahr auf rekordtiefe 0,05%.

Staatliche Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus

Nach dem Landesstreik trat die Schweiz in eine kurze Phase sozialer Reformen ein, die die Arbeiterschaft besänftigen sollten (sogenannter «Galop social»). Neben der Einführung der 48-Stunden-Woche und Vorbereitungsarbeiten für die (effektiv erst drei Jahrzehnte später eingeführte) AHV gehörte dazu auch eine aktivere staatliche Wohnbaupolitik. Im März 1919 bewilligten die eidgenössischen Räte 12 Millionen Franken für Arbeitsbeschaffungs- und Wohnbauförderungsmassnahmen, zu denen bereits zwei Monate später weitere 10 Millionen kamen. 1920 bis 1922 wurden für diesen Zweck weitere Mittel gesprochen. Erst nachdem die Baukosten wieder zurückgegangen waren, wurden die Bundessubventionen zurückgefahren und 1925 ganz eingestellt. Indirekt unterstützte der Bund die Wohnbautätigkeit auch dadurch, dass Unternehmen Investitionen in Personalwohnungen steuerlich absetzen konnten.

Die Bundesförderung, die häufig mit kantonalen Zusatzsubventionen verknüpft war, führte zu einem sprunghaften Anstieg der Zahl der Baugenossenschaften in der Schweiz: Hatte es 1900 deren 13 und 1915 45 gegeben, so waren es 1920 bereits 128 und 1926 dann 275. Sie verteilten sich allerdings sehr ungleichmässig über die Kantone, Gemeinden und Sprachregionen. 1926 waren 116 Baugenossenschaften im Kanton Zürich domiziliert, 56 im Kanton Bern, 22 in Basel-Stadt und 10 im Kanton Luzern. Nur sehr wenige Baugenossenschaften gab es in ländlich geprägten Kantonen und generell in der lateinischen Schweiz. Innerhalb der Kantone konzentrierten sich die Baugenossenschaften vor allem auf die grösseren Städte.

Mit dem Ende der Bundesförderung gingen manche Gemeinden dazu über, selber den gemeinnützigen Wohnungsbau stärker zu fördern. Die Stadt Zürich etwa schuf 1924, damals noch mit knappen bürgerlichen Mehrheiten in Regierung und Parlament, mit den vom sozialdemokratischen Bauvorstand Emil Klöti geprägten «Grundsätzen betreffend die Unterstützung des gemeinnützigen Wohnungsbaues» die Grundlagen für eine städtische Wohnbaupolitik, die weit über das bisherige Engagement hinausging. So durften die Baugenossenschaften nun bereits mit 5% Eigenkapital bauen. Die Stadt stellte ihnen vergünstigte Zweithypotheken und günstiges Bauland zur Verfügung und übernahm Anteilscheine sowie Abschreibungsbeiträge für Wohnungen mittelloser und kinderreicher Familien, die der Mietpreisbindung (Kostenmiete) unterlagen. Zugleich gründete die Stadt mit einem Grundkapital von 1,4 Millionen Franken die Stiftung Wohnungsfürsorge für kinderreiche Familien, die 1926/27 die Siedlungen Friesenberg I und II mit 84 Wohnungen erstellte.

Die «Vollgenossenschaft» im Freidorf Muttenz

Eine markante genossenschaftliche Siedlung aus der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, die als Coop-Personalsiedlung bis heute existiert und 2015 Exkursionsziel im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Sozialarchivs wurde, ist das Freidorf in Muttenz. Seinen Ursprung verdankt es der steuerlichen Begünstigung des Baus von Personalwohnungen nach dem Ersten Weltkrieg. Treibende Kraft hinter dem Projekt war Bernhard Jäggi, Präsident der Verwaltungskommission des VSK. Ihm schwebte eine «Vollgenossenschaft» vor, die alle Lebensbereiche erfassen und als «in sich geschlossene Wirtschaftsgemeinde» einen selbstverwalteten Kreis der einzelnen Familienökonomien darstellen sollte. Dank einer Kostenbeteiligung des VSK in der Höhe von 8 Millionen Franken konnte der spätere Bauhausdirektor Hannes Meyer 1919 bis 1921 auf einer dreieckigen Fläche von 8,5 Hektaren eine Siedlung von 150 Häusern für 600 Bewohner:innen erstellen. Die Einweihung fand 1921 in Anwesenheit von Delegierten des Basler IGB-Kongresses sowie von Bundespräsident Schulthess statt, der spontan das Wort für eine begeisterte Rede ergriff.

Die Siedlung orientierte sich am Modell der «Gartenstadt», das um die Jahrhundertwende zuerst in Grossbritannien als Reaktion auf die schlechten Lebens- und Wohnverhältnisse in den industriellen Grossstädten entwickelt worden war. Die komfortablen Häuser waren von Gärten umgeben, in denen die Bewohner:innen Gemüse und Obst anbauen konnten. Das Zentrum der Siedlung nahm ein grosses Genossenschaftshaus mit Uhrenturm ein. Dieses enthielt unter anderem einen grossen Versammlungssaal, eine Schule und einen Kindergarten, eine Bibliothek mit Lesesälen sowie zahlreiche Räume für die vielfältigen Genossenschaftsaktivitäten. 1923 wurde es auch Sitz des von Jäggi gestifteten Genossenschaftlichen Seminars (heute: Coop Bildungszentrum), welches Kurse zu Erziehung, Verwaltung, Haushalt und Berufsbildung sowie Symposien zum Genossenschaftswesen durchführte und als Ausbildungsstätte für den Konsumverein beider Basel fungierte. 1927 quartierte sich zudem die Stiftung zur Bildung integraler Genossenschaften im Genossenschaftshaus ein.

Der Genossenschafts-Anteilschein kostete in der Gründungsphase 100 Franken, die Jahresmiete für ein Vierzimmerhaus betrug 850 Franken. Darin eingeschlossen war eine Solidaritätsabgabe in den «Fonds für den Bau weiterer Genossenschaftsdörfer». Von den Bewohner:innen, allesamt Mitarbeiter:innen von VSK-Genossenschaften und ihre Familienangehörigen, wurde aber auch die aktive Beteiligung an den Gemeinschaftsaufgaben der Genossenschaft erwartet, so die Mitwirkung in den verschiedenen Betriebskommissionen. Für alte und gebrechliche Bewohner:innen gab es eine aus Frauen gebildete Versorgerinnengruppe. Auch verfügte das Freidorf über einen Chor, ein Orchester und mehrere Turn- und Sportvereine, veranstaltete kulturelle Anlässe wie Theateraufführungen, Konzerte, Vorträge und Kinovorführungen und gab eine eigene Zeitung («Wochenblatt») heraus. Die Kinder besuchten die Schule und den Kindergarten des Freidorfs, die sich an reformpädagogischen Ideen ausrichteten.

Die Freidorf-Genossenschaft verfügte angesichts des noch wenig ausgebauten Sozialstaates auch über eigene soziale Einrichtungen: Die Wohlfahrtskasse («Batzensparkasse»), deren Beiträge wöchentlich von Kindern eingezogen wurden, eine Kollektivversicherung und eine Alters- und Ehegattenversicherung. Für die gemeinsame Beschaffung von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen gab es zwei Läden und ein Café-Restaurant mit Kegelbahn. Von den Bewohner:innen wurde erwartet, ihre Güter des täglichen Gebrauchs ausschliesslich in den Genossenschaftsläden zu beziehen. Zu diesem Zweck gab es bis 1948 ein eigenes «Freidorfgeld», das zum Kurs eins zu eins gegen Schweizer Franken getauscht wurde, in den Genossenschaftsläden gültig war und die Berechnung der Rückerstattungsansprüche aus deren Gewinn ermöglichte. In den frühen 1920er-Jahren erhielt jede Familie im Schnitt 200 Franken pro Jahr, also fast ein Viertel der Jahresmiete, aus dem Ladengewinn erstattet. In der Phase der Hochkonjunktur und des gesellschaftlichen Wandels der ersten beiden Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dann verschiedene Elemente der «Vollgenossenschaft» sukzessive fallengelassen und wandelte sich das Freidorf allmählich zu einer «normalen» Personalsiedlung auf genossenschaftlicher Grundlage.

