«Die russische Revolution ist ein reines Kinderspiel gegenüber derjenigen in Albisrieden!», schrieb das Zürcher «Volksrecht» am 7. Juli 1906. Das sozialdemokratische Parteiblatt machte sich damit lustig über die Aufregung bürgerlicher Blätter wegen eines Streiks bei der Automobilfabrik Arbenz in einer Zürcher Vorortsgemeinde. Der Arbeitskampf eskalierte in der Folge tatsächlich, es gab unter anderem eine Massenschlägerei mit Schusswaffengebrauch zwischen Arbeitern und Albisrieder Bauern, zahlreiche, teils gewaltsame Strassenproteste im Arbeiterviertel Aussersihl und ein Militäraufgebot mit Kavallerie aus der Zürcher Landschaft. Und immer wieder wurden krass übertriebene Parallelen zum Zarenreich gezogen. So schrieb das «Volksrecht» unter Bezugnahme auf das behördliche Aufgebot von Ordnungstruppen von einem «Kosakenregiment» und beklagte die «Rücksichtslosigkeit und Brutalität […] wie sie sich selbst in den rückständigsten Staaten Europas nicht ungenierter ausprägt» (Volksrecht, 18.8.1906 und 31.7.1906). Der «Neue Postillon», eine dem reformistischen Grütliverein nahestehende karikaturistische Zeitschrift, publizierte im August 1906 unter dem Titel «Die Schlacht bei Albisrieden» ein Gedicht mit dem folgenden Vers: «Wir wollen jetzt beweisen, Dass in der freien Republik, Dem Herrscher aller Reussen, Wir über sind mit Knut’ und Strick».
Die Bezugnahme auf die zeitgleichen Vorgänge im Zarenreich, die die Auslandsberichterstattung der Schweizer Presse dominierten, war indessen mehr als nur rhetorisch. Tatsächlich gab es vielfältige Bezüge der Schweiz und auch der Streikunruhen von 1906 zur Revolution im Zarenreich von 1905/06. Die Streikwelle, die damals über Europa und die Schweiz brauste, hatte eine Entsprechung im Zarenreich. Dort gab es im revolutionären Geschehen auch mehrere Generalstreiks, was die Massenstreikdebatte in der europäischen Arbeiter:innenbewegung befeuerte und dazu beitrug, dass auch die Zürcher Gewerkschaften im als «Kosakenzeit» in die Erinnerung eingehenden Streiksommer 1906 mehrfach mit einem Generalstreik drohten. Auch persönliche Verbindungen gab es. Der Zürcher Arbeiterarzt Fritz Brupbacher, den die «Neue Zürcher Zeitung» im Juli 1906 fälschlicherweise als Drahtzieher der Unruhen in Aussersihl bezichtigte, war mit einer russischen Ärztin verheiratet, die sich just zu jener Zeit ins revolutionäre Getümmel in ihrer Heimat stürzte. Der Aussersihler Pfarrer und Lokalpolitiker Paul Pflüger, der 1906 nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Streikunruhen die «Zentralstelle für Soziale Literatur der Schweiz», das heutige Sozialarchiv, gründete, um gesellschaftliche Probleme faktenbasiert auf reformistischem und demokratischem Wege und nicht mit Gewalt und Revolutionen angehen zu können (s. SozialarchivInfo 3/2021), hatte sich im Jahr zuvor stark in der Solidaritätsbewegung für die russländische Opposition engagiert. Darüber hinaus hatten viele führende Figuren der Revolution von 1905 in der Schweiz studiert oder hier im Exil gelebt oder flüchteten bei der Niederschlagung der Proteste in die Eidgenossenschaft.
Eine Imperialmacht mit Modernisierungsproblemen
Die innere und äussere Verfassung des Zarenreichs am Vorabend der Revolution von 1905 war widersprüchlich. Im Zuge der imperialistischen Ausbreitung europäischer Länder im 19. Jahrhundert hatte auch das russländische Riesenreich sein Territorium nochmals erheblich erweitert. Anders als bei den anderen Kolonialmächten ging es dabei nicht um die Eroberung überseeischer Gebiete – die einzige grössere Überseekolonie Alaska wurde 1867 für 7,2 Millionen Dollar an die USA verkauft – , sondern die immer weitere Ausdehnung und Russifizierung eines zusammenhängenden eurasischen Landblocks. Dies schuf für die Kolonisierten, aber auch für die russische Gesellschaft, die um 1900 nur etwa 44 % der Gesamtbevölkerung des Reiches ausmachte, enorme Kosten, zementierte den autoritären Zentralismus des Herrschaftssystems und erschwerte im 20. Jahrhundert dann eine territoriale und mentale Dekolonisation – mit fatalen Auswirkungen bis in die Gegenwart.
Vom 16. bis 18. Jahrhundert hatte das Zarenreich Sibirien erobert und umfangreiche nord- und osteuropäische Territorien erworben, etwa den ukrainischen Kosakenstaat sowie grosse Teile Finnlands und Polen-Litauens. Die Fläche des Reiches versechsfachte sich von 1505 bis 1796 von 2,5 auf 15,5 Millionen Quadratkilometer. Im 19. Jahrhundert erfolgte die Expansion im Kaukasus, in Zentralasien und der Mandschurei mit einer weiteren Ausdehnung des imperialen Territoriums um die Hälfte auf 22,8 Millionen Quadratkilometer. Die Eroberung des Nordkaukasus in einem von 1817 bis 1864 dauernden Krieg war begleitet von umfangreichen Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen grosser Bevölkerungsteile, die heute teilweise als Genozid diskutiert werden und gewissermassen die Blaupause zu den ethnischen Deportationen im Stalinismus bildeten. Sie stehen im 19. Jahrhundert als Gewaltpraktiken in einer Reihe mit den Massakern und Genoziden in den Imperialkriegen und aktuellen oder unabhängig gewordenen Siedlerkolonien der westlichen Kolonialmächte sowie den «ethnischen Säuberungen» im Gefolge des schrittweisen Zusammenbruchs der osmanischen Herrschaft über Südosteuropa und deren Ablösung durch Nationalstaaten in sprachlich, religiös und kulturell sehr heterogenen Gebieten. Mit der Erlangung der Kontrolle über den Kaukasus verschob sich der russländische Expansionsfokus auf Zentral- und Ostasien.
Nach umfangreichen Eroberungen in Zentralasien wurde 1868 das «Generalgouvernement Turkestan» mit der Hauptstadt Taschkent geschaffen. 1882 folgte das «Generalgouvernement der Steppe» mit der Hauptstadt Omsk, das grosse Teile des heutigen Kasachstan umfasste. 1858 zwang das Zarenreich das kaiserliche China mit dem Vertrag von Aigun zur Abtretung von über einer halben Million Quadratkilometern seines mandschurischen Territoriums. Wenig später brach das Zarenreich diesen Vertrag und erhielt 1860 auf Grundlage der Pekinger Konvention, die den zweiten Opiumkrieg beendete, die gesamte Äussere Mandschurei zugesprochen. Aus der chinesischen Siedlung Hǎishēnwǎi wurde dadurch die russländische Stadt Vladivostok – «Beherrsche den Osten».
Die asiatische Expension brachte das Zarenreich allerdings nicht nur in Gegensatz zum geschwächten China, sondern auch zu zwei anderen Imperialmächten: dem britischen Empire mit seinen umfangreichen Besitzungen in Südasien (unter anderem Indien) und dem kaiserlichen Japan. Durch das ganze 19. Jahrhundert herrschte in Asien eine Art britisch-russländischer Kalter Krieg, das sogenannte «Great Game». Japan durchlief ab 1868 mit der Meiji-Restauration einen forcierten Modernisierungsprozess, besiegte 1894/95 das Kaiserreich China im ersten chinesisch-japanischen Krieg, übernahm daraufhin Taiwan als Kolonie und geriet mit seinen Expansionsgelüsten in Ostasien in direkten Gegensatz zum Zarenreich.
Zugleich war das Zarenreich Teil des im 18. Jahrhundert herausgebildeten und auf dem Wiener Kongress 1814/15 wiederhergestellten Gleichgewichtssystems der fünf europäischen Grossmächte («Pentarchie», zusammen mit Grossbritannien, Frankreich, der Habsburgermonarchie und Preussen bzw. dem Deutschen Reich) und bildete darin das konservativste Element. Seine Rolle als antiliberaler «Gendarm Europas» wurde durch die Niederlage im Krimkrieg von 1853 bis 1856 gegen eine Koalition aus dem Osmanischen Reich, Grossbritannien, Frankreich und Sardinien-Piemont allerdings geschwächt. Durch die Intervention in die Balkankrise ab 1875 und den Sieg im Krieg gegen das Osmanische Reich von 1877/78 konnte sich das Zarenreich im Zeichen des aufkommenden Panslawismus jedoch zur (darin im Gegensatz zum Osmanischen Reich und der Habsburgermonarchie stehenden) Schutzmacht der südslawischen Völker aufschwingen. Zugleich kam es dadurch seinem strategischen Ziel der Kontrolle über den Bosporus und des Zugangs zum Mittelmeer ein Stück näher. 1893 schloss das Zarenreich mit der Französischen Republik trotz der starken politischen und ideologischen Unterschiede eine hauptsächlich gegen das Deutsche Reich gerichtete Militärallianz als ein früher Schritt zur bündnispolitischen Polarisierung Europas, die dann im Sommer 1914 eine katastrophale Dynamik entfalten sollte.
Vor diesem Hintergrund einer chronischen «imperialen Überdehnung» (Paul Kennedy) führte die innenpolitische Entwicklung im Zarenreich weder zu einer evolutionären Konstitutionalisierung, Liberalisierung und schliesslich Demokratisierung wie in Grossbritannien noch zu revolutionären Umstürzen wie mehrfach in Frankreich, sondern im Verhältnis zwischen russischen Unterschichten und Kolonisierten zu einer Nivellierung nach unten. Beim Thronantritt von Zar Nikolaus I. 1825 hatte die Offiziersbewegung der «Dekabristen» sich gegen Zensur, Polizeiwillkür und die Leibeigenschaft (der zu jener Zeit etwa die Hälfte der Bevölkerung unterlag) aufgelehnt und eine konstitutionelle Monarchie gefordert. Der Zar unterdrückte diese Rebellion energisch und baute in der Folge den Polizei- und Geheimdienstapparat aus. Die europäische Revolutionswelle von 1830 beschränkte sich im Zarenreich auf einen polnischen Aufstand, nach dessen Niederschlagung der Zar den verfassungsrechtlichen Sonderstatus Russisch-Polens aufhob.
