Wahlkampf in der Stadt Zürich 1933: Auf der einen Seite stehen die Sozialdemokraten, die versuchen, ihre fünf Jahre zuvor gewonnene Mehrheit im Stadt- und Gemeinderat zu verteidigen. Um das zu verhindern, haben auf der anderen Seite die bürgerlichen Parteien mit frontistischen Gruppierungen eine Listen-Verbindung beschlossen. Die Unversöhnlichkeit dieser beiden Blöcke, die Herausforderungen der Wirtschaftskrise, massiv steigende Arbeitslosenzahlen und die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland heizen die Stimmung im Wahlkampfjahr an. Jede Stimme wird umworben: mit Plakaten, Flugblättern, Veranstaltungen, Fackelzügen und bisweilen auch mit Fäusten. Es kommt wiederholt zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Hitzköpfen beider Seiten.
Neben diesen traditionellen Propagandamitteln entdeckt die SP der Stadt Zürich die Tonaufnahme. Überraschend sind im Archivbestand des VPOD Zürich fünf kurze Wahlkampf-Reden der SP-Stadträte Briner, Baumann, Kaufmann und Gschwend sowie eine von Ernst Nobs (damals Gemeinderat, später Bundesrat) aufgetaucht. Die Aufnahmen sind auf Azetatplatten, die ähnlich aussehen wie Vinyl-Schallplatten, festgehalten, ein damals übliches Verfahren. Weshalb die SP Zürich dieses Mittel wählte und bei welchen Anlässen die Platten eingesetzt wurden, ist unklar. Hat man damit Wahlkundgebungen beschallt? Dienten die Aufnahmen dazu, bei physischer Abwesenheit an Anlässen doch zumindest akustische Präsenz zu zeigen? Oder handelt es sich «nur» um Aufnahmen zu Kontrollzwecken, um die Wirkung der eigenen Rede zu überprüfen?
Wie dem auch sei – die fünf Aufnahmen sind eine Rarität! Erstmals hört man die Stimmen bekannter politischer Exponenten, und man kann sich innerhalb einer Viertelstunde – so lange dauern alle Aufnahmen zusammen – einen Eindruck verschaffen, wie brisant (auch im Vergleich zu heute) die Auseinandersetzungen 1933 in der Stadtpolitik waren. Themen sind in erster Linie der Kampf gegen die Frontenbewegung und gegen die bürgerliche Abbaupolitik bei den Sozialleistungen und bei der wirtschaftlichen Krisenintervention. Verteidigt werden die Steuerpolitik, die Sozialleistungen und das Engagement für Schule und Sport. Übrigens: An den Stadt- und Gemeinderatswahlen vom 24. September 1933 nahmen 85% der Zürcher Männer teil!