Gewerkschaftliche, bürgerliche und andere Baugenossenschaften im «Roten Zürich»

Das «Rote Zürich» ab 1928 mit Stadtpräsident Emil Klöti, unter dessen Ägide 1933/34 die zweite Eingemeindung (mit den Gebieten der heutigen Stadtkreise 9 bis 12 sowie Witikon) zustande kam, und sozialdemokratischen Mehrheiten in Stadtregierung und Parlament baute die in den Beschlüssen von 1910 und 1924 konzipierte Förderung des kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus aus. Die städtischen Leistungen an den Wohnungsbau, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bei einigen 100’000 Franken pro Jahr gelegen hatten und bis Mitte der 1920er-Jahre auf 3 Millionen gestiegen waren, wurden bis 1929 auf jährlich 10 Millionen gesteigert. Dadurch kam es zu einem Aufschwung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. 1918 bis 1939 unterstützte die Stadt den Bau von mehr als 10’000 Wohnungen, wovon 80% nach 1924 entstanden. Waren in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre im Schnitt 239 neue Genossenschaftswohnungen pro Jahr errichtet worden, so waren es 1926 bis 1932 dann jährlich 1’176. 1931 entstanden fast die Hälfte der schweizweit gebauten 3’500 Wohnungen in der Stadt Zürich. Der Leerwohnungsbestand, der von der Mitte des Ersten Weltkriegs bis zur Mitte der 1920er-Jahre nur wenig über 0% gelegen hatte, stieg in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre auf um die 0,5%, um in der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre auf 2 bis 4% zu klettern. Parallel dazu gingen dann die städtischen Beiträge an die Wohnbauförderung massiv zurück.

Bei den Zürcher Baugenossenschaften gab es, obwohl sich die meisten in ihren Statuten als «politisch und konfessionell neutral» bezeichneten, ein weites Spektrum politischer und gesellschaftlicher Zugehörigkeiten. Eine Reihe war eindeutig dem sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Milieu verbunden. Neben der ABZ, die bald zur grössten Baugenossenschaft der Schweiz wurde, zählten dazu etwa die 1924 gegründete Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ), die auf dem Friesenberg eine am Gartenstadt-Konzept orientierte Grosssiedlung erbaute, oder die 1943 von Mitgliedern des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes (SMUV) gegründete Gewerkschaftliche Wohn- und Baugenossenschaft (GEWOBAG), die schweizweit tätig wurde. Die um 1920 in der ABZ engagierte religiöse Sozialistin, Frauenrechtlerin und Genossenschaftstheoretikerin Dora Staudinger, deren Nachlass sich im Sozialarchiv befindet, betrachtete Baugenossenschaften zusammen mit Produktions- und Konsumgenossenschaften als Mittel des demokratischen und gewaltfreien Übergangs zum Sozialismus. Um 1930 produzierten 19 Genossenschaften aus dem sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Milieu bei der Praesens Film S. A. den 80-minütigen Film «Das genossenschaftliche Zürich», in dessen Zentrum die Baugenossenschaften standen, aber auch Produktions- und Konsumgenossenschaften sowie die Genossenschaft für Volksapotheken, die Genossenschaftsbuchhandlung, die GZB und die Genossenschaftsdruckerei portraitiert wurden. Der Film befindet sich heute im audiovisuellen Archiv des Sozialarchivs und kann online eingesehen werden.

Es gab aber auch Baugenossenschaften aus dem bürgerlich-mittelständischen Milieu. Neben den alten Genossenschaften aus den 1890er-Jahren zählten dazu auch Gründungen aus den frühen 1920er-Jahren, so die Baugenossenschaften Vrenelisgärtli (1920), Wiedikon (1921), St. Jakob (1922) und Oberstrass (1923). Vrenelisgärtli errichtete 1920 bis 1929 277 Einfamilienhäuser zum sofortigen Verkauf. Erst ab 1930 baute sie Mehrfamilienhäuser zur Vermietung. Treibende Kraft hinter der Gründung der auf eine mittelständische Mieterschaft abzielenden Baugenossenschaften Wiedikon und St. Jakob war der Baugrossunternehmer und freisinnige Lokalpolitiker Heinrich Hatt-Haller, dessen Firma (die 2002 in der Implenia aufgehen sollte) für verschiedene genossenschaftliche und städtische Siedlungsprojekte die Bauarbeiten ausführte.

Die 1923 entstandene Baugenossenschaft der Staats-, Stadt- und Privatangestellten von Zürich errichtete Wohnungen für gehobene Angestellte. 1926/27 erstellte ein Konsortium aus drei Institutionen (Baugenossenschaft berufstätiger Frauen, Baugenossenschaft Lettenhof und Protektoratsstiftung für alleinstehende Frauen) auf Initiative der Frauenzentrale Zürich, weiblicher Mitglieder des Kaufmännischen Verbandes sowie des Vereins ehemaliger Handelsschülerinnen der Töchterschule acht von der Architektin Lux Guyer konzipierte Häuser mit 93 Kleinwohnungen für Frauen. Die 1930 bis 1932 von einer genossenschaftlichen Trägerschaft errichtete, am «Neuen Bauen» orientierte Werkbundsiedlung Neubühl hatte mit ihren Flachdächern, grossen Fenstern und weiträumigen Grünflächen einen avantgardistischen Touch. Ihre Wohnungen waren auf mittelständische Bewohner:innen aus dem Intellektuellen- und Künstler:innenmilieu zugeschnitten.

Die 1928 gegründete Baugenossenschaft Heimelig war dem katholischen Milieu verbunden. 1943 gründete der Schweizerische Verband Evangelischer Arbeiter und Angestellter (SVEA) eine Baugenossenschaft, die unter anderem Siedlungen in Seebach und Schwamendingen erstellte. Die Genossenschaft der SVEA bezweckte in erster Linie den Bau von Einfamilienhäusern, die dann ins Eigentum der Bewohner übergehen sollten, errichtete aber auch Mehrfamilienhäuser. Und die 1944 gegründete Baugenossenschaft Sonnengarten stand in ihrer Anfangsphase dem LdU nahe, der in den späten 1930er-Jahren rasch zur zweitstärksten politischen Kraft in der Stadt Zürich aufstieg.

Im Jahre 1930 befanden sich bereits 12,5% aller Zürcher Wohnungen im Eigentum der rund 50 Baugenossenschaften. Allerdings gelangten diese Wohnungen nur selten an die untersten Bevölkerungsschichten. Alleinstehende und Unverheiratete waren ausgeschlossen und für zahlreiche Familien ungelernter Arbeiter:innen blieb ein Anteilschein unerschwinglich. So gingen die Genossenschaftswohnungen vor allem an die Familien gelernter Arbeiter und Angestellten in einigermassen stabilen Beschäftigungsverhältnissen. Eine Umfrage des städtischen Gewerkschaftskartells unter seinen Mitgliedern förderte 1927 zutage, dass 25% der Typographen, 16% der gelernten Bauarbeiter, 15% der städtischen Angestellten und 10% der gelernten Metallarbeiter in Genossenschaftswohnungen lebten, aber nur 5% der ungelernten Metallarbeiter und je 4% der Textilarbeiter und ungelernten Bauarbeiter. Als 1932 eine Mieterstreikbewegung mit Unterstützung der Kommunistischen Partei durch Zahlungsverweigerung in verschiedenen Liegenschaften eine Herabsetzung der Mietzinse erzwingen wollte, sprang die Bewegung trotz entsprechender Bemühungen nicht auf die Mieterschaft von Genossenschaftssiedlungen über.

Insgesamt verfolgte das «Rote Zürich» in der Wohnbauförderung einen weniger etatistischen Ansatz als das grosse «gemeindesozialistische» Vorbild, das «Rote Wien». Beide Städte förderten den kommunalen wie auch den genossenschaftlichen Wohnungsbau. Während dabei aber in Zürich die Baugenossenschaften überwogen, waren es in Wien eindeutig die Gemeindebauten. Von der Ausrufung der Republik 1918 bis zur austrofaschistischen Machtergreifung 1933/34 erstellte das «Rote Wien» 382 Gemeindebauten mit rund 65’000 Wohnungen. Häufig handelte es sich dabei um grosse Wohnblocks rund um Höfe mit weiten Grünflächen wie etwa der Karl-Marx-Hof und der George-Washington-Hof (beide 1930 eröffnet). 1947 nahm das wiedererstandene «Rote Wien» dann die Errichtung von Gemeindebauten wieder auf.