Die Revolutionswelle von 1848 griff kaum auf das Zarenreich über. Vielmehr halfen russländische Interventionstruppen 1848/49 bei der Niederschlagung der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung von der Donaumonarchie sowie der Unterdrückung der Revolutionen in den unter osmanischer Oberhoheit stehenden Donaufürstentümern Moldau und Walachei. Ebenso suspendierte das Zarenreich nach dem Sonderbundskrieg seine am Wiener Kongress gegebene Garantie der schweizerischen Neutralität und territorialen Integrität – dies gleichsam als Einladung an die Nachbarstaaten, in der Eidgenossenschaft zu intervenieren (s. SozialarchivInfo 2/2023). Erst die Revolution von 1905 zeigte im Zarenreich dann das gemeinsame Auftreten konstitutionalistischer, liberaler, sozialistischer, nationalistischer und autonomistischer bzw. antiimperialer Kräfte, wie es in West-, Zentral- und Teilen Ostmitteleuropas bereits 1848 zutage getreten war. Wenn Lenin später 1905 als «Hauptprobe» für 1917 bezeichnete, so war es aus einer transnationalen Perspektive eher eine Art anachronistischer Epilog zu 1848.
Der Schock der Niederlage im Krimkrieg führte dann unter Zar Alexander II. zu einer Reihe von Reformen. Neben der Abschaffung der Leibeigenschaft 1861 gehörten dazu in den 1860er und frühen 1870er Jahren Reformen in den Bereichen des Finanzwesens, der Universitäten, der Lokal- und Stadtverwaltung, der Justiz, der Sekundarschulbildung und des Militärs. Bereits gegen Ende der Regierungszeit des 1881 von Mitgliedern der sozialrevolutionären Geheimgesellschaft «Norodnaja volja» ermordeten Alexanders II. sowie unter seinem Nachfolger Alexander III. wurden Teile der Reformen wieder eingeschränkt. Zugleich kam es 1863 zu einem erneuten Aufstand in Russisch-Polen, der abermals niedergeschlagen wurde. Dem entstehenden antiimperialen Nationalismus auch in anderen westlichen und südwestlichen Randgebieten setzte die zaristische Regierung eine forcierte Russifizierung in Verwaltung, Bildungssystem und Kultur entgegen. Dazu gehörten Massnahmen zugunsten des Russischen und zur Unterdrückung der anderen Sprachen, die Forcierung der seit dem 18. Jahrhundert entwickelten Ideologie des «dreieinigen russischen Volkes» aus «Gross-, Weiss- und Kleinrussen» als versuchter Einbezug von Belaruss:innen und Ukrainer:innen in einen ostslawisch-orthodoxen bzw. grossrussischen Nationalismus, aber auch, insbesondere in den neu unterworfenen asiatischen Gebieten, ein russischer Siedlungskolonialismus. Hinzu kam die Instrumentalisierung des Antisemitismus als Ablenkung von gesellschaftlichen Problemen und antiimperialen Tendenzen (s. SozialarchivInfo 1/2021).
Neben den antiimperialen Strömungen entstanden im späten 19. Jahrhundert auch russische Oppositionskräfte, die dann in der Revolution von 1905 eine Rolle spielen sollten. Vor allem auf der Basis der alexandrinischen Reform der Lokalverwaltung mit regionalen Ständeversammlungen («Zemstvo») bildete sich eine reformistische Elite mit konstitutionalistischen und liberalen Ideen. Radikalere Oppositionskräfte, die sich oft auch terroristischer Methoden bedienten, agierten hauptsächlich aus dem Untergrund, dem Exil (unter anderem in der Schweiz) oder befanden sich in der Verbannung in Sibirien. Sie hingen dem Nihilismus, Anarchismus oder einem spezifisch russischen Agrarsozialismus (Narodniki, ab 1901 Partei der Sozialrevolutionäre) an, ab den 1880er Jahren zunehmend auch dem Marxismus. Die 1898 gegründete marxistische Russländische Sozialdemokratische Arbeiterpartei spaltete sich 1903 in die Flügel der Bolschewiki um Lenin, die auf eine Elite von Berufsrevolutionär:innen setzte, und der Menschewiki, die im Sinne westlicher Sozialdemokratien eine Arbeiter:innenbewegung mit Massenbeteiligung und Gewerkschaften anstrebten. Ebenso trat 1903 der «Allgemeine Jüdische Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland» (kurz «Bund») aus, nachdem Bolschewiki wie Menschewiki dessen Autonomiestatus innerhalb der Gesamtpartei abgelehnt hatten.
Die wirtschaftliche Modernisierung machte im späten 19. Jahrhundert zwar Fortschritte, das Zarenreich hinkte ökonomisch aber weiter hinter den Grossmächten West- und Mitteleuropas und Nordamerikas her. Neue Bahnlinien verbanden die schnell wachsenden Städte und die Zahl der Fabrikarbeiter:innen nahm 1890 bis 1900 von 1,4 auf 2,4 Millionen zu. Dies waren aber weniger als 2 % der Gesamtbevölkerung. Die grosse Mehrheit blieb kleinbäuerlich und oft am Rand des Existenzminimums. Im Jahr 1900 lebten nur 4,8 % der Bevölkerung des Zarenreiches in Städten gegenüber 32,8 % in Grossbritannien, 18,7 % in den USA, 15,5 % im Deutschen Reich und 13,3 % in Frankreich. Selbst in Italien, Österreich-Ungarn und Japan war der Urbanisierungsgrad höher als im Zarenreich. Die Produktivität der Landwirtschaft nahm zwar zu, blieb aber deutlich unter derjenigen in Westeuropa.
Von 1880 bis 1900 gelang es dem Zarenreich, die industrielle Kapazität Frankreichs zu überholen, zugleich vergrösserte sich aber der Rückstand auf die drei führenden Industriestaaten USA, Grossbritannien und Deutschland. Auch wurde das vor allem durch ausländisches Kapital angetriebene industrielle Wachstum durch eine zunehmende Auslandverschuldung erkauft, insbesondere in Frankreich. Die Lage der Fabrikarbeiter:innen war vielfach erbärmlich. Die zaristische Regierung erlaubte die Bildung von Gewerkschaften nicht, sondern versuchte, durch polizeilich kontrollierte Organisationen die Arbeiterschaft zu vereinnahmen. Als im Juni 1896 bis zu 30’000 Textilarbeiter:innen in 18 Petersburger Fabriken für drei Wochen streikten, wurden rund 1’000 Personen verhaftet.
In den Jahren vor 1905 spitzte sich die gesellschaftliche Krise zu, insbesondere in den westlichen und südwestlichen Randgebieten. Von den 59 Demonstrationen, die 1895 bis 1900 im Zarenreich registriert wurden, fanden 25 in Polen statt, 9 in der Ukraine, 9 im Baltikum, 7 in Belarus, 6 in Finnland und nur 3 in Gebieten mit russischer Bevölkerungsmehrheit. 1902 bis 1904 gab es eine Bauernrevolte in der Ukraine. Im georgischen Gurien schuf eine bäuerliche Protestbewegung 1902 die Gurische Republik mit einer revolutionären Selbstverwaltung, die von den zaristischen Streitkräften erst 1906 niedergeschlagen werden konnte. 1903/04 entfaltete sich eine Welle von Massenstreiks und städtischen Unruhen zunächst in Baku, Tiflis und Batumi, dann in Odessa, Kyjiw und anderen Städten der Ukraine sowie in Russisch-Polen.
Krieg als Auslöser revolutionärer Unruhen
Zu den vielfältigen gesellschaftlichen und politischen Problemen kam im Februar 1904 der Ausbruch des russisch-japanischen Krieges, der sich bereits in den Vorjahren abgezeichnet hatte, dennoch aber die zaristische Regierung überrumpelte. Ab 1898 pachtete das Zarenreich von China Port Arthur als Flottenstützpunkt im Gelben Meer. 1900/01 intervenierten Russland und Japan zusammen mit Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Österreich-Ungarn, Italien und den USA in einer gemeinsamen Strafaktion gegen den Boxeraufstand in China, wobei das Zarenreich zum Unmut Japans die südöstliche Hälfte der Inneren Mandschurei über das Ende der Intervention hinaus besetzte. Am 13. Januar 1904 forderte der japanische Botschafter in St. Petersburg eine Abgrenzung der ostasiatischen Einflusssphären: Gegen die russländische Anerkennung der japanischen Vorherrschaft in Korea wollte Japan erklären, dass die Mandschurei ausserhalb ihres Einflussbereichs liege. Die zaristische Regierung lehnte ab, worauf die japanische Flotte in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar Port Arthur angriff.
In den folgenden Tagen wurde die russländische Pazifikflotte zerstört oder in Port Arthur blockiert. Die zaristische Regierung ging dennoch von einem leichten Sieg aus und erhoffte sich vom Krieg eine Stärkung ihres internationalen Prestiges und Schwächung der innenpolitischen Opposition. Die erste Landschlacht im April am Yalu-Fluss an der Grenze zwischen Korea und China endete aber mit einem japanischen Sieg und auch der weitere Kriegsverlauf war für die russländische Seite ein Debakel. Die meisten Land- und Seeschlachten wurden von den Japanern gewonnen. Im Juli 1904 begann die japanische Belagerung von Port Arthur. Dabei entspann sich ein Stellungskrieg mit Schützengräben, wie er zehn Jahre darauf für die Westfront des Ersten Weltkriegs charakteristisch werden sollte. Im Dezember zerstörte die japanische Artillerie die verbliebenen Schiffe der russländischen Pazifikflotte und am 2. Januar 1905 kapitulierte die Besatzung von Port Arthur. Die Nachricht vom Fall der Hafenstadt schockierte die russländische Öffentlichkeit und demoralisierte die verbliebenen Truppen. Ende Mai erlitt die Baltische Flotte, die zum «Zweiten Pazifik-Geschwader» umfunktioniert worden war, in der Seeschlacht bei Tsushima eine vernichtende Niederlage.
Kurz darauf übernahm US-Präsident Theodore Roosevelt eine Vermittlungsmission und am 5. September 1905 wurde der Friedensvertrag von Portsmouth unterzeichnet. Dieser sprach die Souveränität über die Innere Mandschurei China zu, so dass die russländischen Truppen die 1900 besetzten Gebiete räumen mussten. Das russländische Pachtgebiet auf der chinesischen Liaodong-Halbinsel mit dem Kriegshafen Port Arthur ging an Japan, das auch den Süden der Insel Sachalin, die im Juli 1905 von japanischen Truppen besetzt worden war, sowie die vormals russländische Konzession für einen Teil der chinesischen Osteisenbahn erhielt. Japan, das im August 1905 seine Allianz mit Grossbritannien erneuert und vertieft hatte und im November gleichen Jahres ein Protektorat über Korea errichtete, wurde damit zur ostasiatischen Grossmacht. Das Zarenreich hingegen, das bei einer Gesamtzahl von 1,36 Millionen mobilisierten Soldaten und Matrosen etwa 70’000 Tote, 146’000 Verwundete und 74’000 Gefangene zu beklagen hatte, sich für die Kriegsfinanzierung in Frankreich und Deutschland verschuldete und nach der faktischen italienischen Niederlage gegen Äthiopien im Krieg von 1895/96 eine der ganz wenigen Niederlagen europäischer Grossmächte gegen aussereuropäische Gegner erlitt, war trotz der im Verhältnis zum militärischen Desaster relativ milden Friedensbedingungen tief gedemütigt. Präsident Roosevelt erhielt für seine Vermittlerrolle 1906 den Friedensnobelpreis.