Spätere Gründungswellen von Baugenossenschaften

Ab den 1940er-Jahren wurde die Wohnungsnot in der Schweiz, insbesondere in den Grossstädten, wieder ein Thema. 1947 betrug der Leerwohnungsanteil in Zürich und Basel 0,03%, in Winterthur gar nur 0,01%, in Genf, Bern, Lausanne, Luzern, Schaffhausen und Chur 0,1%. Gemeinden und Kantone sowie ab 1942 auch wieder der Bund unternahmen Anstrengungen zur Steigerung der Wohnbautätigkeit. Allein von 1941 bis 1946 stieg die Zahl der Baugenossenschaften in der Schweiz von 261 auf 928 an. 1950 lehnten die Stimmberechtigten aber nach einem Referendum des Zentralverbandes der schweizerischen Hauseigentümer- und Grundeigentümervereine eine Fortführung der Bundesmassnahmen, die von den eidgenössischen Räten mit grosser Mehrheit beschlossen worden war, knapp ab, wobei sich ein deutlicher Graben zwischen befürwortenden Städten und ablehnender Landschaft zeigte. Der nachfolgende Wirtschaftsaufschwung hatte zur Folge, dass die Lage auf dem Wohnungsmarkt angespannt blieb. So hielt die zweite Gründungs- und Bauwelle von Baugenossenschaften bis in die 1960er-Jahre an. Eine dritte Gründungswelle setzte ab 1980 ein. Diese neuen Baugenossenschaften erstellten weniger Wohnungen als in den vorangegangenen Wellen, sie lieferten aber durch ihre häufige Nähe zu neuen sozialen Bewegungen und ihre Orientierung am Selbstverwaltungscharakter wichtige Impulse, die teilweise auch die älteren Genossenschaften beeinflussten.

Material zum Thema im Sozialarchiv (Auswahl)

Archiv

  • Ar 22.90.1-3 Gewerkschaft Bau und Holz Sektion Zürich: Genossenschaften
  • Ar 54.25.17 Schweizerischer Verband des christlichen PTT-Personals (ChPTT): Baugenossenschaften
  • Ar 73.50.13 Christlicher Holz- und Bauarbeiterverband der Schweiz (CHB): Wohnbaugenossenschaften 1955–1972
  • Ar 73.50.14 Christlicher Holz- und Bauarbeiterverband der Schweiz (CHB): Wohnbaugenossenschaften 1958–1970
  • Ar 111 Nachlass Paul Pflüger
  • Ar 124.12 Nachlass Max Gerber: Diverse Organisationen
  • Ar 137 Nachlass Max Rotter
  • Ar 198.11 Nachlass Dora Staudinger
  • Ar 201.133 Kleidergenossenschaft Zürich
  • Ar 201.142 Genossenschaft für Erholungsheime des Postpersonals Zürich
  • Ar 438 Verband genossenschaftlicher Bau- und Industrieunternehmungen VGB
  • Ar 455 Dokumentation Wo-Wo-Wonige. Stadt- und wohnpolitische Bewegungen in Zürich nach 1968
  • Ar 502.20.94 VPOD Zürich Stadt und soziale Institutionen: Gruppe Allgemeine Baugenossenschaft Zürich ABZ: Akten
  • Ar 502.20.95 VPOD Zürich Stadt und soziale Institutionen: Gruppe Arbeiter-Siedlungs-Genossenschaft ASIG: Akten
  • Ar 502.20.96 VPOD Zürich Stadt und soziale Institutionen: Gruppe Familienheim-Genossenschaft Zürich FGZ: Akten
  • Ar 502.20.97 VPOD Zürich Stadt und soziale Institutionen: Gruppe Wohnbaugenossenschaften: Akten
  • Ar 502.20.98 VPOD Zürich Stadt und soziale Institutionen: Gruppe Wohnbaugenossenschaften: Akten
  • Ar 516 Procolor Genossenschaft für Malerarbeiten
  • Ar 559 Baugenossenschaft Entlisberg
  • Ar ABZ Allgemeine Baugenossenschaft Zürich ABZ
  • Ar GBI 12A-0027/1 Gewerkschaft Bau und Industrie: GAV/Anschlussverträge diverse Branchen
  • Ar SGB G 59 ZA Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Wohnbaugesetz (Bundesbeschluss betreffend die Verlängerung der Geltungsdauer und die Abänderung des Bundesbeschlusses über Massnahmen zur Förderung der Wohnbautätigkeit), Abstimmung vom 29.01.1950
  • Ar SGB G 184/2 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Eidgenössische Wohnbaukommission 1958–1966
  • Ar SGB G 187/5 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Bank der Genossenschaften und Gewerkschaften
  • Ar SGB G 188/1 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Bank der Genossenschaften und Gewerkschaften
  • Ar SGB G 409/2 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Genossenschaftliche Zentralbank, 1973–1986
  • Ar SGB G 409/3 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Genossenschaftliche Zentralbank
  • Ar SGB G 702/3 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Genossenschaftliche Zentralbank
  • Ar SGB G 798/9 Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Korrespondenz mit dem Verband Schweizerischer Produktivgenossenschaften, 1976–1999
  • Ar SMUV 02F-0025 SMUV Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen: Wohnbaugenossenschaft Winterthur; GEWOBAG Zürich; LFSA; Protokoll Grossindustriekonferenz; Genossenschaft Hammer Zürich; Hans Bernhard-Stiftung; Vereinigung für Innenkolonisation u. in d. Landwirtschaft

Archiv Bild + Ton

  • F 5033 Lebensmittelverein Zürich (LVZ)
  • F 5100 Procolor Genossenschaft für Malerarbeiten
  • F 9022-001 «Das genossenschaftliche Zürich»: Porträts von 19 Genossenschaften in Zürich

Sachdokumentation

  • KS 333/14-17c Wohnungswesen; Wohnen; Sozialer Wohnungsbau: International
  • KS 333/18-21a Wohnungswesen; Wohnen; Sozialer Wohnungsbau: Schweiz
  • KS 333/22 Wohnungswesen; Mieterpolitik: Stadt Zürich
  • KS 333/22a Mieterpolitik; Sozialer Wohnungsbau: Stadt Zürich
  • KS 334/2-5 Genossenschaften: Allg.
  • KS 334/9 Internationales Genossenschaftswesen
  • KS 334/13 Baugenossenschaften: Ausland
  • KS 334/14-16 Baugenossenschaften: Schweiz
  • KS 334/17-18 Kreditgenossenschaften
  • KS 334/21-22 Landwirtschaftliche Genossenschaften: Schweiz
  • KS 334/27-31 Konsumgenossenschaften: Schweiz
  • KS 334/32-33 Produktionsgenossenschaften: Schweiz
  • KS 334/35 Verschiedene Genossenschaften (vorwiegend Konsumgenossenschaften)
  • KS 335/111 Frühsozialismus: Fourierismus
  • KS 335/114 Frühsozialismus: Robert Owen; Jean-Baptiste Godin
  • KS 335/233 Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS): Schriften von Paul Pflüger
  • KS 335/460 Genossenschaftliche Siedlungen
  • KS 338/83 Landwirtschaft in der Schweiz: Allmenden, Korporationen
  • QS 59.0 Genossenschaften: Allg. & Ausland
  • QS 59.1 Konsumgenossenschaften
  • QS 59.3 Baugenossenschaften; Wohnbaugenossenschaften
  • QS 94.0 *W Wohnungswesen; Wohnen; Wohnungsmarkt
  • QS 94.5 Mieterpolitik; Mietzinse; Mieterschutz; Mietrecht
  • QS 94.6 Sozialwohnungen; Sozialer Wohnungsbau
  • ZA 01.5 Genossenschaftssoziologie
  • ZA 59.0 Genossenschaften: Allg.
  • ZA 59.0 A Genossenschaftswesen im Ausland
  • ZA 59.0 Z Internationales Genossenschaftswesen
  • ZA 59.1 Konsumgenossenschaften: Allg.
  • ZA 59.1 *1 Konsumgenossenschaften: COOP; Konsumverein Basel
  • ZA 59.1 *3 Konsumgenossenschaften: Konsumverein Zürich; K 3000
  • ZA 59.1 *12 Konsumgenossenschaften: Lebensmittelverein Zürich (LVZ)
  • ZA 59.2 Produktionsgenossenschaften
  • ZA 59.3 Baugenossenschaften; Wohnbaugenossenschaften
  • ZA 59.4 Genossenschaftsbanken
  • ZA 59.5 Landwirtschaftliche Genossenschaften
  • ZA 59.7-8 Genossenschaftliche Siedlungen; Communauté de Travail
  • ZA 94.0 *2 Bauwirtschaft; Wohnungswesen: Schweiz
  • ZA 94.5 *2 Mieterpolitik; Mietzinse: Schweiz
  • ZA 94.6 *1 Sozialwohnungen; Sozialer Wohnungsbau: Allg. & Ausland
  • ZA 94.6 *2 Sozialwohnungen; Sozialer Wohnungsbau: Schweiz
  • ZA 94.8 *2 Städtebau; städtische Wohnprobleme: Schweiz

Bibliothek

  • ABZ, Allgemeine Baugenossenschaft Zürich: 40 Jahre Entwicklung 1916–1956. Zürich 1956, Gr 920
  • AG Heinrich Hatt-Haller (Hg.): 25 Jahre bauen: Denkschrift zum fünfundzwanzigsten Bestehen der Firma Heinr. Hatt-Haller Hoch- und Tiefbau in Zürich. Zürich 1928, Gr 3402
  • AG Heinrich Hatt-Haller (Hg.): Fünfzig Jahre bauen, 1903–1953. Zürich 1953, Gr 3403
  • Aktuelle Genossenschaftsprobleme: Internationale Professoren-Konferenz über das Genossenschaftswesen, 7.–11. Oktober 1952, im Genossenschaftlichen Seminar Freidorf bei Basel. Bern 1953, 19877
  • Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (Hg.): 5 Jahre Allgemeine Baugenossenschaft Luzern. Luzern 1929, K 70: FS/1929
  • Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (Hg.): 50 Jahre Allgemeine Baugenossenschaft Luzern, 1924–1974. Luzern o. J., K 70: FS/1974
  • Ammann, Ruth: Berufung zum Engagement? Die Genossenschafterin und religiöse Sozialistin Dora Staudinger (1886–1964). Basel 2020, 143747
  • Autengruber, Peter und Ursula Schwarz: Lexikon der Wiener Gemeindebauten: Namen, Denkmäler, Sehenswürdigkeiten. Wien 2013, 130440
  • Bächi, A.[ugust]: 50 Jahre Zürcher Bau- und Wohngenossenschaft, vormals Zürcher Bau- und Spargenossenschaft, 1893–1943. o. O. u. J., K 82: FS/1943
  • Baldinger, Friedrich: 25 Jahre Baugenossenschaft des Eidgenössischen Personals Zürich, 1910–1935. Zürich 1935, K 73: FS/1935
  • Banz, Esther et al.: Rundum ABZ: Allgemeine Baugenossenschaft Zürich 1916–2016. Zürich 2016, Gr 13882
  • Bauer, Christina: Die Chronologie der Baugenossenschaft Zentralstrasse: 1919–2011. Zürich 2011, 142060
  • Baugenossenschaft Bethlehem Bern, 1921–2021. Bern 1921, Gr 15398
  • Baugenossenschaft Entlisberg (Hg.): Im Bergdörfli – 100 Jahre Baugenossenschaft Entlisberg: Jubiläumspublikation der ältesten Wohnbaugenossenschaft von Zürich-Wollishofen. Zürich 2012, Gr 12955
  • Baugenossenschaft Sonnengarten, Zürich (Hg.): Ein neues Zuhause: Siedlung Triemli 1944–2012. Zürich 2012, Gr 12952
  • BEP Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals Zürich (Hg.): Von der Waschküchenordnung zum Kickboardsalat: 100 Jahre Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals Zürich, 1910–2010. Baden 2010, Gr 12607
  • Boudet, Dominque (Hg.): Wohngenossenschaften in Zürich: Gartenstädte und neue Nachbarschaften. Zürich 2017, Gr 14398
  • Brucato, Aurelio und Bernhard Gerber: In Böden: Wohnüberbauung in Zürich-Affoltern 1993–95: Architekten: A.D.P. Architektur, Design, Planung, Zürich, Bauherrschaft: Wohnungsbau: Siedlungs- und Baugenossenschaft Waidmatt Zürich, Zusatznutzungen: Hochbauamt der Stadt Zürich. Zürich 1997, Gr 7660: 24
  • Brunner, Susanne et al.: 75 Jahre Baugenossenschaft Vrenelisgärtli. Zürich 2005, Gr 11894
  • Bundesministerium für Verkehr, Bau- u. Wohnungswesen (Hg.): Wohnungsgenossenschaften: Potenziale und Perspektiven: Bericht der Expertenkommission Wohnungsgenossenschaften. Berlin 2004, 113500
  • Bureau international du Travail: Les coopératives d’habitation. Genf 1964, BIT 243
  • Capol, Jan: Die Sehnsucht nach Harmonie: Eine semiotische und mentalitätsgeschichtliche Interpretation der Fassadenbilder der Zürcher Baugenossenschaften. Zürich 2000, Gr 10259
  • Christen, Kurt et al.: Schleipfe 1: Wohnüberbauung der Eisenbahner Baugenossenschaft Spreitenbach 1989-91, Architekt: Prof. Jacques Schader, 8044 Zürich, Bauherr: Eisenbahner Baugenossenschaft, 8957 Spreitenbach. Zürich 1994, Gr 7660: 20
  • Daniels, Sarah: Nachbarschaften in wohnbaugenossenschaftlichen Siedlungen: Eine empirische Untersuchung einer Siedlung in der Stadt Zürich. Zürich 2018, Gr 14709
  • Denkschrift zur Feier des 25jährigen Bestandes: Genossenschaft für Beschaffung billiger Wohnungen, 1911–1936. Zürich 1936, K 178: FS/1936
  • Dos Santos, Jessica: L’utopie en héritage: Le Familistère de Guise 1888–1968. Torus 2016, 134080
  • Durban, Christoph et al.: Mehr als Wohnen: Gemeinnütziger Wohnungsbau in Zürich 1907–2007: Bauten und Siedlungen. Zürich 2007, Gr 11878
  • EBG St. Gallen (Hg.): 100 Jahre Eisenbahner-Baugenossenschaft St. Gallen, 1909–2009. St. Gallen 2009, 121104
  • Familienheim-Genossenschaft (Hg.): Gedenkschrift Jakob Peter, 1891–1980. Zürich 1981, Hf 3954
  • Fasel, André: Fabrikgesellschaft: Rationalisierung, Sozialpolitik und Wohnungsbau in der Schweizer Maschinenindustrie, 1937-1967. Zürich 2021, 145786
  • Faucherre, Henry: Siedlungsgenossenschaft Freidorf. Basel 1943, 12999
  • Faust, Helmut: Geschichte der Genossenschaftsbewegung: Ursprung und Weg der Genossenschaften im deutschen Sprachraum. Frankfurt 1965, 46334
  • Frenzel, Eik und Yves Dreier (Hg.): Social Loft: Auf der Suche nach neuen Wohnformen / Enquête de nouvelles formes d’habitat. Zürich 2023, erwartet
  • Foppa, Toni: Alterswohnungen am Beispiel von Wohnbaugenossenschaften: Empirische Untersuchungen im Kanton St. Gallen. Chur 2000, 106843
  • Genossenschaft Kalkbreite (Hg.): Kalkbreite: Ein neues Stück Stadt. Zürich 2015, 132865
  • Genossenschaft Karthago (Hg.): 20 Jahre Karthago – 1997–2017: Jubiläumsbericht. Zürich 2017, 138598
  • Genossenschaft Neubühl Zürich, 1929–1959. Zürich 1960, K 312: FS/1959
  • Gerber, Walter: Die Genossenschaft als Organisationsform von Mittel- und Grossunternehmen. Bern 2003, 113328
  • Gerheuser, Frohmut: Miete und Einkommen 1990–1992: Die Wohnversorgung der Mieter- und Genossenschafterhaushalte. Bern 1995, K 733: 58
  • Gewobag (Hg.): Gewobag – Von Vorgestern nach Übermorgen: 1943 bis 2013: Eine Zeitreise durch 70 Jahre Wohnbaugenossenschaft. Zürich 2014, Gr 13408
  • Gmür, Thomas: 75-Jahr-Jubiläum Allgemeine Baugenossenschaft Luzern, 1924–1999: Historische Festschrift. Luzern 1999, Gr 9941
  • Heeb, Fritz: 100 Jahre LVZ: Der Lebensmittelverein und die Genossenschaftsbewegung. Zürich 1978, K 286: FS/1978
  • Hermann, Michael et al.: Gemeinnütziges Wohnen im Fokus: Ein Vergleich zu Miete und Eigentum. Grenchen 2017, Gr 14632
  • Hofer, Rémy: Aarbergstrasse: Wohnüberbauung in Lyss 1993–95: Architekten: Reinhard + Partner, Bern, Bauherrschaft: Familien-Baugenossenschaft Bern Zürich 1997, Gr 7660: 30
  • Huber, Dorothee et al.: Wohngenossenschaften der Region Basel, 1992–2012: Ein Projekt des Regionalverbands Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz zum UNO-Jahr der Kooperativen. Basel 2012, Gr 12927
  • Hugener, Rainer: Lebenswandel: 80 Jahre ABZ-Siedlung Wipkingen (1924–2004). Zürich 2005, Gr 11781
  • Hugentobler, Margrit et al. (Hg.): Mehr als Wohnen: Genossenschaftlich planen – ein Modellfall aus Zürich. Basel 2015, Gr 13873
  • Jubiläums-Festschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern, 1924–1949. Luzern 1949, K 70: FS/1949
  • Kanther, Michael A. und Dietmar Petzina: Victor Aimé Huber (1800–1869): Sozialreformer und Wegbereiter der sozialen Wohnungswirtschaft. Berlin 2000, 106640
  • Koch, Michael et al.: Kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbau in Zürich: Ein Inventar der durch die Stadt geförderten Wohnbauten 1907–1989. Zürich 1990, Gr 6839
  • Koller, Barbara: Gesundes Wohnen: Ein Konstrukt zur Vermittlung bürgerlicher Werte und Verhaltensnormen und seine praktische Umsetzung in der Deutschschweiz 1880–1940. Zürich 1995, 99445
  • Koller, Christian: «Auf einem Schiffe regiert der Kapitän und kein Matrosenrat» – Die Mitbestimmungsdebatte nach dem Schweizer Landesstreik, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 69 (2019). S. 49-72, D 6201
  • Kunz, Hans: 50 Jahre Baugenossenschaft des Eidgenössischen Personals Zürich: 1910–1960. Zürich 1960, K 73: FS/1960
  • Kurz, Daniel: «Den Arbeiter zum Bürger machen» – Gemeinnütziger Wohnungsbau in der Schweiz 1918–1949, in: Schulz, Günther (Hg.): Wohnungspolitik im Sozialstaat: Deutsche und europäische Lösungen 1918–1960. Düsseldorf 1993. S. 285-304, 96650