Der «Blutsonntag» und seine Folgen
Der Krieg gegen Japan verschärfte auch die wirtschaftlichen Probleme. Produktion und Aussenhandel gingen zurück, die Lebensmittelpreise in den Städten stiegen massiv, die Reallöhne schrumpften um 20 % und viele Industriebetriebe bauten Stellen ab. Die Depression der russländischen Industrie hielt bis 1908/09 an, ohne dass der Staat wesentliche wirtschafts- oder sozialpolitische Gegenstrategien entfaltet hätte. Schon lange vor Kriegsende regte sich aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und in verschiedenen Reichsteilen Opposition und Protest. Kreise aus der kritischen Intelligencija entfalteten nach dem Vorbild der französischen Opposition von 1847/48 die sogenannte «Bankettbewegung» und veranstalteten Festessen, an denen politische Resolutionen verabschiedet wurden. Am 4. Januar 1905 traten die Arbeiter:innen in den auf Eisenbahn- und Waffenproduktion spezialisierten Petersburger Putilov-Werken in den Ausstand. In den folgenden Tagen weitete sich der Streik aus und umfasste bald 140’000 Arbeiter:innen.
Am 9. Januar 1905, wenige Tage nach der Kapitulation von Port Arthur, zog eine Demonstration von Zehntausenden Menschen vor den Zarenpalast, um dem Autokrator eine Bittschrift zu überreichen. Organisiert hatte die Kundgebung der Pope Georgij Gapon, der seit 1903 eine zarenfreundliche Arbeiterorganisation leitete und zugleich Agent der Geheimpolizei Ochrana war. Ab Ende 1904 arbeitete Gapon aber zunehmend mit radikaleren Kräften der Arbeiter:innenbewegung zusammen. Der Demonstrationszug war keineswegs umstürzlerisch gesinnt. Vielmehr wurden Ikonen und Zarenbilder mitgetragen. Die Petition zielte allerdings auf eine radikale Veränderung des politischen Systems ab, war ihre zentrale Forderung doch die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung nach allgemeinem, direktem, geheimem und gleichem Wahlrecht: «Es ist notwendig, dass das Volk sich selbst hilft, denn nur es kennt die wahren Bedürfnisse. Lehnen Sie seine Hilfe nicht ab, sondern nehmen Sie sie an!» Des Weiteren forderte die Petition als «Massnahmen gegen die Unwissenheit und Entmündigung des russischen Volkes» bürgerliche Rechte wie die Rede-, Presse-, Versammlungs- und Religionsfreiheit, die Freiheit und Unverletzlichkeit der Person, ein obligatorisches und kostenloses Bildungssystem, die Regierungsverantwortlichkeit gegenüber dem Volk, Rechtsgleichheit und Befreiung der politischen Gefangenen, ebenso wirtschafts- und sozialpolitische Reformen wie die Gewerkschaftsfreiheit, den Achtstundentag, das Streikrecht, Sozialversicherungen und angemessene Löhne.
Am Ende formulierte die Bittschrift eine klare Alternative: «Wir haben nur zwei Wege: entweder in die Freiheit und ins Glück oder ins Grab.» Eintreffen sollte für viele Demonstrationsteilnehmer:innen das zweitere: Die Palastwache schoss in die Menge, tötete und verletzte viele Menschen. Die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt; die Angaben variieren von 130 bis über 1’000 Tote. Die psychologische Wirkung des Ereignisses war ungeheuer. Die Illusion, die Regierung sei grundsätzlich am Wohl des Volkes interessiert, zerbrach auf einen Schlag. An zahlreichen Orten kam es zu Unruhen und Arbeitsniederlegungen. Schon am Morgen nach dem Massaker von St. Petersburg gingen in Moskau 45’000 Menschen auf die Strasse. Im April streikten 80’000 Personen, im Mai bereits 200’000. Entlang der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn griff der Protest auch nach Osten über mit Eisenbahnerstreiks im Februar, Mai und August.
Schon im Januar 1905 bildeten sich in St. Petersburg aus Fabrikbelegschaften auch Arbeitermilizen, in den folgenden Wochen und Monaten auch in Moskau und anderen Regionen. Im Februar ermordete der sozialrevolutionäre Dichter Ivan Kaljaev in der Nähe des Moskauer Kremls den Grossfürsten Sergej Romanov, einen Onkel des Zaren. Diese Tat wurde 1949 von Albert Camus im Drama «Les justes» literarisch verarbeitet. Allenthalben entstanden Berufsverbände, die sich Anfang Mai zu einer Dachorganisation zusammenschlossen. Wissenschaftler und Lehrer forderten die Einrichtung einer frei gewählten Volksvertretung und zahlreiche Nationalitäten des Riesenreiches beriefen Kongresse ein, an denen Autonomieforderungen erhoben wurden. Ende Juli tagte der erste allrussische Kongress des neugegründeten Bauernverbandes. Ausserdem gab es Meutereien in Armee und Flotte sowohl in den europäischen Reichsteilen als auch in Fernost bis nach Vladivostok.
Im Sommer 1905 flauten die Proteste in den russischen Gebieten des Zarenreiches vorübergehend ab. Zeitgleich herrschten aber in Russisch-Polen, Transkaukasien und im Baltikum bürgerkriegsartige Zustände. Ab September gab es auch in den russischen Gebieten erneut zahlreiche Streiks, unter anderem in den Metropolen St. Petersburg und Moskau. Vom 7. bis 13. Oktober traten die Eisenbahner erneut in den Ausstand. Sogar in einem Priesterseminar brach ein Streik aus. Ende Oktober meuterten 13’000 Matrosen und Soldaten der Marinebasis Kronstadt. In den westlichen Reichsteilen kam es auch zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung, die über 1’000 Menschenleben forderten. Sie gingen zum Teil von pro-zaristischen Demonstrationen aus und wurden von den Behörden als Ablenkung von den revolutionären Aktivitäten zumindest geduldet.
Als neue Organisationsform bildeten sich Arbeiterräte, die die Streikbewegung leiteten. Der am 13. Oktober zusammengetretene Petersburger Arbeiterrat rief in den folgenden Wochen mehrfach zum Generalstreik auf. Am 26. November wurde an seine Spitze Leo Trotzki gewählt, der damals zwischen Bolschewismus und Menschewismus lavierte und vor dem Hintergrund der Erfahrung von 1905 kurz darauf in der Schrift «Ergebnisse und Perspektiven» erstmals seine Theorie der permanenten Revolution formulierte. Am 3. Dezember 1905 liess die zaristische Regierung die Führer des Petersburger Arbeiterrats verhaften. Auch in Moskau kam es zu einem von einem Arbeiterrat geleiteten Generalstreik. Unter dem Einfluss der Bolschewiki brach am 9. Dezember in Moskau sogar ein bewaffneter Aufstand aus, der nach einer Woche blutig niedergeschlagen wurde. Das System der Arbeiterräte, deren Deputierte von der Basis jederzeit abberufen werden konnten, galt in der Folge als anzustrebende Idealform der Arbeiterdemokratie. Im Revolutionsjahr 1917 sollte es eine wichtige Rolle spielen, wurde dann aber von den Bolschewiki bald als pseudodemokratische Fassade ihrer Parteidiktatur missbraucht. Im Protestzyklus um das Ende des Ersten Weltkriegs entstanden in etwa 30 Ländern Europas, Asiens, Nord- und Lateinamerikas Arbeiterräte, die in den Revolutionen in Deutschland und Österreich-Ungarn 1918/19 eine wichtige Rolle spielten.
Auch auf dem Land kam es zu Unruhen, die ab Oktober 1905 zunahmen. Bei gewaltsamen bäuerlichen Protesten wurden allein in den letzten zwei Monaten des Jahres 1905 2’000 Landgüter niedergebrannt. Bauern plünderten und brandschatzten adlige Gutshöfe, ermordeten Gutsherren, teilten die Nahrungsmittelvorräte unter sich auf, raubten Getreide und Futter, schlugen in grundherrlichen Wäldern Holz und trieben ihr Vieh auf fremde Weiden. Die Bauernaufstände gingen 1906 weiter, bevor sie blutig niedergeschlagen wurden. Dabei brannten vor allem die gefürchteten Kosakenregimenter Bauernhäuser nieder, töteten Vieh, liessen oft die ganze Dorfversammlung auspeitschen und töteten, verstümmelten oder verhafteten wahllos Menschen. Von Oktober 1905 bis April 1906 wurden dabei 34’000 Personen erschossen, 14’000 erlagen ihren Verletzungen, 70’000 wurden in den Kerker geworfen. In den Städten gab es im Frühjahr 1906 noch durchschnittlich fünf politische Attentate pro Tag, häufig verübt durch Anarchist:innen, und zahlreiche Banküberfälle sollten Geld für die Revolution beschaffen. Erst 1907 waren die revolutionären Unruhen vollständig unterdrückt.
Revolution und Antiimperialismus
Besonders heftig waren die Unruhen und Streiks in den westlichen und südwestlichen Randgebieten, wo sich Sozialprotest und der Ruf nach politischen Reformen mit antiimperialem Aufbegehren gegen die als Fremdherrschaft empfundene zaristische Administration vermischte und teilweise in bürgerkriegsartige Zustände mündete. So finden sich in der Sachdokumentation des Sozialarchivs Berichte an die Zweite Internationale von Arbeiterparteien der Ukraine, Polens, Finnlands und Lettlands sowie des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes zu ihren Aktivitäten in der Revolutionsphase 1905 bis 1907.
Im Baltikum verbanden sich Streiks der teilweise sozialistisch organisierten Arbeiter:innen mit Bauernrebellionen gegen die zaristische Verwaltung und den grossgrundbesitzenden deutschbaltischen Adel. Neben den städtischen und ländlichen Unter- und Mittelschichten beteiligten sich auch bürgerliche und adlige Liberale am revolutionären Geschehen. In Riga kam es bereits im Januar 1905 zu bewaffneten Zusammenstössen, die 73 Opfer forderten. Im Frühjahr und Sommer traten lettische und estnische Landarbeiter:innen in den Streik, Bauern verweigerten Abgaben und schufen in Kurland und Südlivland revolutionäre Selbstverwaltungen. Bei einer Demonstration in Tallinn am 16. Oktober 1905 eröffnete das Militär das Feuer und tötete etwa 100 Menschen. Im November tagte eine All-Estnische Versammlung mit 800 Delegierten, Anfang Dezember forderte in Vilnius ein Landtag von 2’000 Personen nationale Autonomie, das Litauische als Amtssprache und eine gesetzgebende Versammlung. Bis Ende 1905 wurden 563 Rittergüter des deutschbaltischen Adels, über 20 % des Gesamtbestandes, von Aufständischen zerstört, zahlreiche Gutsbesitzer vertrieben und einige ermordet.