  • Kurz, Daniel: Disziplinierung der Stadt: Moderner Städtebau in Zürich 1900 bis 1940. Zürich 2008, Gr 12066
  • Laesslé, Melaine: Les coopératives d’habitation comme alternative au marché immobilier? Valeur d’usage et valeur d’échange du logement. Chavannes 2012, K 834: 269
  • LaFond, Michael und Larisa Tsvetkova (Hg.): CoHousing Inclusive: Selbstorganisiertes, gemeinschaftliches Wohnen für alle. Berlin 2017, Gr 14839
  • La Roche, Emanuel: Im Dorf vor der Stadt: Die Baugenossenschaft Neubühl, 1929–2000. Zürich 1990, 142836
  • Lassner, Martin et al. (Red.): 20 Jahre Karthago, 1997–2017: Jubiläumsbericht. Zürich 2017, 138598
  • Lenger, Friedrich: Metropolen der Moderne: Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850. München 2013, 128574
  • Leuenberger, Susanne und Samuel Geiser: Welcome home: 100 Jahre Eisenbahner-Baugenossenschaft Bern (EBG) 1919–2019. Baden 2019, Gr 14929
  • Lindig, Steffen: «Der Entscheid fällt an den Urnen»: Sozialdemokratie und Arbeiter im Roten Zürich 1928 bis 1938. Zürich 1979, 65768
  • Mahler, Beat: Bibliographie Gemeinnütziger Wohnungsbau. Zürich 2007, Gr 12014
  • Marbach, Ueli und Arthur Rüegg: Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich-Wollishofen 1928–1932: Ihre Entstehung und Erneuerung. Zürich 1990, Gr 7627
  • McFarland, Rob et al. (Hg.): Das Rote Wien: Schlüsseltexte der Zweiten Wiener Moderne 1919–1934. Berlin/Boston 2020, 147411
  • Meili, Lukas: Von der Eisenbahnersiedlung zur Genossenschaft: 125 Jahre Wohnen am Tellplatz. Basel 2017, 136941
  • Möller, Matthias: Leben in Kooperation: Genossenschaftlicher Alltag in der Mustersiedlung Freidorf bei Basel (1919–1969). Frankfurt/New York 2015, 132261
  • Moser, Susy B.: Wohnbaugenossenschaften. Zürich 1978, 55922
  • Neuwirth, Pamela und Tanja Brandmayr: Genossenschaftliches Wohnen: Auf den Spuren des Isidor Karl Theodor Demant. Wien 2015, 133038
  • Niederhäuser, Peter: 100 Jahre Baugenossenschaft Union 2012. Winterthur 2012, 131196
  • Neuenschwander, Feihl Joëlle: 75 ans d’élan constructeur au service de la qualité de la vie: Société Coopérative d’Habitation Lausanne 1920-1995. Lausanne 1995, 99384
  • Novy, Klaus: Genossenschafts-Bewegung zur Geschichte und Zukunft der Wohnreform. Berlin 1983, 75570
  • Novy, K. und G. Uhlig: Die Wiener Siedlerbewegung 1918–1934: Fotodokumentation zum konsequentesten Beispiel genossenschaftlicher Selbsthilfe im Wohnungskampf nach dem 1.Weltkrieg. Aachen 1982, Fol 47
  • Patera, Mario: Die Zukunft von Wohnbaugenossenschaften. Frankfurt 1994, 98387
  • Raasch, Markus: Der Hybrid: Das 19. Jahrhundert und die Idee der Genossenschaft. Stuttgart 2022, erwartet
  • Reich, Fritz: 60 Jahre Eisenbahner-Baugenossenschaft, 1909–1969: Jubiläumsbericht, Jahresbericht und Jahres-Rechnung der Genossenschaftsverwaltung 1968. St. Gallen 1969, K 151c: FS/1969
  • Reppé, Susanne: Der Karl-Marx-Hof: Geschichte eines Gemeindebaus und seiner Bewohner. Wien 1993, 94741
  • Richter, Tilo: Die Wohngenossenschaft Landhof Basel: 1943–2018. Basel 2019, Gr 14848
  • Riis, Jacob A.: How the other half lives: Studies among the tenements of New York. Hg. Sam Bass Warner, Jr. Cambridge/Mass. 2010, erwartet
  • Ruf, Walter: Das gemeinnützige Baugenossenschaftswesen der Schweiz. Basel/Zürich o. J. (1929), 3767
  • Schiedt, Hans-Ulrich: Die Welt neu erfinden: Karl Bürkli (1823–1901) und seine Schriften. Zürich 2002, 110800 Ex.2
  • Schmid, Peter: Die Wohnbaugenossenschaften der Schweiz, in: Purtschert, Robert (Hg.): Das Genossenschaftswesen der Schweiz. Bern etc. 2005. S. 299-333, 114865
  • Schmid-Ammann, Paul: Emil Klöti: Stadtpräsident von Zürich – ein schweizerischer Staatsmann. Zürich 1965, 34409
  • Schwarz, Werner Michael und Susanne Winkler: Vom Paradies der kleinen Leute zum Erlebnis Wohnen. Wien 2021, erwartet
  • Siedlungsgenossenschaft Freidorf (Hg.): Das Freidorf – Die Genossenschaft: Leben in einer aussergewöhnlichen Siedlung. Basel 2019, Gr 15041
  • Sigg, Johannes: Die Tätigkeit der Baugenossenschaften, in: Gewerkschaftliche Rundschau 21/5 (1929). S. 155-160, N 59
  • Specker, Louis: «Links aufmarschieren»: Aus der Frühgeschichte der Ostschweizer Arbeiterbewegung. Zürich 2010, 123086
  • Spellerberg, Annette (Hg.): Neue Wohnformen – gemeinschaftlich und genossenschaftlich: Erfolgsfaktoren im Entstehungsprozess gemeinschaftlichen Wohnens. Wiesbaden 2018, erwartet
  • Stadt Zürich und Schweizerischer Verband für Wohnungswesen (Hg.): Wohnen morgen: Standortbestimmung und Perspektiven des gemeinnützigen Wohnungsbaus. Zürich 2008, Gr 12110
  • Statistisches Amt der Stadt Zürich (Hg.): Wohnungsbaupolitik der Stadt Zürich 1907–1937. Zürich 1938, D 5445: 46
  • Staudinger, Dora: Unser Kampf gegen die Wohnungsnot: Vortrag von Frau D. Staudinger. Zürich 2015, Hf 5462
  • Studer, Theodor: 50 Jahre Baugenossenschaft des Verkehrspersonals Solothurn, 1919–1969. Solothurn 1969, K 74: FS/1969
  • Thurnherr, Markus: 100 Jahre Eisenbahner-Baugenossenschaft Rapperswil: 1912–2012. Rapperswil 2013, Gr 13343
  • Van Wezemael, Joris E. und Andreas Huber: Neue Wege im genossenschaftlichen Wohnungsbau: Kurzfassung Siedlungsevaluation: KraftWerk 1 und Regina-Kägi-Hof in Zürich. Grenchen 2004, K 733: 74
  • Vogel, Lukas: Geissenstein – Das Dorf in der Stadt: 100 Jahre Eisenbahner Baugenossenschaft 1910–2010. Luzern 2010, UGr 30
  • Vossberg, Walter: Die deutsche Baugenossenschafts-Bewegung. Halle 1906, 2501
  • Walter, François: La Suisse urbaine: 1750–1950. Carouge/Genf 1994, 97584
  • Weihsmann, Helmut: Das Rote Wien: Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1919–1934. Wien 2002, 109320
  • Wie kann die schweizerische Idee der Genossenschaft und der Gemeinnützigkeit innerhalb der Bevölkerung mehr verbreitet und vertieft werden? Kurs vom 15. bis 17. Oktober 1942, im Genossenschaftlichen Seminar (Stiftung von Bernhard Jaeggi), Freidorf bei Basel. Basel 1942, 41739
  • Wogeno Zürich (Hg.): 25 Jahre selber wohnen! Zürich 2006, 117571
  • Wüthrich, Werner: Charles Fourier, Victor Considerant und Karl Bürkli als Wegbereiter der direkten Demokratie und des Genossenschaftswesens in der Schweiz, in: Roca, René (Hg.): Frühsozialismus und moderne Schweiz. Muttenz/Basel 2018. S. 41-70, 139808
  • Ziegler, Albert: 50 Jahre Baugenossenschaft Rotach Zürich: Jubiläumsschrift 1924–1974. Zürich 1974, K 78 B: FS/1974
  • Zitelmann, Reto: «Nackte, feuchte Mauerwände» und das Dach «stellenweise undicht»: Wohnverhältnisse der Arbeiterschaft, Wohnungsnot und Wohnpolitik, in: Rossfeld, Roman et al. (Hg.): Der Landesstreik: Die Schweiz im November 1918. Baden 2018. S. 61-78, Gr 14667
  • Zschokke, Heinrich: Das Goldmacher-Dorf. Basel 1918, 5325
  • Zumr, Dana: Stärkung der organisationalen Identität: Anregungen zum Identitätsmanagement von Genossenschaften. St. Gallen 2014, 130566
  • 25 années d’activité [Société coopérative d’habitation Lausanne], 1920–1945 : Notice historique. Lausanne 1945, K 344 A: FS/1945
  • 25 Jahre Baugenossenschaft der Strassenbahner Zürich, 1926–1951. Zürich 1952, K 72 A: FS/1951
  • 25 Jahre Familien-Baugenossenschaft Bern. Bern 1970, Hf 3086
  • 25 Jahre Siedelungsgenossenschaft Freidorf. O. O. u. J., 12999
  • 25 Jahre Schweizerischer Verband Sozialer Baubetriebe 1932–1957: Ein Beitrag zum schweizerischen Genossenschaftswesen = L’Association suisse d’entreprises sociales de construction a 25 ans d’existence 1932-1957; une contribution au mouvement coopératif suisse. Zürich 1957, Hg 528
  • 50 Jahre Eisenbahner Baugenossenschaft Bern: 1919–1969. Bern 1969, K 151: FS/1969
  • 50 Jahre Gemeinnützige Baugenossenschaft Wiedinghof, Zürich, BWZ: Jubiläumsschrift, 1928–1978. Zürich 1978, K 76: FS/1978
  • 100 Jahre mehr als wohnen: Genossenschaften und Stadt Zürich: Das Magazin zum Jubiläum des gemeinnützigen Wohnungsbaus in Zürich 1907–2007. Zürich 2007, Gr 12014