In Russisch-Polen, wo die grossen Aufstände von 1830/31 und 1863/64 hauptsächlich von den einheimischen Eliten getragen gewesen waren und das nun ein industrielles Zentrum des Zarenreichs war, fand 1905 eine Demokratisierung des antizaristischen Protests statt. Diese legte auch soziale Spannungen innerhalb der polnischen Gesellschaft frei. Erstmals gab es Arbeiter:innenaktivismus auf der Strasse. Ein Drittel aller Streiks im Zarenreich während der Revolutionsphase fanden in Polen statt. 90 % der polnischen Arbeiter:innen streikten 1905 mindestens einmal. Zugleich zeichneten sich die Ereignisse durch eine besondere Gewaltsamkeit aus.
Bereits im November 1904 kam es im Anschluss an eine Massendemonstration zu Kampfhandlungen zwischen dem zaristischen Militär und sozialistischen Milizen. Ende Januar 1905 demonstrierten Arbeiter:innen in Łódź gegen den Zaren und den Krieg. Ähnliche Proteste folgten in Warschau, über das die zaristischen Behörden schon am 17. Januar den Belagerungszustand verhängt hatten und wo bewaffnete Zusammenstösse mindestens 90 Todesopfer forderten, und anderen industriellen Zentren. Ende Januar riefen die sozialistischen Parteien zum Generalstreik auf, der während vier Wochen andauerte und an dem sich 400’000 Arbeiter:innen beteiligten. Auch gab es Proteste an Schulen und Universitäten gegen die Unterdrückung des Polnischen als Unterrichtssprache, unter anderem einen sieben Monate andauernden Schulboykott der Mittelschüler:innen. Am 1. Mai 1905 wurden in Warschau 30 Demonstrant:innen erschossen. Ende Juni kam es in Łódź zu einem mehrtägigen Aufstand mit Barrikadenkämpfen, bei dessen Niederschlagung 150 bis 500 Menschen ums Leben kamen.
Trotz des Krieges gegen Japan sah sich die zaristische Regierung gezwungen, die 250’000 Mann starken Truppenkontingente in Russisch-Polen zu verstärken. Politische Parteien wie die von Rosa Luxemburg mitgegründete Sozialdemokratie des Königreichs Polen-Litauen, Józef Piłsudskis Polnische Sozialistische Partei (deren bewaffneter Arm ab 1904 Überfälle auf russländische Banken und Postzüge verübte), der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund und die Nationaldemokratische Partei wurden während der Revolution von kleinen Zirkeln zu Massenorganisationen. Etwa 20 % der polnischen Arbeiter:innen traten Gewerkschaften bei, deren Mitgliedschaft zu etwa einem Fünftel weiblich war (gegenüber damals unter einem Zehntel im Schweizerischen Gewerkschaftsbund). Die Polnische Sozialistische Partei, die auf über 50’000 Mitglieder anwuchs, versuchte im Dezember 1905 erfolglos, in Warschau die Macht zu ergreifen, und setzte danach den Widerstand mit Terroranschlägen fort. Noch 1906 und 1907 gab es verschiedene Unruhen mit Todesopfern. Am 15. August 1906, dem sogenannten «Blutmittwoch», verübten Mitglieder der Kampforganisation der Polnischen Sozialistischen Partei in einer konzertierten Aktion rund 100 Anschläge auf Behörden und Polizeistellen in 20 Ortschaften Russisch-Polens und töteten etwa 80 Polizisten und Spitzel. Das Scheitern der Revolution stärkte dann innerhalb des polnischen politischen Spektrums die nationalistischen und konservativen Kräfte.
Am erfolgreichsten war die Revolution in Finnland, das seit der Jahrhundertwende einer (im Vergleich zu anderen Reichsteilen noch relativ milden) «administrativen Russifizierung» ausgesetzt gewesen war. 1899 hatte der Zar in seinem Februarmanifest die finnische Ständeversammlung zu einem blossen Beratungsorgan abgewertet. Im selben Jahr kam es zu passivem Widerstand gegen die Ausweitung der Wehrpflicht. Im folgenden Jahr wurde die Verwendung des Russischen in der finnischen Verwaltung ausgebaut. Erstmals versuchten die in verschiedene politische Gruppen gespaltenen finnischen Eliten nun breite Bevölkerungskreise zu mobilisieren, bereits 1899 mit einer Massenpetition und 1905 dann durch Unterstützung des allgemeinen Wahlrechts. Im Juni 1904 wurde der verhasste, mit Sondervollmachten regierende Generalgouverneur Nikolaj Bobrikov von einem finnischen Nationalisten ermordet.
Der Petersburger Generalstreik vom Oktober 1905 sprang nach zehn Tagen aufs benachbarte Finnland über und mündete in spektakuläre Reformen. Am 4. November 1905 genehmigte der Zar einen fundamentalen und im ganzen Imperium einmaligen Wechsel vom ständischen zum parlamentarischen System und suspendierte darüber hinaus das Rekrutierungsgesetz und andere unpopuläre Massnahmen. Das neue finnische Parlament wurde erstmals 1907 gewählt, wobei als europaweites Novum neben den Männern auch die Frauen wahlberechtigt waren (s. SozialarchivInfo 6/2020). Stärkste Kräfte wurden die Sozialdemokratische Partei mit 37 % und die konservative Finnische Partei mit 27 %. 19 der 200 Abgeordneten waren Frauen. Der Zar löste das Parlament bereits 1908 wegen «staatsfeindlicher Gesinnung» auf, startete im selben Jahr eine zweite Russifizierungswelle Finnlands und intervenierte auch in der Folgezeit mit Einschränkungen der parlamentarischen Kompetenzen und beinahe jährlichen Parlamentsauflösungen massiv in den demokratischen Prozess. Dennoch ermöglichten die 1905 erkämpften Reformen die Etablierung einer neuen politischen Kultur und eines relativ stabilen Parteiensystems als Grundlage für die demokratische Entwicklung Finnlands nach der Unabhängigkeit und dem Bürgerkrieg von 1918.
In der Ukraine spielten die Eisenbahner im revolutionären Geschehen eine wichtige Rolle. Im Donbass-Gebiet gab es bewaffnete Auseinandersetzungen, in Odessa zahlreiche Streiks und Demonstrationen. Knechte und Tagelöhner auf Gutsbetrieben verweigerten die Arbeitsleistung. Auch auf die am Krieg gegen Japan nicht beteiligte Schwarzmeerflotte sprang der Funke der Rebellion über. Schon im November 1904 gab es eine Meuterei in der Marinebasis Sevastopol’. Am 14. Juni 1905 meuterte dann die Besatzung des Panzerkreuzers Potemkin. Auslöser war die Verabreichung verfaulten Fleisches an die Matrosen. Nach dem Einlaufen des Panzerkreuzers in Odessa, wo gerade ein Generalstreik stattfand, richteten Kosakentruppen in den folgenden Tagen bei der Niederschlagung der Aufstände ein Blutbad an, das über 1’000 Menschenleben kostete. Die Besatzung der Potemkin flüchtete ins rumänische Constanța. Diese Ereignisse dienten als Grundlage für Sergej Ėjzenštejns Stummfilmepos «Panzerkreuzer Potemkin» von 1925. Die ukrainische Intelligenz schuf im Zuge der Revolution eine Reihe neuer Organisationen und Zeitschriften. Die wichtigste politische Partei, die 1900 entstandene Revolutionäre Ukrainische Partei, nannte sich 1905 um in Ukrainische Sozialdemokratische Arbeiterpartei.
Auch im Kaukasus und Transkaukasien wurde es unruhig. Im späten 19. Jahrhundert waren antiimperiale Kräfte erstarkt und um 1900 entstanden politische Parteien, die sich für mehr Autonomie einsetzten und teilweise Kontakte zu anderen Peripherien des Zarenreiches pflegten. In Baku erzielten 1905 Arbeiter:innen mit Protestaktionen Lohnerhöhungen. Die Streikbewegung griff dann auf Tiflis, Batumi und andere Städte über. Im August töteten Truppen in Tiflis bei der Auflösung einer Protestversammlung mehrere Dutzend Menschen. Im Sommer 1905 entglitt dem zaristischen Statthalter für den Kaukasus die Kontrolle über weite Gebiete, etwa Ossetien, vollständig. Der Gouverneur von Baku förderte im Sinne einer klassischen imperialistischen Divide-and-rule-Strategie aserbaidschanische Pogrome gegen Armenier:innen, die zuvor seit der Mitte des 19. Jahrhunderts von den zaristischen Machthabern gezielt als Gegengewicht gegen die muslimische Bevölkerung in der Region angesiedelt worden waren. In der Folge kam es bis Frühjahr 1906 zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen aserbaidschanischen Muslimen und Armeniern, die mehrere Tausend Opfer forderten. Der seit 1902 in Gurien schwelende Bauernaufstand weitete sich auf ganz Westgeorgien aus und es schlossen sich ihm meuternde Armeeeinheiten an. Führende politische Kraft Georgiens wurden die Menschewiki, die ab 1918 auch die erste unabhängige und demokratische Republik dominierten, bis diese 1921 von der Roten Armee zerstört wurde.
In den während des 19. Jahrhunderts kolonisierten Gebieten Zentralasiens blieb es vergleichsweise ruhig, aber auch hier kamen politische Prozesse in Gang. Im Generalgouvernement Turkestan traten vor allem die russischsprachigen Eisenbahner mit zahlreichen Streiks als tragende Kraft der Revolution hervor und der liberale Teil der Kolonialelite beteiligte sich an der Bankett-Bewegung. Ausserhalb des Eisenbahnwesens gab es keine Streiks. Die kolonisierte muslimische Landbevölkerung betrachtete die Revolution als innerrussische Angelegenheit und blieb ruhig. Auch die städtischen Muslime beteiligten sich nicht an Streiks und Demonstrationen, wurden aber politisiert und diskutierten diverse politische und gesellschaftliche Reformprojekte. Auf zwei Kongressen im August 1905 und Januar 1906 entstand die «Union der Muslime Russlands», die Demokratie sowie die Gleichberechtigung der Muslime forderte.
Auch die kleinen ethnischen Gruppen Sibiriens und des Wolga-Uralgebiets schlossen sich der in diesen Gebieten in russisch besiedelten Städten ausbrechenden Revolution kaum an. Die jakutischen und burjätischen Nationalbewegungen artikulierten sich aber mit Versammlungen und Publikationen. Anfang 1906 erhob ein Kongress von 400 jakutischen Delegierten radikale politische und soziale Forderungen.
Bei der Niederschlagung der Revolution waren die zaristischen Behörden in den Peripherien des Reiches noch repressiver als in den russischen Gebieten. Die Strafexpeditionen im Baltikum forderten 2’000 Menschenleben. Von den im Zuge der Konterrevolution ausgesprochenen Todesurteilen entfielen rund 25 % auf Russisch-Polen, über 15 % auf das Baltikum und über 5 % auf das kleine Gurien.