Periodika

  • ABZ-Forum: Zeitung der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich, D 3214
  • Bericht: Eisenbahner-Baugenossenschaft «Eigenheim» Schaffhausen, K 151 A
  • Bericht und Rechnung: Allgemeine Baugenossenschaft Winterthur, K 69
  • Bericht und Rechnung: Allgemeine Baugenossenschaft Zürich, K 71
  • Blickpunkt: Wohnbaugenossenschaften Schweiz, Regionalverband Zürich, D 5924
  • FGZ Info: Mitteilungsblatt der Familienheim-Genossenschaft Zürich, D 5110
  • Einladung zur ordentlichen Generalversammlung: Siedlungs-Baugenossenschaft Bern-Wylergut, K 342 A
  • Geschäftsbericht: Baugenossenschaft der Strassenbahner Zürich, K 72 A
  • Geschäftsbericht der Baugenossenschaft Westheim Zürich, K 607 A
  • Geschäftsbericht: Eisenbahner-Baugenossenschaft Luzern, K 151 B
  • Geschäftsbericht: Gemeinnützige Baugenossenschaft Limmattal GBL, K 75
  • Geschäftsbericht: Gemeinnützige Bau- und Mietergenossenschaft Zürich, GBMZ, K 629 B
  • Geschäftsbericht: Zürcher Bau- und Wohngenossenschaft, K 82
  • Geschäftsbericht mit Jahresrechnung der Baugenossenschaft Freiblick Zürich, K 630 B
  • Geschäftsbericht und Jahresrechnung: BEP, Baugenossenschaft des Eidgenössischen Personals Zürich, K 73
  • Jahresbericht und Rechnung: Basler Wohngenossenschaft, K 452
  • Geschäftsbericht und Rechnung: Baugenossenschaft BEROWISA Zürich, K 178
  • Geschäftsbericht und Rechnung: Genossenschaft für Beschaffung Billiger Wohnungen in Zürich, K 178
  • Im Wylergut: Mitteilungsblatt der Siedlungsbau-Genossenschaft Bern-Wylergut, N 857
  • Internationale genossenschaftliche Rundschau: Offizielles Organ des Internationalen Genossenschaftsbundes, N 31
  • Jahresbericht: ASIG, K 69 A
  • Jahresbericht: Baugenossenschaft Vrenelisgärtli Zürich, K 630 A
  • Jahresbericht der Genossenschaftsverwaltung und Jahresrechnung Eisenbahner-Baugenossenschaft St. Gallen, K 151 C
  • Jahresbericht: Baugeno Biel, K 924
  • Jahresbericht: Bau- und Wohngenossenschaft KraftWerk 1, K 1061
  • Jahresbericht: Genossenschaft Hofgarten, K 637 A
  • Jahresbericht: Genossenschaft Neubühl, K 312
  • Jahresbericht: Eisenbahner-Baugenossenschaft Bern, EBG, K 151
  • Jahresbericht: Eisenbahner-Baugenossenschaft Erstfeld, EBE, K 638 A
  • Jahresbericht: Familienheim-Genossenschaft Zürich FGZ, K 159
  • Jahresbericht: Siedlungs-Baugenossenschaft Bern-Wylergut, K 342 A
  • Jahresbericht: Wogeno Zürich, K 1121
  • Jahresbericht, Jahresrechnung: Eisenbahner-Baugenossenschaft Zürich-Altstetten, K 152
  • Jahresbericht und Jahresrechnung der Mieterbaugenossenschaft Zürich, K 630 C
  • Jahresbericht und Rechnung: Allgemeine Baugenossenschaft Luzern, ABL, K 70
  • Jahresbericht und Rechnung: Baugenossenschaft des Verkehrspersonals Solothurn, K 74
  • Jahresbericht und Rechnung: Baugenossenschaft des Verwaltungspersonals Bern, K 75 A
  • Jahresbericht und Rechnung: Baugenossenschaft Zurlinden Zürich, K 78 A
  • Jahresbericht und Rechnung: Gemeinnützige Baugenossenschaft Röntgenhof Zürich GBRZ, K 76 A
  • Jahresbericht und Rechnung: Gemeinnützige Bau- und Mietergenossenschaft Zürich, K 629 B
  • Der Junggenossenschafter: Organ der genossenschaftlichen Jugendbewegung der Schweiz, N 395
  • Mitteilungsblatt Baugenossenschaft Oberstrass, K 77 A
  • Rapport sur l’exercice: Société Coopérative d’Habitation Genève, K 588 A
  • Rapport sur l’exercice: Société coopérative d’habitation, Lausanne, K 344 A
  • Wohnen / Wohnen Extra: Die Mieterzeitschrift, N 1033
  • Wohnen Schweiz: Magazin für den gemeinnützigen Wohnungsbau, D 6409
  • Zürcher Wohnbaugenossenschaften im Blickpunkt, D 5924
Büroalltag um 1970 mit zeitgenössischer Rollenteilung. Kaufmännische Angestellte beim Diktat (Foto: Urheber:in unbekannt/SozArch F 5175-Da-002-023)
Büroalltag um 1970 mit zeitgenössischer Rollenteilung. Kaufmännische Angestellte beim Diktat (Foto: Urheber:in unbekannt/SozArch F 5175-Da-002-023)

«Hänschen wollte Kaufmann werden. Schöneres gibt es nicht auf Erden.»