Scheinkonstitutionalismus und Repression mit Vorbildwirkung
Die zaristische Regierung reagierte auf die Proteste und Aufstände nicht nur mit Repression, sondern auch mit vagen Versprechungen. Im August 1905 erschien eine Proklamation des Zaren über die Schaffung einer rein beratenden Reichsvertretung, was die liberale Opposition enttäuschte und auch zu einer neuen Streikwelle führte. Am 17. Oktober kündigte Nikolaus II. dann im sogenannten Oktobermanifest die Einführung von Meinungs-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit sowie neben dem vom Zaren ernannten Staatsrat die Einrichtung einer gewählten zweiten Kammer (Staatsduma) an. Gleichzeitig wurde der Emser Erlass von 1878 aufgehoben, der die öffentliche Verwendung der (als «kleinrussischer Dialekt» bezeichneten) ukrainischen Sprache und Publikationen auf Ukrainisch verboten hatte. Das Wahlgesetz vom Dezember 1905 sah eine indirekte Wahl nach sehr ungleichem Wahlrecht vor. Männer unter 25, Frauen, Arbeiter mittlerer und kleinerer Betriebe, Studenten, Dienstboten, landlose Bauern und Soldaten blieben vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Stimme eines Grundbesitzers wog so viel wie die Stimmen von 2 Stadtbewohnern, 15 Bauern oder 45 Arbeitern.
Das Oktobermanifest spaltete die Opposition. Einer Mehrheit, die sich in der neugegründeten liberalen Partei der Konstitutionellen Demokraten («Kadetten») oder den verschiedenen sozialistischen Parteien organisierte, gingen die angekündigten Reformen zu wenig weit. Die Liberalen lösten sich indessen aus der revolutionären Front, um ihren Kampf ins versprochene Parlament zu verlegen. Es entstand aber auch die vor allem von Grossgrundbesitzern und Grossindustriellen getragene Partei der Konstitutionellen Monarchisten («Oktobristen»), die sich hinter das neue System stellten.
Die ersten Duma-Wahlen fanden im Frühjahr 1906 statt. Trotz des ungleichen Wahlrechts, aufgrund dessen die meisten sozialistischen Gruppierungen die Wahl boykottierten, wurden die liberalen Kadetten und die bäuerlich-demokratisch-agrarsozialistischen Trudoviki klare Sieger. Hinzu kam eine grosse Zahl von zarismusskeptischen Abgeordneten der nichtrussischen Nationalitäten. Noch vor dem ersten Zusammentritt der Duma erliess die Regierung die «Staatsgrundgesetze des Russländischen Kaiserreiches», die den Zaren als «Oberste Selbstherrschende Gewalt» bezeichneten und die Kompetenzen des Zweikammerparlaments stark beschnitten. Über wichtige Entscheidungen wie den Militär- und Hofetat sollte nicht abgestimmt werden, der Zar besass das Vetorecht gegen alle Parlamentsentscheidungen und konnte die Duma auch jederzeit auflösen. Ausserdem behielt er das Recht zur Kriegserklärung, setzte weiterhin die Minister nach eigenem Gutdünken ein und ab und kontrollierte immer noch die Russisch-Orthodoxe Kirche als ideologische Basis des Regimes. Der berühmte liberale Soziologe Max Weber kritisierte dieses System im Sommer 1906 als «Scheinkonstitutionalismus».
Als die Duma im Frühjahr 1906 ein vom Zaren abgelehntes Agrarreformprogramm in Angriff nahm, wurde sie schon nach 72 Tagen wieder aufgelöst. Geplante Protestversammlungen der Abgeordneten und Anhänger der Mehrheitsfraktionen konnten nicht stattfinden, da das Parlamentsgebäude und das Parteilokal der Kadetten von Polizei und Militär umstellt wurden. Kadetten und Trudoviki protestierten daraufhin schriftlich in Form des Vyborger Manifests. Gegen dessen Unterzeichner wurden Strafverfahren eingeleitet. Die meisten wurden zu Haftstrafen verurteilt und durften für die folgenden Wahlen nicht mehr kandidieren.
Aus den zweiten Duma-Wahlen Anfang 1907 gingen die sozialistischen und bäuerlich-demokratischen Kräfte als klare Sieger hervor und auch die Kadetten blieben stark. Da die neue Duma in noch stärkerer Opposition zur Regierung stand als die alte und weiterhin auf einer Agrarreform beharrte, wurde sie bereits im Sommer 1907 abermals aufgelöst. Zudem setzte der Zar per Dekret eine Änderung des Wahlrechts durch, das nun Städter, Bauern und die nichtrussischen Nationalitäten gegenüber dem russischen Adel und Grossbürgertum noch stärker benachteiligte. Die Neuwahl im Herbst 1907 sowie die folgenden, letzten Duma-Wahlen von 1912 ergaben dadurch die von der Regierung gewünschte Mehrheit von konservativen Oktobristen, Nationalisten und Rechtsextremen. Letztere hatten sich als pro-zaristische, antisemitische, ultranationalistische und protofaschistische Gruppierungen ab 1905 in Ablehnung der Revolution organisiert und rasch bedeutende Mitgliederzahlen erlangt.
Mit der Unterdrückung eigenständiger parlamentarischer Regungen durch den Regierungsapparat und anschliessenden Manipulation der Wahlen zur Herbeiführung regierungsfreundlicher Mehrheiten bei gleichzeitiger Unterdrückung antiimperialer Kräfte wurde Zar Nikolaus II. stilbildend für die Restabilisierung autoritärer und imperialer Herrschaft russländischer Machthaber ganz unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung in Umbruchsituationen. Im November 1917 fanden wenige Wochen nach der putschartigen Machtübernahme des bolschewistischen «Rats der Volkskommissare» in der Oktoberrevolution die noch von der vorangegangenen, aus der Februarrevolution hervorgegangenen Provisorischen Regierung anberaumten Wahlen zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung nach allgemeinem und gleichem Wahlrecht statt. Dabei gingen rund 90 % der Stimmen an sozialistische Parteien. Lenins Bolschewiki errangen aber nur ein Viertel der Mandate, während die Partei der Sozialrevolutionäre die absolute Mehrheit gewann. Nachdem die bolschewistische Regierung bereits vor dem Zusammentritt der Nationalversammlung Anfang Januar 1918 die Partei der Kadetten, die etwa 2 Millionen Stimmen erhalten hatte, als «Volksfeinde» verboten und für den Tag der Parlamentseröffnung 7’000 pro-bolschewistische Matrosen in Gefechtsbereitschaft versetzt hatte, verweigerte sie am zweiten Sitzungstag den Abgeordneten den Zutritt zum Parlamentsgebäude und löste die Nationalversammlung per Dekret auf. Nach Auffassung Trotzkis hatte damit «der Klassenkampf […] durch einen Ansturm von innenheraus die formalen Rahmen der Demokratie gesprengt».
Stattdessen tagte Mitte Januar 1918 der dritte Allrussische Kongress der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte, bei dessen Wahl die städtischen Hochburgen der Bolschewiki stark bevorzugt worden waren. Er bestimmte das Rätesystem als definitive Staatsform. Schon im Sommer 1918 waren die als «konterrevolutionär» stigmatisierten gemässigt sozialistischen Parteien in den Räten nicht mehr vertreten und auch die nichtbolschewistischen linkssozialistischen Kräfte wurden immer spärlicher. Die Zerschlagung der Nationalversammlung mündete in den vierjährigen Bürgerkrieg zwischen bolschewistischen «Roten» und zaristisch dominierten «Weissen», auf deren Seite die letzten auf der Nationalversammlung beruhenden Strukturen im November 1918 durch einen Putsch rechtsgerichteter Offiziere beseitigt wurden. Ebenso eroberte die Rote Armee, obschon die bolschewistische Regierung unmittelbar nach der Oktoberrevolution das Selbstbestimmungsrecht der «Völker Russlands» (inklusive des Rechts auf Eigenstaatlichkeit) proklamiert hatte, die unabhängig gewordenen Staaten Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien und Ukraine mit ihrem parlamentarisch-demokratischen Charakter zurück und bolschewisierte sie, ebenso wie eine anarchistische Föderation selbstverwalteter Kommunen, die zeitweise weite Teile der Süd- und Ostukraine umfasste. Die letzten Parteistrukturen nichtbolschewistischer Kräfte wurden bis 1922 zerschlagen und die mit 99,9 %-Ergebnissen gewählten Räte als pseudodemokratische Fassade der kommunistischen Parteidiktatur bis in die 1980er Jahre reine Akklamationsorgane.
Erst als Folge der Reformpolitik Michail Gorbačevs fanden in der Sowjetunion ab 1989 halbwegs freie Wahlen statt. Der im März 1990 gewählte Volksdeputiertenkongress der Russländischen Föderation blieb dabei über die Auflösung der Sowjetunion hinaus im Amt. 1993 kam es aber zu einem Konflikt zwischen diesem Parlament und Präsident Boris El’cin über den wirtschaftspolitischen Kurs und den Erlass einer neuen Verfassung. Der Präsident löste daraufhin, bewusst oder unbewusst dem Muster von 1906/07 und 1918 folgend, das Parlament durch ein (vom Verfassungsgericht für illegal erklärtes) Dekret auf und liess das Parlamentsgebäude, in dem die meisten Abgeordneten ausharrten, von der Armee beschiessen. Bei diesen Vorgängen kamen gegen 200 Menschen ums Leben. In der Wahl des nun wieder Duma genannten Parlaments Ende 1993 gewannen die Gegner des Präsidenten erneut die Mehrheit. Die Regierung begann nun aber mit dem Aufbau kremlnaher Parteien und, verstärkt unter dem neuen Präsidenten Vladimir Putin ab 2000, mit der (teilweise auch physischen) Ausschaltung wirklich oppositioneller Kräfte und Manipulation der Wahlprozesse, so dass das Parlament, in dem ab 2007 stets die Regimepartei «Einiges Russland» die absolute Mehrheit innehatte und nur noch regierungsloyale Kräfte vertreten waren, in der als «gelenkte Demokratie» verschleierten Präsidialdiktatur als eigenständiger politischer Machtfaktor keine Rolle mehr spielte. Zugleich wurden Autonomiebestrebungen in Randgebieten wie Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan unterdrückt und setzte der hybride Krieg gegen demokratische oder sich demokratisierende ehemalige Sowjetrepubliken wie vor allem die Ukraine und Georgien, aber auch die baltischen Staaten und Moldawien ein.
Die Schweiz als Hub der versuchten Demokratisierung des Zarenreichs?
Die Bezüge der Schweiz zur Revolution von 1905 waren vielfältig und gingen weit über die eingangs zitierten Vergleiche mit den einheimischen Streikunruhen hinaus. Es lebten damals rund 8’000 Russlandschweizer:innen im Zarenreich (s. SozialarchivInfo 5/2018). Im Zuge der Modernisierungsbestrebungen hatte die zaristische Regierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezielt Fachkräfte in Westeuropa rekrutiert. Aus der Schweiz waren dies etwa Käser:innen, Erzieher:innen, Kaufleute und Industrielle. Insbesondere in den Regionen um Moskau und St. Petersburg sowie in der Ukraine entstanden rund 300 schweizerische Firmen in der Maschinen-, Lebensmittel- und Textilindustrie. Viele Russlandschweizer:innen erlebten die revolutionären Unruhen von 1905 bis 1907 hautnah mit.