Fotos und Filme aus dem Bestand des Kaufmännischen Verbands der Schweiz

Der Kaufmännische Verband ist der grösste und traditionsreichste Angestelltenverband der Schweiz. Er wurde bereits 1873 gegründet und vereinte zu seinen besten Zeiten in den 1970er Jahren über 80’000 Mitglieder. Das umfangreiche Archiv gelangte 2021 ins Sozialarchiv. Nun sind neben dem Schriftgut auch die Fotos und Filme fertig bearbeitet.

Der Bildbestand umfasst fast 2’000 Einheiten. Besonders eindrücklich sind die über 400 Glasdias. Es handelt sich dabei um eine bis weit ins 20. Jahrhundert verbreitete, qualitativ meist hochwertige Reproduktionsform von Fotos. Im Fall des Kaufmännischen Verbands geben sie Einblicke in den Arbeitsalltag von Büroangestellten aus Industrie und Handel. Gut erkennbar sind auf vielen Dias neben den Büroeinrichtungen auch die zeitgenössischen Büromaschinen. Allgegenwärtig etwa sind Schreibmaschinen und Telefone. In den grösseren Städten stellte der Verband seinen Mitgliedern Lesesäle und Bibliotheken zur Verfügung, ein Ausdruck des hohen Stellenwerts der beruflichen Weiterbildung.

Zahlenmässig noch besser vertreten sind Aufnahmen sogenannter Scheinfirmenmessen. An diesen Anlässen massen sich Teams fiktiver Firmen mit ihren kaufmännischen Fertigkeiten und warben um Kundschaft. Die Anlässe fanden jährlich an verschiedenen Orten statt und dienten offensichtlich neben dem fachlichen Wettstreit auch der Geselligkeit unter den überwiegend jugendlichen Teilnehmenden.

Überraschend ist das (im Vergleich zu anderen Verbänden) reiche Filmschaffen. Dank der Digitalisierung kamen Aufnahmen ans Licht, die wohl seit Jahrzehnten vergessen waren. 1930 liess der Verband die Generalversammlung am Verbandssitz in Zürich filmen – ein an sich unspektakuläres Motiv. Neben beiläufig aufgenommenen Strassenszenen sind aber die damaligen Verbandsspitzen festgehalten und Szenen vor dem Kino Scala, wo «Der blaue Engel» gezeigt wurde. Aus dem gleichen Jahr gibt es einen 35mm-Film vom «Jungkaufleutetag» im Sommer in Solothurn. An diesem Anlass massen sich die KV-Lehrlinge in sportlichen Disziplinen.

In den 1950er Jahren entstanden gleich zwei Imagefilme, die sich im Wesentlichen an Berufseinsteiger wandten. Im Stummfilm «Hans will Kaufmann werden» von 1952 begleiten wir Hans auf seinem Weg von der Berufswahl bis zum Lehrabschluss. Motiviert wird er dabei von den Zwischentiteln im Film (siehe auch Titel dieses Beitrags). 1953 folgte die professionelle Produktion «Vom kleinen Ich zum grösseren Wir» der Condor Film AG. Das «Volksrecht» stellte in der Filmrezension mit einiger Genugtuung fest: «Aus dem ‘Stehkragenproletarier’, der geruhsam mit dem Gänsekiel seine dicken Bücher vollschrieb und peinliche Distanz gegenüber dem Arbeiter bewahrte, ist längst ein Arbeitnehmer geworden, der vor ganz ähnlichen Problemen steht wie die Betriebsarbeiter.» 1966 folgte schliesslich mit «Die kaufmännischen Berufe» der Versuch einer Imagekorrektur des Berufsbildes. Der Film präsentiert die Tätigkeitsfelder von Kaufleuten in all ihren Facetten, vom Buchhalter über die Lochkartenspezialistin, von der fremdsprachengewandten Diplom-Korrespondentin bis zum Börsianer am Ring.

Werbung für den Pop Pot Club im poppigen Stil der 60er Jahre (Grafik: Ruedi Schibler zugeschrieben)
Werbung für den Pop Pot Club im poppigen Stil der 60er Jahre (Grafik: Ruedi Schibler zugeschrieben)

Buchempfehlungen der Bibliothek

Urs Amacher: Der Pop Pot Club 68. Das legendäre Musiklokal für die Jugend in Olten von 1968 bis 1972. Seon, 2022

Auch in Olten machte sich das bewegte Jahr 1968 bemerkbar: Am 20. April wurde in einem Keller ein neues Clublokal mit dem klingenden Namen «Pop Pot Club 68» eröffnet, welches sich schnell zu einer Hochburg des progressiven Rock und Beat entwickeln sollte. Sogar das Schweizer Fernsehen wurde daraufhin auf die jungen «Pop-Potter» aufmerksam: «Auch in Olten steigt die Jugend seit kurzem in dunkle Kellergewölbe hinunter, wenn sie sich ungestört und ausgelassen unterhalten will», lautete der Kommentar im Beitrag der Sendung «Antenne» zur Eröffnung des «Underground-Unternehmens» am 7. Mai 1968, an welchem u. a. der «Gottesmannsänger» Kaplan Flury auftrat.
In den folgenden vier Jahren konnte die Oltner Jugend im Pop Pot Club 68 die Musik der aktuellsten amerikanischen und britischen Beatbands hören, tanzen, selbstgedrehte Filme schauen oder auch an Diskussionsrunden teilnehmen. Das Lokal wurde aber auch überregional ein viel besuchter Ort: «Selbst von Zürich aus fuhren sie mit ihren Amischlitten beim Pop Pot Club vor – manchmal zu siebent in einem rosa Ford Mustang», erinnert sich ein Besucher. Der Club wurde schliesslich geschlossen, da es ab 1970 mehr Konkurrenz gab, die Gründungsmitglieder älter geworden waren und sich neu orientierten.
Der reichhaltig bebilderte Band des Historikers Urs Amacher lässt die Geschichte des Pop Pot Club nochmals aufleben, unter anderem ist auch ein Interview aus dem Jahr 1971 mit Pierre F. Haesler, dem Initianten des Clubs, abgedruckt.

Bestände im Sozialarchiv:

  • QS 10.01 C *1 Alternativkultur, alternative Kulturbetriebe in der Schweiz
  • ZA 10.01 C Kulturpolitik in der Schweiz
  • Ar 683 Archiv der fünf ersten Gurtenfestivals
  • Ar 707 Folkfestival Lenzburg
  • Ar 710 Rolling Stones Archiv: Sammlung Felix Aeppli

Iris Blum: Monte Verità am Säntis. Lebensreform in der Ostschweiz, 1900-1950. St. Gallen, 2022

Über verschiedene Lebensreformbewegungen in der Schweiz, die ihren Ursprung im ausgehenden 19. Jahrhundert haben, wurde bereits breit publiziert. So ist beispielsweise das Naturistengelände Thielle der Stiftung «die neue zeit» rund um den Lebensreformer Werner Zimmermann oder auch die Person des «Birchermüesli»-Erfinders Max Bircher-Benner gut erforscht. Die Siedlung Monte Verità im Tessin ist sogar über die Landesgrenzen hinaus berühmt geworden. Zur Lebensreformbewegung der Ostschweiz hingegen wurde bisher weniger geforscht. Die freischaffende Historikerin und Archivarin Iris Blum schliesst diese Lücke mit ihrem neu erschienen Band.
In sieben Kapiteln spürt die Autorin den Lebensentwürfen beinahe vergessener Reformer:innen und Utopist:innen rund um den Säntis nach und legt ein wissenschaftlich fundiertes und spannend erzähltes Buch vor. Man erfährt so unter anderem, dass die ersten Gartenstädte in der Ostschweiz entstanden, nämlich die Kolonien «Waldgut» und «Berghalde» in St. Gallen, oder dass Frauen aus bildungsbürgerlichen Kreisen wie Margrit Forrer-Birbaum durch den Reformtanz bzw. die Ausbildung zur Tanzlehrerin um 1900 eine Chance auf einen eigenständigen Broterwerb hatten. Die Autorin hat für ihre Arbeit auch Quellen aus dem Sozialarchiv herangezogen, insbesondere das Archiv der frühen alternativen alkoholfreien Jugendbewegung der «Wandervögel», von der auch Ortsgruppen in der Ostschweiz existierten.