Umgekehrt gab es eine grosse Community aus dem Zarenreich in der Schweiz. Dazu zählten polnische Flüchtlinge des Aufstands von 1863, Angehörige der unter sich zerstrittenen Gruppierungen und Fraktionen der sozialistischen Opposition, sogenannte «Ostjuden», die auf der Flucht vor Diskriminierung und sporadischen Pogromen definitiv oder als Durchgangsstation zur Weiterreise in die USA in die Schweiz gekommen waren, sowie Studierende, die das liberale Klima und die Möglichkeit des Frauenstudiums in der Schweiz sowie der antisemitische Numerus clausus an den russländischen Universitäten zum Studium an Schweizer Hochschulen geführt hatte. Etwa ein Viertel der Studierenden und gar drei Viertel der Studentinnen in der Schweiz stammten zu jener Zeit aus dem Zarenreich, mindestens die Hälfte von ihnen war jüdisch und viele mit den Kreisen des politischen Exils vernetzt. So entstand eine politisierte Bubble mit Zentren in Zürich, Bern und Genf, die mehrere Tausend Personen umfasste und von Spitzeln der zaristischen Geheimpolizei überwacht wurde, mit eigenen Diskussionszirkeln, Hilfsorganisationen, Bibliotheken und Druckereien.
Manche kehrten bei Ausbruch der revolutionären Unruhen in der Hoffnung auf Veränderungen ins Zarenreich zurück. Lenin, der seit 1903 in Genf lebte, ging Ende 1905 nach St. Petersburg, wo er aber nicht gross öffentlich in Erscheinung trat. Vera Zasulič, die 1878 ein missglücktes Attentat auf den wegen seiner besonderen Brutalität gegen aufständische Polen und politische Gefangene berüchtigten General Fjodor Trepov verübt hatte, dann in die Schweiz geflohen war, 1883 in Genf die erste russische marxistische Gruppe «Befreiung der Arbeit» mitgegründet hatte und ab 1903 die Menschewiki unterstützte, reiste 1905 ebenfalls nach Russland, betätigte sich aber kaum noch politisch.
Eine Reihe ehemaliger Studentinnen von Schweizer Hochschulen spielten in der Revolution von 1905 eine aktive Rolle. Um nur wenige zu nennen: Rosa Luxemburg aus dem polnischen Zamość, die 1889 bis 1897 an der Universität Zürich studiert und mit einer Dissertation über die industrielle Entwicklung Polens doktoriert hatte, ging Ende 1905 unter falschem Namen mit ihrem aus Vilnius stammenden Partner Leo Jogiches, der 1890 bis 1900 im Exil in Genf und Zürich gelebt hatte, ins revolutionäre Warschau, wo sie im März 1906 verhaftet wurde. Die Erfahrung der Vielvölkerrevolution verarbeitete sie 1908/09 in einer Artikelserie «Nationalitätenfrage und Autonomie». Vera Veličkina aus Moskau, die 1892 bis 1894 an den Universitäten Zürich und Bern Medizin und Naturwissenschaften studiert und dann 1902 bis 1905 als Mitarbeiterin verschiedener bolschewistischer Zeitschriften in Genf gelebt hatte, wurde 1905 in St. Petersburg verhaftet. Rosalija Hal’berstadt aus Ekaterinoslav (heute: Dnipro), die 1896 bis 1898 in Genf Medizin studiert hatte und dort mit dem Marxismus in Kontakt gekommen war, beteiligte sich als Menschewistin an der Revolution in St. Petersburg und Moskau. Aleksandra Kollontaj aus St. Petersburg, 1898 für kurze Zeit Hörerin der Nationalökonomie an der Universität Zürich, beteiligte sich am 9. Januar 1905 am Zug zum Winterpalast, war dann revolutionäre Agitatorin unter anderem in St. Petersburg, Litauen und Finnland und führte eine Kampagne zur Organisation sozialistischer Frauen. 1917 bis 1918 sollte sie in der bolschewistischen Regierung als weltweit erste Frau ein Ministeramt wahrnehmen. Anna Lifschitz aus Chełm studierte 1900/01 an der Universität Bern und war als Mitglied des «Bundes» während der Revolution und der Meuterei auf der Potemkin eine führende Persönlichkeit in Odessa, was ihr den Spitznamen «Mutter Gapon» eintrug. Sofia Bričkina aus Rostov am Don hatte 1902 bis 1904 in Bern studiert und war 1905/06 bolschewistische Aktivistin in Odessa und Moskau.
Lidija Kočetkova aus Samara studierte 1895 bis 1899 in Zürich und Bern Medizin und war 1901 bis 1916 verheiratet mit dem Arbeiterarzt Fritz Brupbacher, dessen Nachlass sich im Sozialarchiv befindet. Nach Tätigkeit als Ärztin in Russland war sie 1904 bis 1906 zur Weiterbildung in Hirnanatomie erneut an der Universität Zürich immatrikuliert. Zürich war damals international ein Zentrum der neurologischen Forschung dank des Arztes Constantin von Monakov, Sohn eines emigrierten Liberalen aus Vologda, der in den 1880er Jahren ein privates hirnanatomisches Labor mit umfangreicher Präparatesammlung sowie eine neurologische Poliklinik aufgebaut hatte und 1894 vom Regierungsrat gegen den Willen der Medizinischen Fakultät vom Privatdozenten zum Professor befördert wurde. Als Sozialrevolutionärin ging Kočetkova 1906 nach St. Petersburg und war dann, unterbrochen von mehrfachen Reisen nach Westeuropa zu Kuraufenthalten und Parteikonferenzen, Agitatorin in Atkarsk und Saratov. 1909 wurde sie verhaftet und ins Gouvernement Archangel’sk verbannt, wo Brupbacher sie 1910 und 1911 zweimal besuchte und sein bislang romantisches Bild vom «vorkapitalistischen» russischen Bauerntum revidierte. Im Gegensatz dazu entwickelte Kočetkova zunehmend antiwestliche Ressentiments und wurde dann im Ersten Weltkrieg zur fanatischen grossrussischen Nationalistin, worauf es zur Trennung von Brupbacher kam.
Trotzkis Freund Alexander Parvus hatte 1887 bis 1891 an der Universität Basel Wirtschaftswissenschaften studiert, ging 1905 nach St. Petersburg, wurde 1906 verhaftet, konnte aber auf dem Weg in die sibirische Verbannung flüchten und war 1917 dann eine wichtige Figur bei Lenins Rückkehr nach Russland. Der lettische Bauernpolitiker Kārlis Ulmanis, der 1902 bis 1903 am Eidgenössischen Polytechnikum Zürich Agronomie studiert hatte, wurde wegen Beteiligung an den revolutionären Ereignissen kurzzeitig inhaftiert und floh in die USA. Nach der Unabhängigkeit Lettlands war er dann als Vertreter des Lettischen Bauernverbandes mehrfach Ministerpräsident, errichtete 1934 in einem Staatsstreich ein autoritäres Regime und regierte diktatorisch bis zum sowjetischen Überfall auf die baltischen Staaten 1940 aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts. Dann wurde er, obwohl angeblich im Besitz einer Ausreiseerlaubnis in die Schweiz, nach Turkmenistan deportiert und starb 1942 im Gefängnis. Sein Schicksal zeichnete den Leidensweg von über 100’000 Lett:innen vor, die von den neuen sowjetischen Machthabern in zwei Deportationswellen 1941 und 1949 nach Sibirien oder Kasachstan verschickt wurden.
Auch einen nachmals prominenten Schweizer zog es ins revolutionäre Geschehen im Zarenreich. Fritz Platten beteiligte sich 1906 an der Revolution in Riga, wurde verhaftet und kam ins Gefängnis. Nach achtmonatiger Haft gelang ihm die Flucht in die Schweiz, wo er als Sozialdemokrat und dann Kommunist wichtige politische Ämter einnahm, 1916 als Bürge für Lenins Benutzung des Sozialarchivs fungierte und im Folgejahr eine wichtige Rolle bei der Organisation von Lenins Rückkehr nach Russland spielte (s. SozialarchivInfo 1/2016). 1919 gehörte er dem Gründungspräsidium der Kommunistischen Internationale an, 1923 emigrierte er in die Sowjetunion, wo er in den 1930er Jahren in den Strudel der stalinistischen Säuberungen geriet und 1942 im Gulag erschossen wurde.
Die schweizerische Öffentlichkeit nahm an den Ereignissen im Zarenreich lebhaften Anteil. In der Presse waren 1905 der russisch-japanische Krieg und die Revolution die dominierenden Ereignisse der Auslandsberichterstattung. Das Massaker am Blutsonntag stiess in den Schweizer Zeitungen unabhängig von deren politischer Ausrichtung auf Empörung. Ebenso wurde Ende Februar 1905 eine Klage der russländischen Gesandtschaft über die zarenkritische Berichterstattung der Schweizer Presse von den Zeitungen fast einhellig als Angriff auf die Pressefreiheit zurückgewiesen. Bei der ebenfalls breit beachteten Meuterei auf der Potemkin waren die Sympathien der Schweizer Presse dann geteilt. Das Oktobermanifest wurde von den sozialdemokratischen und auch vielen freisinnigen Blättern mit Skepsis aufgenommen.
Wenige Tage nach dem Blutsonntag organisierte die Arbeiterunion Zürich im Velodrom eine Protestversammlung mit Reden von Nationalrat Herman Greulich und Kantonsrat Paul Pflüger. Auch in Genf, Bern, Lausanne, Winterthur, Baden, Lugano und La Chaux-de-Fonds gab es Ende Januar oder Anfang Februar 1905 sozialdemokratische Kundgebungen. Im Februar und März veranstalteten viele Arbeiterorganisationen Vortragsabende zu den Ereignissen im Zarenreich. Greulich hatte sich schon vor dem Blutsonntag im Zürcher Stadtparlament für das «Recht auf Selbstbestimmung des russischen Volkes» ausgesprochen. Ende Januar 1905 stellte Pflüger im selben Rat Antrag auf eine Sympathiebekundung für die Protestbewegung. Die bürgerlichen Fraktionen lehnten dieses Ansinnen trotz teilweiser inhaltlicher Übereinstimmung mit Pflügers Standpunkt als nicht opportune Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates ab. Der Aufruf der SP Schweiz zur Maidemonstration bezeichnete 1905 als das Jahr, «in welchem das Proletariat Russlands den Fuss auf den Zarismus, auf den Obergendarmen Europas, gesetzt hat und mit seinem Blute der internationalen Freiheit die Hauptgasse öffnet». Am ersten Jahrestag des Blutsonntags gab es 1906 Kundgebungen in Zürich, Bern, Genf, Basel, Lausanne, St. Gallen, Rorschach, Frauenfeld, Lugano und Davos, an denen sich Tausende beteiligten.
Ebenso veranstaltete ein sozialdemokratisch dominiertes «Hilfskomitee für die Opfer der russischen Revolution» eine Geldsammlung, was seitens der russländischen Gesandtschaft grosse Empörung hervorrief. Die in Genf ansässigen Menschewiki erliessen unter dem Titel «An die zivilisierte Welt» einen Spendenaufruf, welcher ausführte, am Blutsonntag habe «die Riesenhand des russischen Proletariates den absolutistischen Drachen an der Kehle erfasst»: «Der Kampf gegen den Zarismus, seine Vernichtung erscheint auch als Kampf gegen die wilde Barbarei […]. Was der Absolutismus in Finnland und Kischinew begangen, begeht er fortwährend in Polen und Litauen, in Sibirien und im Kaukasus; er hat es im Grossen gethan, als ihm das Volk der Hauptstadt die Forderungen von ganz Russland gestellt hat. […] Heute weiss die ganze Welt, dass der Zarismus sich bemüht, mit Hülfe von Bajonetten sein Leben zu verlängern. Aber das Regime der Bajonette ist ein fortwährendes militärisches Abenteurertum, eine ewige Gefahr für den Weltfrieden.»
Die Verteilung der gesammelten Mittel stiess indessen aufgrund der Zersplitterung der sozialistischen Kräfte des Zarenreichs entlang nationaler und ideologischer Grenzen auf Probleme. Der Nachlass von Herman Greulich im Sozialarchiv enthält ein Schreiben Greulichs an die Geschäftsleitung der SP Schweiz und das Bundeskomitee des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes vom 31. Januar 1905, in welchem der Arbeitersekretär klagte: «Wegen der Verteilung der für die russischen Revolutionäre gesammelten Gelder bin ich in den letzten Tagen arg bestürmt worden. Nach aussen herrscht die Meinung, es gebe nur eine russische sozialdemokratische Partei. Leider ist das nicht so. Es gibt nicht nur Organisationen, die einen lokalen und nationalen Charakter tragen: Der jüdische Arbeiterbund. Die polnische sozialdem. Partei. Die lettische sozialdem. Partei, sondern es existiert noch eine selbständige Vereinigung: Die revolutionären Sozialisten. Damit aber noch nicht genug. Neben der Sozialdemokratischen Partei mit Axelrod, Plechanow und Vera Sassulitsch, gibt es noch eine zweite, mit dem ‚Vperiod’ unter Lenin in Genf an der Spitze, welche behauptet, die Mehrheit und den grössten Anhang in Russland zu haben. Auch sie beansprucht Anteil an der Sammlung. Diese arge Zersplitterung ist ein Unglück in der ganzen Situation, sie verursacht unnütze Opfer an Menschenleben und verhindert ein planmässiges Vorgehen. Sie setzt auch uns in grosse Verlegenheit.»
Die Revolution forderte auch ein Todesopfer auf Schweizer Boden. Am 1. September 1906 erschoss die Medizinstudentin Tat’jana Leont’eva im Speisesaal des noblen Grandhotel Jungfrau in Interlaken den französischen Geschäftsmann Charles Müller. Dabei handelte es sich um eine Verwechslung. Leont’eva, die 1905 Augenzeugin der Ereignisse des Blutsonntags gewesen und Mitglied der terroristischen «Kampforganisation» der Sozialrevolutionären Partei geworden war, hielt ihr Opfer für den zaristischen Innenminister Pëtr Durnovo, einer zentralen Person bei der Repression gegen die revolutionären Bewegungen Ende 1905 und Förderer der rechtsextremen, antisemitischen, polen- und ukrainefeindlichen «Schwarzen Hundertschaften». Im Mordprozess von 1907 wurde Leont’eva zwar schuldig gesprochen, ihre Strafe beschränkte sich aber wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit und mildernden Umständen auf nur vier Jahre Zuchthaus.
Massenstreiks und Kampflieder
Die verschiedenen Massenstreiks während der Revolution im Zarenreich liessen in der internationalen Arbeiter:innenbewegung die Debatten über Sinn und Unsinn des politischen Generalstreiks wieder aufflammen. Das Mittel des Generalstreiks war bereits im 19. Jahrhundert diskutiert und auch angewandt worden. 1868 bezeichnete die Erste Internationale den Generalstreik als geeignetes Mittel zur Verhinderung künftiger Kriege – eine Idee, die dann auch in der Zweiten Internationale wieder auftauchte (s. SozialarchivInfo 2/2024). 1893 fand in Belgien ein Generalstreik für die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts statt. Gewährt wurde schliesslich ein allgemeines, aber ungleiches Wahlrecht. Ein neuerlicher belgischer Generalstreik für das gleiche Wahlrecht wurde 1902 von Polizei und Militär unterdrückt.
In den theoretischen Debatten des ausgehenden 19. Jahrhunderts fanden sich zur Massenstreikfrage grob drei Positionen: Marxistische Sozialdemokrat:innen sahen in ihm ein Abwehrmittel, für reformerische Syndikalist:innen war er sowohl Abwehrmittel als auch Mittel zur Durchsetzung noch nicht erreichter Rechte und die Anarchist:innen propagierten ihn als direkten Angriff auf den Klassenstaat und Beginn der sozialen Revolution. Die Zweite Internationale, in der sich vor allem französische Sozialist:innen für den Massenstreik stark machten, lehnte auf ihren Kongressen von 1896 und 1900 internationale Generalstreiks als Kampfmittel ab. Auf dem Kongress von 1904 erfolgte dann die Anerkennung des Massenstreiks als das «äusserste Mittel, um bedeutende gesellschaftliche Veränderungen durchzuführen oder sich reaktionären Anschlägen auf die Rechte der Arbeiter zu widersetzen».
Während und nach der Revolution von 1905 setzte namentlich in der deutschen Sozialdemokratie eine intensive Massenstreikdebatte ein. Auf dem Parteitag vom September 1905 rief Rosa Luxemburg als Befürworterin politischer Massenstreiks aus: «Wir sehen die russische Revolution, und wir wären Esel, wenn wir daraus nichts lernten.» Das Parteizentrum um August Bebel befürwortete den Massenstreik nur «im Notfalle» und setzte sich bei den Delegierten mit dieser Position durch. Im Jahr darauf warnte Karl Kautsky vor einer Parallelisierung Deutschlands und Russlands und sah im politischen Massenstreik in Russland gleichsam ein Naturereignis, das auf die politische und wirtschaftliche Rückständigkeit des Zarenreiches zurückzuführen sei. Demgegenüber übte Rosa Luxemburg in einer Broschüre mit dem Titel «Massenstreik, Partei und Gewerkschaften» Kritik an SPD und Gewerkschaften: «Eine konsequente, entschlossene, vorwärtsstrebende Taktik der Sozialdemokratie ruft in der Masse das Gefühl der Sicherheit, des Selbstvertrauens und der Kampflust hervor; eine schwankende, schwächliche, auf der Unterschätzung des Proletariats basierte Taktik wirkt auf die Masse lähmend und verwirrend. Im ersteren Falle brechen Massenstreiks ‚von selbst’ und immer ‚rechtzeitig’ aus, im zweiten bleiben mitunter direkte Aufforderungen der Leitung zum Massenstreik erfolglos. Und für beides liefert die russische Revolution sprechende Beispiele.» Das russländische Beispiel habe gezeigt, dass sogar ein wenig organisiertes Proletariat jahrelange Kämpfe auszufechten im Stande sei, während die wohlorganisierte deutsche Arbeiter:innenschaft nur sporadisch in Streiks in Erscheinung trete.
Auch in der Schweiz, wo es bereits 1902 im Anschluss an einen Arbeitskampf der Tramangestellten einen lokalen Generalstreik in Genf gegeben hatte, entspann sich eine ähnliche Diskussion. Es war vor allem der spätere Landesstreikführer Robert Grimm, der den Generalstreik als Mittel zur Systemveränderung befürwortete, wenn auch nur in Ergänzung zum Parlamentarismus und als Krönung der bisherigen Mittel und Methoden des Klassenkampfes. In einem 1906 gehaltenen Vortrag, der in der Folge auch als Broschüre verbreitet wurde, befürwortete er die Möglichkeit, durch einen Massenstreik die Herrschaft der Bourgeoisie zu stürzen und der Arbeiterklasse zur Macht zu verhelfen. Die schweizerischen Gewerkschaften standen der Generalstreikidee zunächst indessen wie ihre deutschen Schwesterorganisationen sehr skeptisch gegenüber, dennoch gab es in den folgenden Jahren eine Reihe lokaler Generalstreiks, so 1912 in Zürich (s. SozialarchivInfo 4/2017).
Zu einer praktischen Anwendung, die direkt von den Ereignissen im Zarenreich beeinflusst war, kam es in der cisleithanischen (österreichischen) Reichshälfte der Donaumonarchie. Dort fanden Anfang November 1905 in zahlreichen Städten Strassenkundgebungen statt, die in Wien und Prag zu blutigen Zusammenstössen mit der Staatsgewalt führten. Zugleich weitete sich eine zunächst lokale Protestaktion der Eisenbahnarbeiter, die sich an den Eisenbahnerstreiks im Zarenreich orientierte, immer mehr aus und brachte die Regierung in arge Bedrängnis. Ab dem 26. Oktober übten die Eisenbahner in Nordböhmen «passive Resistenz», die darin bestand, die bestehenden Vorschriften peinlich genau zu beachten. Aufgrund des reglementarischen Gestrüpps im k. k. Eisenbahnwesen führte dies zu einem Kollaps des öffentlichen Verkehrs, ohne dass den Arbeitern irgendein Vorwurf wegen Dienstverletzung gemacht werden konnte.
Die sozialdemokratische Eisenbahnergewerkschaft stand der Aktion zunächst eher skeptisch gegenüber, übernahm aber Anfang November die Führung der Protestbewegung und hielt am 5. November in Prag eine Vertrauensmännerkonferenz ab, die dem Eisenbahnministerium einen Forderungskatalog mit folgenden Punkten übermittelte: 20 bis 30 % mehr Lohn, Mitspracherecht des Personals, Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts. Bereits 1894 hatte der sozialdemokratische Parteitag unter Androhung eines Generalstreiks die Ausweitung des auf eine schmale Schicht von Vermögenden beschränkten Wahlrechts gefordert. 1896 kam es zu einer Wahlrechtsreform mit Einrichtung einer fünften «Wählerkurie» für alle über 24 Jahre alten männlichen Staatsbürger, die jedoch nur 72 der 425 Parlamentsmandate wählen durften. Der Rest blieb den aristokratischen und bürgerlichen Eliten vorbehalten.
Vor diesem Hintergrund weiteten sich die Protestaktionen Ende 1905 in rasantem Tempo aus. Am 4. November erfassten sie bereits ganz Böhmen, am 6. November Salzburg und Oberösterreich, am 8. November Wien und am folgenden Tag ganz Cisleithanien. Insgesamt beteiligten sich am Protest etwa 25’000 Arbeiter:innen. Nach wenigen Tagen trat die Regierung mit den Gewerkschaften in Verhandlungen. Eine Übereinkunft am 12. November brachte den Eisenbahnern verschiedene Verbesserungen. Verklausuliert versprach die Regierung auch, dem Parlament eine Wahlreformvorlage zu unterbreiten. Als am 28. November 1905 das Parlament wieder zusammentrat, streikte in den österreichischen Städten der grösste Teil der Arbeiter:innen. In Wien zog eine Viertelmillion Menschen in wohlgeordneten Achterreihen fünf Stunden lang über die Ringstrasse schweigend am Parlamentsgebäude vorbei. In Prag demonstrierten am selben Tag 150’000 Menschen. Die Führung der tschechischen Sozialdemokratie erwog die Ausrufung eines Generalstreiks, wurde von der Gesamtparteileitung aber vorerst zurückgepfiffen.