Bestände im Sozialarchiv (Auswahl):

  • Ar 19 Wandervogel. Schweizerischer Bund für alkoholfreie Jugendwanderungen
  • Dossier 04.2 Jugendbewegungen: Jugendorganisationen
  • Dossier 04.41 Alternative Lebensgestaltung & Arbeitsgestaltung ; Aussteiger /-innen ; Wohngemeinschaften
  • Zeitschriften aus der Naturistenbewegung von der Stiftung «die neue zeit», Thielle (via swisscovery, Code «E19Thielle»)

René Senenko: «Mit revolutionären Grüßen». Postkarten der Hamburger Arbeiterbewegung 1919-1945 für eine Welt ohne Ausbeutung, Faschismus und Krieg. Hamburg, 2022

Seit mehr als 150 Jahren werden in Deutschland Postkarten geschrieben. Die Postkarte fristete seither als Quelle aber eher ein Schattendasein – übertrumpft wurde sie meist von ihren glamouröseren Geschwistern: der Fotografie und dem Plakat. Dabei lassen sich anhand der Postkarte Formen einer visuellen Massenkommunikation beschreiben, die bislang oft unberücksichtigt geblieben sind.
Im vorliegenden Band zeichnen über dreissig Autor:innen anhand von Postkarten die Geschichte von proletarischem Sport, Arbeiterkultur und der Arbeiterjugend nach – und auch den Kampf diverser Hamburger Akteur:innen gegen Krieg und Faschismus bis Mitte des 20. Jahrhunderts. So zeigt eine Postkarte beispielsweise Hunderte junge Menschen, die sich 1925 zum 4. Deutschen Arbeiterjugendtag in Hamburg trafen, um dort für bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. In einem anderen Beispiel wird die kommunistische Widerstandskämpferin Anita Vogt vorgestellt, die während der NS-Zeit festgenommen wurde und von ihrer mutigen Grossmutter Postkarten im Gefängnis erhält. Die Postkarten decken also sowohl visuell wie auch textlich ein breites Feld zwischen historisch bedeutsamen Ereignissen und privatem Engagement ab.

Eva Demski: Mein anarchistisches Album. Berlin, 2022

«Gott will es so. Der Staat will es so. Dein Vater will es so. Warum aber ist da ein Oberes, Unsichtbares, das mir sagt, was ich zu tun, zu lassen, zu denken, zu glauben, was ich zu arbeiten und wen ich zu lieben habe? Der Anarchismus setzt uns auf ein politisches und philosophisches Karussell, von dem man nicht weiss, wann es anhält. Der Anarchismus gibt sich nicht zufrieden mit dem, was ist. Er will das Ende von Gewalt und von Herrschaft. Er will ein Leben vor dem Tod.» So steht es im Klappentext und so stehen die Sätze auch im Buch.
Eva Demski hat die spannende Geschichte des Anarchismus durchstreift. Sie erinnert an Michail Bakunin, Erich Mühsam und Emma Goldman, erzählt von anarchistischen Uhrmacher:innen des 19. Jahrhunderts (der dazugehörige Film «Unrueh» läuft zurzeit im Kino), von fortschrittlichen Fürst:innen und Entdecker:innen wie Isabelle Eberhardt; sie erinnert an fast vergessene Dichter:innen und versucht, den Sisi-Mörder Luigi Lucheni zu begreifen. Sie erwähnt Herbert Achternbusch, der behauptet, in Bayern gäbe es sechzig Prozent Anarchist:innen und die würden alle CSU wählen. Es fällt ihr auf, dass in libertären Biografien immer wieder von zwei Ländern die Rede ist, nämlich von Sibirien und von der Schweiz.
So ist ein buntes Album mit Momentaufnahmen aus verschiedenen Epochen entstanden. Illustriert ist das Buch mit vielen Fotos. Sie sind die Ausbeute zahlreicher Expeditionen, die Eva Demski mit der Fotografin Ute Dietz unternommen hat.

Bestände im Sozialarchiv (Auswahl):
Bibliothek:

  • Emma Goldman: Gelebtes Leben. Autobiografie. Hamburg 2010, 123464
  • Isabelle Eberhardt: Sandmeere. Frankfurt 1981, 70256: 1-4
  • Florian Eitel: Anarchistische Uhrmacher in der Schweiz. Mikrohistorische Globalgeschichte zu den Anfängen der anarchistischen Bewegung im 19. Jahrhundert. Bielefeld 2018, 140427
  • Nino Kühnis: Anarchisten! Von Vorläufern und Erleuchteten, von Ungeziefer und Läusen. Zur kollektiven Identität einer radikalen Gemeinschaft in der Schweiz, 1885–1914. Bielefeld 2015, 131409

Sachdokumentation:

  • KS 335/431 Schriften von und über Michail Bakunin
  • KS 335/77c-11 Kresenzia Mühsam: Der Leidensweg Erich Mühsams. Zürich 1935
  • ZA 04.9 Lu-Lus Zeitungsartikel zu Luigi Lucheni

Taras Kuzio: Russian Nationalism and the Russian-Ukrainian War. Autocracy – Orthodoxy – Nationality. London, 2022

This book by the British-Ukrainian political scientist Taras Kuzio was published at the beginning of 2022, and almost immediately was put to the test by the upcoming Russian invasion. A year later, it is safe to say that Kuzio’s work is on point and captured vividly the state of Ukrainian-Russian relations through the last centuries and before the recent aggression.
The author argues, that the reasons for the ongoing war are rooted in the present-day Russian national identity, which paradoxically is ethnocentric, yet projects itself on other ethnic groups. To find out more about Russian nationalism, its development, and possible future shifts it is highly recommended to read this book.

Tanja Maljartschuk: Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus. Essays. Köln, 2022

Die Ukraine und ihre zutiefst tragische Geschichte ist einem nach der Lektüre der Texte von Tanja Maljartschuk sehr nah und vertraut. Mit wenigen Sätzen öffnet sich eine ganze Welt. «Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus» ist eine Zeile aus dem Essay «Beten und Schimpfen: eine sentimentale Notiz zum ‘Karpatenkarneval’ von Juri Andruchowytsch» aus dem Jahr 2019. Darin schreibt die Autorin über den Roman «Karpatenkarneval» ihres ukrainischen Schriftstellerkollegen und kommt zum Schluss, dass das Buch «eigentlich kein Buch mehr, sondern eine Epoche [ist] und so sollte es vielleicht gelesen werden. Wie eine vergnügliche Pause zwischen den finsteren Vorkommnissen. Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus. Ein Gedicht, ein Witz, ein Glas. Wir lachen, obwohl die Nacht hinter jedem Einzelnen tief und schwarz steht.»
Die ältesten Texte stammen von 2014, der Zeit der Maidan-Proteste. Eine Zeit der Hoffnung und des Aufbruchs, aber auch das Jahr der Annexion der Halbinsel Krim. Die neuesten erschienen nach dem 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Zunächst ist es der Autorin unmöglich weiterzuschreiben. Doch eines ist klar: Erzählt werden muss – gerade, wenn Brutalität und Barbarei sprachlos machen. «Wie man über die Unmöglichkeit des Schreibens schreiben kann» ist denn auch der Titel eines Essays vom Mai 2022. Wir können froh sein, dass Tanja Maljartschuk nicht verstummt ist.
Die ukrainische Journalistin und Schriftstellerin Tanja Maljartschuk lebt seit 2011 in Wien.