Die Regierung legte in der Folge einen Gesetzesentwurf für die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts vor. Konservative und liberale Wahlreformgegner betrieben aber eine Obstruktionspolitik und versuchten die Reform mit Debatten um minimale Differenzen endlos hinauszuzögern. Teilweise handelte es sich dabei um einen Schacher um Wahlkreise, es war aber auch das offensichtliche Ziel vieler Abgeordneter, durch Verkomplizierung der Verhandlungen und Ausnützung des deutsch-tschechischen Gegensatzes die Reform scheitern zu lassen. Obwohl der parlamentarische Wahlreformausschuss im Mai 1906 einen ausgereiften Gesetzesentwurf zugewiesen erhielt, legte er erst im November nach 63 Sitzungen einen Bericht vor.
Angesichts dieser Verschleppungstaktik drohte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei erneut mit Massenprotesten. Als im Juni 1906 eine sinnvolle Weiterarbeit im Wahlreformausschuss nicht mehr möglich schien, rüstete die Parteileitung zu einem Massenstreik, der zunächst drei Tage lang in Wien durchgeführt, dann wenn nötig in Böhmen fortgesetzt und schliesslich auf die ganze österreichische Reichshälfte ausgedehnt werden sollte. Unter dem Eindruck dieser Drohung beschleunigte der Reformausschuss seine Beratungen und fand schliesslich doch einen Konsens. In den ersten Wahlen nach dem allgemeinen und gleichen Männerwahlrecht im Mai 1907, an denen von den nun 5,5 Millionen Wahlberechtigten 84 % teilnahmen, wurde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei mit 87 der total 516 Sitze zur stärksten Fraktion. Allerdings galt das allgemeine Männerwahlrecht nur in der österreichischen Reichshälfte, nicht aber für den ungarischen Reichsteil, der über ein eigenes Parlament verfügte. Hier war das Wahlrecht weiterhin an eine sehr hohe Steuerleistung geknüpft, so dass lediglich etwa sechs Prozent der Bevölkerung wählen durften. Zudem galt auch in der österreichischen Reichshälfte für die Landtage und Gemeindeparlamente bis zum Ende der Habsburgermonarchie 1918 das ungleiche Kurienwahlrecht.
Neben der Massenstreikdebatte hatte die Revolution von 1905 auch musikalische Auswirkungen auf die westlichen Arbeiter:innenbewegungen. Das in den 1890er Jahren von Leonid Radin in einem Moskauer Gefängnis gedichtete und zunächst vor allem von politischen Gefangenen in Sibirien gesungene «Smelo, tovarišči, v nogu!» wurde 1905 und erneut 1917 zur Revolutionshymne und dann 1920 vom deutschen Dirigenten Hermann Scherchen, der es in Kriegsgefangenschaft in Russland kennengelernt hatte, als «Brüder, zur Sonne, zur Freiheit» ins Deutsche übersetzt und in den deutschsprachigen Arbeiter:innenorganisationen rasch so populär, dass sich auch die Nazis die Melodie anzueignen versuchten. Scherchen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg musikalischer Leiter und Dirigent des Deutschschweizer Radioorchesters und gründete den Zürcher Musikverlag «Ars viva». Das vom sozialistischen Poeten Wacław Święcicki 1879 in Gefängnishaft mit Referenz auf ein patriotisches Lied aus dem Aufstand von 1831 gedichtete polnische Freiheitslied «Warszawianka» war während der Revolution von 1905 in Russisch-Polen sehr populär und verbreitete sich von da aus ins Zarenreich wie auch nach Mittel- und Westeuropa. Unter dem Titel «A las Barricadas» war es im Spanischen Bürgerkrieg die anarchistische Hymne, unter dem Titel «Ánemoi thíelles» das Lied des antifaschistischen Widerstands in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs.
Von der Revolution ins Schweizer Exil
Wie nach den europäischen Revolutionswellen von 1830 und 1848, dem polnischen Aufstand von 1863 oder dem Pariser Commune-Aufstand von 1871 flüchteten auch nach 1905 wieder zahlreiche geschlagene Rebell:innen in die Schweiz (s. SozialarchivInfo 2/2021 und 2/2023). In Genf gab es 1906 eine Versammlung von 600 revolutionären Emigrant:innen, worauf die Behörden vier Ausweisungen vornahmen. Lenin floh im Januar 1907 vor dem zaristischen Sicherheitsapparat nach Helsinki und kehrte im folgenden Jahr nach Genf zurück. Im Januar 1917, kurz vor Ausbruch einer neuerlichen Revolution im Zarenreich, sollte er dann im Zürcher Volkshaus ein Referat über die Revolution von 1905 halten. Der im Zuge der Repression gegen die Revolutionär:innen zu lebenslanger Verbannung nach Sibirien verurteilte Trotzki floh 1907 aus dem Zarenreich und hielt sich 1914 in der Schweiz auf, wo er dem Vorstand des Arbeiterbildungs-Vereins Eintracht Zürich angehörte und Benutzer des Sozialarchivs war.
Auch Georgij Gapon hielt sich vorübergehend in der Schweiz auf. Nach dem Blutsonntag exkommunizierte er den Zaren und flüchtete ins Ausland, wo er in Genf und London Kontakt zu wichtigen Figuren des sozialistischen Exils aufnahm. Nach dem Oktobermanifest kehrte er nach Russland zurück. Nachdem er gegenüber einem Weggefährten, dem Sozialrevolutionär Pinchas Ruthenberg, bekannt hatte, ein Ochrana-Agent zu sein, wurde er 1906 von Angehörigen der «Kampforganisation» der Sozialrevolutionären Partei ermordet. Einer der drei Mörder war selbst ebenfalls ein Undercover-Agent der Ochrana.
Verschiedene Flüchtlinge kamen aus dem Baltikum in die Schweiz. Der lettische Publizist Jānis Pliekšāns mit dem Pseudonym «Rainis» und seine Frau, die unter dem Pseudonym «Aspazija» schreibende Dichterin Elza Rozenberga, kamen 1905 ins Land und lebten dann bis 1920 in Castagnola, wo Rainis ein literarisches Werk schuf, das die lettische Unabhängigkeitsbewegung stark beeinflusste, unter anderem die dramatische Ballade «Daugava» («Dünawind», 1916). Nach der Unabhängigkeit war er ab 1920 als Vertreter der Lettischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Parlamentsmitglied und 1926 bis 1928 Bildungsminister. In Kontakt mit Rainis und Aspazija stand der lettische Bauernsohn und Sozialdemokrat Jānis Klawa, der 1898/99 als Fabrikarbeiter und Student in Bern geweilt hatte, von den zaristischen Behörden mehrfach verhaftet und jahrelang nach Sibirien verbannt worden war. Er konnte Anfang 1905 nach Lettland zurückkehren, beteiligte sich dort wie sein Vater, dessen Bauernhaus 1906 von Kosaken niedergebrannt wurde, und sein Bruder an der Revolution und reiste Ende 1905 erneut in die Schweiz aus. Hier arbeitete er als Schriftsetzer und heiratete 1921 die Textilarbeiterin Anny Morf. In deren Nachlass im Sozialarchiv befinden sich zahlreiche Fotografien aus Klawas Zeit in Lettland und Sibirien sowie das Originalmanuskript der Memoiren seines Lebens bis 1905, die 1958 unter dem Titel «Der Rebell» erschienen.
Aus Estland kam der bürgerlich-nationalistische Jurist Konstantin Päts, der 1905 stellvertretender Bürgermeister von Tallinn war, dann aus dem Zarenreich flüchtete und in Abwesenheit zum Tod verurteilt wurde. 1906 bis 1909 lebte er in der Schweiz, vor allem auf dem Gut Weissenstein bei Bern. 1918 war er an der Unabhängigkeitserklärung Estlands beteiligt und in der Folge Anführer des Bundes der Landwirte sowie mehrfacher Regierungschef. Nach einem Staatsstreich 1934 zur Verhinderung einer Machtübernahme des faschistischen «Bunds der Freiheitskämpfer» regierte er das Land autoritär. Die ab 1938 geplante Rückkehr zur Demokratie konnte aufgrund der sowjetischen Invasion von 1940 nicht mehr vollzogen werden. Päts wurde (wie in der Zeit bis in die frühen 1950er Jahre über 30’000 seiner Landsleute) nach Osten deportiert, kam ohne Anklage und Verurteilung in verschiedene Gefängnisse, Zwangsarbeitslager und psychiatrische Kliniken und starb 1956 nach 16 Jahren Haft. Während seines Exils in der Schweiz stand Päts im Austausch mit anderen Flüchtlingen aus dem Baltikum, beispielsweise dem estnischen Journalisten und Sozialdemokraten Mihkel Martna, der 1905 ebenfalls an der Revolution teilgenommen hatte und dann 1906 bis 1917 in der Schweiz lebte. Martna war 1907 Mitbegründer der Estnischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und spielte nach der Unabhängigkeit als Parlamentarier und Diplomat eine wichtige Rolle beim Aufbau des estnischen Staates.
1911 kam der polnische Neurologe Mieczyslaw Minkowski nach Zürich und wurde Assistenzarzt von Monakovs. Minkowski war 1905 als Medizinstudent von der Universität Warschau ausgeschlossen worden, weil er sich im Zuge der revolutionären Unruhen für die Wiedereinführung des Polnischen statt des 1870 aufgezwungenen Russischen als Unterrichtssprache eingesetzt hatte. Anschliessend setzte er seine Studien in München und Breslau fort. 1928 bis 1954 war er dann Direktor der Neurologischen Universitäts-Poliklinik und des Hirnanatomischen Instituts der Universität Zürich. Zugleich fungierte er ab 1925 als Präsident der Jüdischen Vereinigung Zürich.
Bestände zum Thema im Schweizerischen Sozialarchiv (Auswahl)
- Ar 101.30.7 Brupbacher, Fritz (1874–1945): Briefe K–M
- Ar 127.10+11 Klawa-Morf, Anny (1894–1993): Janis (John) Klawa
- Ar 170.15.11 Greulich, Herman (1842–1925): Zweite Internationale 1904–1911
- Ar 198.7.2 Schweizer Kommunisten: M–Z
- Ar 198.43 Kirschbaum, Familie
- Ar 535 Publ 668 Russlandschweizer-Archiv RSA: Ordner mit Ausschnitten aus Schweizer Zeitungen zur Russischen Revolution 1905–1907
- KS 32/46:1+2 Russland bis 1917
- KS 331/257 Generalstreiks, Massenstreiks: Allg.
- KS 335/275+276 Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre bis 1917: Russland
- KS 335/442:1+2 Anarchismus; politische Gefangene: Russland & Sowjetunion
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